Hamburg/Mainz/Rhein-Neckar, 10. Februar 2017. (red/pro) Das Landgericht Hamburg hat in seiner heutigen Urteilsverkündigung dieselben Passagen wie im vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren untersagt. Das ist ein überwiegender gerichtlicher Erfolg für den türkischen Staatspräsidenten Erdogan und eine erhebliche Niederlage für das ZDF und dessen Moderator Jan Böhmermann. Wir hatten dieses Ergebnis vorausgesagt, während der Großteil der Presselandschaft im vergangenen Jahr den Satiriker Böhmermann zum Helden hochstilisieren wollte. Er bleibt ein publizitätsgeiler Nischenmoderator. Die Zeche zahlen übrigens die “Rundfunkbeitragzahler”, also Sie. Alle, die das Gedicht öffentlich zugänglich gemacht haben, müssen mit Abmahnungen rechnen.
Kommentar: Hardy Prothmann
Wochenlang. Quatsch. Monatelang war Jan Böhmermann mit seiner “Schmähkritik” in den Medien präsent. Fast alle großen Medien, insgesamt die große Mehrheit der Medien verteidigte seinen Auftritt, in dem er den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als “Ziegenficker” mit “Schrumpelklöten” hinstellte, dessen Genitalien nach Döner ständen und selbst ein “Schweinefurz” rieche schöner.
Dieser, mit Verlaub, Scheißdreck, wurde von der großen Mehrheit der deutschen Medien als zwar harte, aber angemessene Kritik gegenüber einem Staatsoberhaupt verteidigt. Schließlich ginge es gegen einen schlimmen Despoten, da seien andere Regeln erlaubt. Mal ehrlich, “Kollegen”? Ihr habt sie nicht mehr alle am Zaun.
Euch passt, was Euch passt und was nicht, nicht. Rechtsstaatlichkeit ist Euch dabei piepegal. Ihr versteht nicht im Ansatz, was für einen immensen Schaden Ihr anrichtet, indem Ihr jemandem wie Jan Böhmermann dessen Schrumpeleier krault und Euch angeblich für die Demokratie ins Zeug werft. Ihr tut das Gegenteil – Ihr verachtet die Demokratie und den Rechtsstaat und folgt nur der Geilheit der Schlagzeile. Ziegenficker, Schrumpelklöten, Schweinefurz – wie geil ist das denn? Da kommt einer und packt jede Menge Rassismus zusammen und weils halt gegen den schlimmen Türken, also Erdogan, ging, standet ihr alle zusammen, habt “höhöhö” gemacht und dann Eure Kommentare abgeschossen.
Zunehmend auffällig wird ein gewisser Heribert Prantl bei der Süddeutschen Zeitung. Der ehemalige Richter bezeichnet das Urteil als “Unsinn” – ähnliches hatte er schon dem Bundesverfassungsgericht in Sachen NPD-Verbotsverfahren bescheinigt. (suchen Sie mal Böhmermann auf der Seite der SZ – das ist lustig.)
Wundert Ihr Euch noch, wenn die Menschen da draußen einen Scheiß auf Recht und Ordnung und Respekt davor geben? Wenn Medien meinen, richterliche Urteile pauschal als Unsinn im ersten Satz zu bezeichnen? Sich nicht in der Sache auseinandersetzen, sondern nur noch Daumen rauf oder runter kennen?
Das Landgericht Hamburg ist sehr differenziert vorgegangen. Die umfassende Begründung kann man unten nachlesen. Wir sind davon ausgegangen, dass das Gericht das “Gedicht” in Gänze verbieten würde, weil es überwiegend aus nicht hinzunehmenden Schmähungen besteht. Aber es hat anders entschieden: 18 von 24 Zeilen bleiben verboten. Also drei Vierteil des Gedichts. Die satirische Kritik am Staatsoberhaupt, die ihn als “sackdoof” bezeichnet, darf bleiben. Im Sinne der Äußerungsfreiheit.
