Mannheim/Karlruhe, 11. Dezember 2016. (red/pro) Julien Ferrat, einzelner Stadtrat der Familienpartei im Mannheimer Gemeinderat, hat beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eine Anfechtungsklage gegen einen Gemeinderatsbeschluss eingereicht. Die Klage richtet sich gegen ein neues Redaktionsstatut, nach dem Einzelstadträte keine Beiträge mehr im Amtsblatt veröffentlichen dürfen. Das betrifft Herrn Ferrat, den parteilosen Stadtrat Helmut Lambert (vormals AfD) sowie den NPD-Stadtrat Christian Hehl. Sollte die Klage erfolgreich sein, könnte sie Präzedenzcharakter erhalten.
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Von Hardy Prothmann
Bislang konnten einzelne Stadträte Artikel für das Amtsblatt der Stadt Mannheim verfassen, die pro Jahr eine Zeichenanzahl von insgesamt 3.750 haben durften. Zum Vergleich: Die SPD-Fraktion hat einen Anspruch von 62.750, was fast der 17-fachen Zeichenanzahl entspricht, die einem Einzelstadtrat zugesprochen wurde, obwohl die SPD nur 13 Sitze hat. Das deutliche Missverhältnis kommt zustande, indem die Zeichenanzahl multipliziert wird und Gruppen zusätzlich 7.500, Fraktionen zusätzlich 14.000 Zeichen erhalten.
Danach ist aber nicht die SPD als größte Fraktion größter Nutznießer, sondern FDP und Die Linke. Beide Gruppen haben nur je zwei Mitglieder. Durch den Gruppenzuschlag kommt jeder Stadtrat von Die Linke und FDP auf 7.000 Zeichen. Zum Vergleich: SPD (4.827), CDU (4916), Grüne (5.500), FW/ML (6.850). Die Regelung begünstigt also die kleinsten „Einheiten“ am stärksten.
Auf Ungleichbehandlung folgt Klage
Somit ist es eigentlich völlig unverständlich, dass einem einzelnen Stadtrat nicht die 3.750 Zeichen gegönnt werden. Immerhin sind alle Stadträte als unabhängige Mandatsträger gewählt. Wird in den Beiträgen noch ein Foto verwendet, wird die Zeichenzahl nochmals reduziert – bei zweispaltigen Fotos um 1.024, bei einspaltigen Fotos um 512 Zeichen. Unterm Strich hat ein einzelner Stadtrat damit die Möglichkeit, rund zwei Mal pro Jahr einen Artikel im Amtsblatt zu veröffentlichen. Dieses erscheint wöchentlich.
Stadtrat Julien Ferrat, der über die Liste Die Linke in den Gemeinderat gewählt wurde, dann parteiloser Stadtrat war und seit einiger Zeit für die Familienpartei aktiv ist, schreibt:
Der Beschluss der letzten Gemeinderatssitzung war ein feiger Anschlag auf die Demokratie. Ich vertraue der deutschen Justiz, dass sie den von der Stadtverwaltung initiierten und vom Gemeinderat abgesegneten Rechtsbruch aufhebt. Notfalls klage ich durch alle Instanzen.
Was an dem Beschluss „feige“ sein soll, weiß nur Stadtrat Ferrat. Der Beschluss zum neuen Redaktionsstatusfür das Amtsblatt der Stadt Mannheim (V539/2016) wurde am 22. November öffentlich gefasst und von der Gemeinderatsmehrheit getragen. Ob er unzulässig ist und demokratische Rechte beschneidet, soll nun das Verwaltungsgericht Karlsruhe entscheiden. Dort bestätigte man uns den Eingang der emails, ein Mal eine Anfechtungsklage und dazu noch ein Eilantrag, um den Gemeinderatsbeschluss umgehend aufzuheben, solange noch kein abschließendes Urteil ergangen ist.
(Lesen Sie auch unseren Kommentar zu Thema – wir prüfen, ob wir uns der Klage anschließen.)
Ferrat fordert Gleichheitsgrundsatz
Der Eilantrag richtet sich gegen die „vollständige Streichung des Kontingents“ für Einzelstadträte. In der Begründung heißt es:
Hieraus ergibt sich ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 Abs. 1 GG) und der Chancengleichheit der politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG). Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine 2-köpfige Gruppierung ein Zeichenkontingent von 15.000 Zeichen zur Verfügung hat, während Einzelstadträte bei der politischen Willensbildung über das städtische Amtsblatt vollkommen außen vor bleiben sollen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird im neuen Redaktionsstatut nicht gewahrt.
