Rhein-Neckar, 01. Februar 2017. (red/pro) Wer sich aktuell das Maul verreißen will, hat wieder Stoff. Die politische Aktivistin Selin G. hat auf Facebook massive Vorwürfe gegen den Stadtrat Julien Ferrat (Familienpartei) gerichtet, der Vater ihres vierjährigen Kindes ist. Der wiederum plant eine Unterlassungsklage gegen eine ganze Reihe von aufgestellten Behauptungen. Die Mannheimerin Selin G., bis November 2016 “Mitglied im Bundesprecher/innenrat” der “linksjugend solid”, war im Sommer 2016 bundesweit bekannt geworden, als überregionale Medien über sie berichtet hatten. Es ging um eine angebliche Vergewaltigung, um Lügen und Verzweiflung. Aktuell geht es um schmutzige Wäsche.
Von Hardy Prothmann
Wenn Selin G. etwas auf dem Herzen hat, dann schreibt sie das immer mal wieder auf – gerne auf Facebook und gerne öffentlich für jeden einzusehen. Und oft geht es darum, dass jemand schuld ist. Öffentlich auffällig wurde Selin G., als sie auf Facebook über eine angebliche Vergewaltigung geschrieben hatte. Sie als Opfer – die mutmaßlichen Täter: “Flüchtlinge”. Das war am 29. Januar 2016.
Sie entlädt unter “Danke, liebe rassistische ‘Missbrauchsgeschädigte” ihren Zorn gegenüber einer Frau, die eine Vergewaltigung nur erfunden hat. Denn diese mutmaßliche Vergewaltigung sollte an einem frühen Sonntagabend stattgefunden haben. Unterhalb des Wasserturms – dem Wahrzeichen der Stadt. Die Stadtgesellschaft war in Aufruhr.
Hauptsache empört
In ihrem Post enthüllte Frau G., dass sie selbst das Opfer einer Vergewaltigung gewesen sei. Im gut vernetzten Mannheim machte das sofort die Runde – auch wir erfahren davon, lesen den Post von Frau G. und die Kommentare und entscheiden uns, nicht darüber zu berichten.
Als die damals 24-Jährige die erste Anzeige erstattete, ging es zunächst nur um Handtaschenraub durch eine “gemischte Gruppe”. Später sollte es eine Vergewaltigung durch “Flüchtlinge” gewesen sein. Als Motiv ihrer Lüge gibt sie an, dass sie keinen Fremdenhass schüren wollte.
Später muss Frau G. erkennen, dass die “rassistische Missbrauchsgeschädigte” nicht aus Rassismus eine Vergewaltigung erfunden hatte. Sie fügte ihrem Text einen Appendix hinzu – jetzt regte sich die “feministische Sozialistin” über Sexisten und Rassisten und die patriachale Gesellschaft auf. Weiter regte sie sich über Männer auf, die ihr im Zug auf den Busen schauen. Über Nazis und so weiter.
Überhaupt besteht das Leben von Frau G. ausweislich ihrer Facebook-Posts aus viel Aufregung und Empörung.
Später werden die Ermittlungen eingestellt. Ob und was Anfang 2016 tatsächlich passiert war – wissen nur Selin G. und die mutmaßlichen Täter. Nach unseren Recherchen ist zweifelhaft, ob es überhaupt zu einer Vergewaltigung gekommen war.
Auch der Spiegel interessiert sich für den Fall der “Flüchtlingshelferin”, die als mutmaßliches Opfer einer Sexualstraftat aus Sorge vor befürchtetem Fremdenhass lügt, und sich immer tiefer verstrickt. Letztlich erscheint der Text “Selins Lüge” – eine äußerst dünne Story mit Frau G. als Hauptquelle. Ab da ist Selin G. bundesweit bekannt.
Alles sehr verworren
Wir recherchierten damals weiter und erhielten unter anderem diese Angaben der Staatsanwaltschaft Mannheim:
Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat mit Pressemitteilung vom 29.01.2016 mitgeteilt, dass am 27.01.2016 eine 24-jährige Frau Anzeige erstattet hat, wonach sie Opfer eines Sexualdelikts geworden sei. Zunächst war von der Anzeigeerstatterin gegenüber der Polizei am Telefon sowie in der anschließenden Erstvernehmung angegeben worden, dass ihr Stoffbeutel von drei bis vier jungen Männern, die deutsch gesprochen hätten, entwendet worden sei. In einer weiteren, ausführlichen Vernehmung am selben Tag gab sie an, es habe sich um drei junge Männer südländischen Aussehens gehandelt, die Kurdisch oder Farsi gesprochen hätten. Nunmehr wurde auch ein Sexualdelikt von der Anzeigeerstatterin angezeigt, wobei tatverdächtig die genannten Personen gewesen sein sollen. Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wurde Anfang Mai eingestellt, da die Täter nicht ermittelt werden konnten.
