Heidelberg/Rhein-Neckar, 29. Januar 2018. (red/pro) Es ist Ende Januar und alle warten gespannt auf die angekündigten weiteren Pläne für ein Zentrales Ankunftszentrum. Heidelberg insbesondere, denn man will endlich eine Perspektive zur Entwicklung von Patrick Henry Village, wo sich derzeit noch das Registrierungszentrum des Landes befindet. OB Dr. Würzner kündigt an, dass die Stadt nicht mehr gewillt ist, ohne konkreten Zeitplan hingehalten zu werden. Aber es gibt noch weitere „Großbaustellen“ in der Stadt.
Interview: Hardy Prothmann
Herr Oberbürgermeister Dr. Würzner, im Januar sollte es neue Informationen zum Thema „zentrales Ankunftszentrum“ respektive Patrick Henry Village geben. Wie ist der Stand der Dinge?
Prof. Dr. Eckhart Würzner: Ich hoffe, dass wir sehr bald eine sehr konkrete Aussage bekommen, in welche Richtung das jetzt weiter geht. Unsere Position ist klar: Wir haben das Land bisher immer unterstützt in allen Fragen gerade beim Thema Menschen auf der Flucht. Gleichzeitig ist das die einzige große Entwicklungsfläche, die wir jetzt noch haben. Wir haben die Südstadt und die Bahnstadt entwickelt, aktuell bringen wir das Hospital in die Entwicklung. Da sind die Planungsprozesse weitestgehend abgeschlossen. Und dann haben wir nur noch Patrick Henry Village.
Muss das komplette Gelände denn frei sein, man könnte ja auch Schritt für Schritt entwickeln?
Würzner: Nein, Schritt für Schritt geht nicht. Die Schwierigkeit ist, dass die Erstankunft mitten im Zentrum liegt. Ursprünglich war das ja als Interimslösung gedacht. Nur brauchen wir jetzt eine Lösung. Und die Lösung ist die, dass wir im Dezember einen Masterplan beschlossen haben, auf Basis internationaler Architektenwettbewerb, Bürgerbeteiligung, Diskussion selbst in Online-Foren mit unseren Städtepartnerschaften, mit Jugendlichen aus den Städtepartnerschaften. Wir könnten jetzt in die nächste Stufe gehen.
Mehr als zwei bis drei Hektar braucht es nicht.
Sehen Sie eine Lösung?
Würzner: Ja. Das ist Coleman. Wobei man dazu sagen muss, es geht letztendlich nicht um Coleman als Ganzes. Coleman hat eine Fläche von weit über 200 Hektar. Das ist ein riesiges Areal. Es geht hier um eine Größenordnung von vielleicht zwei bis drei Hektar, mehr braucht es eigentlich nicht für so eine Einrichtung. Coleman hat bestehende Gebäude. Es ist eigentlich vieles da, was man nutzen könnte. Das ist ein Prozess, der jetzt nicht von uns aus gesteuert werden kann. Wir sind uns da auf der regionalen Ebene eigentlich auch einig. Ich bin im engsten Kontakt mit Peter Kurz und mit Stefan Dallinger. Es ist die Aufgabe der Landesregierung, die verantwortlich ist für diese Erstankunftszentren, diese Verhandlungen zu führen und zu einem positiven Ergebnis zu bringen. Wir hören, es wird an einem Plan gearbeitet. Wir hören es wird auch zu konkreten Aussagen kommen. Das haben wir bei der Verlängerung im letzten Jahr aber auch schon gehört.

Oberbürgermeister Prof. Dr. Eckhart Würzner drängt auf einen konkreten Zeitplan zur Übergabe von PHV.
Eigentlich sollte Ende April die Nutzung PHV vorbei sein.
Würzner: Richtig. Wir haben dazu auch einen klaren Beschluss im Gemeinderat gefasst, der besagt es gibt keine weitere Verlängerung. Der Vertrag läuft jetzt Ende April aus. Das ist der Gemeinderatsbeschluss, den ich auch umsetzen muss. Es sei denn, es gibt eine konkrete Perspektive, mit der wir verbindlich planen können.
So ein Thema muss man bundesweit denken.
Ist es nicht vollständig unrealistisch zu meinen, bis Ende April könnte woanders ein Registrierzentrum eingerichtet werden, selbst wenn mit der US-Army und der Stadt Mannheim alles verhandelt worden wäre?
