Rhein-Neckar/Stuttgart, 23. Januar 2017. (red) Nachdem der thüringische AfD-Chef Björn Höcke mit seiner “Schandmal-Rede” für Empörung gesorgt hat, legt die AfD-Fraktion im Südwesten nach. Die Abgeordneten Prof. Dr. Jörg Meuthen, Emil Sänze und Dr. Rainer Podeswa fordern eine “ausgewogene Erinnerungskultur”. Laut Recherchen der ARD verfolgt die AfD ein Konzept der gezielten “politischen Inkorrektheit” – offenbar wird das konsequent umgesetzt.
Kommentar: Hardy Prothmann
Die AfD hat vergangene Woche beantragt, die jährlich 120.000 Fördergelder für die Gedenkstätte “Camp de Gurs” in Südfrankreich zu streichen. In das Konzentrationslager Gurs waren am 22. Oktober 1940 insgesamt 6.538 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland durch die Nazis verschleppt worden. Rund 2.000 starben auf der Fahrt oder im Lager – die anderen wurden fast alle in Gaskammern getötet. Gurs wird auch “Vorhölle von Auschwitz” genannt. Die bekannteste Jüdin, die dorthin verschleppt worden war, ist die große deutsche Philosophin Hannah Arendt.
Die ARD hat heute zu einem Strategiepapier der AfD berichtet:
Die Reaktionen der “Altparteien” kalkuliert die AfD dabei gezielt ein: “Je nervöser und je unfairer die Altparteien auf Provokationen reagieren desto besser. Je mehr sie versuchen, die AfD wegen provokanter Worte oder Aktionen zu stigmatisieren, desto positiver ist das für das Profil der AfD.” Negative Reaktionen müssten daher “ganz bewusst” einkalkuliert werden.
Die politisch unkorrekte Provokation als Programm also. Vor einigen Tagen hatte der thüringische AfD-Chef Björn Höcke mit einer Rede in Dresden provoziert. Darin sagte er über das Holocaust-Mahnmal in Berlin:
Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.
Meuthen, Sänze, Podeswa legen nach
Dafür wurde er selbst von der Bundesvorsitzenden Dr. Frauke Petry scharf kritisiert. Der eher als gemäßigt geltende andere Bundesvorsitzende, Prof. Dr. Jörg Meuthen hingegen nahm Höcke in Schutz – nun legt er nach.
In einer Pressemitteilung von heute, die wir am Ende des Textes komplett dokumentieren, teilt die AfD mit, dass die “Förderung von entlegenen Gedenkstätten im fernen Ausland wie Gurs in den Pyrenäen aus Sicht der AfD wenig Sinn” mache.
Die Meldung hat es in sich. Die Internierung wird den Franzosen angelastet und nicht den Nazis und weiter weist der AfD-Vorstand auf die Internierung deutscher Kriegsgefangener hin, als ob das “gewichtiger” wäre als die der Juden, von denen die meisten ums Leben gekommen sind. Gleichzeitig wird behauptet, die AfD stehe “wie keine andere Partei für eine ausgewogene Erinnerungskultur”.
Weiter behaupten die AfD-Fraktionsvorsitzenden, es gäbe eine “einseitige Betonung der dunklen Geschichtskapitel bei gleichzeitiger Verdrängung unserer historischen Leistungen”.
Gezielte Provokationen brauchen kein Gegengeschrei, sondern Einordnung
Was macht man nun mit solchen Äußerungen? Sich empören? Ernst nehmen? Oder einordnen?
Wir entschließen uns für das Einordnen. Herr Prof. Dr. Jörg Meuthen gehört nicht mehr zu den gemäßigten Vertretern der AfD, sondern zu den radikalen Salonhetzern. Er beschädigt das Andenken an über 6.000 deportierten Juden, darunter viele Frauen und Kinder. Er versucht, die historische Schuld zu revidieren. Er deutschtümelt auf so niedrigem Bildungsniveau, dass es ihn eigentlich schmerzen sollte. Aber offenbar ist er schmerzfrei auf dem Weg ins rechtsradikale Lager unterwegs.
