Berlin/Mannheim/Rhein-Neckar, 18. Juli 2016. (red) Extremismus in Deutschland nimmt zu. Nicht nur unter Deutschen, auch unter Ausländern. Größtenteils religiös motiviert, teils auch politisch. Die Anhängerzahlen salafistischer Gruppierungen nehmen seit Jahren zu. Der Verfassungsschutz warnt vor einem islamistischen Antisemitismus, der “die Juden” und Israel zum Feindbild erklärt. Denkbar ist nach Einschätzung der Behörden außerdem, dass es in Deutschland vermehrt zu Konflikten zwischen nationalistischen Türken und Kurden kommen wird – davon könnte die Region betroffen sein.
Von Redaktion
Politischer Extremismus in Deutschland ist ein Dauerbrenner in der öffentlichen Debatte. Dabei wird der Fokus allerdings häufig auf die deutsche Bevölkerung verengt. Doch auch unter Migranten und Ausländern gibt eine teils weit verbreitete Fremdenfeindlichkeit und tief sitzenden Rassismus.
Der Verfassungsschutz warnt insbesondere vor einem “islamistischem Antisemitismus”, der sich in erster Linie gegen Juden und Israel richtet. Im Bericht für 2015 heißt es dazu:
Antisemitismus ist nicht nur ein Agitationsthema von Rechts- und Linksextremisten, vielmehr stellt er auch ein konstitutives Element in der Ideologie des gesamten islamistischen Spektrums dar. (…) Antisemitische Stereotype schreiben „den Juden“ ein ganzes Arsenal negativer Eigenschaften und antiislamischer Weltverschwörungspläne zu, was die Ablehnung, Bekämpfung oder gar Vernichtung von Juden, wo immer sie auch leben, rechtfertigen soll.
Israel werde als Feindbild und “tyrannischer Unterdrücker des palästinensischen Volkes” dargestellt. Dabei würden nicht gezielt politische Maßnahmen des israelischen Staates kritisiert, sondern das Judentum generell zum Gegner und zur Gefahr für den Islam erklärt.
Wie weit diese Ansichten verbreitet sind, lässt sich nur schwer konkret benennen. Unserer Redaktion liegen Hinweise vor, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit – ähnlich wie bei der deutschen Bevölkerung – auch unter Migranten in allen Schichten der Gesellschaft vorkommen, auch wenn sich nur wenige offen und öffentlich dazu bekennen.
Dieser arabische Antisemitismus werde von Extremisten als Anknüpfungspunkt für Radikalisierungen gebraucht und sei geeignet, “latent vorhandene, antisemitische Ressentiments bei vielen Muslimen, zumal in orientalischen Ländern, zu verstärken”. Beispielsweise heißt es im Bericht:
Auch in der salafistischen Szene existieren Juden beziehungsweise der Staat Israel als erklärtes Feindbild.
Ähnlich wie im Rechtsextremismus würden “Juden als Drahtzieher einer weltweiten Verschwörung gesehen und kollektiv für verschiedenste Übel und Missstände verantwortlich gemacht”. In der Öffentlichkeit würde zwar weitgehend auf offen antisemitische Propaganda verzichtet.
“Signifikant steigende Anhängerzahlen”
Doch es gibt auch Gegenbeispiele – etwa die Äußerungen eines salafistischen Reiseprediger auf einer Kundgebung am 18. Juli 2014 in der Berliner „al-Nur-Moschee“. Darin sagte er im Rahmen eines Bittgebets:
Oh Allah, rechne mit den zionistischen Juden ab, sie können nichts gegen Dich tun. Zähle sie, töte sie alle und lass niemanden von ihnen übrig.
Das Amtsgericht Tiergarten hat den “Prediger” daraufhin wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Da er dagegen Berufung eingelegt hat, ist dieses Urteil bislang allerdings noch nicht rechtskräftig.
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Lesetipp: “Verbot hat erhebliche rechtliche Hürden”
“Salafisten dürfen den Koran verteilen”
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Salafistische Gruppierungen verzeichnen laut Verfassungsschutz indes “weiterhin signifikant steigende Anhängerzahlen”. Von 5.500 Mitgliedern im Jahr 2013 über 7.000 im Jahr 2014 auf etwa 8.350 Personen 2015. Zum Gefahrenpotenzial heißt es in der Einschätzung der Behörden:
Nach salafistischer Islamauslegung muss der universelle Geltungsanspruch des Islam aufgrund seiner Überlegenheit und nach göttlichem Heilsplan der gesamten Menschheit zuteil werden und notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden. Damit ist die grundsätzliche Bejahung von Gewalt ein immanenter Bestandteil salafistischer Ideologie.
Teil der Missionierungskampagnen sind unter anderem die (legalen) Koranverteilungsaktionen in verschiedenen Städten (unter anderem Mannheim). Nach Angaben der salafistischen Organisation “Die Wahre Religion”, die für die sogenannten “Lies”-Stände verantwortlich ist, hätten etwa 3.000 Aktive inzwischen rund drei Millionen Exemplare des Korans verteilt.
Einfache Lösungen für komplexe Fragen
Der Salafismus wolle eine “eingeschworene Gemeinschaft mit intensivem Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugen”, so der Bericht. Dies ziehe insbesondere diejenigen Personen an, “die sich von der Mehrheitsgesellschaft marginalisiert fühlen”:
Gerade ungefestigte Personen, die auf der Suche nach einem Lebenssinn, nach Orientierung und Sicherheit sind, werden durch das einfache salafistische Regelwerk angesprochen, welches das tägliche Leben bis in die Details hinein bestimmt. Der Einzelne wird zum Teil einer Elite, zum Vorkämpfer des „wahren Islam“, ausgezeichnet durch seine moralische Überlegenheit gegenüber einer Welt des Verdorbenen.