Würzner: Das ist unrealistisch. Das wissen wir auch. Man wird sicher mindestens ein halbes Jahr benötigen, um die Gebäude zu ertüchtigen: Strom, Wasser, Gas, Sanitärräume, dass ist alles vorhanden und muss nur angeschlossen werden. Ich würde mich dafür einsetzen, den Gemeinderat in diese Richtung mitzunehmen und denke, dass das Gremium bereit wäre, nochmals zu warten, wenn der Horizont klar wäre. Aber erst in vier bis fünf Jahren ist keine Perspektive, die mehrheitlich getragen werden wird. Das bremst uns voll aus.
Wir werden ohne konkreten Zeitplan nicht verlängern.
Sie haben die gute Zusammenarbeit betont und dass Heidelberg gerne dem Land zur Seite stand. Haben Sie den Eindruck, dass das Land auch Heidelberg zur Seite steht?
Würzner: So ein Thema kann man nicht lokal diskutieren, sondern muss es mindestens regional, wenn nicht landes- oder sogar bundesweit denken. Für uns stellt sich die Frage, warum wird eigentlich eine solche Erstankunft nur in Nordbaden diskutiert und nicht eher im Bereich der Landeshauptstadt, so wie in anderen Bundesländern? Dennoch haben wir uns dieser Verantwortung gestellt. Dennoch sind wir seit Jahren aktiv und ich gebe Ihnen Recht: Man wird irgendwann sauer, wenn aus Stuttgart keine klaren Signale kommen. Ich werde dem Gemeinderat nicht vorschlagen, jetzt Landwirtschaftsflächen zu bebauen, weil der Liegenschaftsnutzer der riesigen Konversionsfläche noch keine qualifizierte weitere Lösung gefunden hat. Deswegen bin ich da auch sehr konsequent und im Einklang mit dem Gemeinderat: Wir werden ohne konkreten Zeitplan nicht verlängern.

Fingerabdrucknahme im PHV. Archivbild
Gut gebrüllt. Sie haben aber keine rechtlichen Möglichkeiten.
Würzner: Unsere Möglichkeiten sind zwar begrenzt, das ist richtig, aber sie sind durchaus vorhanden. Es ist auch fraglich, inwieweit eine Einrichtung, die ja nie baurechtlich über einen Bebauungsplan oder ein normales Verfahren eine Entwicklung erfahren hat, weiter genutzt werden kann. In einer Krisensituation wie 2015 kann man sowas mal machen – aber diese Krisensituation gibt es momentan nicht mehr.
Haben Sie entsprechende Signale auch nach Stuttgart gesendet?
Würzner: Sie kennen doch meine Briefe. Die waren mehr als deutlich. Wir erwarten jetzt eine klare Lösung und ich bin sicher, es kann die auch geben. Es ist nicht zu erwarten, dass die US Army Coleman zeitnah aufgibt. Aber ich bin sicher, dass sie das kleine, ungenutzte Eck abgeben würden.
Sicherheit ist ein komplexes Thema.
Sie haben gesagt, man muss das Flüchtlingsthema gemeinsam denken und diskutieren. Wie kann das stattfinden?
Würzner: Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Frage. Wir haben das Thema in Heidelberg für meine Begriffe von städtischer Seite sehr intensiv aufgegriffen. Wir haben beispielsweise das Thema Unterkünfte für Menschen auf der Flucht in jedem Stadtteil mit Bürgerversammlungen besprochen. Natürlich gab es bei uns auch heftige Diskussionen. Die gab es in jeder Stadt. Wir hatten eine Situation, die sich für meine Begriffe am Anfang sehr schwierig dargestellt hat und auch völlig unterschätzt worden ist von der damaligen Landesregierung. Konflikte in Kirchheim haben wir lokal gelöst, mit einer eigenen Buslinie in die Innenstadt. Die haben wir zuerst selbst finanziert, weil die Landesregierung dort zu langsam reagiert hat. Unsere Ärzte haben sich eingebracht, das Uniklinikum. Aber ich will jetzt nicht in der Vergangenheit wühlen, das war eine Sondersituation. Wir haben das sehr gut geregelt. Heute läuft das Registrierungszentrum sehr ruhig.

Rathaus Heidelberg
Nun ja. Die Kriminalitätszahlen steigen. Und es kommt nach wie vor zu Konflikten in den Unterkünften.
Würzner: Das ist ein komplexes Thema, bei dem man differenzieren muss. Auch die innere Sicherheit in einer solchen Einrichtung ist wichtig und hat sich mit dem Polizeiposten deutlich verbessert. Die Kriminalität ist auch in Heidelberg gestiegen, das ist zutreffend. Aber nur zum Teil durch Menschen in der Einrichtung. Dazu kommen Personen, die illegal in den Banlieus von Städten in anderen europäischen Ländern lebten, Einbrecherbanden aus Osteuropa oder Kriminelle aus Südosteuropa, die sich beispielsweise legal hier aufhalten dürfen. Die haben mit der Erstankunft nichts zu tun.