Wo es eine “einseitige Betonung” geben soll oder eine “gleichzeitige Verdrängung” bleibt offen – weil das einfach dumme, kenntnisfreie Behauptungen sind. Offenbar sind weder Herr Meuthen noch seine Kollegen Sänze und Podeswa auch nur ansatzweise intellektuell in der Lage zu begreifen, dass eine umfassende Erinnerungskultur an die Greueltaten der Nazi-Zeit sehr gut geeignet ist, um sich positiv mit Deutschland auseinanderzusetzen und zu identifizieren. Indem man die Stärke und den Willen zeigt, nicht wegzusehen, sondern sich zu erinnern und dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte nicht zu leugnen, sondern sich fortwährend bewusst zu machen. Wer dazu in der Lage ist, trägt Verantwortung und entwickelt ein positives Bild von einer Bundesrepublik Deutschland, die nichts, aber auch nichts mit dem Nationalsozialismus mehr zu tun hat. Wer dazu nicht in der Lage ist, ist ein verantwortungsloser Gesell ohne Anstand.
Das Land Baden-Württemberg fördert die Gedenkstätte Gurs mit jährlich 120.000 Euro. Der Vorwand, man müsse diese Mittel einsparen, um den Haushalt zu konsolidieren, ist unanständig. Die Frage, wie und wofür diese Mittel eingesetzt werden, wäre legitim im Sinne der Prüfung von Ausgaben. Die Forderung, diese Mittel zu streichen in Zusammenhang mit hohlen Behauptungen und geschichtsrevisionistischen Äußerungen ist nicht legitim, sondern widerwärtig.
Wer den Nationalsozialismus, der europa- und weltweit viele Millionen Menschen das Leben gekostet hat auf Landesgrenzen begrenzen will, zeigt eigentlich nur eins – wie beschränkt der eigene Horizont ist. Als nächstes folgt vielleicht die Argumentation, Baden-Württemberg solle überhaupt keine Erinnerungsarbeit mehr leisten, weil es ja zu Zeiten des Nationalsozialismus gar kein Baden-Württemberg gab und deswegen keine Verpflichtung bestehe.
Die aktuellen Äußerungen zeigen eins ganz sicher: Die Herren Meuthen, Sänze und Podeswa haben entweder den Geschichtsunterricht geschwänzt oder kein Wort verstanden. Wenn die anderen Fraktionen cool wären, würden Sie einen Antrag auf Gelder zur geschichtlichen Nachschulung der AfD-Fraktion beantragen.
Info
Die Gedenkstätte Gurs: Wikipedia, Landeszentrale für politische Bildung, Auszug aus dem Buch: “…es geschah am hellichten Tag“, Meldung der Stadt Mannheim zur Gedenkveranstaltung in Gurs.
Hier finden Sie einen Artikel aus dem Jahr 2014 bei uns über einen, der Gurs überlebt hat.
Dokumentation
Pressemeldung der AfD-Fraktion vom 23. Januar 2017.
Wozu deutscher Erinnerungstourismus in den Pyrenäen?
„NS-Geschichtsbewältigung fängt in der Heimat an, vor der eigenen Haustür und manchmal schon dahinter!“, sagt AfD-Fraktionsvorsitzender Prof. Dr. Jörg Meuthen. Die Förderung von entlegenen Gedenkstätten im fernen Ausland wie Gurs in den Pyrenäen macht aus Sicht der AfD wenig Sinn. „Diese Gelder wollen wir stattdessen für die Pflege und die Erhaltung historisch bedeutender jüdischer Friedhöfe und Gedenkstätten in Baden-Württemberg einsetzen“, so Meuthen weiter.
Camp de Gurs unter ständiger französischer Verwaltung
Ferner muss es erlaubt sein zu fragen, inwieweit sich das Camp de Gurs überhaupt für die deutsche Erinnerungskultur eignet. Es steht uns nicht an, die Erinnerung an ein Lager wachzuhalten, das unter ständiger französischer Verwaltung stand und in dem nach Kriegsende vor allem deutsche Kriegsgefangene interniert waren. „Die mehr als 80 Gedenkstätten in Baden-Württemberg halten wir in jeder Hinsicht für naheliegender“, sagt der Fraktionsvize Emil Sänze.
Ausgewogene Erinnerungskultur und positive Identifikation mit Deutsch und unserer Geschichte
Wie keine andere Partei steht die AfD für eine ausgewogene Erinnerungskultur. Eine einseitige Betonung der dunklen Geschichtskapitel bei gleichzeitiger Verdrängung unserer historischen Leistungen lehnen wir ab. „Heranwachsende sollten die Möglichkeit haben, sich auch positiv mit unserem Land und seiner Geschichte zu identifizieren“, sagt der Fraktionsvize Dr. Rainer Podeswa.