Dabei beruft sich Stadtrat Ferrat auf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und ein Urteil vom 26. Februar 2014 (Az. 2 BvE 2/13), das die Rechte von Kleinparteien erheblich gestärkt habe:
Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit, der sich für die Wahl der deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt, sichert die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte Egalität der Bürger und ist eine der wesentlichen Grundlagen der Staatsordnung. Aus diesem Grundsatz folgt, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten grundsätzlich den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss. (…) Der aus Art. 21 Abs. 1 GG abzuleitende Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien verlangt, dass jeder Partei grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im gesamten Wahlverfahren und damit gleiche Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden.
Julien Ferrat ist von der neuen Regel nicht allein betroffen, sondern auch die beiden Einzelstadträte Helmut Lambert (parteilos, vorher AfD) sowie Christian Hehl (NPD). Herr Ferrat hat sein Kontingent für 2016 bereits ausgeschöpft, inwieweit das für die beiden anderen Stadträte gilt, ist uns nicht bekannt.
Anti-NPD-Statut?
Der Gemeinderatsbeschluss könnte den Hintergrund haben, dass man dem NPD-Vertreter keine Möglichkeit der Veröffentlichung geben möchte. Aus Sicht derer, die die NPD ablehnen ein nachvollziehbares Anliegen – aus demokratischer Sicht hingegen ist diese Beschneidung abzulehnen. Solange die NPD eine zugelassene Partei ist, gilt der Gleichheitsgrundsatz und nicht eine ideologische Moral. Sollte die Neuregelung vor allem gegen die NPD gehen, müssten Ferrat und Lambert so eine Art „Kollateralschaden“ tragen.
Die Fraktionen der Grünen sowie die FW/ML reichten Anträge ein, die den Einzelstadträten – also auch NPD-Stadtrat Hehl – weiterhin die Möglichkeit zur Veröffentlichung geben sollten:
Unverhältnismäßige Begünstigung
Die bisherige Regelung begünstigt kleinere Zusammenschlüsse von Stadträten vollständig unverhältnismäßig. Größere Einheiten wie Fraktionen werden ab fünf Mitgliedern bevorzugt – auch hier gilt, dass die kleineren Fraktionen gegenüber der größten Fraktion deutlich besser gestellt werden. Wie sich aus diesen Gegebenheiten die Streichung des kleinsten Kontingents für Einzelstadträte logisch und demokratisch rechtfertigen soll, ist der Redaktion nicht einleuchtend.
Insbesondere die Anträge von Grünen und FW/ML zeigen, dass man eine durchaus andere politische Sicht haben kann als die Mehrheit im Gemeinderat. Letztlich wird nun das Verwaltungsgericht über die Klage zu entscheiden haben – sollte dies Erfolg haben, sollte man über die Kontingente neu nachdenken. Tatsache ist nämlich auch, dass nicht alle Stadträte zu Wort kommen, sondern in den Fraktionen häufig nur wenige, die aber im Verhältnis zu den Einzelstadträten dann über die Zeichen ihrer Kollegen „verfügen“ können.
Präzedenzfall?
Eine erfolgreiche Klage könnte zudem Präzedenzcharakter haben – denn auch in anderen Gemeinden wird Einzelgemeinderäten häufig die Veröffentlichung in Amtsblättern verwehrt. Kleine Gemeinden haben meist kein Redaktionsstatut, sondern regeln das über Satzungen zur Veröffentlichung im Amtsblatt, die häufig Vereinen Veröffentlichungen erlaubt, nicht jedoch parteilosen Gemeinderäten. Da Parteien als Vereine organisiert sind, dürfen diese also unter dem „Vereinsnamen“ der jeweiligen Partei veröffentlichen, was aber Einzelgemeinderäten verwehrt wird.
Mannheim könnte jährlich hunderttausende Euro einsparen
Die Amtsblätter der Gemeinden dienen in aller Regel der gesetzlichen Veröffentlichungspflicht behördlicher Anordnungen und Satzungen (Ortsrecht). In Nordrhein-Westfalen werden Bekanntmachungen schon seit Jahren überwiegend über das Internet öffentlich gemacht. Weiter werden in den Rathäusern die Bekanntmachungen ausgelegt. Dadurch sparen die Kommunen erhebliche Beiträge, da keine Kosten für die Amtsblätter entstehen.
Auch in Baden-Württemberg wäre dies möglich. Das scheitert allerdings an den Bürgermeistern, die das Amtsblatt gerne als eigene Zeitung und Verbreitungsorgan verwenden. In der heutigen Zeit ist das mehr als fragwürdig, da insbesondere jüngere Generationen mit ziemlicher Sicherheit keine Amtsblattleser sind.
Denkbar ist deshalb eine generelle Debatte, ob die Stadt Mannheim nicht grundsätzlich ihre Veröffentlichungspraxis neu aufstellt. Das würde Jahr für Jahr erhebliche Kosten einsparen und Tonnen von Altpapier vermeiden.