Rhein-Neckar, 20. Juni 2016. (red) Alle rüsten auf. Die allermeisten verbal, viele auch mit Waffen. Was soll das? Wohin soll das führen? Jeder gegen jeden? Alle gegen alle? Und dann? Jeder ist verantwortlich. Jeder einzelne. Aber vor allem die Politik und die Medien. Und was aktuell geboten wird, ist geeignet, noch mehr Angst zu machen, weil es offenbar keine Reflexion mehr gibt.
Von Hardy Prothmann
Merken Sie das auch? Dieses schlechte Gefühl? Diese Übellaunigkeit? Dieses Herzklopfen?
Spüren Sie, wie sehr es Energie frisst, wenn Sie die Nachrichten verfolgen? Wie Sie quasi täglich mehrmals immer wieder empört werden?
Ich bin fast nie übellaunig. Ich hasse niemanden. Und ich bin eigentlich immer guter Dinge. Ok, ich raufe mich journalistisch mal gerne, aber Hass? Nein.
Negative Energien – überall
Trotzdem spüre ich von überall her negative Energien. Und teils überkommen die auch mich. Dann schüttle ich mich. Werfe sie ab. Aber der Angriff geht weiter. Jeden Tag. Gefühlt seit langer Zeit. Auch gegen mich persönlich. Körperlich. Wie lange geht das gut? Wie lange kann und soll man sich dagegen wehren?
Was mir ganz klar nicht gefällt und was ganz klar zu messen ist: Unsere Medien sind komplett auf Konflikt gebürstet. Ob Süddeutsche, Zeit, Spiegel, FAZ, Bild – sie alle suchen jeden Tag den Konflikt. Den noch größeren Konflikt. Die absolute Entscheidung. Und wenn die nicht kommt, beginnen sie von vorne.
Ukraine, Türkei, Syrien, die arabischen Staaten in Nordafrika, Daesh und Al-Quaida und immer wieder Putin oder Trump. Und natürlich Merkel und Europa. Der absolute Dauerbrenner ist irgendwas mit AfD und Pegida.
Und wenn es dann zu Attentaten kommt, dann ist das wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Und die Attentate mehren sich. Also ist der “Trend” doch klar? Oder?
Der Konflikt ist ein klassisches Stilmittel der Menschheit
Ich bringe meinen Mitarbeitern bei, dass der Konflikt ein grundsätzliches Stilmittel im Journalismus ist. Gut und Böse. Schön und hässlich. Arm und reich. Diese einfachen Gegensätze funktionieren immer. Wo Reibung ist, ist Energie. Wo Energie ist, ist Hitze. Wo Hitze ist, erregen sich die Gemüter.
Die Zuspitzung ist eine gängige journalistische Form, um Stories interessant zu machen. Wer gegen wen? Was kann gewonnen, was verloren gehen? Das ist alles legitim. Solange man Maß hält. Und solange man mit Kenntnis damit umgeht.
-Anzeige- |
Was aktuell an allen möglichen “Fronten” in der Welt, ob nah oder fern, geboten wird, ist eine absolute Radikalisierung. Die schreiben insbesondere große Medien als Endzeit-Stories. Motto: Der Untergang ist nahe. Nachfolgemedien “boosten” diese Entwicklung und suchen sich vor Ort ihre eigenen Endzeit-Stories. Meist ohne jegliche inhaltlich-qualifizierte Reflexion. Hauptsache Aufreger.
Medien sind bedroht und sehen deshalb überall Bedrohungen
Die Motivation dieser Medien, dazu gehören auch die öffentlich-rechtlichen Sender, ist klar. Sie spiegeln ihr Innerstes. Sie sind es, die massiv bedroht werden, durch dieses Internet. Die Welt der so lange bestimmenden Medien ist vollständig durcheinander. Ein einziges Chaos. Deswegen verteidigen alle bis aufs Messer ihre Pfründe. Keine Schlagzeile ist radikal genug, um nicht doch gebracht zu werden, um eins zu erreichen: Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit.
Dabei werden am fließenden Band Fehler über Fehler gemacht. Dafür werden diese Medien verurteilt -als Lügenpresse. Das ist Quatsch. Niemand lügt, aber die allermeisten machen Fehler über Fehler.
Die Qualität der Berichterstattung leidet dauerhaft Not. Es müssen Nachrichten auf Teufel komm raus produziert werden. Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit. Alles andere ist egal.
Konflikte werden nicht analysiert, sondern befördert
Das wird so irre, dass jeder noch so konstruierte Konflikt zu aufmerksamkeitsgeilen Story wird. Hauptsache wahrgenommen. Ob AfD oder Böhmermann (was macht der eigentlich?), ob Erdogan oder Putin. Hauptsache den Konflikt geschürt. Die nüchterne Analyse der Beruhigung ist verkümmert.
