Mannheim/Rhein-Neckar, 11. Dezember 2016. (red/pro) Der Einzelstadtrat Julien Ferrat (Familienpartei) profiliert sich mehr und mehr als „Querulant“. Sein Rap „Mannheimer Ghetto“ war unsäglich und hat ihm eine Rüge eingehandelt. Die Rüge war angemessen und kein Urteil über Kunst – auch die muss frei möglich sein. Sehr wohl aber über das öffentliche Bild eines Stadtrats und dazu gehört nicht, sich in vulgärster Form darzustellen. Aktuell klagt Herr Ferrat gegen die Stadt Mannheim, weil ihm und zwei weiteren Stadträten das Recht entzogen worden ist, wie andere Stadträte auch im Amtsblatt zu veröffentlichen. Wir hoffen, dass das Verwaltungsgericht Karlsruhe den Gemeinderatsbeschluss aufhebt und deutlich erklärt, warum dieser Beschluss unsäglich ist. Wir lassen zudem unseren Rechtsbeistand prüfen, ob wir ebenfalls private Klage gegen diesen Beschluss führen werden, da die Meinungsfreiheit grundsätzlich dadurch eingeschränkt wird und dies nicht im Sinne der Bürgerschaft sein kann. Wir werden die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen sowie der Freien Wähler/Mannheimer Liste anfragen, ob sie sich einer Klage anschließen.
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Kommentar: Hardy Prothmann
Stadtrat Julien Ferrat ist eines von 49 Mitgliedern des Mannheimer Gemeinderats. 48 sind gewählte Vertreter der Bürgerschaft (Kommunalwahl), der Oberbürgermeister (Bürgermeisterwahl) ist Leiter der Verwaltung, Herr der Tagesordnung und als Sitzungsleiter ebenfalls stimmberechtigtes Mitglied.
Aktuell klagt Julien Ferrat gegen die Stadt Mannheim – aus unserer Sicht zu Recht (siehe hier unseren Bericht).
Selbstbestimmte Verfasstheit
Ein Gemeinderat ist – wie in Zeitungen immer wieder zu lesen – kein „Stadtparlament“. Es gibt nur Landesparlamente und ein Bundesparlament, Landtage und Bundestag. Deren Beratungen und Abstimmungen führen unter anderem zu allgemeinverbindlichen Gesetzen im jeweiligen Geltungsbereich. Entscheidungen eines Gemeinderats führen zu Beschlüssen, darunter auch zu Satzungen. Satzungen definieren das Ortsrecht auf kommunaler Ebene, aber eben immer nur verbindlich für die betreffende Gemeinde und nicht für die Allgemeinheit der Gemeinden. Satzungen sind keine Gesetze. Ortsrecht muss sich an Landes- und Bundesgesetze halten, kann also nicht gegen bestehende Gesetze stehen. Satzungen gibt es zu allem möglichen (Hundesteuer, Feuerwehr, Friedhof, Müll, Abwasser usw.) und regeln die kommunale Selbstverwaltung.
Der wesentliche Unterschied zwischen einem Gemeinderat und einem Parlament ist: Parlamente bestehen aus frei gewählten Abgeordneten, die sich zu Fraktionen zusammenschließen können. Parlamente sind nie Teil einer Regierung (Minister müssen nicht Abgeordnete sein, sind das aber häufig). Ein Gemeinderat besteht zwar ebenfalls aus frei gewählten Mandatsträgern, aber ein Gemeinderat ist Teil der Verwaltung und damit, wenn man so will, der „Regierung“, hier Stadtverwaltung.
Über Satzungen wird demokratisch entschieden: Stimmt eine Mehrheit im Gemeinderat für eine Satzung, wird diese veröffentlicht und wird damit Ortsrecht. Verstoßen Satzungen aber vermeintlich gegen andere Gesetze, kann man sie anzufechten versuchen. Dann entscheiden die übergeordneten Rechtsaufsichtsbehörden oder Gerichte.
