Mannheim/Koblenz, 09. Februar 2016. (red/pro) Die angebliche Forderung einer „ Grenzsicherung mit Schießbefehl“ hat große Wellen geschlagen. Eine Mannheimer Lokalzeitung hatte ein monothematisches Interview mit der AfD-Bundesvorsitzenden Dr. Frauke Petry veröffentlicht und im Konzert mit anderen Medien wurde daraus ein Schlagzeilen-Rausch. Hier finden Sie einen dokumentarischen Ablauf.
Von Hardy Prothmann
Vorbemerkung: Wer sich inhaltlich mit dem Einsatz von Schusswaffen als „ultima ratio“ beschäftigen möchte, dem empfehlen wir einen Bericht des Deutschlandfunks. Der Sender ist der Sache auf den Grund gegangen – und bestätigt die Aussage von Frau Dr. Petry, wenn auch mit Einschränkungen. Selbstverständlich kann es an der Grenze zum Einsatz von Schusswaffen kommen, selbstverständlich aber nicht auf wehrlose, nicht gefährliche Personen. Die Ergebnisse unserer Recherche dienen nicht dazu, die Aussagen von Frau Dr. Petry zu relativieren, sondern ausschließlich, die Veröffentlichungspraxis der Zeitungen zu beleuchten. Hier stellen wir unsere Praxis dar und hier finden Sie einen Kommentar zur Sache. Diesen vorliegenden Text hatten wir mit dem Artikel „Freigaben zum Abschuss“ angekündigt – für das Wochenende. Es war mehr Arbeit als gedacht und wir veröffentlichen, wenn wir soweit sind.
Uns interessieren andere Fragen. Nämlich, was wann wie von wem berichtet worden ist und welche Auffälligkeiten es gibt.

Ein Text, zwei Überschriften. Im Teaser geht es um Gewalt an der Grenze, die tatsächliche Überschrift heißt: „Sie können es nicht lassen“. Quelle: MM
Die Lokalzeitung Mannheimer Morgen (MM) veröffentlichte am 30. Januar 2016 ein Interview mit der AfD-Bundesvorsitzenden Dr. Frauke Petry, die am 28. Januar Rednerin auf einer Wahlkampf-Veranstaltung in Mannheim war und der Zeitung im Vorfeld ein Interview gegeben hatte. In der Zeitung heißt die Überschrift: „Sie können es nicht lassen“, online heißt der „Teaser“ hingegen: „Frauke Petry will Grenzen notfalls mit Gewalt sichern“.
Von 38 Minuten bleiben 4 Minuten übrig
Wie Dirk Lübke, Chefredakteur der Zeitung, gegenüber dem SWR am 3. Februar ausführte, dauerte dieses Interviewgespräch rund 38 Minuten. (SWR-Interview auf der Seite des MM. Am Ende dieses Artikels finden Sie die Transkription.)
Übrig bleibt ein kurzes Interview, veröffentlicht am 31. Januar, in dem es ausschließlich um die Grenzsicherung, Gewalt und Rassismus geht. Spricht man den Text nach, so benötigt man dafür weniger als vier Minuten. Über welche Themen zwei MM-Redakteure und die Interviewte die restlichen 34 Minuten geredet haben – man erfährt es nicht.
Die AfD-Bundesvorsitzende behauptet nach Veröffentlichung, sie sei verkürzt wiedergegeben worden. Stimmt das? Die Frage kann man nur mit Ja und Nein beantworten.
Ja: Wenn von 38 Minuten Gespräch nur vier Minuten Text „übersetzt“ werden, dann ist das insgesamt absolut eine besonders krasse „Verkürzung“. Nein: Eine Interviewfassung wurde vorgelegt und „frei gegeben“ – sprich, die Genehmigung zur Veröffentlichung erteilt.

Links die Fassung zur Freigab, mittig die redigierte Fassung, rechts die veröffentlichte Fassung. „in der DDR“ wird von Petry entfernt, „in Deutchland“ vom MM eingefügt. Hier der komplette Vergleich. Quelle: MM, Überarbeitung: RNB
Zeitung lässt „Zensur“ der eigenen Frage zu
Doch auch das stimmt nicht wirklich. Denn aus der überarbeiteten Fassung, die von der AfD zurückkam, strich der Mannheimer Morgen eine Frage und eine Antwort, in der Frau Dr. Petry eindeutig für eine gewaltlose politische Auseinandersetzung Position bezieht – inhaltlich handelt es sich also um einen wesentlichen Eingriff. (Hier finden Sie die drei Fassungen im Überblick als PDF.)
