Mannheim/Rhein-Neckar, 26. Mai 2017. (red/pro) Ein früherer Mitarbeiter der rnv GmbH soll den Verkehrsbetrieben vorwerfen, rassistische und rechtsradikale Umtriebe im Unternehmen zu dulden. Öffentlich bekannte, tatsächliche Belege gibt es dafür bislang keine. Das Unternehmen ist darüber seit gut einem Jahr informiert, konnte bislang aber trotz belegter Bemühungen keine Aufklärungsfortschritte erzielen. Geschäftsführer Martin in der Beek nimmt laut öffentlicher Mitteilung die Vorwürfe ernst und verspricht eine „nachhaltige Aufklärung“. Doch das wird schwierig.
Von Hardy Prothmann
Die Platzierung ist eine professionelle Skandalisierung. Gestern Abend, um 22:53 Uhr titelt die Bildzeitung online „Mit Hitlergruß in den Feierabend“. In der Unterzeile heißt es: „Mitarbeiter dokumentierte von April 2015 bis Februar 2016 Neonazi-Skandal“.
Angebliche Dokumentation eines „Neonazi-Skandals“
Damit ist laut Bildzeitung die Sachlage klar: Es gibt eine „Dokumentation“ eines „Neonazi-Skandals“. Tatsache ist: Es gibt die Behauptung der Bildzeitung, die sich auf die Behauptung einer Quelle stützt. Der Zeitpunkt ist deswegen „professionell“ geschickt gelegt, weil die Veröffentlichung am Abend eines Feiertags erfolgte, auf den der heutige „Brückenfreitag“ und das Wochenende folgen.
So hat die Story ordentlich Zeit, sich zu „entwickeln“, bei gleichzeitig eingeschränkter Reaktionsmöglichkeiten auf Seiten des skandalisierten Unternehmens. Doch das reagierte flott mit einer Pressekonferenz am Mittag. Eine „Aufklärung“ kann man jedoch nicht bieten – wie auch?
Was steht fest?
Was bislang feststeht: Es gibt zwei Anzeigen, die Ende April, Anfang Mai gestellt worden sind. Eine des früheren Mitarbeiters gegen die rnv GmbH, weil Fahrdienstleiter angeblich durch eine willkürliche Signalgebung Notbremsungen ausgelöst hätten. Dies könnte ein „gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr“ sein (StGB 315, 1,3). Die andere Anzeige wurde von der rnv GmbH gegen den früheren Mitarbeiter gestellt, wegen heimlich angefertigter und auf Youtube veröffentlichter Videoaufnahmen, die einen schweren Eingriff in Persönlichkeitsrechte von Mitarbeitern und Fahrgästen darstellen sollen (StGB 201ff), da dieser in den zehn Monaten vor seiner Entlassung heimlich Videoaufnahmen von Kollegen gemacht habe.

Im Februar hatten wir unsere Reportage „Wichtig ist das Augenmaß“ über Kontrollen in Bahnen durch rnv-Mitarbeitern veröffentlicht. Wir hatten die Erlaubnis, Aufnahmen zu machen und haben dabei die Rechte von Personen gewahrt. Der Job ist teils stressig und eine Herausforderung – aber es gibt auch viele erfreuliche Erlebnisse. Aktuell stehen alle Mitarbeiter der rnv unter „Generalverdacht“, da niemand weiß, ob die Vorwürfe zutreffen und wer dafür verantwortlich sein soll.
Der frühere Straßenbahnfahrer L. war von 2005-2016 bei der rnv angestellt. Wegen einer Summe von Verfehlungen sei er schließlich entlassen worden. Diese Entlassung im Frühjahr 2016 habe nichts mit den Videoaufnahmen zu tun, erklärt die rnv auf Anfrage. Vielmehr habe sich der frühere Mitarbeiter erst danach wieder beim Unternehmen gemeldet und dort bei einem Gesprächstermin kurze Videoaufnahmen gezeigt, auf denen angeblich rassistisches und rechtsradikales Verhalten von rnv-Mitarbeitern zu sehen sein soll.
Die rnv-Geschäftsleitung hat diese Hinweise nachweislich ernst genommen und zwischen Mai und Juli 2016 umfassend versucht, an dieses Material zu kommen. Der frühere Mitarbeiter habe aber trotz Zusicherung dieses Material bis heute nicht zur Verfügung gestellt. Als ein Video auf Youtube vor ein paar Wochen dem Unternehmen bekannt geworden war, habe die rnv bei Youtube die Löschung veranlasst und Anzeige gegen den früheren Mitarbeiter erstattet.
-Anzeige- |
Angeblich wolle der Mann für Aufklärung sorgen und eine Selbstanzeige wegen der heimlichen Aufnahmen erstatten. Bislang gibt es diese Selbstanzeige nicht. Dessen Rechtsanwältin Miriam Weis bestätigte uns auf Nachfrage, dass sie mit der Staatsanwaltschaft Kontakt aufgenommen habe und auf einen Termin warte. Die Staatsanwaltschaft bestätigt die Kontaktaufnahme, verweist allerdings an die Polizei, die bereits Ermittlungen aufgenommen habe. Offen ist also die Frage, wieso der Mann bis heute keine Anzeige erstattet hat – auch nicht in der Vergangenheit. Will er wirklich aufklären? Taugt das heimlich aufgenommen Material dafür? Oder handelt es sich womöglich um einen wie auch immer motivierten „Racheakt“?