Wir entscheiden uns wieder, das Thema nicht aufzugreifen – weil hier jemand seine private Haut zu Markte trägt und die Geschichte der Frau G. zu verworren ist, um ohne Schaden für die Frau zu enden. Mit Sicherheit hätte eine Veröffentlichung viel Aufmerksamkeit erhalten – in der Abwägung entschieden wir uns dagegen, weil die Wirren einer jungen Frau aus unserer Sicht eher deren privates Problem darstellten und kein öffentliches Interesse begründeten. Möglicherweise, so eine unserer Thesen, möchte Frau G. auch genau das: Öffentlichkeit aus Karrieregründen. Wir kommen zu dem Schluss, dass wir keine Karriere kennen, die so angefangen hätte. Wenn das der Plan sein sollte, ist er schlecht. Und wir fänden ihn schlecht.
Aktuell versucht Frau G., den Vater ihres Kindes zu beschädigen – auf ihrer Facebook-Seite, auf der sie sich als “Politikerin” präsentiert. Öffentlich. Damit erreichen die Aktivitäten von Frau G. eine andere Dimension. Es geht nicht mehr nur um sie selbst und ihre teils sehr wirren Äußerungen, sondern um massive Vorwürfe gegen einen Stadtrat im Ehrenamt, der selbst höchst umstritten ist. Dass es auch um das gemeinsame Kind gehen könnte, dass vielleicht später gefragt wird: “Bist Du nicht von…”, überblickt Frau G. vermutlich nicht.
Verantwortung?
Auch jetzt zögern wir zunächst, weil unser Grundsatz lautet: Privat ist privat. Ist es öffentlich von Bedeutung, dass sich zwei privat in der Wolle haben, die eine gescheiterte Beziehung miteinander teilen, aus der ein Kind hervorgegangen ist? Eigentlich nicht.
Damals ging es um die Selbstentblößung einer jungen, voluminösen Frau, die sich selbst für bekannter und wichtiger hielt, als sie je war. Doch aktuell geht es darum, dass sie einem amtierenden Stadtrat, der Vater ihres Kindes ist, enorme Vorwürfe macht. Eigentlich ist das auch privat, aber sie bringt es an die Öffentlichkeit und wird wahrgenommen. Frau G. will Öffentlichkeit für sich und ihre Probleme sozusagen erzwingen und erreicht das auch – zunächst berichtet die Lokalzeitung Mannheimer Morgen:
Die frühere Lebensgefährtin sagte dieser Zeitung, sie habe sich wegen des von Ferrat gedrehten Anti-Abtreibungs-Videos zum Gang an die Öffentlichkeit entschlossen.
Wieder reagiert Frau G. impulsiv und empört. Wieder nimmt sie etwas persönlich und bezieht das “Abtreibungsvideo” auf sich, wie auch ein früheres Video des Stadtrats, über das wir exklusiv berichtet hatten und das für große Empörung gesorgt hat. Auch dieses Video bezieht sie auf sich:
Ich habe geschwiegen, als er ein Rapvideo veröffentlichte, in dem eine Frau, die mir ähnlich sieht, seinen Schwanz lutschte und in dem er sich rühmte mit dem Umstand, ein Kind mit einer Türkin, nämlich mit mir zu haben.
Ordinär zu sein, ist kein Verbrechen. Damit definiert man sich nur selbst. In diesem Fall definiert sich Frau G. als angenommene “Schwanzlutscherin” und Türkin mit Kind. Wie erbärmlich.
Unter anderem wegen solcher Behauptungen will nun Stadtrat Julien Ferrat gegen die Mutter des gemeinsamen Kindes vorgehen, wie er auf Anfrage mitteilt:
Momentan wird eine Unterlassungsklage mitsamt Gegendarstellung sowie eine Anzeige wegen übler Nachrede und Verleumdung vorbereitet.
Herr Ferrat teilt uns weiter mit, was er alles für verleumderisch und falsch an den Aussagen hält.
Wir erfahren weitere Details über die Beziehung der beiden – darunter Informationen, die wir nicht veröffentlichen wollen, weil sie aus unserer Sicht zu privat sind. Wenn diese Angaben stimmen, ist die junge Frau in höchster Gefahr.
Nur soviel: Es bestätigt unseren Eindruck, dass die junge Frau sich weniger an eine “Facebook-Gemeinde” und damit eine Öffentlichkeit wenden sollte als an jemanden, der es gut mit ihr meint und ihr helfen kann und will. Das gilt ebenso für Herrn Stadtrat Ferrat. Das Ergebnis unserer Recherchen ist wirklich haarsträubend.