Sehr interessant ist zudem, dass die Zeitung die Bearbeitung einer eigenen Frage durch die AfD hingenommen hat, diese Veränderung aber selbst nochmals nach der Abstimmung verändert. Frau Dr. Petry streicht bei der „Schießbefehl“-Frage „wie in der DDR“. Der MM ergänzt „in Deutschland“.
Auch eine zweite Frage wird von der Zeitung nach der Vorlage nochmals verändert – zwar ist die zweite Änderung nur marginal, verändert aber trotzdem die vorgelegte Fassung. Wie verbindlich ist also eine Vorlage des MM zur Freigabe? Offenbar nicht besonders.
Dies ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Erstens ist eine Fassung zur Freigabe offenbar nicht nur durch den Interviewten, sondern danach nochmals durch die Redaktion veränderbar und zweitens erlaubt die Redaktion kritiklos die Veränderung eigener Fragen.
Geht so seriös?
Frau Dr. Petry äußert sich nach dem Interview zurückweisend und kritisiert das Interview als „Verhör“. Der Mannheimer Morgen legt nach. Er veröffentlicht eine Stellungnahme, indem sich Chefredakteur Dirk Lübke verächtlich über die AfD-Bundesvorsitzende als „kleines, ahnungsloses Mädchen“ äußert, um ein paar Sätze später der AfD „menschenverachtende und erniedrigende Thesen“ vorzuwerfen. Und er glaubt sogar die „Zersetzung der Demokratie“ zu erkennen und fürchtet um „die Seriosität und Verlässlichkeit des geschriebenen und gesprochenen Wortes“.
„Seriosität und Verlässlichkeit“ also – die Zeitung veröffentlicht die komplette email-Korrespondenz zwischen der Zeitung und der AfD. Ist das seriös und verlässlich, dass man offenbar damit rechnen muss, eine persönlich geführte Kommunikation in der Öffentlichkeit wiederzufinden?
Kurios ist die Begründung des Redakteurs für die Kürzung der freigegebenen Version. Die sei nun zu lang, also müsse man kürzen. Auf die Idee, nochmals um Überarbeitung zu bitten, kommt die Redaktion offenbar nicht. Auch nicht, den gekürzten Text vor Drucklage nochmals vorzulegen.

Eine Frage und eine Antwort wurden weggekürzt – angeblich aus „Platzmangel“. Hier der komplette Vergleich.
Noch am Abend versendet der Mannheimer Morgen das Interview an verschiedene Nachrichtenagenturen – man hofft also auf „Verbreitung“ auch in anderen Medien.
Chefredakteur Dirk Lübke weiß, wie das Agenturgeschäft läuft – schließlich war er von 2010 – 2012 stellvertretender Chefredakteur der „dapd Nachrichtenagentur“, die im Herbst 2012 pleite ging.
Das Interview erscheint am nächsten Tag, 30. Januar, im MM, mit einem „Info-Kasten“, indem darüber informiert wird, dass Frau Dr. Petry (40) mit einer Firma insolvent gegangen ist, vom Ehemann getrennt lebt, vier Kinder hat und mit einem neuen Partner zusammenlebt.
Diese „seriöse“ Information über private Angelegenheiten ist offenbar wichtiger als die schriftliche Wiedergabe des gesprochenen Worts. Was nun aber ein unternehmerischer Misserfolg und Beziehungsverhältnisse mit dem Thema des Interviews zu tun haben, erschließt sich nicht.
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In den folgenden Tagen legt sich die Zeitung weiter ins Zeug. Am 1. Februar schreibt Chefredakteur Lübke einen Kommentar („Petry muss weg“), in dem er sich auf den „Schießbefehl in der DDR“ bezieht, also exakt jene Stelle, die Frau Petry aus der Frage herausgestrichen hatte – was die Zeitung kritiklos akzeptierte. Wurde diese Verbindung auch im Interviewgespräch hergestellt oder erst nachträglich in die Frage eingefügt? Der Leser erfährt es nicht. Herr Lübke schreibt:
Wer den Schießbefehl wieder salonfähig machen will, der wird nicht zögern, weitere Schritte zur Aushebelung des Rechtsstaats in Angriff zu nehmen.
