Mannheim, 12. Oktober 2017. (red/pro) Der Einzelstadtrat Julien Ferrat (Familienpartei) hatte gegen die Stadt Mannheim geklagt, nachdem diese vor einem knappen Jahr mit Gemeinderatsentscheidung ein neues Redaktionsstatut erwirkt hatte. Danach war es Einzelstadträten nicht mehr möglich, politische Artikel im Amtsblatt der Stadt Mannheim zu veröffentlichen. Durch einen neuen Beschluss stehen Einzelstadträte und Gruppierungen nunmehr deutlich besser da.
Ohne Druck hätte die Stadt nicht eingelenkt, insofern war die Klage notwendig und richtig,
sagte uns Herr Ferrat auf Nachfrage. Im Gemeinderat kommentierte er am Dienstag noch, die alte Regelung sei undemokratisch gewesen. Doch das ist nicht zutreffend.
Selbstverständlich hatte der Gemeinderat auf Vorschlag der Verwaltung eine demokratische Entscheidung zur Änderung des Redaktionsstatus getroffen – fraglich ist nur, ob diese auch rechtlich zulässig war.
Das Redaktionsstatut und die Gemeindeordnung
Das Redaktionsstatut regelt unter anderem die Anzahl der „Zeichen“ (Anschläge), die den Stadträten, Gruppierungen und Fraktionen für Artikel im Amtsblatt der Stadt Mannheim (Wochenblatt) zur Verfügung stehen. Sofern eine Gemeinde ein solches Amtsblatt herausgibt, ist den Fraktionen die Möglichkeit zu geben, „ihre Auffassungen zu Angelegenheiten der Gemeinde im Amtsblatt darzulegen“. Das ist also keine „kann“, sondern eine „soll“-Bestimmung.
Nach der Gemeindeordnung gilt diese aber nur für Fraktionen. Im Mannheimer Gemeinderat ist Fraktion, wenn sich mindestens fünf Stadträte zusammenschließen. Zwei bis vier Gemeinderäte sind „Gruppierungen“, Einzelstadträte sind Einzelstadträte.
Klage mit Aussicht auf Erfolg
Da das geänderte Redaktionsstatut sowohl Fraktionen und Gruppierungen, nicht aber Einzelstadträte Platz im Amtsblatt einräumte, klagte Herr Ferrat. Vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe scheiterte er nach, beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) ist eine Normenkontrollklage noch nicht entschieden. Das Gericht hatte mitgeteilt, dass ein Erfolg der Klage offen sei, was mindestens heißt: Es bestehen Chancen.
Zwar hätte Herr Ferrat wohl nicht erreicht, dass er wieder Raum im Amtsblatt erhält, wohl aber, dass das Statut in der geänderten Fassung rechtswidrig ist: Entweder nur Fraktionen oder alle.
Selbst ohne juristischen Sachverstand liegt auf der Hand, dass Einzelstadträte durch diese Regelung klar benachteiligt wurden. Laut Gemeindeordnung ist das zulässig. Weil nach Verfassungsgrundsätzen „Vereinigungen“ höher bewertet werden, da diese dazu beitragen, Abläufe besser zu organisieren und mit Mehrheiten Entscheidungen herbeizuführen. Deswegen erhalten Fraktionen gewisse Privilegien. So auch in § 20 „Unterrichtung der Einwohner“.
Der „Casus Knacksus“: Hätte die neue Regelung nur Fraktionen die Möglichkeit zur Veröffentlichung gegeben, wäre das rechtlich nicht anfechtbar. Weil aber auch Gruppierungen, nicht aber Einzelstadträte, diese Möglichkeit haben sollten, liegt hier mit hoher Wahrscheinlichkeit eine rechtliche Ungleichbehandlung vor. Zum Vergleich: Die Gruppierungen Die Linke und FDP haben nur je zwei Stadträte, die jeweils besser gestellt gewesen sind, als die drei Einzelstadträte Julien Ferrat, Christian Hehl (NPD) und Helmut Lambert (früher AfD). Also entweder alle oder nur die in der Gemeindeordnung explizit genannten.
Mehr Platz für alle – auch die NPD
Die am Dienstag beschlossene Neufassung des Redaktionsstatuts führt insgesamt zu mehr Platz für alle. Beispiel: Die SPD hatte früher 62.750 Zeichen, nach der Änderung wären es 97.500 gewesen, jetzt 67.500. Dies errechnet sich aus 3.750 Zeichen pro Stadtrat und einem Sockel von 14.000 Zeichen. Die Gruppe „Bürgerfraktion“ mit drei Stadträten hatte früher 18.250 Zeichen, dann 22.5000 und jetzt weiter 22.500 Zeichen (hier war der Sockel 7.000 Zeichen). Einzelstadträte hatten nur 3.750 Zeichen, dann 0 Zeichen, jetzt 7.500 Zeichen.
Die Änderung sollte mutmaßlich verhindern, dass der NPD-Stadtrat Christian Hehl sich im Amtsblatt äußern kann, was er nach unserem Kenntnisstand bislang nicht getan hat. Die erneute Änderung hat die Zeichenzahl für die Einzelstadträte verdoppelt – was Herr Ferrat als Erfolg verbuchen kann. Auch die Mannheimer Liste/Freie Wähler waren als einzige Fraktion gegen die Veränderung des ursprünglichen Statuts gewesen. Auch diese Fraktion profitiert von der nochmals geänderten Regelung: Waren es zuvor 25.750 Zeichen, dann 37.500 sind es jetzt 34.500 Zeichen.
Rechtsstreit vom Tisch?
Ist damit der Rechtsstreit vom Tisch? Das ist noch offen. Auf Anfrage teilt Herr Ferrat mit, dass er prüfen lässt, ob er eine „Fortsetzungsfeststellungsklage“ beantragt, die klären soll, ob die vergangene Regelung rechtswidrig war. Nach unserer Einschätzung wird der VGH nicht „abstrakt“ darüber entscheiden, weil der Streitgrund ja entfallen ist. Konkret könnte man aber darüber entscheiden, ob Herr Ferrat benachteiligt war und ihm also die Zeichen, die er in diesem Jahr bisher nicht erhalten hatte, nun rückwirkend erhält. Räumt die Stadt dies ein, dürfte auch dieser strittige Punkt erledigt sein.
Die grüne Fraktion hatte übrigens beantragt, den alten Stand des Redaktionsstatuts wieder einzusetzen. Warum, ist unklar, denn die Partei setzt sich ja sonst auch für Minderheitenschutz ein – und die jetzt beschlossene Regelung stellt die Einzelstadträte besser als vorher. Ach ja, einer ist ja ein Rechtsextremer und einer war bei der AfD. Diese Minderheiten fallen natürlich durch das Schutzreflexraster der Grünen.
Wir hatten übrigens auch als einziges Medium die erste Änderung kritisiert. Zwar folgen wir der grundsätzlichen Auffassung, dass Fraktionen besser gestellt sein sollten, was aber nicht heißt, dass man Einzelstimmen ausschließen sollte.
Und wer trägt die Kosten? Das ist noch unklar. Hier muss das Gericht die Sachlage prüfen und dann entscheiden – vermutlich gibt es eine Kostenteilung, denn die Stadt Mannheim hat klar zu erkennen gegeben, dass sie sich dem Rechtsrisiko nicht aussetzen will, was am als „Anerkenntnis“ deuten kann, dass man einer möglichen Niederlage entgehen möchte.