Rhein-Neckar/Mainz/Karlsruhe, 12. April 2016. (red) Satire oder Schmähung? Das “Schmähgedicht” des ZDF-Moderators Jan Böhmermann gegen den türkischen Staatspräsidenten Erdogan landet möglicherweise vor Gericht. Wie immer, muss der Einzelfall geprüft werden. Als Vorlage bietet sich sehr hübsch das “Dummschwätzer”-Urteil des Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 2008 an.
Von Hardy Prothmann
Was meinen Sie? Ist die Bezeichnung “Dummschwätzer” eine Beleidigung oder nicht? Auf den ersten Blick ist es klar eine Beleidigung – das stellte auch das Bundesverfassungsgericht mit Bekanntgabe des Urteils am 05. Dezember 2008 fest.
Allerdings hob das oberste Gericht ein Urteil eines Amtsgerichts mit der auferlegten Strafe von 15 Tagessätzen zu 60 Euro auf, weil das Amtsgericht versäumt hatte, die Umstände abzuwägen.
Während einer Gemeinderatsdebatte meinte ein Stadtrat zu einem anderen: “Der war auf einer Schule? Das kann ich gar nicht glauben.” Der angesprochene Stadtrat bezeichnete den anderen dann als “Dummschwätzer”, wodurch sich dieser beleidigt fühlte.
Was zunächst kurios erscheint, zeigt die sorgfältige Abwägung der Bundesverfassungsrichter. Sie stellen zwar fest, dass “Dummschwätzer” in vielen Fällen eine Beleidigung darstellen kann, im konkreten Fall aber nicht:
Anders liegt der Fall aber, wenn sich das Schimpfwort nur als die sprachlich pointierte Bewertung im Kontext einer bestimmten Aussage des Betroffenen darstellt, wenn also der Gemeinte als “Dummschwätzer” tituliert wird, weil er nach Auffassung des Äußernden (im Rahmen einer Sachauseinandersetzung) dumme Aussagen getroffen hat. Welche der beiden Verwendungsweisen vorliegt, hängt aber gerade von den Umständen des Einzelfalles ab.
Dummschwätzer als pointierte Bezeichnung
Die pointierte Bezeichnung als Dummschwätzer wandelt sich also von der Beleidigung zu einer dem Beweis zugänglichen Tatsachenbehauptung: Jemand hat dummes Zeug “geschwätzt” und ist demnach in diesem Zusammenhang korrekt als Dummschwätzer zu bezeichnen.
Jemand, der eine Ziege fickt, könnte nach dieser höchstrichterlichen Logik zutreffend als “Ziegenficker” bezeichnet werden. Ist diese Aussage aber nicht dem Beweis zugänglich, dann ist das dummes Geschwätz und Herr Böhmermann folgerichtig – bezogen auf die Aussage in diesem Kontext – ein Dummschwätzer.
Die als “Ziegenficker” geschmähte Person kann sich mit großer Sicherheit gegen diese Diffamierung wehren. Ob die Begleitumstände, dass Herr Böhmermann mehrmals betonte, dass man das, was er über den türkischen Staatspräsidenten sage, nicht sagen dürfe, entschärft die Aussagen nicht – weil es keinen Kontext gibt. Hier ergab nicht ein Wort dass andere, es gibt für die meisten der verächtlich machenden Behauptungen weder Grundlage noch Kontext.
Anders als in vielen Medien unzureichend dargestellt, sind weder die Meinungs- noch die Presse-, noch die Kunstfreiheit grenzenlos und der Satz “Satire darf alles” ist nur ein Zitat des bekannten Schriftstellers Kurt Tucholsky aus dem Jahr 1919. Artikel 1 Grundgesetz legt grundsätzlich fest: “Die Würde des Menschen ist unanstastbar” – dies gilt auch für türkische Staatsoberhäupter und zwar völlig unabhängig von deren Verhalten oder berechtigten Kritik daran. Der Jurist Thomas Stadler sieht eine Beleidigung gegeben.
Artikel 5 Grundgesetz
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
In verschiedenen Artikeln wird beispielsweise immer wieder betont, dass Journalisten in der Türkei verfolgt werden und dass rund 2.000 Klagen wegen Beleidigung des Präsidenten anhängig sind.
Kritik vs. Schmähung
Die Klagen gegen Journalisten sind Tatsache. Allerdings ist es ebenfalls Tatsache, dass die Türkei ein eigenes Rechtssystem hat – das übrigens den meisten deutschen Journalisten, die darüber schreiben, unbekannt sein dürfte. Selbst wenn man die türkischen Gesetze kennte, kann man diese kritisieren – sie bleiben trotzdem bis zu einer Änderung geltendes Recht. Wie übrigens auch der Paragraf 103 des deutschen Strafgesetzbuches, auf Basis dessen die Türkei gegenüber der Bundesrepublik ein Strafverfolgungsersuchen gestellt hat.
Anders als beispielsweise durch Journalisten und verschiedene Politiker dargestellt, hat die Türkei überhaupt keine Mittel, Deutschland etwas vorzuschreiben, schon gar nicht die Höhe einer eventuellen Strafe. Die Türkei kann sich aber wie jeder sonst auf das deutsche, geltende Recht berufen und dieses zur Wahrung seiner Interessen zu nutzen versuchen. Am Ende entscheiden unabhängige Richter auf Basis der Gesetze darüber.
Was die Beleidigungsklagen angeht – wir konnten noch nirgendwo lesen, dass deutsche Medien mal recherchiert haben, welche Beleidigungen angeklagt werden. Sollte es sich um Fäkalausdrücke wie bei Böhmermann handeln, hat der türkische Staatspräsident selbstverständlich das Recht, seine Persönlichkeitsrechte zu wahren. Dann sind diese Klagen mit hoher Sicherheit zulässig.
Auch das deutsche Recht kennt beispielsweise eine Strafvorschrift, wenn man den Bundespräsidenten, also das Staatsoberhaupt aller Deutschen (nein, nicht die Kanzlerin ist Staatsoberhaupt, wie viele glauben) beleidigt:
StGB § 90 Verunglimpfung des Bundespräsidenten
(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Bundespräsidenten verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) In minder schweren Fällen kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2), wenn nicht die Voraussetzungen des § 188 erfüllt sind.
(3) Die Strafe ist Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, wenn die Tat eine Verleumdung (§ 187) ist oder wenn der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt.
(4) Die Tat wird nur mit Ermächtigung des Bundespräsidenten verfolgt.
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