Wenn Coleman kommen sollte – wird Heidelberg dann Mannheim unterstützen?
Würzner: Selbstverständlich. Wir sind in einem engen Austausch. Wir haben zudem eine regionale Arbeitsgruppe, die sich regelmäßig trifft. Man kann solche Herausforderungen, wie bereits gesagt, nur zusammen stemmen.
Nehmen wir mal an, PHV ist frei – welche Folgen hat das für Heidelberg in Sachen Flüchtlingsunterbringung?
Würzner: Das ist einfach zu beantworten. Wir erhalten dann nach dem Königsteiner Schlüssel 1,6 Prozent der Flüchtlinge in Baden-Württemberg zur Anschlussunterbringung zugeteilt, also etwa 1.500-1.600 Menschen. Darauf sind wir auch vorbereitet. Wir haben dezentral in jedem Stadtquartier die politische Diskussion bereits geführt, wo wir Menschen auf der Flucht eine Perspektive bieten können. Wir legen großen Wert darauf, dass diejenigen, die hier bleiben, für einen längeren Zeitraum, dezentral untergebracht werden müssen. Nicht zentral – das ist ganz wichtig. Für die Erstankunft ist eine zentrale Einrichtung absolut sinnvoll. Für eine längerfristige nicht. Eine Zuweisung müssten wir nicht auf einen Schlag stemmen, sondern nach und nach, das können wir leisten. Wir haben bereits 177 unbegleitete minderjährige Ausländer aufgenommen, obwohl wir das aktuell nicht müssten. Die sind sehr gut untergebracht, häufig in Familien. Das funktioniert gut.
Wachstumsräume explodieren förmlich – auch Heidelberg.
Wir stellen uns vor, die Stadt kann PHV endlich entwicklen. Löst das die Wohnraumprobleme in Heidelberg? Gerade von grüner Seite werden Sie massiv kritisiert, aber auch andere sagen: Das Wohnraumproblem wird nicht gelöst.
Würzner: Nicht vollständig. Und das habe ich auch immer deutlich gemacht – diese Aussagen sind von der Politik übernommen worden. Ganz ehrlich? Ich bin froh, dass die Politik dieses Thema jetzt endlich aufgegriffen hat, weil man sich endlich damit auseinandersetzt. Ich habe immer ganz klar gesagt: Wer der Meinung ist, dass wir unseren Wohnraumbedarf dadurch regeln, dass wir nur Regelwerke ändern, der irrt. Wir brauchen zusätzlichen Wohnraum. Wir haben jahrzehntelang keinen zusätzlichen Wohnraum geschaffen. Auch im sozialen Bereich. Nicht nur in Heidelberg, sondern bundesweit. In einer Annahme, das ist nicht notwendig, die Bevölkerung wird langsam schrumpfen. Die Situation hat sich völlig anders entwickelt. Wachstumsräume explodieren förmlich, dazu gehört auch Heidelberg. Es gibt einen enormen Druck, weil immer mehr Menschen in diese attraktiven Zentren wollen. Weil es gute Arbeits- und Lebensbedingungen gibt.

In der Heidelberger Bahnstadt entsteht Wohnraum für 5.500 Bewohnerinnen und Bewohner.
Foto: Steffen Diemer
Das ist natürlich einerseits wunderbar, diese hohe Attraktivität, aber sie schafft auch Probleme?
Würzner: Zuerst möchte ich das positiv feststellen: Wir können dankbar sein, dass wir diese hohe Attraktivität haben. Hier gibt es Jobs, hier gibt es Zukunft – auch für die Kinder. Das ist nicht überall so, wenn man sich nur Spanien anschaut oder andere Länder und Regionen mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 30, 40, 50 Prozent. Neuer Wohnraum ist ein Problem, deswegen bauen wir ja massiv. Wir haben mit der Südstadt bundesweit eines der größten nicht Sozialwohnungsbau-Quartiere. Genau das wollen wir nämlich nicht, sondern wir wollen eine vernünftige Mischung, bei der aber insbesondere auch das Segment bezahlbarer Wohnraum für den einfachen Normalverdiener, für die Krankenschwester, für den Polizisten, für die Menschen im Dienstleistungsbereich, schaffen. Mit fast 400 Millionen Euro Investition ist es bundesweit das größte Bündnis von sozialen Wohnungsbauträgern, die wir zusammengebracht haben. Denen haben wir die Grundstücke zur Verfügung gestellt und damit können die günstig bauen. Wir brauchen aber auch Patrick Henry Village, weil eine gute Stadtentwicklung darauf achtet, nicht Landwirtschaftsflächen und Grünflächen zuzubauen, denn die sind Teil der Attraktivität.
