Rhein-Neckar/Hamburg/Mainz, 15. Mai 2018. (red/pro) Das Hanseatische Oberlandesgericht hat heute seine Entscheidung in der Unterlassungsklage des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen den ZFF-Moderator Jan Böhmermann bekannt gegeben: Danach ist es Herrn Böhmermann weiterhin untersagt, den Großteil eines angeblich „satirischen“ Gedichts zu wiederholen.
Kommentar: Hardy Prothmann
Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts ist ein Schlag ins Kontor all jener, die schäbige Schadenfreude nicht von zulässigen Meinungsäußerungen unterscheiden können – und das gilt für große Teile der Medienlandschaft, denn diese großen Teile haben Herrn Böhmermann und sein Schmähgedicht verteidigt. Auch der DJV-Vorsitzende Prof. Dr. Frank Überall gehört zu diesem Kreis.
Es kommt auf den Kontext an – meinten viele „clevererweise“. Das hat das Oberlandesgericht auch berücksichtigt. Und zwar in der Abwägung zwischen dem grundgesetzlich geschützten hohen Gut der Meinungsfreiheit und dem ebenfalls geschützten Persönlichkeitsrecht.
Komplexe Ausgangslage
Die Entscheidung des 7. Zivilsenats (Pressesenat) würdigt die Betrachtung eines Gesamtzusammenhangs (Kontext) und ebenso die Bedingungen und die einzelnen Aussagen. Der Auffassung, dass die „Einkleidung“ einen Rahmen bilde, durch den massive Beleidigungen und damit unzulässige Verletzungen des Persönlichkeitsrechts zulässig wären, folgten die Richter nicht.
Das entspricht der von RNB in der Berichterstattung mehrfach dargelegten Sichtweise.
Die Abwägung zwischen den Rechtsgütern ist nach unserer Auffassung solide und sorgfältig erfolgt. Dementsprechend wurde auch die Rechtsmittel des Herrn Erdogan zurückgewiesen, der die „Schmähkritik“ gänzlich verbieten lassen wollte. Einzelne Passagen sind im Rahmen einer pointierten, polemischen und überspitzten Weise eben zulässig und müssen von Herrn Erdogan durch gegebene Umstände hingenommen werden. Umgekehrt wird Herrn Böhmermann verboten, massiv ehrverletzende Behauptungen wie „Am liebsten mag er Ziegen ficken“ oder „die dumme Sau hat Schrumpelklöten“ zu wiederholen.
Moment, sagen Sie jetzt: Hat das RNB nicht gerade verbotene Aussagen wiederholt? Haben wir. Mit aller gebotenen Distanzierung machen wir uns diese nicht zu eigen, sondern dokumentieren auszugsweise, was Anlass des Rechtsstreits war. (Anm. d. Red.: Der vollständige Text ist bei der Justiz Hamburg nachzulesen.) Diese auszugsweise Zitation ist ein anderer Kontext und im Gegensatz zu Herrn Böhmermann und dem ZDF haben wir von Anfang an den Charakter der schweren und durch nichts begründbaren Beleidigung benannt.
Wichtig: Herr Böhmermann darf die Äußerungen nicht mehr wiederholen. Andere hatten dies im Anschluss an die Sendung „Neo Magazin Royale“ getan – je nach Kontext könnte dies ebenfalls eine rechtsverletzende Handlung darstellen.
Herr Böhmermann hat, nach meiner Auffassung, versucht, ein „Meisterwerk zu schaffen“. Nämlich durch die Konstruktion eines „Rahmens“ rassistische, ausländerfeindliche, persönlichkeitsverletzende Äußerungen tätigen zu können und das für einen großartigen Witz zu halten. Tatsächlich hat er ein enormes Dilemma erzeugt – die Provokation war auf einen Rechtsstreit ausgelegt (auf Kosten der Gebührenzahler) und erzeugte ein Dilemma: Hätte Herr Böhmermann Recht bekommen, wären jegliche Grenzen der Schmähkritik aufgehoben worden. Auf der anderen Seite hat diese Aktion die reale Gefahr erzeugt, dass durch höchstrichterliches Urteil die Grenzen der Meinungsfreiheit deutlich eingeengt würden. Weder das eine noch das andere hat die Böhmermann-Fangroup nicht bedacht.
Solides Urteil
Das Hanseatische Oberlandesgericht war wie zuvor das Landgericht Hamburg beim Urteil in erheblicher Weise gefordert, die Freiheit wie auch die Grenzen auszuloten, Grenzverletzungen als solche einzuordnen und gleichzeitig weiter die Freiheit zu achten. Künstler wie Journalisten wie die Öffentlichkeit können sehr froh über diese rechtsstaatliche Klugheit und Weitsicht sein. Die Meinungsfreiheit wurde nicht eingeschränkt, aber klar aufgezeigt, was keine Meinung mehr ist.
Herr Böhmermann und seine Juristen wussten das vorher, wie in der betreffenden Sendung durch die häufigen Hinweise, dass dies und jenes nicht erlaubt sei, klar belegt ist. So gesehen bestätigt das Oberlandesgericht dieses Bewusstsein, das vorsätzlich verachtet worden ist, um jemanden anderen verächtlich zu machen.
