Stuttgart/Rhein-Neckar, 19. April 2016. (red/pro) Der ARD-Fernsehkorrespondent Volker Schwenck ist wieder zurück in Kairo, teilt der SWR mit. Der Leiter des ARD-Studios Kairo war am Morgen bei seiner Einreise in die Türkei am Flughafen Istanbul von türkischen Behörden festgesetzt und knapp zwölf Stunden festgehalten worden. Zu seinem Namen habe es einen „Eintrag“ gegeben, teilte der Journalist per Twitter mit.
Kommentar: Hardy Prothmann
Das Auswärtige Amt und das Generalkonsulat waren in ständigem Kontakt mit dem Südwestrundfunk (SWR), teilte uns der Sender auf Anfrage mit. Der SWR-Reporter Schwenck wollte von Istanbul weiter in das türkisch-syrische Grenzgebiet, um dort mit syrischen Flüchtlingen zu sprechen.
Was man über die ARD wissen muss
Herr Schwenck wird auch als ARD-Reporter bezeichnet – dazu muss man wissen: Die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschland (ARD) ist ein Zusammenschluss der öffentlich-rechtlichen Länderanstalten bis auf das ZDF, das ebenfalls öffentlich-rechtlich ist, aber das „Zweite“ Fernsehprogramm veranstaltet, während die ARD „Das Erste“ in Kooperation der „Landessender“ verantwortet. Diese Landessender, also beispielsweise SWR oder BR oder HR haben jeweils „Dritte Programme“, also eigene Fernsehkanäle und dazu noch bis zu fünf Hörfunkkanäle, auch „Wellen“ genannt.
Die ARD teilt sich „die Welt“ in Gebiete auf, für die einzelne Sender zuständig sind. Der Nahe Osten ist Gebiet des SWR, Israel hingegen des Bayerischen Rundfunks. Unabhängig von der Herkunft arbeiten die meisten Korrespondenten, zumindest im Fernsehen, allgemein für die ARD.
Zum Beispiel die Tagesschau mit Sitz beim Norddeutschen Rundfunk (NDR). Aus dem ganzen Land kann die Tagesschau auf Material der Einzelsender und der Korrespondenten aus dem Ausland zugreifen – im Sinne der „Arbeitsgemeinschaft“.
Herr Schwenck leitet seit mehreren Jahren als SWR-Journalist das ARD-Studio in Kairo. Von dort berichtet er über den gesamten Nahen Osten, auch über Syrien, sagt der SWR. Bereits mehrfach sei er in dem Bürgerkriegsland und dem Grenzgebiet zur Türkei für Dreharbeiten unterwegs gewesen.
Probleme mit der Welt-Aufteilung
Problematisch an diesem System ist, dass die Korrespondenten oft riesige Gebiete haben, für die Sie zuständig sind. Siehe Herr Schwenck. Der war, laut SWR bereits „mehrfach“ in Syrien – in der Berichterstattung wird er dann auch mal schnell zum „Syrien-Korrespondenten“, was den Eindruck erweckt, er wäre vor Ort, was er wie andere Korrespondenten meistens aber nicht ist.
Wir waren auch schon oft in Stuttgart – sind wir deshalb „Stuttgart-Experten“? Im Leben nicht – Stuttgart ist eine Großstadt. Bei uns würden Sie niemals lesen, „wie Stuttgart ist“ – dieses Urteil können wir nicht fällen, obwohl Stuttgart kein Ausland ist und Teil unseres Kulturkreises (jetzt keine Badener-Witze).
Von Korrespondenten wird das verlangt – die sollen mal eben in ein, zwei Minuten sagen, wie es denn so ist, in Ägypten oder im Jemen oder Syrien oder Irak oder sonstwo. Das ist Fernsehen und das ist oft Show.
Diese Einordnung soll die journalistische Arbeit der Kollegen nicht diskreditieren, sondern einordnen. Oft sind Korrespondenten die „ärmsten Zeitgenossen“ überhaupt. Sie sind nicht vor Ort, sie wissen zu wenig, aber sie sollen in der Live-Schalte mal eben kurz und knackig sagen, was ist. Gute Korrespondenten zeichnet aus, dass sie sehr viel „offline“ arbeiten, Netzwerke knüpfen und analytischen Verstand haben.