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Selbstverständlich kann es auch in die Höhe gehen.
Wer nicht in die Fläche geht, muss irgendwann in die Höhe…
Würzner: Selbstverständlich. Es kann auch in die Höhe gehen. Wir bauen auch deutlich höher als früher. Seit ich im Amt bin, gab es keine innerstädtische Einfamilienhaus-Siedlung mehr. Wir haben bei der Bahnstadt Drei- bis Viergeschossigkeit. In zentraler Lage kann ich mir fünf bis sechs Geschosse vorstellen. Das haben wir in Bergheim und in der Weststadt auch. Damit erreichen wir auch eine notwendige Dichte für einen öffentlichen Nahverkehr, für geschäftliche Infrastruktur.
Sie können bauen, so viel sie wollen, nicht alle werden ins attraktive Heidelberg ziehen können.
Würzner: Stimmt. Heidelberg ist eine eine Einpendler-Stadt, wie alle Oberzentren. Fast 70 Prozent aller Beschäftigten wohnen nicht in Heidelberg. Das ist in der Vergangenheit auch schon so gewesen. Deswegen müssen wir immer Stadt und auch die Region denken. Das eine ist ohne das andere nicht vorstellbar.
Die Sozialquote von 30 Prozent, die in Mannheim beschlossen worden ist, ist das eine Perspektive für Heidelberg?
Würzner: Wir haben auf der Konversionsfläche Südstadt 70 Prozent aller Wohnungen im Bereich “bezahlbarer Wohnraum”: 5,50 bis 8 Euro ist “bezahlbar”. Wir haben einen Durchschnitt bei unseren 6.000 Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, der liegt bei 6 Euro Euro. Eine normale Wohnung kostet bei uns 12 Euro den Quadratmeter.
Wir müssen den Eingriff am Hauptbahnhof jetzt machen. Es wird große Verkehrsbehinderungen geben, aber danach ist es deutlich besser.
Ich meinte nicht den städtischen Bestand der SGB, sondern neue Gebiete.
Würzner: Die Stadt muss sich entwickeln – mit einer guten sozialen Durchmischung. Nur sozialer Wohnungsbau schafft einseitige Milieustrukturen, was wir nicht wollen. Aber das andere müssen wir ganz aktiv fördern. Deswegen kaufen wir die ganzen Flächen von der BImA, das ist ja unser Erfolgsmodell. Wir kaufen sie, bilden eigene Gesellschaften, entwickeln die Flächen, und geben sie als Eigentümer an die Partner, die sich an unseren Quoten orientieren und versuchen nicht nur über das Baurecht, Quotierungen zu erreichen. Das ist wesentlich.
Es gibt sehr viele Verkehrsprojekte in diesem Jahr. Wenn ich mir allein den Hauptbahnhof anschaue, das wird eine enorme Baustelle. Mit welchen Beeinträchtigungen muss man rechnen?
Würzner: Ich bin glücklich, dass wir es geschafft haben, eines der größten öffentlichen Nahverkehrs-Infrastruktur-Projekte Deutschlands mit einer entsprechenden Förderung umzusetzen. Die erste neue Straßenbahn haben wir schon in die Bahnstadt gebaut. Am Hauptbahnhof haben wir eine Umsteigebeziehung, die ist nicht mehr das, was man heutzutage erwarten kann, wenn man in einem Oberzentrum ankommt. Ja, die Bauphase wird uns in diesem Jahr im Sommer und im Herbst massiv tangieren, genauso wie die Baustelle Straßenbahnanschluss neue Straßenbahn von der Bahnstadt zur Speyerer Straße. Dort haben wir Bauzeiten von 6-8 Wochen in den Sommerferien. Ich hoffe, dass wir diesen Korridor halten. Aber egal wie: Wir müssen diese Eingriffe jetzt machen und es ist ein Eingriff am offenen Herzen, wie man so schön sagt. Wir müssen da auch mit großen Verkehrsbehinderungen rechnen. Wir bereiten uns soweit es möglich ist, darauf vor. Es wird belastend, aber danach ist die Verkehrssituation deutlich verbessert.
Die Ansiedlung neuer Unternehmen ist aus Ihrer Sicht positiv oder könnte noch mehr kommen?