Artikel 5 Grundgesetz
Julien Ferrat nimmt also ein demokratisches Recht war, wenn er dagegen klagt, dass ab 2017 nur noch „Gruppen“ und „Fraktionen“ im Mitteilungsblatt (Amtsblatt, in Mannheim als „Wochenblatt“ veröffentlicht) der Gemeinde Mannheim veröffentlichen dürfen (Mannheim ist Stadt, aber jede Stadt ist immer auch eine Gemeinde oder Kommune. Im Gemeinderat sitzen Gemeinderäte, die man bei Städten „Stadträte“ nennt).
Wieso es nur „großen“ Gruppierungen (die Zahl beginnt ab zwei Gemeinderatsmitgliedern) erlaubt sein soll, im Amtsblatt der Gemeinde Mannheim zu veröffentlichen, ist vollkommen unverständlich.
Wer mit beiden Beinen auf der demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland steht, der bekennt sich auch zum Gleichheitsgrundsatz und vor allem zur Meinungsfreiheit (Artikel 5, Grundgesetz). Darin ist grundgesetzlich festgelegt:
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Gleiches Recht für alle? Prinzipiell einfach kompliziert
Um das klarzustellen: Niemand außer der Verwaltung hat ein Recht, sich im Amtsblatt der Stadt Mannheim frei zu äußern und seine Äußerungen verbreiten zu lassen – bis auf die Verwaltung selbst, denn die ist Herausgeber, presserechtlich verantwortlich und es handelt sich um ein Medium zur Mitteilung amtlicher Vorgänge. Als verantwortlicher Herausgeber kann die Verwaltung aber festlegen, welche Veröffentlichungsrechte anderen ermöglicht werden.
Häufig werden diese Rechte Vereinen, Kirchen und anderen „Interessenvertretungen“ eingeräumt. Wenn der Gemeinderat nun als Teil der Verwaltung beschlossen hat, das Teile des Gemeinderats keinerlei Veröffentlichungsrechte mehr haben, dann ist das ein Skandal.
Denn: Der Gemeinderat als Gremium ist Teil der Verwaltung. Und zwar jedes einzelne Mitglied. Aus organisatorischen und auch repräsentativen Gründen werden Gruppierungen und Fraktionen besser gestellt als einzelne Gemeinderäte. Umgekehrt kann man auch sagen: Einzelne Gemeinderäte werden schlechter gestellt.
Theorie vs. Praxis
Eigentlich sollte das nicht so sein, das hat sich aber als „gute Praxis“ bewährt. Würden zu jedem Beratungspunkt immer alle 48 Stadträte eine Stellungnahme abgeben, würde das Entscheidungsprozesse unmöglich machen. Deshalb gibt es häufig auch Zeitbeschränkungen für Redebeiträge in den jeweiligen Geschäftsordnungen. Hier muss sich die Theorie an der sinnvollen Praxis orientieren. Einem Amtsträger im jeweiligen Gremium aber keine Möglichkeit der Äußerung zu geben, wäre klar rechtswidrig.
Gruppierungen und Fraktionen, also Zusammenschlüsse von Einzelnen, werden in vielerlei Hinsicht bevorzugt. Fraktionen bekommen beispielsweise Gelder, um einen Geschäftsführer und weitere Kräfte zu beschäftigen. Fraktionsvorsitzende erhalten Zulagen, die andere nicht haben. Es gibt Sitzungen mit dem Oberbürgermeister, an denen nur Fraktionsvorsitzende teilnehmen dürfen. Das sind viele monetäre und organisatorische Privilegien, die Einzelstadträte nicht haben.