Das Urteil bedeutet, dass bei Wiederholung eine Strafe bis zu 250.000 Euro oder ersatzweise bis zu sechs Monate Haft drohen. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig – innerhalb eines Monats kann Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingereicht werden.
Den Prozessparteien kann nur angeraten werden, es damit gut sein zu lassen. Erstens wurde bereits ein immenser Schaden angerichtet, zweitens wird der überwiegende Teil der Nichtzulassungsbeschwerden abgelehnt. Klar, man kann auch bis Bundesverfassungsgericht ziehen – um was erreichen zu wollen? Beleidigungen außer Strafe zu stellen? Steht das ZDF für ein solches Vorhaben mit Gebührengeldern tatsächlich zur Verfügung? Man würde damit sicher scheitern.
Dilemma
Zum Abschluss noch eine sehr wesentliche Bemerkung: Das RNB und damit immer ich als verantwortlicher Redakteur waren sehr schon häufig Attacken auf die Meinungsfreiheit ausgesetzt. Wir haben diese ohne Gebührengelder (aber mit Unterstützung von Lesern, danke!) verteidigen können. Nur den ersten Prozess 2010 haben wir verloren. Ich bin als früherer Korrespondent für Reporter ohne Grenzen und Mitgründer von Netzwerk Recherche und als auf Freiheit sehr angewiesener freier Journalist ein glühender Verfechter der Meinungsfreiheit und habe mich schon oft öffentlich oder situativ dafür stark gemacht.
Nach meiner Auffassung gehört aber zu jeder Freiheit auch Verantwortung. Freiheit heißt nicht beliebig und schon gar nicht rechtsfrei. Es hat mir überhaupt nicht gefallen, mich gegen einen Künstler (egal, ob ich den gut oder schlecht finde) zu stellen, aber nach Sachlage war dies nicht anders möglich. Ich habe zum Thema unzählige Texte gelesen und musste leider feststellen, dass in weiten Teilen der Medienlandschaft entsetzliche Unkenntnis über das Grundgesetz, die Meinungsfreiheit, das Pressegesetz, die Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechte vorherrschen.
Die Causa Böhmermann sollte all jenen, die sich fürsprechend verhalten haben, zu denken geben, ihr eigenes Wissen und die eigene Abwägung sehr sorgfältig zu prüfen. Wie so häufig – und noch mehr bei Meinungsäußerungen – kommt es immer auf den Einzelfall an und dort auf den Kontext, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem „Dummschwätzer“-Urteil auf herausragende Weise begründet hat.
Man kann von Herrn Erdogan halten, was man will – wenn man aber die Kunstfreiheit ausnutzen will, um sich rassistisch, fremdenfeindlich, menschenverachtend und grundsätzlich bösartig zu äußern und sich dann hinter Solidaritätsbekundungen von anderen, die dieses miese Stück Schmähkritik verteidigt haben, verstecken will, ist man ein erbärmlicher Feigling, der sich einsichtslos ob des Fehlers zeigt. Das gilt bedauerlicherweise auch für das ZDF, das nicht durch dieses Urteil, sondern durch die „bedingungslose“ Unterstützung gezeigt hat, wie es um das Gefühl für Anstand dort bestellt ist – es existiert offenbar nicht.
Herr Böhmermann hat eine dicke Lippe riskiert, ist über jedes Maß hinausgegangen – jetzt wäre es an der Zeit für eine Entschuldigung bei Herrn Erdogan. Durch Herrn Böhmermann und durch den ZDF-Intendanten Thomas Bellut (den ich aus früherer Zeit kenne). Beiden traue ich diese Form von Größe nicht zu – ich lasse mich gerne täuschen. Dabei könnten die beiden wenigstens noch einen guten Abgang herausholen – man stelle sich vor, Herr Erdogan wiese eine Entschuldigung zurück. Diplomatisch gesehen geht das nicht, wenn das Protokoll eingehalten wird. Aber dazu wird es nicht kommen.
Und noch etwas, für die, die gerne irgendwas zitieren: „Satire darf alles“, mag mal jemand gesagt haben. Aber das ist falsch. Es gibt kein Gesetz, das dies rechtfertigt. Es ist nur eine Meinung. Die darf man so äußern. Sie ist und bleibt falsch.
Denn das Grundgesetz unterscheidet nicht zwischen einer dummen Meinung und einer intelligenten Meinung. Die Gesetze und Gerichte entscheiden im Streitfall aber sehr wohl, ob eine (freie) Meinung, eine (belegte oder unbelegte) Tatsachenbehauptung oder eine Diffamierung vorliegt. Das irgendjemand, ob als Person oder als Kunstform „alles“ dürfte – wer so was glaubt, hat eine absolut totalitäre Einstellung und unseren Rechtsstaat auch nicht ansatzweise verstanden. Herr Böhmermann könnte sich angesprochen fühlen.