Würzner: Wir sind kein Altersheim, wo man noch ein paar schöne Jahre miteinander verbringen will, sondern wir sind eine Stadt – und das ist auch der Auftrag an den Oberbürgermeister – diese Stadt für die Zukunft attraktiv zu halten. Dazu gehören alte und neue Arbeitsplätze. Deswegen ist für uns das Thema Digitalisierung so wichtig, wie auch das Thema Ausbau der Wissenschaft, von der wir erheglich leben und der wir eine Perspektive für die Zukunft bieten müssen. Und die wir mit Unternehmen zusammenbringen wie im neuen Technologiepark, Heidelberg Innovation Park. Das sind relativ bescheidene Flächen, also im Vergleich zur Größenordnung der Wohnflächen, aber die müssen wir entwickeln, den Standort für entsprechende Unternehmen attraktiv zu machen.
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Die Datennetze gehören in kommunale Hand.
Digitalisierung ist unabdingbar an ein leistungsfähiges Netz gebunden. Wie steht Heidelberg hier da?
Würzner: Gut, aber wir müssen viel besser werden. Ich bringe das Thema mit anderen Kollegen im Deutschen Städtetag voran, weil wir das Big Pictures sehen müssen. Wir Kommunen haben die Verantwortung für Gas, für Fernwärme, für Abwasser, für Wasser, für Strom. Überall sind wir derjenige, der garantieren muss, dass es dafür eine Versorgungssicherheit gibt. Das ist Daseinsvorsorge für die Bevölkerung. Nur bei der Telefonleitung hat man das für nicht notwendig erachtet. Gut – das war damals auch ein anderes Medium. Man hat ja nur telefoniert. Heute ist die Datenleistung die wichtigste Infrastrukturmaßnahme. Es ist aber die einzige, die nicht in der Zuständigkeit der Kommunen liegt. Und darin liegt das Problem. Dadurch haben Sie in Deutschland einen Flickenteppich von Erschließungsachsen, die dadurch bedingt ist, dass man “rose picking” betreibt, man nimmt sich die attraktivsten Linien raus. Ich vergleich das mal mit England, da hat man die hochattraktiven Bahnlinien privatisiert, die sind auch toll gelaufen, aber der Rest ist nicht erschlossen und eine Katastrophe. So entwickelt sich das aktuell in Sachen Datennetz in Deutschland. Hochleistungsnetze sind ein absolut wesentliches Strukturthema, das man wegen einer stark liberalen Wirtschaftspolitik der Privatwirtschaft überlassen hat. Und das ist ein großer Fehler.
Da sind wir wieder bei der Ansiedlung von Unternehmen. Die gehen nirgendwohin, wo es keine Hochleistungsnetze gibt.
Würzner: Genau, deswegen sind wir auch eine der ersten Städte, die ihre eigenen digitalen Stadtwerke gegründet haben. Da könnte man fragen, wieso das denn? Das machen doch die Privaten. Nein, das machen die eben nicht. Nachdem wir diese Einrichtung gegründet haben, gab es bei uns auf einmal eine große Aktivität von den Privaten, die auf einmal aufwachten und jetzt ihre Netze viel stärker ausbauen – in Konkurrenz zu uns. Es ging nicht darum, dass wir das machen wollten. Wir müssen aber eine Struktur haben, die garantiert, dass wir eine gute Versorgungssicherheit haben. Für die Infrastrukturachsen wie die Schiene, aber eben auch die Datenleitung müssen der Bund, das Land, die Kommune zuständig sein. Was auf den Infrastrukturachsen fährt, das kann privatisiert werden. Die aktuelle Situation wird ein Problem bleiben, weil die Privatwirtschaft niemals ein Interesse hat, ein Gebiet anzuschließen, das eine geringe Dichte hat. Und ein Gewerbegebiet zum Beispiel hat auch eine per se erstmal geringe Dichte. Da sind die Zuführungskosten sehr hoch. Wir sagen: Wir müssen unbedingt dieses Gebiet anschließen, damit wir dort überhaupt eine Entwicklung ermöglichen.
Was müsste passieren, um das zu ändern?
Würzner: Da ist der Bund zuständig und der muss stärker handeln als bisher. Es ist doch ganz einfach zu verstehen: Warum ist Deutschland so leistungsfähig? Weil wir eine hervorragende Infrastruktur haben im Vergleich zu andern Ländern. Ob beim Verkehr oder der Versorgung. Beispiel Bankenwesen: Das Herz der Wertschöpfungskette wird über Sparkassen und Volksbanken regional finanziert – die finanzieren nicht Staudämme irgendwo, sondern Investitionen vor Ort. Oder unsere deutschlandweit 700 Stadtwerke: Die stellend die Versorgung vor Ort sicher. Das muss auch für Datennetze gelten.
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