Mannheim, 28. Februar 2017. (red/pro) Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) wird zur Klage des Einzelstadtrats Julien Ferrat (Familienpartei) gegen die Stadt Mannheim zum Redaktionsstatut des Amtsblatts entscheiden. Die Klage war ursprünglich beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eingereicht worden. Da es sich um ein Normenkontrollverfahren handelt, ist aber ein Oberverwaltungsgericht zuständig. Der Stadtrat will erreichen, dass er weiter Beiträge im Amtsblatt veröffentlichen kann, was laut neuem Redaktionsstatut nicht möglich ist.
Von Hardy Prothmann
Seit dem 01. Januar 2017 gilt ein neues Redaktionsstatut für das Amtsblatt der Stadt Mannheim. Darin ist geregelt, dass nur Fraktionen und Gruppierungen dort Beiträge veröffentlichen dürfen – Einzelstadträte im Gegensatz zu früher nicht mehr.
Die Stadt Mannheim begründet dies mit einer „Straffung“ der Meinungsbildung und einer Verbesserung der Zusammenarbeit im Gemeinderat. Die Stadt argumentiert in einer Stellungnahme ans Gericht:
Eine kleinteilige Berichterstattung über eine Vielzahl von im Gemeinderat vertretenden Meinungen würde angesichts des begrenzten Platzes im Amtsblatt von im Gemeinderat vertretenen Meinungen für entsprechende Beiträge die Wirksamkeit der Gemeinderatstätigkeit und die Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinde schwächen und den öffentlichen Meinungsbildungsprozess der Einwohner erschweren.
Vier Fraktionen, drei Gruppierungen, drei Einzelstadträte
Aktuell gibt es im Gemeinderat vier Fraktionen, drei Gruppierungen und drei Einzelstadträte. Zuvor waren es sogar vier – Wolfgang Taubert (MfM) hat sich aber der Fraktion der Freien Wähler/Mannheimer Liste angeschlossen. Einzelstadträte sind weiterhin neben Herrn Ferrat die Herren Christian Hehl (NPD) sowie Helmut Lambert, vormals AfD. Nach der Spaltung der AfD im Jahr 2015 traten die vier AfD-Stadträte aus der Partei aus. Drei wechselten zunächst zu Alfa. Diesen Namen konnte die Partei aber nicht nutzen, weil ein Verein diesen juristisch für sich in Anspruch genommen hatte, deshalb heißt die Partei heute LKR. Helmut Lambert blieb parteilos.
Schlüssige Argumentation mit Pferdefuß
Die Argumentation der Stadt Mannheim ist mit Bezug auf die Gesetzgebung schlüssig. Man beruft sich auf Artikel 20 der Gemeindeordnung (GemO):
(3) Gibt die Gemeinde ein eigenes Amtsblatt heraus, das sie zur regelmäßigen Unterrichtung der Einwohner über die allgemein bedeutsamen Angelegenheiten der Gemeinde nutzt, ist den Fraktionen des Gemeinderats Gelegenheit zu geben, ihre Auffassungen zu Angelegenheiten der Gemeinde im Amtsblatt darzulegen. Der Gemeinderat regelt in einem Redaktionsstatut für das Amtsblatt das Nähere, insbesondere den angemessenen Umfang der Beiträge der Fraktionen. Er hat die Veröffentlichung von Beiträgen der Fraktionen innerhalb eines bestimmten Zeitraums von höchstens sechs Monaten vor Wahlen auszuschließen.
Nicht schlüssig ist die Argumentation, was die Stadt auch selbst schreibt:
Der Landesgesetzgeber hat Gruppierungen und einzelnen Ratsmitgliedern in § 20, Abs. 3 Satz 1 GemO BW keinen öffentlichen Darlegungsanspruch gewährt.
Zutreffend ist, dass der Gemeinderat davon abweichen kann und im Redaktionsstatut regeln kann, wie und in welchem Umfang Gruppierungen oder Einzelstadträte im Amtsblatt veröffentlichen können.
