Mainz/Rhein-Neckar, 06. April 2016. (red/ms) Aktualisiert. Das „Schmähgedicht“ von ZDF-Moderator Jan Böhmermann gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan könnte juristische Konsequenzen haben: Die Staatsanwaltschaft Mainz führt ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Verstoßes gegen Paragraph 103 Strafgesetzbuch (Beleidigung von Organen oder Vertreter ausländischer Staaten). Im Falle einer Verurteilung könnten Herrn Böhmermann bis zu fünf Jahre Haft drohen.
Von Minh Schredle
Die Meinungsfreiheit ist nicht völlig grenzenlos – sie endet dort, wo die Rechtsgüter anderer verletzt werden. Auch Satire darf also nicht alles. Denn unbelegte Unterstellungen und diffamierende Beleidigungen können justiziable Konsequenzen haben.
In einem Beitrag für die ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“ unterstellte Moderator Jan Böhmermann am 31. März dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan unter anderem völlig unbelegt und in beleidigender Absicht, er schlage Mädchen, würde Kinderpornos schauen, während er Kurden trete und Christen haue und am liebsten „ficke“ er Ziegen. Außerdem habe er einen „kleinen Schwanz“. Wir distanzieren uns eindeutig von diesen Beleidigungen und führen diese nur zur Belegung an.
Mit Satire hat das nach Einschätzung der Redaktion nicht mehr das Mindeste zu tun – es ist in übelster Art beleidigend, mit der alleinigen Absicht zu verhöhnen. Unabhängig davon, welche berechtigte Kritik es gegen das türkische Staatsoberhaupt hervorzubringen gibt, haben Unterstellungen von Sodomie rein gar nichts mehr mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu tun.
Staatsanwaltschaft ermittelt
Außerdem muss aus unserer Sicht bei jeder Meinungsäußerung ein Mindeststandard des guten Geschmacks bewahrt werden – schließlich ist die Würde des Menschen nach Artikel 1 des Grundgesetzes unantastbar.
Die beleidigenden Ausfälle von Herrn Böhmermann könnten nun juristische Konsequenzen haben. Denn in Paragraph 103 des Strafgesetzbuches heißt es:
(1) Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ist die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen, so ist § 200 anzuwenden. Den Antrag auf Bekanntgabe der Verurteilung kann auch der Staatsanwalt stellen.
Wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Mainz auf Rückfrage der Redaktion mitteilt, seien aufgrund des Beitrags von Herrn Böhmermann inzwischen über 20 Strafanzeigen von Privatpersonen bei ihr eingegangen. Weitere würden vermutlich folgen. Diese würden in einem gemeinsamen Ermittlungsverfahren zusammengeführt und bearbeitet. Zur Sicherung der Beweise werde beim ZDF ein Mitschnitt der Sendung angefordert werden.
Anhaltspunkte liegen offenbar vor
Dass eine Staatsanwaltschaft überhaupt ein Verfahren einleitet, setzt in der Regel voraus, dass sie ausreichende Anhaltspunkte sieht, die die Ermittlungen rechtfertigen – dementsprechend ist es gut möglich, dass der „Scherz“ von Herrn Böhmermann noch üble Folgen für ihn haben könnte.
Ein Ermittlungsverfahren bedeutet übrigens nur, dass ein mögliches schuldhaftes Verhalten geprüft wird. Dies kann auch wieder eingestellt werden oder in eine Anklage münden, die letztlich gerichtlich entschieden werden muss. Somit ist zur möglichen Schuldigkeit von Herrn Böhmermann bis zu einem entsprechenden Urteil oder bis zur Einstellung des Verfahrens nichts Definitives zu sagen. Aus Sicht der Redaktion wäre es aber durchaus vorstellbar, dass sein „Schmähgedicht“ juristisch als eine „verleumderische Beleidigung“ ausgelegt werden könnte.
Aktualisierung: 07. April 2016, 10:25 Uhr
Verschiedene Artikel, dass Herr Böhmermann sich möglicherweise strafbar gemacht habe, könnten für Verwirrung sorgen. So berichtete eine Reihe von Medien, das Auswärtige Amt habe intern juristisch prüfen lassen, ob ein Straftatbestand erfüllt sein könnte. Dabei berief man sich auf Informationen und Dokumente, die dem Tagesspiegel vorliegen sollen.