Kurios: Nicht Frau Petry hatte das Wort „Schießbefehl“ thematisiert, sondern die Redakteure – jetzt wird der Interviewten rückwirkend das Wort in den Mund gelegt. Und wo ist der Rechtsstaat bedroht? Schließlich gibt es ein rechtsstaatliches Gesetz „UZwG“, das den Gebrauch von Schusswaffen regelt. Geht so „seriös“?
Schießbefehl stellt sich plötzlich an den EU-Außengrenzen
Einen Tag später veröffentlicht der MM einen vergleichsweise langen Artikel, der sich mit den Bedingungen des Schusswaffengebrauchs an der Grenze auseinandersetzt – so viel Raum hatte die AfD-Bundesvorsitzende nicht bekommen: „Schießen nur im äußersten Notfall erlaubt„, heißt die Überschrift.
Doch ist das nicht exakt die Übersetzung von „ultima ratio“ – wie Frau Dr. Petry sich geäußert hatte? Bestätigt die Zeitung damit nicht die Aussage der AfD-Vorsitzenden, die eben von dieser Zeitung skandalisiert worden ist?
Mittlerweile hat der Mannheimer Morgen im eigenen Internetauftritt ein „Dossier AfD“ angelegt. Ebenfalls am 2. Feburar erscheint ein Interview mit einem Politikwissenschaftler: „Solche radikalen Ausfälle schrecken Wähler ab“, heißt die Überschrift.
Tags zuvor bringt die Zeitung eine dpa-Meldung, nach der der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel fordert, die AfD müsse vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
So auch in der Flüchtlingskrise. Es lässt sich leicht daherreden, an den deutschen Grenzen müsse „Recht und Ordnung“ wiederhergestellt werden. Wenn das so einfach wäre, hätte es die Bundesregierung doch längst getan. Wer die massenhafte Zuwanderung mit polizeilichen Mitteln unterbinden will, landet zwangsläufig bei der Frage, ob er wirklich Waffengewalt gegen Asylbewerber einsetzen möchte. Die wird sich übrigens auch an den Außengrenzen der EU stellen, sollten sich die Schengen-Staaten rigoros abschotten.
Hat der Redakteur tatsächlich geschrieben, dass sich „zwangsläufig die Frage stellt, ob man Waffengewalt auch an den EU-Aussengrenzen einsetzen möchte“, sofern die „Schengen-Staaten sich abschotten“? Das klingt, nunja, irgendwie selbstentlarvend nach „ultima ratio“.
Am 3. Februar wird dann der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in einem Artikel zitiert: „Die AfD zählt in keiner Weise zum Spektrum der demokratischen Parteien.“
Chefredakteur Lübke „hält dagegen – zwei Tage später
Am 3. Februar senden wir eine Anfrage an Chefredakteur Lübke, mit der Bitte um Beantwortung bis zum 4. Februar, 12 Uhr. Die Antwort kommt kurz vor Ende der Frist: Er bittet um „Nachsicht“, dass er nicht antworten könne und verweist auf „viele im Netz verfügbare Veröffentlichungen“. (Anfrage und Antwort sind am Ende des Artikels dokumentiert.)
An diesem Tag erscheint auch ein Interview mit der Mannheimer Sprachwissenschaftlerin und SPD-Gemeinderätin Prof. Dr. Heidrun Kämper. Der Schlusssatz lautet:
Wir haben es ja gerade erlebt, dass Frau Petry ihre Äußerung über „auf Flüchtlinge schießen“ relativiert hat. Das hätte sie nicht getan, wenn es nicht dieses Korrektiv in der Gesellschaft gegeben hätte, die sich empört hat über ihre Äußerung. Man darf den Rückzieher von Frau Petry zwar nicht überbewerten, es ist auch politisches Kalkül. Aber trotzdem ist es wichtig, dass man immer wieder dagegen hält.
Wo hatte der MM im Interview mit Frau Dr. Petry „entgegengehalten“? Der Kommentar „Petry muss weg“ des Chefredakteurs Lübke erschien erst zwei Tage später. (Inwieweit „Petry muss weg“ mit dem vieldiskutierten „Merkel muss weg“ der AfD sprachlich gleichzusetzen ist, ist eine andere Betrachtung.)

