Berlin/München, 21. Februar 2017. (red/cr) Die Geflüchteten in einem Heim in einem kleinen sächsischen Ort erfahren Deutschland als kalt – was das Wetter, vor allem aber was die Willkommenskultur betrifft. Die gibt es dort nämlich nicht. Während sich anderswo ehrenamtliche Helfer engagieren, gibt es in ihrem Heim nur eine Handvoll Angestellte. Eine davon ist die Journalistin Jasna Zajcek. Die hat ein Buch geschrieben, über ihre Erfahrungen dort, über die Angst und Wut der Bautzener, über Briefe von Ämtern und Demonstrationen. Eine persönliche Erzählung, die zusätzlich Wissen über die syrische Kultur sowie Statistiken und Fakten enthält.
Von Christin Rudolph
Deutschland ist das Ziel vieler Menschen auf der Flucht. Und oft mit hohen Erwartungen verbunden. Jasna Zajceks Buch „Kaltland – Unter Syrern und Deutschen“ zeigt auf, dass die Realität diesen Erwartungen nicht entspricht.
Stattdessen endlose Schlangen vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales, dem LaGeSo, das zum Sinnbild für die Überforderung der Behörden wurde. Ein gigantischer bürokratischer Aufwand für jede einzelne Person.
Und das lange Warten.Auf einen Termin für das alles entscheidende Interview – darf man bleiben oder nicht? Warten auf einen Brief vom Amt. Auf die Erlaubnis, endlich arbeiten zu dürfen.
Es ist kalt in Deutschland
Der Hauptschauplatz der Erzählung: Eine Asylbewerberunterkunft auf dem Land. In Sachsen, „dort, wo die meisten Flüchtlingsheime brennen.“
Dort wollte keiner der Geflüchteten hin. Und doch sitzen sie vorerst dort fest. In der Nähe von Bautzen. So gut wie ohne ehrenamtliche Flüchtlingshelfer. Fernab von Willkommenskultur. Im Winter.

Das Buch „Kaltland – Unter Syrern und Deutschen“ von Jasna Zajcek wird am 01. März 2017 beim Droemer-Verlag erscheinen; Bild: Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG
Die Autorin des Buches, Jasna Zajcek, ist mitten im Geschehen. Vor dem Ausbruch des Krieges in Syrien hat sie als Korrespondetin in Damaskus gearbeitet. Die Journalistin arbeitet für Arte und 3sat und schreibt für Taz, Spiegel online, FAS, Le Monde Diplomatique und die Welt. In ihrem sehr persönlichen Erlebnisbericht wird immer wieder der journalistische Hintergrund deutlich – das Buch aber ist sehr subjektiv.
Persönliches Willkommensjahr
Sie tritt in Facebookgruppen von Flüchtlingshelfern ein und in Facebookgruppen von Fremdenfeinden, um sich zu informieren, was die Menschen beider Lager umtreibt. Und sie mischt sich ihrer persönlichen Überzeugung nach ein und versucht Geflüchteten zu helfen.
Doch offiziell ist Frau Zajceks während der Handlung des Buches Deutschlehrerin für Geflüchtete. Das heißt, sie leitet, wie sie schreibt,
…eine Mischung aus Deutschunterricht und „So machen wir das hier in Europa“-Stunde.
In ihrem „persönlichen Flüchtlings-Willkommensjahr“ erlebt sie die Euphorie der Willkommenskultur und offene Fremdenfeindlichkeit. Hoffnung und Frustration gleichermaßen.
Wütende und ängstliche Bürger
Während aus der Ich-Perspektive ausschnittsweise chronologisch von Erlebnissen mit Geflüchteten erzählt wird, tauchen immer wieder Begegnungen mit „der anderen Seite“ auf – bei einer AfD-Wahlparty und einer Pegida-Demonstration oder Schaulustigen beim Brand einer zukünftigen Asylbewerberunterkunft.
Menschen, die wegen der Geflüchteten Angst um ihre Kindern haben. Wütende Bürger auf einer Informationsveranstaltung. Eine Gruppe, die eine Bürgerwehr bilden will.
In diesen Dialogen kommen diese Menschen zu Wort, legen ihre Ängste dar und erklären, warum sie keine Geflüchteten in ihrer Nähe oder überhaupt in Deutschland wollen. Diese Gespräche beschäftigen die Autorin, sie fragt sich genauso wie der Leser oder die Leserin, wie verbreitet zum Beispiel fremdenfeindliche Ansichten sind.