Aufklärung ohne Belege schwierig bis unmöglich
Klar ist: Die rnv GmbH hat Hinweise über mutmaßliche rassistische und/oder rechtsradikale Äußerungen von Mitarbeitern. Aber es liegen weder die „Belege“ vor, noch sind die betreffenden Mitarbeiter namentlich bekannt, noch Zeitpunkte und Orte. Damit ist eine „Aufklärungsarbeit“, sprich, Prüfung der Vorwürfe, Anhörung der Mitarbeiter und danach der Sachlage angemessene Maßnahmen zu treffen, nicht möglich.
Aus Sicht des Unternehmens ist das eine äußerst ungünstige Lage: Die Vorwürfe wirken schwer, doch aus eigenem Antrieb ist eine Aufklärung kaum möglich. Immerhin wurde das auf Youtube geladene Video gesichert und werde nun ausgewertet, wie das Unternehmen mitteilt. Dies gestalte sich aufgrund der schlechten Qualität allerdings aufwändig und schwierig. Die trotz des widrigen Zeitpunkt heute umgehend einberufene Pressekonferenz der rnv GmbH zeigt allerdings, dass man schnell und offen auf diese Krisenlage reagiert. Das muss das Unternehmen auch – um sich schützend vor die rund 2.100 Mitarbeiter aus 41 Nationen zu stellen.
Interessant wird sein, ob sich die Vorwürfe belegen lassen. Dass es zu Verfehlungen einzelner Mitarbeiter gekommen sein könnte, wäre nicht weiter überraschend und kein Skandal. Rassisten und Rechtsextreme gibt es in allen Kreisen der Gesellschaft und damit auch in allen Unternehmen, ob groß, klein, privat oder staatlich.
Aber: Der ehemalige Mitarbeiter behauptet laut seiner Rechtsanwältin Weis, dass er intern versucht habe, auf diese Missstände hinzuweisen und kein Gehör erhalten habe. Die Verfehlungen seien auch von Führungspersonal nicht ernst genommen und zurückgewiesen worden. Möglicherweise gebe es auch andere Zeugen für die Vorwürfe.
Hier steht eine bislang unbelegte Behauptung gegen einen schriftlichen Beleg, den die rnv vorgelegt hat. Das Schreiben an den früheren Mitarbeiter mit der dringenden Aufforderung, das angeblich belastende Material vorzulegen.

Schreiben der rnv-Geschäftsleitung an den ehemaligen Mitarbeiter. Der Versuch einer Aufklärung scheitert bis heute daran, dass die angeblichen Belege fehlen. Klicken Sie auf die Grafik für ein Vollbild.
Von einem „Neonazi-Skandal“ ist bislang noch nichts in Sicht
Warum ist der Mann nicht schon damals zur Polizei gegangen und hat Strafanzeige erstattet? Warum hat er das Material weder dem Unternehmen noch bislang den Behörden übergeben? Warum wurde das Material zunächst auf Youtube öffentlich gemacht?
Sicher ist: Die Bildzeitung behauptet, der Mann habe einen „Neonazi-Skandal“ dokumentiert. Ob das stimmt, wissen wir nicht. Was wir wissen: Der Mann hat ganz offensichtlich nichts getan, um diese Missstände zu beseitigen zu helfen. Warum der Mann den aktuellen Weg beschritten hat und die Bildzeitung informiert hat, diese Frage ist ebenso offen. Klar ist, dass er nun mit einer Strafe wegen der illegalen Aufnahmen rechnen muss. Und darüber hinaus möglicherweise mit weiteren Verfahren wegen Rufschädigung – sollte seine „Dokumentation“ nicht zweifelsfrei belegen, dass es zu den behaupteten Missständen gekommen ist und dass das Unternehmen trotz besseren Wissens nichts dagegen unternommen haben soll.
Von der rnv GmbH kann und muss die Öffentlichkeit eine zeitnahe und möglichst umfangreiche Darstellung der Sachverhalte erwarten. Dies hat die rnv heute auch geleistet.
Im vergangenen Jahr hat die rnv die Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt unterzeichnet. Nach unserem Kenntnisstand ist das Unternehmen auf ein korrektes Verhalten ihrer Mitarbeiter sensibilisiert. Klar ist auch: Insbesondere die Straßenbahnfahrer und die Kontrolleure werden täglich mit dem „echten Leben“ konfrontiert – Übergriffe, Beleidigungen, Vandalismus gehören schon fast zum Tagesgeschäft – da braucht es gute Nerven, um die Ruhe zu bewahren und keine Vorurteile zu entwickeln. Allerdings auch die Unterstützung des Unternehmens, um den Mitarbeitern den korrekten Umgang mit dem Stress zu ermöglichen.
