Mannheim, 03. Mai 2016. (red/hmb) Die letzte Tanz-Premiere der Spielzeit bewies noch einmal, wie bedauerlich es ist, dass das eingespielte Kevin O’Day Ballett aufgelöst wird. Nach 14-Jährigem Schaffen als Hauschoreografin setzt stellvertretende Ballettintendantin Dominique Dumais ihrer dem Tanz gewidmeten Trilogie mit „Naked“ einen fulminanten Schlusspunkt. Das Publikum war mehr als begeistert.
Von Hannah-Marie Beck
Standing Ovations, begeisterter Jubel und tosender Applaus: Die Stimmung im Nationaltheaters ist emotionsgeladen und überschwänglich. Mit „Naked“, einem unglaublich emotionalen und mitreißenden Tanzstück, landete Choreografin Dominique Dumais einen Volltreffer – das Premierenpublikum war hin und weg und zeigte sich durch und durch begeistert.
Die vierzehn Tänzerinnen und Tänzer des Nationaltheaters bewegen sich auf die Vorbühne. Ihre Körper wirken frei und locker – nicht bis auf die Sehnen angespannt, wie man es von herkömmlichem Ballett gewohnt ist.
Lautstark atmen sie aus, fallen in sich zusammen und richten sich wieder auf. Nach und nach scheinen sie ihren eigenen Körper zu entdecken. Ihre Muskeln zu erproben und ihre Haut zu fühlen.
Leise erklingen die Töne eines Cellos – die Musik findet zu den Tänzern, scheint sich ihren Bewegungen anzupassen. Auf der Bühne sitzt die New Yorker Cellistin und Komponistin Julia Kent. Ihre ruhigen Kompositionen schaffen eine schaurig-schöne und unglaublich emotionale Atmosphäre.
Mal scheint der Tanz voll Gewalt zu sein, voll Schmerz und Leid. Dann gehen wilde Zuckungen durch die Körper der Tänzer: Aus Tanz wird Kampf. Im nächsten Moment wirken die Tänzer wieder ganz ruhig; in sich gekehrt und mit sich selbst im Reinen.
Besonders die Paartänze begeistern: Häufig wirkt es, als würden zwei Körper miteinander verschmelzen. Aber auch die Gruppenszenen reisen mit. Denn selbst wenn sich die Tänzer synchron bewegen, scheinen sie bewusst einen eigenen Stil, eine eigene Sprache beizubehalten.
Die Hüllen fallen
Das Stück wirkt wie ein ständiges Suchen nach und Finden von sich selbst.
Das imposante Bühnenbild besteht aus mehreren Vorhängen, die die Bühne verdecken. Nach und nach fallen sie herab und die Tänzer dringen tiefer in die Bühne vor. Genauso scheint man aber auch tiefer in deren Inneres vorzudringen: Jedes Mal, wenn einer der Vorhänge wasserfallartig zu Boden geht, scheint auch eine Schicht von den Tänzern abzufallen – und sie geben eine weitere Facette von sich preis.
Erst tragen sie weiß, dann rot, dann schwarz. Und dann fast nichts mehr. Aber auch wenn sie nicht gänzlich nackt vor dem Publikum stehen wirken sie dennoch entblößt. Sie sind seelisch nackt – ihr tiefstes Inneres wurde offen gelegt.
Naked steht dafür, wie verletzlich wir sein können, wie bloß, aber auch wie ehrlich,
sagte Dominique Dumais im Interview mit Pressesprecherin Eva Wagner. Die Choreografin ist sie so feinfühlig an das Thema herangegangen, dass man es kaum besser und emotionaler hätte umsetzen können. Leise beginnt meine Nebensitzerin während der Vorstellung vor Rührung zu weinen und beim Herausgehen höre ich eine Frau sagen:
Ich finde, Tanz kann man nicht verstehen. Tanz fühlt man.
Wie Recht sie hat.