Sawsan Chebli, die stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amts, äußerte sich auf der gestrigen Bundespressekonferenz folgendermaßen zu der Angelegenheit:
Es ist nicht Aufgabe des Auswärtigen Amtes, juristisch zu entscheiden, ob in Einzelfällen Grenzen zwischen Kunstfreiheit und Beleidigung überschritten worden sind. (…) Das haben hohe Gerichte zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund habe ich die Kommentare und Berichte überhaupt nicht zu kommentieren und nur das dazu zu sagen, was wir als Auswärtiges Amt dazu sagen. Wir sind nicht diejenigen, die am Ende darüber entscheiden, ob Grenzen gezogen werden oder nicht.
Somit ist fraglich, ob eine mögliche juristische Prüfung des Auswärtigen Amts überhaupt irgendeine Relevanz für das Ermittlungsverfahren gegen Herrn Böhmermann hat.
Halbwahrheiten und Unklarheiten
Weiterhin wird berichtet, damit es zu einer Anklage komme, müsse die türkische Botschaft einen entsprechenden Antrag beim Auswärtigen Amt stellen. So heißt es in einem Bericht von Zeit online:
Ob es zum Verfahren gegen Böhmermann kommt, hängt von der Türkei ab.
Das bestätigen weder das Auswärtige Amt noch die Staatsanwaltschaft Mainz auf Rückfrage unserer Redaktion – es wurde aber auch nicht eindeutig dementiert. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft teilt mit, nach Ziffer 210 der Richtlinien für das Bußgeld- und Strafverfahren werde das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz auf dem Dienstweg unterrichtet, um zu klären, ob seitens der Türkei, beziehungsweise ihres Staatsoberhauptes ein Strafverlangen gestellt wird. Im Tagesspiegel heißt es dazu:
Dies ist nach Meinung von Experten möglicherweise eine Voraussetzung dafür, dass am Ende eines Ermittlungsverfahrens Anklage erhoben werden kann.
Welche Experten das nun konkret sein sollen, wird im Bericht hingegen nicht benannt. Klar ist: Eines der Medien muss irren.
Aktualisierung: 07. April, 12:16 Uhr
Nach erneuter Rückfrage bei der Staatsanwaltschaft Mainz haben wir eine klärende Antwort erhalten: Die mögliche Straftat wird nur dann weiterverfolgt, wenn „ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt“ und „die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt“. Ob es dazu kommt, ist gegenwärtig unklar.
Dass die Staatsanwaltschaft schon jetzt aktiv geworden ist, erklärt sich folgendermaßen: Im „Interesse der Beweissicherung“ würde die Staatsanwaltschaft beschleunigt „alle notwendigen Ermittlungen durchführen und Umstände aufklären“, die für den Entschluss des verletzten ausländischen Staates oder die Entscheidung der Bundesregierung, die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen, von Bedeutung sein können, teilt eine Sprecherin auf Rückfrage der Redaktion mit. Das Ergebnis der Ermittlungen wird anschließend dem Bundesjustizministerium vorgelegt.
Demnach ist die Berichterstattung von Zeit online zutreffend – in erster Linie geht es aktuell um Beweissicherung. Spannend wird also sein, wie sich die Türkei im weiteren Verlauf des Verfahrens verhält, welche Konsequenzen gefordert werden und ob eine Strafverfolgung verlangt wird.
Eine Anfrage der Redaktion an die Türkische Botschaft Berlin, welche Konsequenzen aus ihrer Sicht zu ziehen wären und wie eine angemessene Entschuldigung aussehen könnte, blieb bislang unbeantwortet – sobald uns hier weitere Informationen vorliegen, werden wir das nachberichten.
In jedem Fall entsteht ein gewaltiger Verwaltungsaufwand mit immensen Kosten, weil ein vermeintlicher Komiker austesten musste, wie weit ausschließlich beleidigende Provokation gehen kann, bevor es in einem diplomatischen Debakel endet. Ob Herr Böhmermann noch einen drauf setzen wird, wenn er ungeschoren davon kommt?
Vermutlich schon, denn an der Kontroverse um der Kontroverse Willen scheint er ja offensichtlich Gefallen gefunden zu haben.
Anm. d. Red.: Viele Berichte anderer Medien wurden inzwischen überarbeitet und ohne ersichtliche Hinweise auf Änderungen angepasst – die Originalfassungen sind in vielen Fällen nicht mehr auffindbar.
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