Doch bleibt es ein gefährliches Spiel – gegenüber den Zuschauern, wenn die darauf vertrauen, dass der Korrespondent ein wahrhaftiges Bild abliefert. Gegenüber Despoten und Diktatoren, wenn das Bild tatsächlich wahrhaftig ist – das kann sofort lebensbedrohlich werden.
Unerträglicher Skandal
Dass ein deutscher Journalist im EU-Partnerland Türkei ein Einreiseverbot erhält und abgeschoben wird, ist ein unerträglicher Skandal. Die Türkei muss nachweisbar eine solch drastische Maßnahme begründen können. Es könnte sein, dass erhebliche Zweifel an der Güte der journalistischen Arbeit bestehen – darüber kann man sich auseinandersetzen.
Dazu liegen uns keine Informationen vor – selbstverständlich könnte es sein, dass die Türkei aufgrund früherer Berichte des Korrespondenten erhebliche Zweifel hat, ob dieser „zutreffend“ berichtet. Selbstverständlich könnte die Türkei dann ein Art „Hausrecht“ ausüben. Aber insgesamt muss ein moderner, demokratischer Staat dies als absolut letztes Mittel sehen und eine freie und unabhängige Berichterstattung ermöglichen, ja geradezu garantieren. Demokratien definieren zuerst Freiheiten und dann zu Recht auch Grenzen – aber welche sollte der SWR-Korrespondent überschritten haben, die ein solches Verhalten der Türkei nachvollziehbar rechtfertigen?
Eine Ausweisung ohne diesen Nachweis ist ein absoluter Affront – und zwar einer, der im Gegensatz zur „Ziegenfickeraffäre“ eines rumeiernden Mittelklassekomikers tatsächlich den Charakter einer Staatsaffäre in sich trägt.
Und selbstverständlich sind hier das Auswärtige Amt und die Bundesregierung in der Pflicht, eindeutig zu reagieren und nicht nur als Lippenbekenntnis. Wenn die Arbeit von deutschen Journalisten in der Türkei derart ohne Begründung behindert wird, ist ein sofortiger Abbruch aller gemeinschaftlichen Projekte notwendig.
Wenn es für Merkel eng wird, dann jetzt
Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, die türkische Regierung zeitnah und begründet um Aufklärung zu ersuchen. Eine begründete Kritik steht der Türkei zu, wie jedem anderen Land auch. Auch ein Akt der Willkür, wenn die Türkei als Willkür-Staat wahrgenommen werden möchte.
In Bezug auf Herrn Böhmermann ist unglaublich viel Mist geschrieben worden über die Verantwortung der Kanzlerin. Hier ist ihre Verantwortlichkeit unbedingt verlangt. Selbstverständlich nicht in Bezug auf die Inhalte journalistischer Berichterstattung, sondern auf staatliche Zensur im Vorfeld journalistischer Recherche, ohne die es keine Berichterstattung geben kann.
Dieser Affront – wenn es einer ist – hat um Welten mehr Gewicht als die Affäre Böhmermann. Möglicherweise ist die Haltung der türkischen Regierung gerechtfertigt – dann muss sie diese aber auch erklären. Es gibt unbestätigte Hinweise auf „schönfärberische“ Berichte zur PKK und YPG durch Herrn Schwenck.
Wenn Frau Merkel dieses Problem nicht umgehend löst – der SWR kann das nur bedingt lösen, der Korrespondent gar nicht – dann würden sich alle Hinweise auf Artikel 5 Grundgesetz als Geschwafel herausstellen.
Die Türkei ginge damit den Schritt zu weit, der ein Schritt zu weit ist. Damit wäre die Belastungsgrenze überstrapaziert. Alles was danach kommt, mag man sich nicht vorstellen.
Mal schauen, ob unsere „etablierten“ Qualitätsmedien das auch so sehen und was diese zur „Aufklärung“ beitragen.