AfD-Bundesvorsitzende Dr. Frauke Petry bei einem Vortrag am 28. Januar 2016 in Mannheim. Im Gespräch davor sagt sie dem RNB: „Dass die AfD häufig als radikal bezeichnet wird, ist eine Zuschreibung, der man sich als junge Partei nur schwer erwehren kann.“
Am 6. Februar erscheint eine „Chronologie“ in der Zeitung („Frauke Petry und die Probleme mit ihren Worten“). Die Zeitung feiert mit den restlichen Einträgen in dieser Chronologie ihren „Erfolg“ der „turbulenten Ereignisse“ der „Schießbefehl“-Berichte. Darin heißt es, die AfD-Bundesvorsitzende Petry sei um 18 Uhr aufgetreten. Das ist falsch. Zu diesem Zeitpunkt führt sie noch mit unserer Redaktion ein Interview. Dieses erscheint am 31. Januar unter der Überschrift: „Wir können uns nur schwer einer zugeschriebenen Radikalisierung erwehren„, in unserem Text liest sich das so:
Dass die AfD häufig als radikal bezeichnet wird, ist eine Zuschreibung, der man sich als junge Partei nur schwer erwehren kann. Es gibt immer lautere und leisere Stimmen, es gibt differenziertere und undifferenziertere Äußerungen. Das ist vielen Parteien in der ersten Zeit durchaus gemein. Schauen Sie die Grünen in den 80-er Jahren an, die haben auch mehrere Läuterungsprozesse und Abspaltungen durchgemacht. Und ganz entschieden, wo sie hinwollen, haben sie sich bis heute nicht.
Diese Aussage hatte sie also an diesem Donnerstag getroffen, wo sie in Mannheim ab 20:30 Uhr vor rund 450 Besuchern spricht. (Lesen Sie dazu unseren Bericht: „Aufhören mit dem nationalen Schuldkomplex„)
Am 6. Februar erscheint ein weiterer Kommentar von Chefredakteur Lübke. Diesmal mit „Die Falsche“ überschrieben. Darin schreibt er:
„Alle Beamten im Grenzdienst tragen eine große Verantwortung, kennen die Rechtslage und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“. Das klingt, selbst bei wohlwollendster Betrachtung, wie das Gegenteil der Petry-Ursprungsaussage.
Verhältnismäßigkeiten
Er bezieht sich auf eine Veröffentlichung der Rhein-Zeitung (RZ). Die hatte zwei Tage vorher, also am 04. Februar, darüber berichtet, dass die AfD-Bundesvorsitzende Petry eine ähnliche Aussage wie gegenüber dem MM diesmal redigiert hatte.

Droht „uns“ das wirklich, wie Chefredakteur Dirk Lübke meint, falls die AfD in Baden-Württemberg und anderen Ländern in die Parlamente einzieht? Dort entscheiden immer noch Mehrheiten. Quelle: MM
Auf die Frage der Rhein-Zeitung „Also notfalls schießen?“ hatte Frau Dr. Petry geantwortet: „Als ultima ratio ist der Einsatz der Waffe zulässig.“ In der Überarbeitung macht sie daraus: „Alle Beamten im Grenzdienst tragen eine große Verantwortung, kennen die Rechtslage und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“.
Wieso dies nach Meinung des MM-Chefredakteurs bei „wohlwollendster Betrachtung das Gegenteil der „Petry-Ursprungsaussage“ sein soll, erschließt sich nicht. Wenn „der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ zur Situation einer „ultima ratio“ führt, dann wird als „letztes Mittel“ eben geschossen.

RZ-Chefredakteur Christian Lindner. Foto: Rhein-Zeitung
Wie in Baden-Württemberg gibt es auch in Rheinland-Pfalz am 13. März eine Landtagswahl. Die im rheinland-pfälzischen Koblenz erscheinende Rhein-Zeitung hatte Frau Dr. Petry einen Tag nach dem MM interviewt, also am 29. Januar.
Auf unsere Anfrage erklärt Chefredakteur Christian Lindner, das Gespräch sei „zweigeteilt“ gewesen. Der erste Teil sei ohne Band vertraulich geführt worden. Die zweite Hälfte, etwa 35 Minuten, wurde von zwei Diktiergeräten aufgenommen.
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Glätten und kürzen – oder zuspitzen?
Nach Angaben des Chefredakteurs Lindner erfolgte eine „mündliche Vereinbarung“, dass das verschriftlichte Interview freigegeben wird. Was Frau Dr. Petry mündlich nicht mitgeteilt bekommt: Ihre Anpassungen wird die Rhein-Zeitung veröffentlichen, sogar als Tonband-Ausschnitt.
