Mannheim, 10. Dezember 2017. (red/pro) Der Einzelstadtrat Julien Ferrat (Familien-Partei) hat seit rund einem Jahr das Stilmittel der Provokation entdeckt. Im Oktober 2016 veröffentlichte er auf Youtube das Video “Mannheimer Ghetto” mit ordinären Inhalten. Weitere Videos folgten. Er ging und geht auch juristisch gegen die Stadt Mannheim vor – durchaus erfolgreich. Zu den aktuellen Etat-Beratungen für den Doppelhaushalt 2018/2019 hat er 200 Anträge gestellt. Am 11. Dezember hat er fünf Minuten Zeit für eine Haushaltsrede – die bange Frage lautet: Hält er diese nackt?
Von Hardy Prothmann
Zuzutrauen wäre es Julien Ferrat, was Teile des Gemeinderats befürchten: Um möglichst viel Aufmerksamkeit zu erreichen, könnte der Einzelstadtrat sogar auf die Idee kommen, seine Haushaltsrede im Gemeinderat nackt zu halten.
Macht sich Ferrat im Gemeinderat nackig?
Immerhin hatte der 26-Jährige bereits im November im Amtsblatt einen Artikel mit Bild veröffentlicht, auf dem er mit einem “Nein zum Haushalt” seine Scham verhüllt, aber sonst mit nackter Haut posiert.
Das könnte heikel werden und für krasse Bilder sorgen: Ein Stadtrat, der nackt von kommunalen Bediensteten oder der Polizei aus dem Saal entfernt wird. Das hätte Potenzial für bundesweite “Presse” und möglicherweise sogar die Tagesschau.
Antrag auf öffentliche Sex-Orgie und Widder-Preis
Er selbst bezeichnet sich aktuell als “Mannheims fleißigsten Politiker”. Was schamlos übertrieben ist. Es ist keine besonders große Kunst, 200 Anträge zu schreiben, die häufig nur aus wenigen Sätzen bestehen und eher Satirecharakter haben. Ein paar Beispiele:
Tatsächlich trifft Herr Ferrat aber auch Themen, die durchaus auf einer öffentlicher Debatte basieren und teils auch medial berichtet worden sind:
Insbesondere die Grünen hatten sich zum Thema Geruchsbelästigung durch (türkische) Grillrestaurants stark gemacht.
Auch ernsthafte Anträge vorhanden
Über das Sozialticket ist in der Vergangenheit häufig strittig debattiert worden. Tatsächlich halten wir Einzelfahrscheine für 2,50 Euro ebenfalls für sozial nicht eben verträglich.
Und Herr Ferrat stellt auch Anträge, die durchaus seriös auch von anderen Fraktionen gestellt werden:
Juristische und politische Auseinandersetzung mit der Stadtverwaltung
Herr Ferrat wird mit seinen Anträgen durchaus auch politisch spitz gegenüber der Stadtverwaltung.
Dieser Antrag gegen angebliche “Fake News” der Stadt hat sicher auch den Hintergrund, dass der Gemeinderrat auf Antrag der Stadt vor einem Jahr beschlossen hatte, dass Einzelstadträte nicht mehr im Amtsblatt veröffentlichen dürfen, sondern nur noch Fraktionen und Gruppierungen.
Dagegen ging er juristisch vor. Die Regelung wurde noch vor einem Richterspruch am Verwaltungsgerichtshof Mannheim (VGH) von der Stadt auf Antrag wieder rückgängig gemacht. Dadurch kam es nicht zum Urteil, aber Herr Ferrat hatte sich klar durchgesetzt. Auch mit seinem neuerlichen Antrag, eine Haushaltsrede halten zu dürfen. 2015 war dies nämlich nicht der Fall – auch dagegen geht der Einzelstadtrat wieder beim VGH vor und will die Entscheidung rückwirkend als rechtswidrig einstufen lassen.
Wie schon beim Redaktionsstatut geht die Klage auf den “Gleichbehandlungsgrundsatz” zurück. Nach der Gemeindeordnung sind nur Fraktionen bevorzugt. Wenn aber auch Gruppen veröffentlichen und Reden halten dürfen, dann auch Einzelstadträte. Motto: Alle oder keiner.
Nach unseren Informationen waren die Regelungen vor allem deshalb getroffen worden, damit der NPD-Einzelstadtrat Christian Hehl möglichst wenig Chancen hat, sich politisch Gehör zu verschaffen. Hierzu haben wir redaktionell ganz klar die Auffassung, dass man dies hinnehmen muss, wenn es denn so wäre, ob das einem gefällt oder nicht. Tatsächlich fällt der NPD-Stadtrat Hehl vor allem dadurch auf, dass die NPD so gut wie keine Anträge stellt, er sich nie äußert und vermutlich auch keine Haushaltsrede halten wird.
Inside-Job im Klinikum?
Auch zur Universitätsmedizin Mannheim (UMM) stellt Herr Ferrat einen Antrag: Er möchte eine Untersuchungskommission einsetzen lassen, die prüft, ob es Hygiene-Mängel gab oder nicht. Wenn nicht, so Ferrat, sei das ein “Inside-Job” und ein Beispiel für Korruption.
In einer Pressemitteilung behauptet er in Bezug auf eine Äußerung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Ralf Eisenhauer, der in seiner Etatrede gesagt hatte: „Tatsache ist, dass es zu keinem Zeitpunkt Operationen mit verunreinigtem Besteck gab.“:
Die von der SPD-Fraktion nun als Tatsache geäußerte Theorie war insbesondere vom Rheinneckarblog durch den 2015 erschienenen Artikel „Hygieneskandal: Wie aus anonymen Hinweisen ,harte Fakten’ werden“ befördert worden. Kernkritikpunkt war, dass anonyme Hinweise zu Tatsachen erklärt worden waren. Inwieweit die anonymen Hinweise glaubhaft waren, konnte bislang jedoch nicht hinreichend ermittelt werden.
Richtig ist: Wir haben in diesem Artikel keine Theorie aufgestellt, sondern durch akribische Recherche angebliche Fakten, die in anderen Medien skandalisiert worden waren, kritisch hinterfragt. Teils konnten wir eindeutig belegen, dass diese Faktenbehauptungen falsch waren. Eine Theorie haben wir daraus nicht entwickelt. Ganz im Gegenteil haben wir in weiteren Berichten festgestellt, dass es Hygiene-Mängel gab. Ob diese allerdings zu Probleme für Patienten führten, ist uns nicht bekannt.
Fakt ist auch: Julien Ferrat macht sich sicherlich mit seiner exponierten Art nicht viele Freude. Rechnet man für den Aufruf der Anträge und die Abstimmung nur eine Minute, wird der Gemeinderat allein mit diesen Anträgen über drei Stunden beschäftigt sein – und so gut wie keiner wird eine Mehrheit erhalten.
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