Fazit: Von einem angeblichen „Neonazi-Skandal“ ist noch weit und breit nichts in Sicht bis auf die Videoaufnahmen, die das angeblich belegen sollen, aber offenbar technisch minderwertig sind. Sollte es zu Verfehlungen gekommen sein, ist ebenfalls noch offen, ob dies einzelne Personen betrifft oder eine gewissen „Systematik“ hat. Eine Selbstanzeige ist noch nicht erstattet und Strafanzeigen gegen Mitarbeiter oder Führungspersönlichkeiten bei der rnv ebenfalls nicht. Die Bildzeitung jedenfalls hatte einen Aufreger und ob sie die Behauptung eines „Neonazi-Skandals“ wird aufrecht erhalten können, bleibt abzuwarten.
Möglicherweise hat die Story einen eigennützigen „Spin“
Ebenso abzuwarten bleibt, ob der frühere Angestellte tatsächlich das Material an die Behörden herausgibt. Wir wissen nicht, ob diese aktuell belegen können, dass die Aufnahmen durch den Mann erstellt und von ihm hochgeladen wurden. Nur bei zweifelsfreier Beweislage wäre er dafür strafrechtlich zu belangen. Übergibt er den Behörden allerdings sein Material, dokumentiert er dadurch seine strafbaren Handlungen. Da es sich um mehrere Stunden Material handeln soll, hätte er sich mutmaßlich in einer großen Zahl von Fällen vorsätzlich strafbar gemacht, was eine deutliche Verurteilung wahrscheinlich macht.
-Anzeige- |
Möglicherweise ist die „wahre“ Story eine andere, als aktuell vielfach kolportiert. Möglicherweise wollte der frühere Mitarbeiter das Unternehmen rnv schädigen, die daraufhin Anzeige erstattete. Und möglicherweise sollen nun entsprechende Behauptungen den Mann als „Aufklärer“ in Szene setzen, der zwar strafbare Handlungen vorgenommen hat, diese aber angeblich im Interesse der Aufklärung von angeblichen Missständen. Und möglicherweise gibt es Medien, die für entsprechendes Material viel Geld zahlen, dass der Mann möglicherweise dringend benötigt, denn auf ihn kommen mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche juristische Kosten zu – eventuell auch eine Gefängnisstrafe. Möglicherweise hat er sich deshalb als Anwältin auch eine ausgewiesene Strafverteidigerin genommen.
Möglicherweise muss auch die Bildzeitung ihre Behauptung der „Dokumentation eines Neonazi-Skandals“ aus juristischen Gründen löschen. Für die Bild kein Problem – das zahlt man dort aus der Portokasse.
Hinweis in eigener Sache: Wir bieten Hinweisgebern einen anonymen Briefkasten an, über den uns auch regelmäßig Hinweise erreichen, die aber meistens nicht verwertbar sind – weil es bei Behauptungen bleibt, Belege aber fehlen und nicht zu recherchieren sind. Man kann uns auch direkt ansprechen – wir garantieren Quellenschutz. Was wir auch klar benennen: Die meisten Hinweisgeber handeln nicht aus „hehren“ Motiven, weil sie die Welt retten wollen, sondern weil gegenüber Dritten ein Schaden erzeugt werden soll. Wir prüfen immer, ob Hinweise stichhaltig sind, was viel Arbeit ist, die häufig „vergeblich“ endet.
Hinweis zur Sachlage: Heimliche Aufnahmen von Ton, Bild und/oder Video von Menschen sind eine Straftat, die mit Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren Gefängnis geahndet wird. Ganz egal, ob privat oder im öffentlichen Raum. Technisch ist dies heute durch digitale Aufnahmegeräte leicht möglich – es ist und bleibt aber strafbar. Unabhängig von Verletzungen von Persönlichkeitsrechten, verstoßen Aufnahmen in Zügen der rnv gegen das Hausrecht der rnv, denn die Bahnen sind kein öffentlicher Raum, sondern Privatbesitz. Filmen und fotografieren ist dort nur mit einer Genehmigung erlaubt.
Hinweis zum korrekten Verhalten: Das heimliche Aufnehmen von Mitarbeitern hat neben der strafrechtlichen Relevanz noch eine andere Dimension – es erschüttert eine vertrauensvolle Zusammenarbeit immens. Wer mutmaßliche Missstände gleich welcher Art festzustellen meint, kann sich diesen zunächst persönlich entgegenstellen und kann sich immer schriftlich an seinen Arbeitgeber wenden und diesem helfen, die Missstände zu erkennen und zu beheben. Sollte dies nicht möglich sein, kann man sich an entsprechende Behörden wenden. Anfang 2015 erschütterte die sogenannte „Keylogger“Affäre die Tageszeitung taz. Der ehemalige Redakteur Sebastian Heiser hatte mittels eines USB-Sticks Mitarbeiter in der Redaktion ausgeforscht. Er wurde Anfang 2017 rechtskräftig verurteilt und akzeptierte eine Geldstrafe von 6.400 Euro. Damit gilt er als vorbestraft.