Man pflege bei der Rhein-Zeitung die Praxis, Interviews in einer „ausgesprochenen Langform“ auf der Homepage zu veröffentlichen und in einer „Kurzform“ mit den „interessantesten/relevantesten Antworten“ in der gedruckten Ausgabe der Zeitung, teilt Chefredakteur Lindner weiter mit. Ganz offen spricht er von „glätten“ und „kürzen“.
Journalisten dürfen also „glätten und kürzen“ – ihre Gesprächspartner nicht? Und wenn die das tun, macht man einen Skandal daraus? Das ist Stoff für interessante Debatten um ethisch-professionelle Standards im Journalismus.
Am 01. Februar machte sich die Rhein-Zeitung an die Verschriftlichung – da schlugen die Wellen in Sachen „Schießbefehl“ schon hoch. In der Nacht auf den 2. Februar übermittelte die Zeitung die Langfassung zur Freigabe. Diese kam dann am Mittwoch, den 03. Februar „am Nachmittag mit einigen Anpassungen“, zurück. Chefredakteur Linder schreibt uns:
Beim Abgleich mussten wir feststellen, dass Frauke Petry eine der relevantesten Passagen massiv umformuliert hatte. Die Änderungen sprechen für sich – und sagen viel über Petry und ihr taktisches Verhalten aus. Wir haben aber auch dokumentiert, welche zentrale Passage Petry massiv verändern wollte.
Weiter schreibt uns Chefredakteur Lindner:
Wir haben daraufhin beschlossen:
Wir drucken das Interview in Print in der Kurzfassung mit der von Petry geänderten Passage
Wir veröffentlichen das Interview auf unserer Webseite mit der von Petry geänderten Passage
Wir machen in beiden Medien zeitgleich transparent, wie sich Frau Petry im Interview dazu äußerte und wie sie diese Passage änderte
Wir dokumentieren diese Passage im Originalton per Audiofile auf unserer Webseite
Wir haben also bewusst beide Aussagen zitiert und gegenübergestellt
Christian Linder, ein erfahrener Chefredakteur, begründet die Entscheidung so:
Wir wollten uns von Frau Petry, die Medien oft vorwirft, sie würden manipulieren und nicht die Wahrheit verbreiten, nicht via Autorisierung zwingen lassen, verfälschend zu berichten, was sie gesagt haben soll.
Inquisitorische Fragen?
Folgende Fragen auf dem Weg zur „Wahrheitsfindung“ wollte uns Chefredakteur Lindner nicht beantworten. Er teilt mit, dass unsere Fragehaltung „inquisitorisch“ sei:
Sind die veröffentlichten Zitate exakt so gesagt worden oder wurde redaktionell gestrafft?
Sind die Fragen in dieser Reihenfolge gestellt worden oder gab es Zusammenfassungen?
Wurden Passagen/Fragen in der Freigabe-Fassung weggelassen?
Wieso wurde es erst am 4. Februar veröffentlicht?
Ist es ein Zufall, dass die „Enttarnung“ ebenfalls am 4. Februar geschehen ist?
Haben Sie in Kenntnis der Auseinandersetzung mit dem MM nochmals versucht, das vorgelegte Zitat genehmigt zu bekommen?
Warum haben Sie sich nicht geweigert, das Interview zu veröffentlichen?
Hat die Rhein-Zeitung damit der journalistischen Sorgfaltspflicht genügt oder möglicherweise die Leser getäuscht?
Gab es zwischen den verantwortlichen Interviewern, Ihnen und Kollegen des MM einen Kontakt in der Sache?
Transparenz – total oder nur nach Belieben?
Die Rhein-Zeitung veröffentlichte als „Beweis“ einen Audio-Ausschnitt der Aufnahme mit der entsprechenden Passage („Lügenpresse? AfD-Chefin Frauke Petry schreibt ihr Interview dreist um“).
Hatte die Zeitung die Erlaubnis, die Tonaufnahme zu veröffentlichen? Wurde Frau Dr. Petry darauf hingewiesen, dass dies erfolgen könnte, wenn die Zeitung mit der redigierten Fassung „nicht einverstanden“ ist?
Man kann den „Ton-Beweis“ nun für „Transparenz“ halten – man kann sich aber auch die Frage stellen, wieso nicht die komplette Audio-Aufnahme veröffentlicht worden ist?
Im Abgleich könnte die Öffentlichkeit, im Sinne „der Wahrheit“ dann nämlich exakt nachvollziehen, wie das Gespräch geführt worden ist und wie die Zeitung das gesprochene Wort verschriftlicht hat. Wäre das aber womöglich dem Ansehen der Interviewer abträglich? Würde sich vielleicht ein anderer Eindruck einstellen?