Das Gericht hat entscheiden können, was es will. Beide Seiten haben angekündigt, gegen das Urteil vorzugehen. Also geht es weiter zum Oberlandesgericht und vermutlich bis zum Bundesverfassungsgericht.
Klar ist, das haben wir immer wieder betont – Herr Böhmermann und das ZDF haben die Büchse der Pandorra aufgemacht. Wenn es letztlich zu einer Bestätigung dieser “Performance” kommen würde, wäre sie eine Blaupause. Fortan könnte jeder sagen: Wir machen jetzt was, was verboten ist… Das wäre eine Katastrophe, wie sich jeder vorstellen kann. Wenn es zu einem Verbot kommt, sind selbst einzelne “Überreizungen”, die sowieso schon gefährdet sind, künftig der Anlass für Prozesse ohne Ende.
Dieser Jan Böhmermann, der sich urheberrechtlich geschütztes Material ohne Unrechtsbewusstsein aneignet, der meint, es gäbe für ihn keine Grenzen, ist kein Held, sonder er ist eine Bedrohung für die Branche, ob Satire, Kunst oder Journalismus. Für jeden Anstand und vor allem für Intellektualität sowieso. Und die vielen tausend journalistischen Jünger, die ihm hinterher rutschen, noch mehr.
Wer uns kennt, weiß, dass wir Kritik niemals scheuen und der weiß auch, dass wir dafür heftig bluten müssen – weit über 40.000 Euro haben uns juristische Auseinandersetzungen in den vergangenen Jahre gekostet. Ganz überwiegend haben wir gewonnen. Es ging dabei aber nie ansatzweise um übelste Beleidigungen wie die durch das gebührenfinanzierte ZDF und Jan Böhmermann produziert wird. Auf diese Eskalation folgte eine bundesweite Fake-Berichterstattung, deren Botschaft fatal ist. Man kann nicht einfach jemanden mit Dreck überziehen, nur weil der Präsident ist. Mit Kritik ja. Aber bitte mit Inhalt, aber nicht auf Heranwachsendenniveau.
Hinzu kommt, dass Sie und ich diesen Quatsch bezahlen müssen. Denn das ZDF hat den Vertrag mit Böhmermann verlängert und zahlt alle juristischen Kosten aus den Gebührengeldern, das ist zum Ende hin ein vermutlich deutlich sechsstelliger Betrag. Böhmermann kann der Ausgang also egal sein und er wird ihm egal sein. Aktuell hat das Landgericht entschieden, dass Herr Erdogan 1/5 der Kosten tragen muss, das ZDF, respektive Böhmermann 4/5. Der Streitwert lag bei 125.000 Euro.
Und nein – wir haben keinen Spaß, dass Herr Böhmermann verloren hat. Er hat viel Schaden angerichtet und das ist nicht lustig.
Das aktuell Urteil ist noch nicht rechtskräftig – aber es kann sich schon mal jeder drauf gefasst machen, der weiterhin aus diesem Gedicht zitiert, dass Herr Erdogan seine Anwälte mit Abmahnungen beauftragt. In der Türkei hat er das schon mehrfach bewiesen. Deswegen unser Service-Tipp: Sollten Sie irgendwo das Gedicht oder Teile davon öffentlich zugänglich gemacht haben, schauen Sie, dass Sie das schnell löschen, sonst wird es sehr teuer für Sie. Rechnen Sie mit 2.-3.000 Euro plus eventuell Schadensersatzforderungen.
