Rhein-Neckar/ Berlin, 15. September 2015. (red/hmb) Die Kommunikation im Internet ist anders als „die in echt“. Was sind die Gründe, warum manche jede Kinderstube nicht nur verlieren, sondern zu „Hatern“ werden und andere mit Hasskommentaren beleidigen? Die Politologin Julia Schramm nennt im Interview einige Gründe und hat Ratschläge, wie man gegen den sogenannten Hate Speech vorgehen kann.

Julia Schramm ist Politikwissenschaftlerin und Autorin. Neben diversen weiteren Tätigkeiten arbeitet sie als Fachreferentin für Hate Speech bei der Amadeu Antonio Stiftung. Foto: Privat
Von Hannah-Marie Beck
Frau Schramm, was ist der Unterschied zwischen Hate Speech und Cybermobbing?
Julia Schramm: Mobbing kann jede Person treffen. Hate Speech denkt immer noch die Machtverhältnisse mit. Sie ist stets eine Form der Diskriminierung. Mobbing hingegen ist nicht automatisch Diskriminierung.
Warum haben die Menschen eine deutlich geringere Hemmschwelle andere auf sozialen Netzwerken zu beleidigen?
Schramm: Die Kommunikation im Internet ist eine grundsätzlich andere. Es fehlen Mimik und Gestik. Ironie beispielsweise ist dadurch viel schwerer zu erkennen. Dann kommt es leichter zu Missverständnissen, ein Wort gibt das andere.
Wie unterscheidet sich elektronische Kommunikation von „echter“ Kommunikation?
Schramm: Grundsätzlich handelt es sich bei der Kommunikation über soziale Netzwerke um eine narzisstische Selbstkommunikation: Im Mittelpunkt steht, was man selbst geschrieben hat. Dadurch beschäftigt man sich auch mit seiner eigenen Person. Durch das Internet wird diese Selbstkommunikation aber öffentlich. Wenn dann unterschiedliche Gruppen und Ideologien aufeinander treffen, kann das zu geradezu hysterischen Reaktionen führen.
Es gibt auch die Annahme, dass Nutzer enthemmter kommentieren, weil die Kommunikation über das Internet deutlich unpersönlicher ist. Können Sie dem Argument folgen?
Schramm: Nein, die Kommunikation über soziale Netzwerke ist nicht anonym. Aber sie ist schwer nachvollziehbar. Letzten Endes ist sie doch sehr persönlich, denn im Mittelpunkt der Kommunikation über soziale Netzwerke steht man immer selbst. Facebook hat gewissermaßen einen Wohnzimmercharakter.
„Auf jeden Hasskommentar einzugehen, ist unmöglich“
Wenn ich Hasskommentare lese, bin ich geschockt. Aber ich gehe nicht darauf ein, sondern scrolle weiter. Wenn auf sozialen Netzwerken zwei unterschiedliche Meinungen aufeinander treffen, entstehen häufig Wortgefechte voller Beleidigungen. Da will man ja nicht unbedingt involviert sein. Wie reagieren Sie, wenn Sie Hate Speech im Internet lesen?
Schramm: Ich versuche Privates und Arbeit zu trennen. Auf jeden Hasskommentar einzugehen ist unmöglich. Konsequent sein und widersprechen, ironisieren und bloßstellen sind immer Möglichkeiten. Aber sie können die Debatte auch verschärfen: Mit überzeugten Ideologen ist eine Diskussion kaum möglich. Manchmal ist ignorieren und löschen dann die bessere Lösung.
Gibt es auch Möglichkeiten, gerichtlich gegen solche Hasskommentare vorzugehen? Wie sehen Sie die Chancen?
Schramm: Je mehr Anzeigen gestellt werden, desto eher müssen sich die Behörden damit auseinander setzen. Es gab auch schon Facebook Kommentare, die dann 5.000 Euro gekostet haben. Da überlegt man sich als Hater eher, ob und was man mit der Öffentlichkeit teilen möchte.
„Wir sind gerade in der Pubertät, was das Internet betrifft“
Sie sagen, dass es immer mehr hasserfüllte Kommentare gibt. Ist das auf immer mehr Hass in der Bevölkerung zurückzuführen?
Schramm: Einerseits sind die Menschen mit dem Digitalen Wandel überfordert. Andererseits befinden wir uns auch in turbulenten Zeiten: Es gibt starke Veränderungen, die Wirtschaftskrise ist noch immer nicht überwunden und der Konflikt in Syrien belastet viele Menschen. All das führt dazu, dass viele angespannt bis hysterisch reagieren, weil sie schlichtweg überfordert sind.
Welche Gruppen von Personen sind besonders auffällig?
Schramm: Wir müssen leider feststellen, dass viele die sozialen Netzwerke nutzen, um die Meinung der Öffentlichkeit zu beeinflussen. Russland, zum Beispiel, geht auf deutsche Seiten und versucht hier die Meinung der Menschen zu beeinflussen. Sie wollen Druck über die Öffentlichkeit ausüben. Vielleicht tun das deutsche Geheimdienste auch. Außerdem hat die rechte Tradition in Deutschland eine Art Revival. Die Rechten sind in dieser Hinsicht intelligenter geworden und Nutzen das Netz sehr viel klüger als früher, um ihre Propaganda zu verbreiten.
Müssen wir vielleicht erst lernen, wie man sich in den sozialen Netzwerken zu benehmen hat? Wäre es nicht sinnvoll diese Thematik auch in den Schulen zu behandeln?
Schramm: Wir sind gerade in der Pubertät, was das Internet betrifft. Es stellt sich die Frage, wie wir mit der neuen Technologie umgehen sollen, wollen, müssen. Lehrer sollten Raum, Zeit und Wissen haben, um mit den Schülern über Hate Speech zu sprechen. Andererseits stellen wir auch fest, dass Junge momentan deutlich besser damit umgehen können als Ältere. Zum Teil sollten vielleicht Schüler Lehrern zeigen, wo es lang geht.