Gerade bei “jungen Menschen in der Identitätsfindungsphase” fänden salafistische Ideen oftmals Anklang, wenn “charismatische Leitfiguren der salafistischen Szene einfache Lösungen auf komplexe Fragen anbieten”.
Auch in Mannheim gibt es gefestigte salafistische Strukturen, die von Sicherheitsbehörden unter Beobachtung stehen. Informationen darüber, wie viele Personen in der Metropolregion salafistische, beziehungsweise radikal islamistische Positionen vertreten und bereit wären, für diese mit Gewalt zu kämpfen, liegen der Öffentlichkeit allerdings nicht vor.
Erhebliches Konfliktpotenzial
Nicht immer werden für den Extremismus religiöse Motive angeführt, sondern häufig auch politische, beziehungsweise nationalistische. Auf Amtsdeutsch wird das als das “Mitglieder- und Anhägerpotenzial nichtislamistischer sicherheitsgefährdender, beziehungsweise extremistischer Ausländerorganisationen” bezeichnet. Dieses belaufe sich auf gut 29.000 Personen:
Der größte Anteil entfiel mit 17.550 Personen auf linksextremistische Ausländergruppierungen, 10.000 Personen gehörten rechtsextremistischen Ausländergruppierungen an, 1.500 Personen waren gewaltorientierten separatistischen Ausländergruppierungen zuzurechnen.
Vergleicht man diese Zahlen mit deutschen Extremisten, ist der Anteil unter Ausländern also signifikant hoch. So zählt der Verfassungschutz rund 21.000 rechtsextreme Personen und rund 27.000 linksextreme – von 73 Millionen Deutschen. Aber zusammen knapp 30.000 unter 9 Millionen Ausländern und Migranten.
In vielen Fällen spielt sich extremistische Gewalt unter verschiedenen Ausländergruppierungen ab – über deutsche Opfer sind im Verfassungsschutzbericht diesbezüglich keine Angaben zu finden. Insbesondere zwischen den etwa 14.000 PKK-Anhängern (vor allem Kurden) und den bis zu 10.000 Unterstützern der Grauen Wölfe (vor allem Türken) könnte es in naher Zukunft vermehrt zu tätlichen Auseinandersetzungen kommen. Die Konfliktlage sei “ein beständiger Gefahrenherd für die innere Sicherheit in Deutschland”:
Die aufgeheizte Stimmung kann jederzeit zu spontanen Gewalteskalationen führen. Die schwere Körperverletzung eines Kurden in Hannover am 12. September 2015 ist Beleg für eine Gefährdungsdimension, in der auch Todesopfer nicht auszuschließen sind.
Der Verfassungsschutzbericht wurde Ende Juni veröffentlicht – nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei dürfte sich die Lage noch deutlich verschärft haben.
Vergangenen Samstag haben 800 Menschen, ganz überwiegend türkischer Herkunft, am Paradeplatz in Mannheim demonstriert. Die Stimmung war aufgeheizt – aber es blieb friedlich. Wenn allerdings nationalistische Türken auf Kurden und PKK-Sympathisanten treffen sollten, könnten vergleichbare Lagen schnell eskalieren.
Nach Einschätzung des Council on Foreign Relations gehört die PKK zu den weltweit aktivsten terroristischen Vereinigungen – gleichzeitig findet der Kampf kurdischer PKK-Anhänger gegen Daesh (“Islamischer Staat”) an den Grenzen zu Syrien und Irak international Beachtung und in Deutschland wurde über eine Aufhebung des Parteiverbots diskutiert, die allerdings nicht zustande kam.
Bedrohung für die Region
Die Grauen Wölfe verfolgen hingegen eine rechtsextreme Ideologie. Ihr Ziel ist die Errichtung eines ethnisch homogenen Staats unter Führung der Türken. Zentraler Teil der Weltanschauung ist auch hier der Antisemitismus. Im Verfassungsschutzbericht heißt es dazu:
Feinde sind die zu Gegnern des Türkentums und der Türkei erklärten Armenier, Griechen, Chinesen und Russen sowie Juden, Israel und die USA. Kurden werden mitunter pauschal als Terroristen diffamiert – in Postings in einschlägigen Internetforen wird zum Beispiel der Wunsch geäußert, sich dieser „Probleme“ durch Hinrichtungen zu entledigen.
Es ist also ohnehin ein erhebliches Konfliktpotenzial vorhanden. Die Stimmung war aufgeheizt – aber es blieb friedlich. Wenn allerdings nationalistische Türken auf Kurden und PKK-Sympathisanten treffen sollten, könnten vergleichbare Lagen schnell eskalieren.
Zeit für klare Bekenntnisse
In Mannheim ist das Personenpotenzial für beide Gruppierungen erheblich. Eine nächste große Demonstration ist für den 23. Juli angekündigt. Damit steigt die Gefahr, dass es zu einer Eskalation kommt.
Demokratische Kräfte – egal welcher Nation und Glaubensrichtung – sind also umso mehr in der Verantwortung, Haltung zu zeigen und sich klar zu den Werten unseres Grundgesetzes und der Erklärung der Menschenrechte zu bekennen.
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