Diese „totale Transparenz“ scheut die Zeitung. Die Frage muss lauten: Warum? Tatsächlich hat sich die Zeitung nun ebenfalls in ein Dilemma gebracht – was, wenn man nun spekuliert: „Wieso nur dieser Ausschnitt? Hat die Zeitung etwas zu verbergen?“
Immerhin – und darauf verweist RZ-Chefredakteur Lindner fast stolz – hat man „eines der längsten Interviews einer Regionalzeitung“ mit Frau Dr. Petry im Internet veröffentlicht. Das ist zutreffend und zeigt einen eklatanten (Qualitäts-)Unterschied zwischen dem Mannheimer Morgen und der Rhein-Zeitung, da diese ihren Lesern tatsächlich einen umfangreichen „Mehrwert an Inhalt“ bietet.
Allerdings wird nicht klar, an welchen Stellen die lange Version des Interviews ebenfalls „redigiert“ worden ist. Geht es der Zeitung nicht darum, den Lesern „die Wahrheit“ zu vermitteln? Oder waren die anderen Redigaturen „unproblematisch“?
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Falsche Zeitstempel

Veröffentlichungen der Rhein-Zeitung im Internet. Alle bibliographischen Zeitstempel sind falsch. Quelle: RZ
Doch auch mit diesem Interview und anderen Texten zeigen sich weitere Probleme.
Betrachtet man die Zeitstempel der Veröffentlichungen im Internet, erscheint am 04. Febraur um 11:39 Uhr zunächst das Interview mit der durch Frau Dr. Petry veränderten Passage – also mit der „verfälschten“ Antwort, wie die Rhein-Zeitung meint.
Erst über vier Stunden später erscheint ein Hinweistext (16:02 Uhr), worum es beim Autorisierungsverfahren geht und ein Bericht, welche „zentrale“ Passage verändert worden ist. Kurz darauf die Anklage: „AfD-Chefin Frauke Petry schreibt ihr Interview dreist um (16:17 Uhr).
Wir dokumentieren diesen Täuschungsversuch hier. Weil wir der Wahrheit verpflichtet sind und uns nicht manipulieren lassen. Schon gar nicht von Politikern mit einer bürgerlichen Maske, hinter der sich ein ganz anderes Gesicht verbirgt.
Der „Wahrheit“ verpflicht. Keine Manipulation also. Interessant.
Die Rhein-Zeitung aus Koblenz beispielsweise veröffentlicht (wir können das nur online beurteilen) erst das von Frau Petry redigierte Interview und informiert also die eigene Leserschaft falsch – um sich dann darüber zu empören, dass Frau Petry eine Aussage „komplett umgeschrieben habe“.
Unsere „Mutmaßung“ trifft wortwörtlich „ins Schwarze“.
Lieber Hardy Prothmann, wir haben nicht erst das Interview und dann die Berichte über die Autorisierung veröffentlicht. Ich habe mich gestern um die Online-Produktion der insgesamt vier Texte gemeinsam mit Kollegen gekümmert. Erst erschien gegen 18.30 Uhr unser Bericht über die Autorisierung, Minuten darauf das Interview selbst. Dann ein Text über die Autorisierungspraxis insgesamt, zum Abend hin, ca. 20.30 Uhr, der Kommentar von unserem Chefredakteur Christian Lindner.
Er führt in seinem Kommentar aus, dass die Zeitstempel der Artikel wegen des Computersystems „in dieser Hinsicht leider etwas irreführend“ seien, dass dies aber „unkritisch“ sei, weil man durch Überprüfung von Twitter-Meldungen erkennen könne, wann die Texte online gingen.
Oder anders interpretiert: Veröffentlichungsdaten einer Zeitung sind nicht „wahrhaftig“ und verlässlich, sondern bedürfen einer Überprüfung.
Tatsächlich haben diese Daten doch einen Informationsgehalt: Am 04. Februar, um 11:39 Uhr wurde das „lange“ Interview mit Frau Dr. Petry offenbar angelegt. Um 16:02 Uhr der Bericht über das Verfahren der Autorisierung, um 16:17 Uhr der Text „Frauke Petry schreibt ihr Interview dreist um“. Veröffentlicht wurden diese Texte laut Kommentar des Kollegen Schwarze gegen 18:30 Uhr, um 20:30 Uhr dann der Kommentar des Chefredakteurs, der 20:11 Uhr angelegt worden ist.