Dokumentation der Pressemitteilung des Hanseatischen Oberlandesgerichts:
„15. Mai 2018
(7 U 34/17)
Im Verfahren über die Unterlassungsklage des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen den TV-Moderator Jan Böhmermann hat das Hanseatische Oberlandesgericht heute das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 10. Februar 2017 bestätigt. Danach bleibt es Böhmermann untersagt, sich über den Kläger wie in Teilen des Satire-Gedichts „Schmähkritik“ aus der Sendung „Neo Magazin Royale“ vom 31. März 2016 geschehen zu äußern. Die fraglichen Passagen beinhalten schwere Herabsetzungen mit Bezügen zum Intimen und Sexuellen, für die es in der Person oder dem Verhalten des Klägers keinerlei tatsächliche Anknüpfungspunkte gibt.
Anders als die übrigen Verse, die tatsächliches Verhalten Erdogans in satirischer Weise kritisieren und daher hinzunehmen sind, dienen die untersagten Äußerungen allein dem Angriff auf die personale Würde und sind deshalb rechtswidrig. Mit dieser Entscheidung hat der 7. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts sowohl die Berufung Böhmermanns gegen das landgerichtliche Urteil (siehe dazu die Pressemitteilung vom 10. Februar 2017) als auch das Rechtsmittel Erdogans zurückgewiesen, der das Ziel verfolgt, Böhmermann sämtliche in dem Gedicht enthaltenen Äußerungen in Bezug auf seine Person untersagen zu lassen.
Die Berufungsentscheidung beruht auf einer Abwägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit, die der Beklagte für seine Kritik am Kläger und der von ihm geführten Regierung in Anspruch nehmen kann. Der Kläger hat seinerseits das Recht, nicht mit herabsetzenden Werturteilen bedacht zu werden, die mit der Achtung seiner Persönlichkeit – oder gar mit seiner Menschenwürde – nicht mehr vereinbar sind.
Unabhängig von der Frage, ob der Beklagte sich auf die Kunstfreiheit berufen kann, ist das Gedicht als Satire im Rahmen der Meinungsfreiheit an Maßstäben zu messen, die dem Effekt der Verfremdung und Übertreibung Rechnung tragen. Die Äußerung von Kritik in einer pointierten, polemischen und überspitzten Weise ist umso stärker geschützt, je deutlicher die satirische Einkleidung einen Bezug zum Gegenstand der Kritik aufweist oder die kritisierte Person selbst Veranlassung für die Einkleidung gegeben hat. Umgekehrt gewinnt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen umso mehr an Gewicht, je weiter die satirische Einkleidung von dem Gegenstand der Kritik entfernt ist und sich auf die bloße Herabsetzung der Person des Kritisierten fokussiert.
Das Gedicht ist im Gesamtkontext der Sendung zu sehen, die sich mit dem Unterschied zwischen zulässiger und unzulässiger Meinungsäußerung befasst und dem Kläger vorwirft, auf die zuvor in der Sendung „extra 3“ geübte Kritik an seiner Herrschaft durch Einbestellung des deutschen Botschafters als Betroffener einer zulässigen Meinungsäußerung überzogen reagiert zu haben.
Es handelt sich eben nicht um eine vorlesungs- oder seminarähnliche Demonstration möglicher Arten von Meinungsäußerungen. Vielmehr soll konkrete Kritik am Kläger geübt und gerade am Beispiel seiner Person demonstriert werden, welche Art von unzulässigen Meinungsäußerungen es gebe. Hierzu werden Beschimpfungen aneinander gereiht, die vorher und in Einschüben während des Vortrags als unerlaubt charakterisiert werden und jeweils für sich einen herabsetzenden Inhalt haben. Jede dieser Meinungsäußerungen kann isoliert mit einem Verbot belegt werden, wenn sie im jeweiligen Gesamtkontext unzulässig ist. Weder die Sendung insgesamt noch das Gedicht bildet ein einheitliches, untrennbares Werk, dessen Zulässigkeit nur insgesamt beurteilt werden könnte.
Für die einzelnen Verse des Gedichts ist danach ausschlaggebend, ob ein sachlicher Gehalt mit Bezug zu der Kritik am Kläger erkennbar ist und dieser sachliche Gehalt ausreicht, den in der jeweiligen Einkleidung liegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers aufzuwiegen. Das ist bei der Verwendung herabsetzender Bilder aus dem Intim- und Sexualbereich, für die es in der Person des Klägers und seinem Verhalten weder Anknüpfung noch Veranlassung gibt, nicht der Fall.
Die Äußerungen stellen ungeachtet des vom Beklagten vorangestellten Vorbehalts, nicht beleidigen zu wollen, tatsächlich schwere Persönlichkeitsrechtsverletzungen dar. Der übergeordnete Aussagegehalt des „Schmähgedichts“ und die vorangestellte Erklärung, mit diesem nur zeigen zu wollen, welche Arten rechtlich unzulässiger Äußerungen es gebe, rechtfertigen derart schwere Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht.
Das Berufungsurteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts ist nicht rechtskräftig. Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht kann Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt werden.“