Alles Nazis?
In Bautzen zumindest scheint den Erzählungen nach die Stimme derer, die ängstlich und wütend sind, alle andere eventuell vorhandenen Einstellungen zu übertönen. Bei einer Bürgerinformationsveranstaltung zu einer geplanten Unterkunft für Asylbewerber melden sich ausschließlich Teilnehmer zu Wort, die sich in deutlicher Opposition zu den Plänen sehen.
Nach der Veranstaltung trifft die Autorin auf eine Frau, die die offen vorgetragene Fremdenfeindlichkeit ihrer Mitbürger schockiert. Die Herkunft der Frau, nämlich Hamburg, wird als Erklärung für ihre weltoffene Art herangezogen.
Ob sich ein Gespräch entwickelte, ist unklar – im Buch werden die Beschreibungen der Frau unkommentiert stehengelassen.
Dialog mit „den anderen“?
An einigen Stellen, wie etwa dieser, ist das schade. Denn es ist klar, dass die Autorin oft eine andere Meinung hat als ihr Gesprächspartner. Wenn der dann seine Sicht der Dinge dargelegt hat, wartet man als Rezipient förmlich auf die eigene Sicht der Autorin.
Man möchte, einmal überzeichnet ausgedrückt, dass jemand mal dem bösen Nazi so richtig die Meinung geigt. Man möchte von Reaktionen und Gegenreaktionen lesen, schließlich prallen Weltbilder aufeinander.
Ob es die gab, erfährt man jedoch oft nicht. Und da selten die Antworten der Autorin in Gesprächen aufgeschrieben sind, erfährt man auch nichts über eventuelle Reaktionen. Was ihre Gesprächspartner über Frau Zajcek denken, bleibt daher oft reine Spekulation.
Daten und Fakten – nicht nur Behauptungen

Jasna Zajcek. Foto: Falko Siewert
Bei Dialogen hält sich die Autorin selbst eher zurück. Ihre eigene Einstellung lässt sie trotzdem durchblicken. So schreibt sie etwa, ihre Freunde in Berlin hätten ihr zu Pfefferspray geraten, als sie in das Dorf in Sachsen aufmachte – gegen Nazis.
In ihren Beobachtungen schwingt oft Kritik mit. Etwa, wenn sie bemerkt, dass im Berliner Jobcenter die Nummern auf Berlinerisch und damit für Nicht-Muttersprachler unverständlich ausgerufen und nicht auf einer Anzeige präsentiert werde.
Immer wieder finden sich Fakten und Statistiken in die Erzählung eingefügt. Das sind Erklärungen zu Hintergründen wie dem Königsteiner Schlüssel oder dem Dublin-Abkommen, Rechercheergebnisse zu fremdenfeindlichen Security-Mitarbeitern in Heimen und Kriminalstatistiken, Statistiken zu Zahlen Geflüchteter aus Quellen wie etwa dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Eigene Erfahrungen in Syrien
Eine besonders wertvolle Bereicherung sind die Schilderungen der Autorin über ihr eigenes Leben in Syrien. Diese können zwar kein allgemeingültiger Maßstab sein – eine gebildete und selbstbewusste Ausländerin hat auch nach Jahren in Damaskus ein anderes Umfeld als das eine „Otto-Normal-Syrerin“ hat. Aber die Sicht der Europäerin im fremden Land ist eben authentisch.
Eine wertvolle Quelle. Denn ja, man weiß irgendwie schon, dass viele Muslime etwa bei Frauenrechten konservativer sind als viele Europäer – aber was heißt das genau?
Leben alle Syrer strikt nach dem Alkoholverbot, können Frauen auf Dauer zusammen mit Männern in einem Raum Deutsch lernen und was bedeutet für sie Toleranz?
Keine Universallösung
Durch ihre eigenen Erfahrungen kann die Autorin bei kulturellen Themen vermitteln – oder versucht es zumindest. Denn wenn die Männer im Heim die Küche regelmäßig verwüstet zurücklassen ohne zu putzen, dann kann Frau Zajcek dem Hausmeister erklären, dass das für viele muslimische Männer Aufgabe der Frau ist. Das ist erstmal einfach so.
Doch den Konflikt lösen kann sie vorerst nicht. Integration ist ein langer Prozess und geht nicht von heute auf morgen – das ist eine Binse.