Vorschaubild:„Jan Böhmermann in Rostock 2014 09“ von Jonas Rogowski – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Dokumentation der Mitteilung des Landgerichts Hamburg:
“10. Februar 2017
(324 O 402/16)
Im Verfahren über die Unterlassungsklage des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen den TV-Moderator Jan Böhmermann wird mitgeteilt:
LG Hamburg bestätigt im Hauptsacheverfahren Erdogan ./. Böhmermann die Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren
Der Beklagte, der Fernsehmoderator Jan Böhmermann, hat in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ ein als „Schmähkritik“ bezeichnetes Gedicht verlesen, in dem er sich mit dem Kläger, dem Präsidenten der türkischen Republik, befasst. Auslöser des Gedichtes war die Einbestellung des deutschen Botschafters aufgrund eines im ZDF ausgestrahlten Beitrages, der ebenfalls den Kläger zum Gegenstand hat. Die Verlesung des Gedichtes unterbrach der Beklagte mehrfach durch Gespräche mit seinem sogenannten Sidekick Kabelka. Das Gedicht wurde durch Untertitel in die türkische Sprache übersetzt.
Der Kläger ist der Ansicht, dass er schwer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden sei. Das Gedicht sei schlicht rassistisch. Mit einem Großteil der Beschimpfungen würden Türken seit Jahrzehnten beleidigt. Durch die Erklärung des Beklagten in der Sendung „Das kann bestraft werden“ würden übelste Beschimpfungen nicht zu einer zulässigen Satire. Auch der Rechtsbruch zur Illustration sei ein Rechtsbruch.
Der Beklagte hat geltend gemacht, dass er sich auf die Meinungs- und Kunstfreiheit berufen könne. Das Gedicht sei im Gesamtkontext zu beurteilen. Es trage zur öffentlichen Meinungsbildung über die Grenzen von Satire bei. Es sei zudem der Umgang des Klägers mit seinen Kritikern zu berücksichtigen; der Kläger habe die Unterdrückung kritischer Stimmen auf die Spitze getrieben.
Das Gericht hat in seinem heute verkündeten Urteil dieselben Passagen wie im vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren untersagt, der Klage – der Kläger wollte das Gedicht insgesamt untersagen lassen – wurde daher nur teilweise stattgegeben. Es hat festgestellt, dass für den Beklagten die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG streitet und dass der Fernsehbeitrag Satire ist. Ob der Beklagte sich außerdem auf die – anders als die Meinungsfreiheit – vorbehaltlos gewährte Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG berufen kann, hat die Kammer offen gelassen, da dies zu keiner anderen Entscheidung geführt hätte. Zugunsten des Beklagten hat die Kammer bei der vorzunehmenden Abwägung angenommen, dass jener sich auf die Kunstfreiheit berufen kann. Dennoch falle die Abwägung hinsichtlich der untersagten Passagen zu seinen Lasten aus. Zu Gunsten des Klägers hat das Gericht hinsichtlich der nicht untersagten Passagen angenommen, dass die Kunstfreiheit nicht für den Beklagten streitet. Dennoch falle insoweit die Abwägung zu Lasten des Klägers aus.
Die Kunstfreiheit – so das Gericht – sei nach dem Bundesverfassungsgericht zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos. Wenn sie mit anderen Werten wie dem verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht kollidiere, auf das sich auch der Kläger als Ausländer berufen könne, so bedürfe es einer Abwägung. Hierbei sei zu beachten, dass Satire einen großen Freiraum beanspruchen dürfe. Auch eine durch die Kunstfreiheit geschützte Satire könne jedoch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen so in seinem Kernbereich berühren, dass sie zu untersagen sei.
Bei der vorzunehmenden Abwägung hat das Gericht den Gesamtkontext berücksichtigt, in den das Gedicht eingebettet ist, d.h. u.a. den Diskurs des Beklagten mit seinem Sidekick über die Meinungsfreiheit, den Hintergrund mit dem Porträt des Klägers und der türkischen Flagge sowie die Vorgeschichte mit der Einbestellung des deutschen Botschafters. Bei der Abwägung spielte auch der Umgang des Klägers mit Kritikern eine zentrale Rolle.
Das Gericht betont weiterhin, dass gerade der Kläger als Staatsoberhaupt sich auch besonders heftige Kritik gefallen lassen müsse, da die Meinungsfreiheit aus dem besonderen Bedürfnis der Machtkritik erwachsen sei.
