Kandel/Speyer, 29. Januar 2018. (red/pro) Die angebliche “Bürgerdemo” basiert auf Organisatoren, die der AfD zuzurechnen sind oder mindestens deren Umfeld. Nach unseren Recherchen ist beispielsweise Christiane Christen, frühere stellvertretende AfD-Landesvorsitzende und im Rhein-Pfalz-Kreis aktiv, involviert. Das angebliche “Frauenbündnis Kandel” ist eine politische Tarnkappe, wie unsere Recherchen zeigen. Möglicherweise haben auch Rechtsradikale ihre Hände im Spiel. Unser Kommentar ordnet die Lage ein.
Kommentar: Hardy Prothmann
Wer sind die Organisatoren des “Frauenbündnis Kandel”? Anmelder der Demo mit rund 1.000 Teilnehmern in Kandel (9.000) Einwohner ist angeblich ein Marco Kurz, der aus Mannheim stammen soll und von der Tageszeitung “Die Rheinpfalz” in der “Reichsbürgerszene” eingeordnet wird. Herr Kurz selbst sprach bei der Demo von einer “Anmelderin”.
Recherchen zeigen ein Afd-nahes Umfeld
Zum Ende der Veranstaltung wies Herr Kurz darauf hin, dass man sich zu weiteren Demos, beispielsweise am 3. März wieder in Kandel, auf der Website kandel-ist-ueberall.de informieren könne. Diese Seite verfügt über kein Impressum, wird allerdings von einer Vitamin C GmbH, einer Werbeagentur in Speyer, betrieben. Deren Geschäftsführerin ist Christiane Christen, bis Jahresende 2017 stellvertretende Vorsitzende der AfD Rheinland-Pfalz.
Unter den Redner/innen waren auch die baden-württembergische Landtagsabgeordnete Dr. Christina Baum (AfD) sowie die frühere AfD-Stadträtin Myriam Kern (Landau). Weiter trat der Mannheimer Werbefilmer Imad Karim auf, der zahlreiche “PR-Interviews” mit AfD-Politikern gemacht hat und diese auf Youtube zeigt. Für den erfolglosen AfD-Bundestagskandidaten Dr. Malte Kaufmann (Heidelberg) hatte er einen Imagefilm gedreht.
Schon eine erste Recherche zu den handelnden Personen zeigt also, dass das “Frauenbündnis Kandel” aus dem AfD-Umfeld kommt und dort organisiert wird.
Wie kommt es aber nun, dass der rheinland-pfälzische AfD-Chef Uwe Junge angeblich vor einer “offiziellen” Teilnahme von AfD-Politikern gewarnt haben soll?
Das könnte mit dem offenen Streit zwischen Herrn Junge und Frau Christen zusammenhängen – die war nicht mehr als Stellvertreterin bei der Wahl im Dezember angetreten und übte heftige Kritik am Vorstand, insbesondere Herrn Junge. Hat man also bei der AfD-Spitze Sorge, mit einer Gemengelage aus Reichsbürgern, Neonazis, Hooligans und Neurechten in einen Topf geworfen zu werden?
Hinter dem “Frauenbündnis Kandel” steckt ein rechts(radikales) Netzwerk
Tatsache ist: Das “Frauenbündnis Kandel” ist keine bürgerliche, parteiferne Organisation. Dahinter stecken Protagonisten aus dem rechten bis rechtsextremen Lager. Was nicht heißt, dass die Teilnehmer allesamt über den rechtsextremen Kamm geschoren werden können.
Viele Bürger/innen machen sich zu Recht Sorgen um die innere und die eigene Sicherheit – Sorgen, die durch andere politische Lager mit “Nazis raus”-Rufen beantwortet werden. Das ist höchst bedenklich, weil dadurch auch “besorgte Bürger” in die rechte Ecke gedrängt werden könnten, was sie dann möglicherweise akzeptieren.
In Mannheim hat beispielsweise der AfD-Kandidat Rüdiger Klos vollkommen unerwartet der SPD das letzte Direktmandat im Norden abgenommen. Zuvor gab es massive Demos gegen AfD-Veranstaltungen im Vorfeld der Landtagswahl. Darunter eine, bei der alte Menschen und Frauen von Linksradikalen bespuckt, geboxt und zu Boden gebracht worden waren.
Pegida in Kandel
Skandierungen von “Merkel muss weg”, “Volksverräter” und “Lügenpresse” erinnern stark an die Pegida-Demos in Dresden. Deren Hochzeit, was die Teilnehmerzahlen angeht, ist längst um. Waren es am 12. Januar 2015 rund 25.000 Demonstranten (andere Quellen geben 17.000 an), waren es 2017 zwischen 1.-3.000 Demonstranten. Damit ist eine Teilnehmerzahl von rund 1.000 (nach Polizeiangaben, wir waren nicht vor Ort und haben keinen eigenen Eindruck) Personen als tatsächlich sehr große Demo einzuschätzen – vor allem in einem Ort mit 9.000 Menschen.