Chefredakteure unter sich
Am 6. Februar erscheint ein Interview im MM, das Chefredakteur Lübke mit dem RZ-Chefredakteur Christian Lindner geführt hat. Darin heißt es:
Frauke Petry hat diese Aussagen im Gespräch mit uns völlig entspannt und ohne Druck gemacht. Sie hat das genau so gesagt und genau so gemeint. Und sie wird es auch heute noch so meinen. Nach dem Interview des „Mannheimer Morgen“ hat sie öffentlich und auch parteiintern so viel Gegenwind wegen dieser auch dort geäußerten Forderungen bekommen, dass sie von ihren Formulierungen aus taktischen Gründen abrücken wollte. Es war die durchsichtige Taktik einer Politikerin – ganz so, wie die AfD dies den von ihr so genannten Altparteien immer vorwirft.
Am 5. Februar hatten wir Herrn Lindner um 16:40 Uhr angeschrieben, um 20:17 Uhr hatte er geantwortet. Allerdings nicht auf alle Fragen, insbesondere nicht die, ob es „Kontakte“ zwischen MM und Rhein-Zeitung gab.
Die gab es – dokumentiert durch das Interview.
Ob es weitere Kontakte davor gab? Das werden die Leser nie erfahren.
Möglicherweise aus „taktischen Gründen“.
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Lesetipp
Unsere kritische Analyse zum absehbaren Erfolg der AfD
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Dokumentation
Hinweis: Wieso kritisieren wir die Veröffentlichung von email durch den MM und machen dasselbe? Es ist nicht dasselbe. Zwischen MM und der AfD gab es einen elektronischen Briefwechsel, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Wir haben offizielle Anfragen gestellt und diese veröffentlicht.
Anfrage an MM-Chefredakteur Dirk Lübke:
Von: „Hardy Prothmann, Chefredaktion Rheinneckarblog.de“ <chefredaktion@rheinneckarblog.de>
An: chefredaktion@mamo.de
Datum: 03.02.2016 15:34
Betreff: Dokumentation Petry Interview
Sehr geehrter Herr Lübke,
auf dem Morgenweb ist folgendes Dokument zu finden:
https://www.morgenweb.de/polopoly_fs/2.254!/Interview_Petry_Mannheimer_Morgen.pdf
Ist es üblich, dass Kommunikationspartner damit rechnen müssen, dass die Kommunikation von der Redaktion öffentlich dokumentiert wird?
Mit welchen Argumenten rechtfertigen Sie die Offenlegung dieser Kommunikation?
Ist es üblich, dass Interviewpartner redaktionelle Fragen verändern dürfen und dies durch die Redaktion akzeptiert wird?
Ist es üblich, dass Passagen nach Freigaben weggelassen werden, wie es hier der Fall ist? „Eines Ihrer Mitglieder hat gesagt…“
Ist das nicht eine wesentliche Information ,da sich Frau Petry deutlich von Gewalt distanziert?
Die Überschrift im MM lautet: „Sie können es nicht lassen“
An die Agenturen verschickten Ihre Zeitung aber: „Petry will Grenzen notfalls mit Gewalt sichern“
Würden Sie zustimmen, dass Ihre Zeitung das Thema unbedingt in Sachen Waffengewalt an der Grenze pushen wollte?
Weshalb enthielt die Vorabmeldung nicht auch die Information einer deutlichen Distanzierung zur Gewalt im politischen Prozess?
Halten Sie die Vorabmeldung für umfassend oder tendenziös?
An welche Agenturen wurde der Text verschickt?
An welche weiteren Personen wurde der Text verschickt?
Da Sie ausweislich der Veröffentlichungen im Thema sind, bitte wir um Antwort mit Frist, Donnerstag, 04. Februar, 12 Uhr.
Besten Dank vorab.
Mit freundlichen Grüßen
Antwort, am 04. Februar, 11:19 Uhr:
Sehr geehrter Herr Prothmann,
herzlichen Dank für Ihre Mail. Aufgrund der zahlreichen Anfragen zur Thematik bitte ich um Nachsicht und darf auf ein Interview von SWR1 (Anhang) am Mittwoch, 3. Februar, sowie auf kress https://goo.gl/ZqaBcs, auf die Deutsche Presse-Agentur und auf viele im Netz verfügbare Veröffentlichungen aus dem In -und Ausland verweisen.