Unter Berücksichtigung des vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstabes müsse der Kläger die untersagten Passagen nicht mehr hinnehmen. Zwar erkenne der Zuschauer, dass beispielsweise die in das Absurde gewendeten Beschreibungen des Sexuallebens des Klägers keinen realen Bezug hätten, aber Beleidigungen oder Beschimpfungen müsse der Betroffene nicht bereits deswegen hinnehmen, weil sie ersichtlich nicht ernst gemeint seien. Im Vordergrund stehe nicht nur die sexuelle Komponente, der Kläger werde als sexbesessene Person dargestellt, sondern es würden zudem als inakzeptabel geltende sexuelle Verhaltensweisen auf den Kläger bezogen, wie „Kinderpornos schauen“. Der Kläger werde auf eine Stufe mit den beiden im Gedicht genannten österreichischen Sexualstraftätern gestellt. Es würden darüber hinaus nicht nur gegenüber Türken bestehende Vorurteile aufgegriffen, sondern der Kläger werde noch unterhalb eines Schweins bzw. „Schweinefurzes“ stehend beschrieben. Es sei allgemein bekannt, dass für einen Moslem die Verbindung zu einem Schwein besonders verletzend sei. Es werde auch davon ausgegangen, der Beklagte habe gewusst, dass seine Antwort „Dies mache doch keiner“ auf den Einwurf seines Sidekicks, das Gedicht werde doch nicht im Internet verbreitet werden, gerade nicht zutreffe. Das in Rede stehende Setting sei daher mit einer ansonsten üblichen juristischen Diskussion über die Grenzen der Meinungs- und Kunstfreiheit nicht vergleichbar.
Das Gericht führt in seinem Urteil aus, dass die Entscheidungen im strafrechtlichen Verfahren nicht gegen die Untersagung sprächen, da die Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft die Frage der Zulässigkeit der Darbietung gerade offen gelassen und eine Einstellung damit begründet hätten, dass kein Vorsatz anzunehmen sei. Die Frage eines Vorsatzes sei für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch jedoch ohne Bedeutung. Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, die zum Gegenstand hatte, ob ein Verteidiger eine Staatsanwältin gegenüber einem Journalisten u.a. als „durchgeknallt“ bezeichnen dürfe, führe nicht zu einem anderem Ergebnis, da die Kammer, wie bereits im Beschluss zum einstweiligen Verfügungsverfahren ausgeführt, eine Auseinandersetzung in der Sache und damit keine Schmähkritik festgestellt habe. In dem fraglichen Beschluss mache das Bundesverfassungsgericht außerdem deutlich, dass allein die Tatsache, dass keine Schmähkritik vorliege, nicht die Zulässigkeit der Äußerung bedeute.
Die nicht untersagten Passagen erreichen nach Ansicht des Gerichtes nicht die notwendige Schwere, um sie zu untersagen. Zu Lasten des Klägers wirke sich hierbei insbesondere seine Politik in Hinblick auf Kritiker und seine Stellung als Politiker aus.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bestehe nur ein Anspruch auf Untersagung, soweit eine Rechtsverletzung vorliege und nicht darüber hinaus. Die Klage, die auch rechtmäßige Passagen zum Gegenstand habe, werde daher zum Teil abgewiesen. Die Rechtsprechung habe lediglich in Ausnahmefällen nicht nur die einzelnen rechtswidrigen Passagen untersagt, sondern das gesamte Werk, wenn durch eine Untersagung nur der rechtswidrigen Aussagen in die künstlerische Gesamtkonzeption unverhältnismäßig eingegriffen worden wäre. Letzteres sei hier nicht der Fall. Das Gedicht bleibe auch ohne die untersagten Passagen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die konkrete Einbettung fortbestehe, verständlich und eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kläger. Wenn eine Aufteilung nicht für möglich erachtet werden würde, hätte dies zudem nicht zur Folge, dass der Unterlassungsanspruch trotz der festgestellten Rechtswidrigkeit insgesamt abzuweisen wäre, sondern es wäre ihm insgesamt stattzugeben.”