Das Private wird schamlos
Ob und welche Informationen im Facebook-Post der Selin G. der Wirklichkeit entsprechen, wissen wir nicht. Klar ist, dass hier jede private und intime Grenze überschritten wird und selbst wenn alle Vorwürfe zutreffen sollten, ist Facebook sicher nicht geeignet, derart massive Vorwürfe aus dem Privaten ins Öffentliche zu tragen.
Ob und wie sich Herr Ferrat gegen diese Vorwürfe wird wehren können, wissen wir nicht. Er hat rechtliche Schritte angekündigt – bislang ist der Post von Frau G. aber noch zu lesen.
Erschütternd ist, wie schamlos das Private ins Öffentliche transportiert wird. Früher nannte man das “schmutzige Wäsche” waschen.
Früher machte das vielleicht im Bekanntenkreis die Runde. Im Ort. Im Viertel. Früher gab es aber Filter – es war gar nicht so einfach, Thema in den Boulevard-Medien zu werden, dafür brauchte man schon einen gewissen “Promi-Faktor”. Heute erreicht man ganz schnell überregionale Aufmerksamkeit – über “soziale Medien” und klassische Medien, die das aufgreifen.
Heutzutage ist man selber Medium oder macht sich dazu, auch wenn man vollständig überfordert damit ist und die Folgen nicht abwägen kann. Facebook “sei Dank”. Erinnert sich jemand an einen grünen Minister, dessen Karriere endete, als sich eine ehemalige Geliebte auf Facebook der Öffentlichkeit “offenbarte”? Das passierte auch 2016. Vorwurf: Ehebruch und später Vergewaltigung.
Die Zutaten für einen Aufreger sind einfach. Irgendetwas mit Sex und Körpersäften, Geld oder Verschwörung. Hauptsache irgendetwas, das empören könnte und schon läuft es.
Abschreckendes Beispiel
Ob die handelnden Personen auch nur ansatzweise die Folgen ihres Handelns abschätzen können, ist mehr als fraglich. Ebenfalls mehr als fraglich ist, welche Verantwortung Medien übernehmen wollen. Fragen darf man auch alle Nutzer von sozialen Medien ob ihrer eigenen Verantwortung, wenn sie teilen und kommentieren und selbst Akteure werden, solche Sachen “pushen”.
Wir haben ein Jahr lang alle Entwicklungen verfolgt und nichts berichtet, weil es keine öffentliche Bedeutung hatte. Wir hatten damit viel Arbeit und diese nicht in einen Aufreger umgesetzt, weil wir verantwortlich mit Privatheit umgehen. Offenbar ist der Drang nach Öffentlichkeit aber enorm groß. Ob wir richtig handeln, indem wir nun auch veröffentlichen, wissen wir noch nicht letztgültig. Für uns ist das eine Gratwanderung.
Aktuell machen auch wir die schmutzige Wäsche zwischen Frau G. und Herrn Ferrat zum öffentlichen Interesse. Aber mit einem entscheidenden Unterschied zu anderen Medien. Wir definieren das klar als abschreckendes Beispiel, wie fatal sich die Dinge entwickeln können, wenn unreife Menschen um Aufmerksamkeit gieren und verantwortungslose Medien dieses Fehlverhalten noch pushen. Klar – den Vorwurf könnte man uns nun auch machen. Wir sind aber das einzige Medium, dass exemplarisch vor fatalen Folgen warnt. Das ist die Ebene, auf der wir uns dazu positionieren.
Wir raten den handelnden Personen dringend dazu, sich Hilfe zu holen, weil sie sich in eine enorme Gefahr begeben. Es gibt offenbar massive Probleme, die aber nichts in der Öffentlichkeit zu suchen hatten und haben.
Unser Beitrag ist eine Warnung an alle, die sich in Ausnahmesituationen befinden – das Gespräch mit Freunden oder die Suche nach Hilfe ist immer besser als ein Post auf Facebook. Garantiert.
Anm. d. Red.: Wir haben keine Links gesetzt. Wer herausfinden will, wer Selin G. ist und welche Posts veröffentlicht wurden, wird fündig. Wir hätten Links setzen können – aber wir möchten zuerst nicht den Skandal bedienen, sondern gerne, dass Sie unseren Text lesen und sich damit auseinandersetzen. Und dann entscheiden, ob “Sie es wirklich wissen wollen”. Ganz ehrlich? Es gibt keinen Erkenntnisgewinn für Sie, außer, dass Sie in die von uns beschriebenen menschlichen Abgründe blicken.
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