Und hier wird es interessant, weil möglicherweise Artikel 3 Grundgesetz berührt ist:
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Denn mutmaßlich soll die neue Regelung des Redaktionsstatuts vor allem den NPD-Stadtrat Christian Hehl verhindern.
Das ist laut GemO auch möglich, allerdings hat sich der Gemeinderat unserer Auffassung nach selbst ein Bein gestellt. Denn es dürfen nicht nur Fraktionen im Amtsblatt veröffentlichen, sondern auch die deutlich kleineren Gruppierungen. Die LKR hat drei Stadträte, FDP und Die Linke nur jeweils zwei.
Zwei dürfen ihre Meinung äußern, einer nicht?
Wenn Gruppierungen mit zwei Stadträten das Recht zur Veröffentlichung haben, wird die Frage der Benachteiligung gegenüber einem Einzelstadtrat virulent. Nach unserer Auffassung könnte der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung kommen, dass das Redaktionsstatut geändert werden muss. Entweder dürfen alle mit anteiligen Kontingenten veröffentlichen oder eben wie in der GemO festgehalten, nur die Fraktionen.
Damit würden die Gruppierungen, also insgesamt sieben weitere Stadträte von Veröffentlichungen im Amtsblatt ausgeschlossen. In Summe wären das zehn Stadträte – bei 48 Mitgliedern im Gemeinderat dürften also über 20 Prozent der Mitglieder sich nicht mehr im Amtsblatt äußern. Das wäre eine deutliche Beschneidung der zunächst propagierten „Meinungsbildung“. Man darf gespannt sein, wie der Verwaltungsgerichtshof den Fall entscheiden wird.
Aktuell wird zunächst über den „einstweiligen Rechtsschutz“ entschieden, also die Aufhebung des Redaktionsstatuts bis zur Entscheidung in der Hauptsache. Dafür wurde dem Antragsteller Ferrat eine Frist bis Ende März gesetzt. Vor dem VGH gilt Anwaltszwang und nach unserer Recherche hat der Anwalt von Herrn Ferrat eine Fristverlängerung beantragt.
Lambert und Ferrat könnten eine Gruppierung bilden
Die „Eilentscheidung“ dürfte damit durch den 1. Senat am VGH im April erfolgen. Die Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise noch vor dem Sommer, spätestens aber Anfang Herbst.
Sollte Herr Ferrat mit seiner Klage scheitern und auch keine Neufassung des Redaktionsstatuts nötig sein – was wir nicht glauben -, dann bleibt noch eine andere, eher unwahrscheinliche, aber doch vorhandene Möglichkeit, trotzdem im Amtsblatt zu veröffentlichen: Herr Ferrat könnte mit Herrn Lambert eine Gruppierung als Zweckbündnis bilden. Beispielsweise „FS – Fraktionslose Stadträte“. Damit hätte diese Gruppierung das Recht auf Veröffentlichung. Sehr unwahrscheinlich halten wir die Möglichkeit, dass dieses Zweckbündnis Herrn Hehl aufnehmen würde – der NPD-Stadtrat wird weiterhin keine Möglichkeit haben, sich über das Amtsblatt mit Stellungnahmen an die Öffentlichkeit zur Meinungsbildung zu wenden.
Unseren Standpunkt zur Sache haben wir bereits in früheren Berichten deutlich gemacht: Wir halten die Entscheidung des Gemeinderats für einen Fehler. Sicher ist es unangenehm, dass auch ein rechtsradikaler Stadtrat sich äußern könnte, aber er ist gewählt und hat ohne Ansehen von Person und Partei grundsätzlich dieselben Rechte wie jeder Stadtrat. Die neue „Lex Hehl“ kann genutzt werden, um den Vorwurf zu äußern, die „etablierten Parteien“ wollten die NPD mundtot machen. Da Einzelstadträte nur ein kleines Kontingent an Zeichen hätten, das für ein, zwei Beiträge im Jahr taugt, könnte man dies aushalten und sich den Vorwurf ersparen.
Anm d. Red.: Die Beschlussvorlage zum Redaktionsstatut finden Sie hier.