Auch innerorganisatorisch sind Zusammenschlüsse aus sich heraus bevorteilt: Sie können Themen einzelnen Mitgliedern arbeitsteilig zuordnen, die diese im Auftrag für die anderen bearbeiten. Einzelstadträte müssen alle Themen selbst bearbeiten, was praktisch unmöglich ist. Selbst die größeren Zusammenschlüsse stoßen angesichts sehr komplexer Materien häufig an ihre Grenzen. Teils versucht man das mit weiteren Gremien aufzufangen, hier vor allem Ausschüsse, die vorberaten und teils auch beschließen dürfen sowie mit „Workshops“ (auch dazu gibt es gerade in Mannheim Kontroversen, aber das ist ein anderes Thema).
Einen eklatanteren Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz kann es nicht geben
Wenn nun der Gemeinderat Mannheim ein neues Redaktionsstatut beschließt, nach dem nur Gruppierungen und Fraktionen sich mit Artikeln an die Öffentlichkeit wenden dürfen, bedeutet dieser Beschluss, dass dem sowieso massiv benachteiligten Einzelstadtrat auch noch die Möglichkeit zur im Verhältnis sowieso geringen Meinungsäußerung genommen wird. Einen eklatanteren Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz kann es überhaupt nicht geben.
Insbesondere eine Stadt, die sich, wie die Freien Wähler/Mannheimer Liste richtig erkannt haben, per „Mannheimer Erklärung“ der Vielfalt verpflichtet, macht diese Verpflichtung zur Farce.
Doch nicht nur der Stadtrat wird an seiner Meinungsfreiheit gehindert und per Satzung schlechter gestellt als seine Kollegen – auch der Bürger wird um diese Meinungsäußerung entmündigt. Den Bürgern wird die Möglichkeit genommen, sich aus einer allgemein zugänglichen Quelle über Auffassungen auch von Einzelstadträten zu informieren, weil diese in Mannheim nach dem nun beschlossenen Redaktionsstatut keine Äußerungsmöglichkeit mehr haben sollen.
Es geht nicht um enorme finanzielle Kosten. Es geht auch nicht um immense Komplikationen, die verwaltungstechnisch entstehen könnten oder jetzt abgeschafft wurden. Es geht um Buchstaben und Leerzeichen, die einem Stadtrat innerhalb eines Jahres in einer wöchentlichen Publikation erlaubt oder verboten werden: In Summe 3.750 Zeichen.
Wir werden Ersatzmittelungsorgan bis zu einer Entscheidung
Wir erlauben übrigens den Einzelstadträten Julien Ferrat (Familienpartei) und Helmut Lambert (parteilos, vormals AfD) ab 2017 die kostenfreie Veröffentlichung von Beiträgen auf unserer Seite in einem jährlichen Gesamtumfang von 3.750 Zeichen, solange die Angelegenheit nicht geklärt ist (Mitteilungen an die Öffentlichkeit kann man bei uns ansonsten als Anzeige buchen). Abzüge für Fotos gibt es keine (im Wochenblatt 1.024 Zeichen für zweispaltige Bilder und 512 für einspaltige Bilder). Dem NPD-Stadtrat Christian Hehl erlauben wir das nicht.
Wie das? Im Gegensatz zu staatlichen Organen sind wir privatrechtlich organisiert und selbstverständlich dürfen wir – und teilweise müssen wir – zensieren. Das entscheidet uns eklatant von staatlichen Mitteilungsorganen. Wir haben keine Pflicht zu irgendeiner Veröffentlichung, sondern entscheiden das selbst. Wir sind zwar öffentlich zugänglich, aber wie und unter welchen Bedingungen entscheiden wir auch selbst.
Wir berichten über alle Parteien, auch über die NPD, aber wir sind nicht verpflichtet, dieser Raum zu geben. Deswegen würden wir von dieser Partei wie von anderen extremen Parteien niemals Werbung akzeptieren. Wir lehnen die „politischen“ Inhalte der NPD und ihre Ziele kategorisch ab. Aber ebenso die anderer extremen Vereinigungen.
Dieser Text hat übrigens gut 9.000 Zeichen und wäre als Meinungsbeitrag eines Einzelstadtrats in dieser Komplexität niemals im Mitteilungsblatt der Stadt Mannheim erschienen.