Mannheim, 09. Mai 2017. (red/cr) Zuerst in den USA, dann in den Niederlanden, in Frankreich und bald auch in Deutschland: Die Wahlkämpfe sind von Vorwürfen, Beleidigungen und aggressiven Reden bestimmt. Ob bei politischen Veranstaltungen, in Medien oder im Netz. Prof. Dr. Heidrun Kämper ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Sprache. Im Interview spricht sie über Sprache im Wahlkampf, Fake News, politische Korrektheit und Erfahrungen innerhalb der eigenen Partei.
Interview: Christin Rudolph
Frau Kämper, bei unserem Interview im vergangenen Jahr hatten Sie festgestellt, dass der Ton im politischen Diskurs rauer geworden ist. Nun kommt ein neuer Aspekt hinzu: Wahlkampf. Verändert sich die Sprache von Parteien und ihren Vertretern im Wahlkampf?
Prof. Dr. Heidrun Kämper: Gleich davon zu sprechen, dass die Sprache sich verändert, geht zu weit. Es gibt die Tendenz zu einem ruppigen Ton, es wird schnell beleidigend, generelle Höflichkeitsregeln werden gebrochen. Aber das sind einzelne Regelverstöße, die zum Teil auch kommentiert werden. Zum Beispiel als Trump über Clinton sagte, sie sei korrupt und verschlagen. Das unterscheidet sich zu früheren Zeiten. Beleidigungen sind jedoch ein erkennbarer Regelverstoß. Falsche Zahlen und Fakten sind gefährlicher. Das Verdeckte ist problematischer, das ist ein neuer Stil.
Sie haben es gerade schon angedeutet: Bei diesem Bundestagswahlkampf sind zum ersten Mal Fake News ein Thema. Was hat das für Auswirkungen auf Formulierungen? Ist man jetzt etwa vorsichtiger oder nennt öfter Quellen?
Kämper: Das kann man in dieser frühen Phase des Wahlkampfs nicht sagen. Es ist zu erwarten, dass diejenigen, die redlich mit Zahlen umgehen, diese auch nachweisen müssen. Denn es ist bekannt, dass man sorgloser mit Zahlen umgeht, um seine Ziele zu erreichen.
Kann Sprache auch ein Wahlkampfthema sein? Oder sind viele Wähler da zu indifferent?
Kämper: Sprache sollte ein Wahlkampfthema sein. Es überrascht Sie wahrscheinlich nicht, dass ich als Linguistin das sage. Aber das bewegt auch andere. Ich werde in letzter Zeit oft zu Podiumsdiskussionen eingeladen, zu Themen wie Sprache und Populismus oder Sprache und Gewalt. Im Nachhinein werde ich oft von Zuhörern angesprochen, die sagen “Wir hätten gerne mehr von Ihnen gehört. Was die Politiker dazu sagen, weiß man doch.”. Es ist wichtig, auf Sprache zu setzen, weil sie in der politischen Diskussion so eine große Rolle spielt. Man kann lügen und Falsches behaupten, aber auch Gutes bewirken, indem man Werte thematisiert und den Rechten etwas entgegensetzt.
Kann denn Sprache auch zum Image einer Partei beitragen? Zum Beispiel bei Gender? Oder wenn die AfD von “sogenannten Experten” spricht und das Wort Flüchtling in Anführungszeichen setzt?
Kämper: So etwas kann die Gesellschaft spalten. Die AfD etwa macht das Gendern lächerlich, andere sagen, es ist notwendig. Die einen finden es richtig, andere nervt es. Man kann aber sagen, dass mit dem Populismus in den vergangenen Jahren auch eine sprachliche Sensibilität aufgekommen ist. Wenn nun das Wort Flüchtling in Anführungszeichen gesetzt wird, steht das in Bezug zu politisch korrekter Sprache. Rechte setzen sie oft gleich mit Lügen und behaupten, selbst die Wahrheit zu sagen. Das zeigt, dass sie nicht wissen, wo der Gedanken herkommt, nämlich von der Inklusion. Menschen sollen nicht sprachlich diskriminiert werden. Politische Korrektheit ist so etwas wie Menschenrechte für Wörter. Wenn hingegen auf “sogenannte Experten” verwiesen wird, drückt das eine negative Haltung gegenüber der Wissenschaft aus. Das ist sehr typisch für den rechten Diskurs.
Kann man anhand der Vokabeln, die eine Person verwendet, auf Einstellungen schließen? Oder verwendet man oft Begriffe, ohne darüber nachzudenken?
Kämper: Das kommt auf den Kontext an. Zum Beispiel sprechen ja Rechte gezielt von “Asylanten”. Immer, wenn ein Ausdruck gebraucht wird, um Haltung auszudrücken, ist das bewusst. Im Alltagskontext unterläuft schon mal ein unbewusster Gebrauch. Wenn etwa ältere Menschen “Neger” sagen, obwohl sie wirklich keine rassistische Einstellung haben und es nicht böse meinen. Man muss also beachten, in welchem Zusammenhang das Wort gebraucht wurde und ob es die Funktion hat, eine Haltung auszudrücken.
In letzter Zeit haben rechte Gruppierungen Begriffe wie Volksverräter oder Gutmenschen in den politischen Diskurs eingebracht. Wie reagieren da Parteien? Übernehmen sie diese Ausdrücke? Oder kann man klare eine Abgrenzung beobachten?
Kämper: Da kann ich als SPD-Mitglied nur von meiner Wahrnehmung als solches berichten. Die ist jedoch so, dass etwa der Begriff Volksverräter diskutiert und kritisiert wird. Aktuell wird natürlich über das Lied “Marionetten” von Xavier Naidoo gesprochen, darauf werden wir auch reagieren. Aber man kann auch nicht für jeden Ausdruck eine politische Diskussion anstoßen.