Halle/Bornhagen/Rhein-Neckar, 25. April 2016. (red/ms) Die Arbeit der Antifa ist über jeden Zweifel erhaben – zumindest innerhalb der eigenen Reihen. Das Denkmuster ist reichlich simpel: Wenn jemand nicht uneingeschränkt für den Antifaschismus ist, muss er ja für den Faschismus sein! Aktuell dürfte es sich auch der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) mit einigen Antifaschisten verscherzt haben – denn er sagt ihnen offen: “Es kotzt mich an, wie arrogant ihr seid”. Ist Herr Ramelow plötzlich zum Nazi mutiert?
Von Minh Schredle
Hoppla! Ein linker Ministerpräsident kritisiert die Arbeit von Antifaschisten? Und das auch noch, indem er ihnen “Nazi-Methoden” vorwirft, die er “beschissen” findet. Wie konnte es denn dazu kommen?
Selbstverständlich gibt es dafür Hintergründe – auch wenn die in der skandalfokussierten Berichterstattung vieler Medien etwas untergehen oder ausgespart werden. Dabei wird offenbar vielfach versucht, den Aufreger noch aufregender zu gestalten, als es unbedingt nötig wäre. Aber was ist eigentlich passiert?
“Skandal: Politiker sagt schlimme Wörter!”
Herr Ramelow hat über Twitter das Vorhaben, mit einem Demonstrationszug vor dem Privathaus eines Politikers aufzuziehen, als “Nazi-Methode” bezeichnet. Außerdem kursiert seit zwei Tagen ein Video im Netz, das den Thüringer Ministerpräsidenten im Gespräch mit Aktivisten zeigt.
Wie die BILD-Zeitung berichtet, sei der Ministerpräsident dabei “ausgerastet”. In der Darstellung linker Autonomer habe sich Herr Ramelow “in Rage geredet” und versucht, jemandem “das Telefon zu entreißen, mit dem er bei seinen Tiraden gefilmt wurde”.
Nach Einschätzung der Redaktion ist an dem Video nur wenig Skandalöses auszumachen. Überhaupt gibt es aus unserer Sicht keinen Grund zur Aufregung, sondern höchstens zur Reflektion.
Wir sehen niemanden, der sich in Rage redet – vielmehr wirkt Herr Ramelow reichlich entspannt, dafür dass er von einem halben Dutzend Aktivisten umzingelt wird. Er sagt gelassen, aber deutlich:
Es kotzt mich an, wie arrogant ihr seid.
Die Wortwahl des Ministerpräsidenten ist ganz sicher nicht besonders höflich – aber was könnte ihn denn dazu bewegt haben, auf eine diplomatische Ausdrucksweise zu verzichten?
Antifa will Höcke in der Hölle sehen
Am 05. Mai plant die Antifa einen großen Aufmarsch vor dem Privathaus des Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke. Dort wollen sie laut Aufruf dem “Häuptling und seinem Wahlvolk durch (…) bloße Anwesenheit ihr Himmelfahrtsvergnügen (vermiesen) und sagen: Go straight to Hell.”
Herr Ramelow hat das auf Twitter mit “Nazi-Methoden” verglichen – und selbstverständlich folgte prompt der Vorwurf vieler empörter Aktivisten, wie der linke Ministerpräsident sich denn anmaßen könne, die ehrenwerte Arbeit von Antifaschisten mit der von Nazis gleichzusetzen.
Der Zweck heiligt nicht die Mittel
Der Ministerpräsident stellt dazu unmissverständlich klar:
Vor Privathäusern von Politikern zu demonstrieren geht gar nicht. Egal von wem+gegen wen! Zweck heiligt nicht die Mittel.
Auf den Vorwurf, dass das den Vergleich nicht einmal im Ansatz rechtfertige, erwidert er.
Doch! Denn die Methode habe ich so benannt und nicht die Personen! Methode bleibt NSDAP Methode und ist tabu
Auch wenn nirgends offen zur Gewalt aufgerufen wird: Es lässt sich schlichtweg nicht verleugnen, dass es einschüchternd wirkt, wenn mehrere hundert oder womöglich sogar tausend politische Gegner vor einem Privathaus “demonstrieren” – egal um wessen Haus es sich handelt. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit wird durch Druck und Drohgebärden eingeschränkt.
Mannheimer Verhältnisse in Bornhagen?
Vor knapp zwei Jahren hat es in Mannheim einen vergleichbaren Vorfall gegeben. Gerade war bekannt geworden, dass der mehrfach vorbestrafte Rechtsradikale Christian Hehl für die NPD in den Gemeinderat eingezogen ist. Daraufhin ist wenig später ein Demonstrationszug mit etwa 1.000 Teilnehmern vor die Privatwohnung des Stadtrats gezogen.
Unsere Redaktion hatte dieses Verhalten kritisiert – denn ähnlich wie Herr Ramelow vertreten wir die Auffassung: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Wer faschistoide Methoden benutzt, um Faschismus zu bekämpfen, kann sich doch nicht ernsthaft als Anti-Faschist bezeichnen.
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Denkt doch bitte ein bisschen nach
Selbstverständlich wurde unserer Redaktion nach unserer Kritik aus gewissen Kreisen vorgeworfen, wir würden uns “mit Nazis solidarisieren”, ja diese sogar “in Schutz nehmen” und seitdem werden wir bei Demos mit “Antifa”-Beteiligung als “Nazi-Journalisten” tituliert oder von Autonomen für vogelfrei erklärt.
Darauf folgen jetzt die Fragen: Ist Herr Ramelow plötzlich auch zum Rassisten mutiert? Und: Zu was für haarsträubend dämlichen Interpretationen lässt sich die Kritik an einer Methode wohl noch auslegen?
Wir jedenfalls sind Herrn Ramelow dankbar für die Deutlichkeit seiner Worte. Denn die Überzeugung vieler Antifaschisten, ihr “Kampf für das Gute” rechtfertige es, andere einzuschüchtern, zu bedrohen, unter Druck zu setzen und gar auch Gewalt einzusetzen, ist in einer Demokratie, die jede Stimme und jede Meinung unabhängig von ihrer Orientierung als grundsätzlich gleichwertig ansieht, tatsächlich zum Kotzen arrogant.
Anm. d. Red.: Unsere Kolumne Montagsgedanken greift außerhalb des Terminkalenders Themen auf – ob Kultur oder Politik, Wirtschaft oder Bildung, Gesellschaft oder Regionales oder Verkehr. Kurz gesagt: Themen, die bewegen.
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Nachtrag: In der Kommentar-Sektion verlinken wir einige Artikel anderer Medien zu dem Thema. Viele berichten ganz aufgeregt – von einer vermeintlichen “Pöbelei gegen linke Demonstranten” bis zum “Ausraster” wird Herrn Ramelow dabei Einiges nachgesagt und sein Verhalten scharf verurteilt, schließlich ist so eine Wortwahl ja auch sehr inakzeptabel… Mal im Ernst: Wie viel Lust haben Leserinnen und Leser noch auf Blasebalg-Berichterstattung und Windbeutelei? Wer erkennt hier wo einen Skandal?