Dass langsam die Stimmungen kippen und immer öfter Waffen gezogen und eingesetzt werden, wird nicht reflektiert, sondern in den Stream der Meldungen begierig eingearbeitet. Suchen Sie mal nach Einordnungen, nach Reflexionen, nach Fragen in diesen großen Medien. Sie werden sie kaum finden. Auch nicht bei den allermeisten Politikern.
Was ist eigentlich los mit uns?
Was ist eigentlich los mit uns? Wir schreiben das Jahr 2016. Seit über 70 Jahren gibt es keinen Krieg – zumindest im Westen Europas.
Vor 20 Jahren hat uns der Krieg in Ex-Jugoslawien erschüttert. Da war der Krieg ganz nah und fürchterlich. Flüchtlinge wurden aufgenommen. Es gab viele Konflikte, aber die wurden gemeistert. Auch durch vernünftige Stimmen, die mehr und mehr fehlen. Erinnert wird nur Mölln und Rostock. Ganz Deutschland droht angeblich der Nazi-Ruck. Ist das wirklich so oder bilden sich das nur irgendwelche Medien ein, die um Aufmerksamkeit buhlen?
Der banale Alltag ist so ohne “Kick”, so langweilig, weil es viel mehr Arbeit machen würden, dort die spannende Story zu finden.
Das globale Dorf rückt näher zusammen. Vor 30 Jahren war eine Reise in die Türkei noch ein Abenteuer über Land. Heute dauert sie drei Stunden im Flieger. Vor 30 Jahren sorgte man sich über die “afrikanische Invasion”. Man hat nichts getan, um sich darauf vorzubereiten. Jetzt ist sie da und sie wird nicht zu verhindern sein. Egal wie viele Menschen im Mittelmeer ersaufen – ohne dass sich jemand darüber großartig aufregt.
Der kalte Krieg ist eigentlich vorbei – sicher?
Der kalte Krieg ist eigentlich vorbei. Was macht man? Manöver vor Russland und beschwört erneut einen klassischen Kriegskonflikt. Was soll das? Die Türkei will seit Jahrzehnten in die EU und wird über Gebühr ausgegrenzt – ausgerechnet von den Medien, die sonst alle an den Pranger stellen, die nicht für Integration sind? Geht es irrer?
Was ist eigentlich in den Köpfen von Journalisten und Politiker los, also den Gruppen, die Öffentlichkeit herstellen? Geht es nur noch als Kampagne? Sind Vernunft und Abwägung total “old-school” ausgemustert?
Sind wir nicht klug genug, aus so viel Leid zu lernen, das Europa und die Welt im vergangenen Jahrhundert geprägt haben? Wollen wir wirklich wieder in den Kampf ziehen? In welchen? Gegen wen?
Am Ende ist der benannte Gegner egal. Er ist nur ein Spiegel unseres Selbst. Und das ist aus den Fugen.
P.S. In unserer Redaktion suchen wir seit geraumer Zeit immer wieder Themen, die ausgleichend sind. Die Ruhe in sich tragen. Die das Positive herausstellen.
P.P.S. Diese Themen funktionieren ganz gut. Leider funktionieren die Stress-Themen nach wie vor sehr viel besser. Denken Sie mal drüber nach. Sie entscheiden durch Ihre Auswahl, was besser läuft. Wir machen die ruhigen Themen trotzdem.
Unsere Kolumne Montagsgedanken greift Themen außerhalb des Terminkalenders auf – ob Kultur oder Politik, Wirtschaft oder Bildung, Weltweites oder Regionales, Sport oder Verkehr. Kurz gesagt: Alle Themen, die bewegen, sind erwünscht. Teils kommen die Texte aus der Redaktion – aber auch sehr gerne von Ihnen. Wenn Sie einen Vorschlag für Montagsgedanken haben, schreiben Sie bitte an redaktion (at) rheinneckarblog.de, Betreff: Montagsgedanken und umreißen uns kurz, wozu Sie einen Text in der Reihe veröffentlichen möchten. Natürlich fragen wir auch Persönlichkeiten und Experten an, ob sie nicht mal was für uns schreiben würden….
Schätzen Sie diese Art von Artikeln? Die Transparenz? Die Analyse? Die Haltung?
Dann machen Sie andere Menschen auf unser Angebot aufmerksam. Und unterstützen Sie uns als Mitglied im Förderkreis – Sie spenden für unabhängigen, informativen, hintergründigen Journalismus. Der kostet Geld und ist ohne Geld nicht leistbar. 2016 wird für uns existenziell ein entscheidendes Jahr. Wenn Sie künftig weitere Artikel von uns lesen wollen, dann honorieren Sie bitte unsere Arbeit. Hier geht es zum Förderkreis.” Sie können auch per Paypal spenden. Wenn Sie eine Überweisung tätigen wollen, nutzen Sie das Förderkreis-Formular (erleichtert uns die Verwaltung). Dort können Sie einen Haken setzen, dass Sie nur überweisen wollen. Alle Spender erhalten eine Rechnung.