Herzliche Grüße
Dirk Lübke
Transkription SWR-Interview mit Dirk Lübke auf die Kritik von Frau Dr. Petry, der MM habe sie verkürzt dargestellt:
Wie reagieren Sie auf diese Kritik?
Lübke: Das ist ein Vorwurf der so nicht tragbar und nicht tragfähig ist, weder verkürzt noch sonst irgendwie. Denn das Interview ist ja bekanntermaßen mit Frauke Petry und ihrem Sprecher abgestimmt, autorisiert, also so wie das ja in Deutschland üblich ist. Politiker-Interviews und auch andere Interviews werden ja dann eben geführt, anschließend wird der Text den Interviewten noch mal vorgelegt und dann ist das Interview autorisiert. Heißt Frauke Petry und ihr Sprecher wussten ganz genau, was in diesem Interview steht. Deshalb kann ich nicht nachvollziehen, wieso Frau Petry jetzt solche Dinge behauptet.
Bezieht sich dann die Kritik verkürzt und sinnentstellend möglicherweise auf die, die sie seit einigen Tagen immer wieder natürlich zitieren, den Mannheimer Morgen und diese Passage im Interview?
Lübke: Es ist ja so, dass dieses Interview im Grunde genommen relativ schnell dann auch im vollen Wortlaut im Umlauf war, das heißt durch die neuen Medien kann man sich natürlich auch genau das Interview in voller Länge anschauen, von daher kann ich mir auch nicht erklären, wie die Vorwürfe gegen andere Medien, also das ja schon national, im Grunde genommen international, also auch die BBC hat darüber berichtet, aufgegriffen worden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Vorwurf, dieser Generalvorwurf gegen die anderen Medien gehen kann, denn die haben das ja auch entsprechend eingeordnet.
Frau Petry kritisiert dann auch noch den Stil dieses Interviews und schreibt, das sei ihr wie ein Verhör vorgekommen.
Lübke: Auch das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, denn das Interview hat knappe 40 Minuten gedauert und meine Kollegen haben eben die Fragen gestellt, die man als Journalist stellt, wenn man Interesse daran hat, Dinge zu erfahren, die für ein Publikum interessant sind. Und dass diese Aussage, die Frau Petry bei uns gemacht hat, für ein Publikum interessant ist, scheint mir unstrittig, denn es ist, wie ich das ja auch schon an andere Stelle kommentiert habe, wirklich ein unvorstellbarer Vorgang, dass eine Bundesvorsitzende einer Partei diese Äußerung zum Thema Schusswaffengebrauch tätigt.
Wie erklären Sie sich denn, dass sie jetzt versucht sozusagen posthum noch einmal dieses Interview zu relativieren.
Lübke: Ja, das ist ja Masche auch. Das scheint bei den AfD-Spitzen – das ist ja nicht nur Frau Petry – zum Volkssport geworden zu sein, menschenverachtende und erniedrigende Thesen in die Welt zu setzen und es dann hinterher doch nicht ganz so gemeint haben zu wollen. Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir mit diesem Autorisierprozess ja ganz klar belegen können, ähm, dass wir ein total sauberes, professionelles und unter schärfsten Bedingungen ein Interview mit Frauke Petry geführt haben und finden es wirklich auch unglaublich, dass diese Frau zu diesen Dingen, die sie gesagt hat, nicht steht und jetzt versucht, sich rauszulavieren. Ich hoffe, dass alle die, die der AfD nahe stehen, dieses auch zur Kenntnis nehmen und sehen, mit welcher Bundesvorsitzenden sie da unterwegs sind.
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Transparenzhinweis: Der Autor Hardy Prothmann und der Chefredakteur Christian Lindner pflegen einen durchaus regelmäßigen und kollegialen Kontakt. Dazwischen liegen manchmal Monate, aber über email oder Facebook-Chat tauscht man sich aus. Zwei Mal war man zusammen Teilnehmer einer Podiumsdiskussion zum Thema Journalismus. Vor ein paar Jahren hatte Herr Lindner den Autoren gegen Honorar in die Konferenz der Redaktionsleiter der RZ-Lokalausgaben eingeladen, damit diese erfahren, wie ein „Blog“ arbeitet. Auch mit Online-Chef Marcus Schwarze besteht immer wieder ein Austausch zu journalistischen Fragen.
Der Kontakt zum MM-Chefredakteur ist gegeben, allerdings nur rudimentär und anders als es die email-Antwort erscheinen lässt, eher „nicht herzlich“.