Was das aber konkret heißt, welche Rückschläge und Konflikte es um „als selbstverständlich Gehaltenes“ gibt, das ist trotzdem auch für den Leser oder die Leserin manchmal frustrierend.
Einzelschicksale werden verfolgt
Gut lesbar und menschlich interessant machen das Buch jedoch die Einzelschicksale, die beleuchtet werden. Die drei jungen Männer im Heim, die motiviert sind und in Deutschland in ihrem Beruf arbeiten oder sich weiterbilden wollen. Die selbstbewusste Frau, die für sich und ihre vier Kinder ein besseres Leben will als in Syrien.
In den Monaten im Asylbewerberheim hat Jasna Zajcek mehr als Deutschunterricht nach Plan geleistet. Mit ein paar Syrern haben sie und damit die Leser des Buches so viel Zeit verbracht, dass man zu ihnen plötzlich eine Verbindung hat.
Nicht nur einer unter 69 Syrerinnen und Syrern in einem Heim irgendwo in Sachsen.
Seltene Einblicke
Daher interessiert auch, „wie es dann mit denen weiterging“. Monate später, nachdem die Autorin ihre Tätigkeit in dem Heim beendet hatte, besuchte sie tatsächlich ein paar ihrer früheren Schützlinge.
Die Entwicklungen in deren Leben sind teilweise erfreulich und voller Hoffnung. Andere sind schlicht besorgniserregend.
Repräsentativ sind diese Einzelschicksale und der Erlebnisse der Autorin Jasna Zajceks höchstwahrscheinlich nicht. Doch sie bieten wertvolle Einblicke.
Wie ist das so als Geflüchteter?
Denn Geflüchtete waren in den vergangenen zwei Jahren und sind immer noch Thema in Medien, in der Politik, in sozialen Netzwerken und „am Stammtisch“. Das Thema bewegt die Menschen.
Geflüchtete selbst sind Menschen mit Geschichten, Problemen und Schicksalen. Doch wirklich nah sind „die“ „uns“ meist nicht.
Wer kennt denn ganz persönlich einen Geflüchteten, mit dem man ab und zu mal Bier oder Tee trinken geht? Woher weiß man, wie das denn ist als Geflüchteter in Deutschland?
Persönliche Geschichte
Ein Heim im ländlichen Sachsen ist sicher nicht das beste Beispiel dafür. Sehr wahrscheinlich gibt es überall in der Bundesrepublik Geflüchtete, die andere Erfahrungen machen, andere Hintergründe haben und andere Probleme.
Aber ein Beispiel im Sinne als stellvertretend und repräsentativ muss und will dieses Buch nicht sein.
Das Buch bietet persönliche Geschichten, Ansichten verschiedener Menschen und Einblicke in den Alltag von Menschen, mit denen die meisten eher wenig zu tun haben – von Geflüchteten.
Informativ und hilfreich
Insofern kann es Vorurteile abbauen helfen, ohne den Eindruck zu erwecken, ständig zu romantisieren und Geflüchtete als perfekte Menschen darzustellen, die sich integrieren, sobald sie die Landesgrenze überqueren.
Eine neutrale Beschreibung der Ereignisse ist in der Position der Autorin jedoch kaum möglich. Als „die Wahrheit“ deklariert sie ihr Buch dementsprechend nicht und das ist gut so, weil damit die Glaubwürdigkeit wächst. Insofern sind die beschriebenen Erfahrungen wertvoll, weil sie subjektiv sind, aber nicht ideologisch gestylt.
Allerdings fordern sie einen kritischen Leser oder eine kritische Leserin, da nie ganz klar ist, was zwischen den Zeilen passierte.
Kaltland – Unter Syrern und Deutschen
Jasna Zajcek
Hardcover, Droemer HC
01.03.2017, 256 S.
ISBN: 978-3-426-27718-8
Zur Person:
Jasna Zajcek ist 1973 geboren, hat Islamwissenschaften studiert und viele Jahre in Damaskus gelebt. Sie ist Journalistin und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache. Zajcek arbeitet für Arte und 3sat und schreibt für Taz, Spiegel online, FAS, Le Monde Diplomatique und die Welt.
2005 erhielt sie den CNN Journalist Award für eine Undercover-Recherche in einem Ausbildungslager der US-Armee. Jasna Zajcek lebt in Berlin.