In Kandel gab es nach unseren Recherchen keine offenen, rechtsradikalen Wortbeiträge – zwischen den Zeilen aber schon. Der Fokus richtete sich klar gegen Zugewanderte, “Grenzen zu” und “Abschiebung” waren die zentralen Forderungen sowie eine klar ablehnende Haltung gegenüber der “etablierten” Politik.
Zustände verschärfen sich
Wenn, wie geschehen, dabei aufgerufen wird, sich “auf der Basis des Grundgesetzes zu wehren”, wird es absurd, wenn gleichzeitig der Rechtsstaat und seine Prinzipien abgelehnt werden. Das wollen viele nicht begreifen – aber der Rechtsstaat gilt nicht nur für Deutsche, sondern für alle Menschen im Land.
Wir hatten als erstes Medium eingeschätzt, dass der Mord von Kandel ein Politikum werden wird.
Dies hat mit veränderten Rahmenbedingungen zu tun. Nach dem Massenzustrom von Menschen in der zweiten Jahreshälfte 2015 und zwar nachlassenden, aber immer noch deutlich hohen weiteren Zuwanderungen 2016 und 2017 verändern sich die Wahrnehmung und auch die Erfahrungen. Zunächst wurden die Zugewanderten vor allem in Städten oder “auf der grünen” Wiese untergebracht, dann auf die Kreise weiterverteilt und kommen seit einiger Zeit in den Kommunen an.
Großstädte sind durch eine höhere Kriminalitätsrate geprägt und anonymer als der ländliche Raum. Der Mord in Freiburg mag da noch als eine Art “Kollateralschaden” gewirkt haben – in Kandel steht ein kleiner Ort Kopf. “Kandel ist überall” als Slogan ist natürlich Quatsch – Kandel ist nicht überall, weil eben nicht überall Morde stattgefunden haben. Richtig müssten es heißen, “Kandel kann überall sein”.
Diese berechtigt sorgenvolle Sicht kann man Bürger/innen nicht absprechen. Die Informationspolitik der Staatsanwaltschaft Landau, die erstmal in Deckung ging, trägt nicht zu transparentem und nachvollziehbarem Handeln der Behörden bei.
Die Frage, wieso es mehrere Wochen dauern soll, bis ein Altersgutachten des angeblich erst 15 Jahre alten Tatverdächtigen erstellt worden sein wird, ist ebenfalls berechtigt. Wer mutmaßt, dass hier versucht wird, “Ruhe einkehren zu lassen”, liegt vermutlich nicht sehr falsch. Wer mutmaßt, hier solle etwas vertuscht werden, liegt vermutlich sehr falsch.
Planlose Politik
Tatsache ist, dass die Politik offenbar keinen Plan hat, wie Krisenkommunikation geht und auch keinen, wie man absehbare Probleme vorausschauend löst. Dass es zu einer Zunahme der Kriminalität durch “einige” der Zugewanderten kommen würde, war absehbar. Dass sehr viele kein Bleiberecht haben würden, ebenso. Dass speziell junge Männer für erhebliche Probleme sorgen würden, kann keine Überraschung sein, junge Männer sind die Bevölkerungsgruppe mit den meisten Tätern – und Opfern.
Von besonderer Brisanz ist, dass Deutschland als Staat die Massenzuwanderung niemals ohne ehrenamtliche Hilfe hätte bewältigen können. Diese wurde, weil sich sehr schnell sehr viele Menschen engagierten, als “selbstverständlich” angenommen. Doch diese Selbstverständlichkeit geht zurück, noch nicht rasant, aber fortschreitend. Wenn dann in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, dass insbesondere nicht wenige, die in erheblichem Umfang von staatlicher Hilfe profitieren, also unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, diese Hilfe ausnutzen und eigentlich Erwachsene sogar betrügerisch unter den Schutzmantel des Staates schlüpfen können, dann wird das nicht mehr verstanden werden. Dann könnte das, wie das der Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) in seinem “Brandbrief” formuliert hat, als “Staatsversagen” gesehen werden.
Radikale Kräfte
Subversive, radikale Kräfte versuchen genau diese Sicht zu befördern – gefährlich ist, dass sie berechtigte Sorgen der Bürger/innen ernst nehmen und auch benennen, aber sicher keine Ziele für ein friedliches, demokratisches Zusammenleben verfolgen.
Gefährlich ist auch, dass viele AfD-Forderungen tatsächlich auch umgesetzt worden sind, nachdem man alle in der AfD zu Rechtsradikalen stempeln wollte. Schließung der Balkanroute, vermehrte Abschiebungen – dafür wurde die AfD durch etablierte Parteien und viele Medien geprügelt. Letztlich wurden diese Forderungen Realität (“Obergrenze”) und die AfD kann so tun, als habe sie das alles erreicht. Dabei war es klar, dass eine Verminderung der Zuwanderung allein schon aus pragmatischen Gründen geboten war.
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Typische Reflexe – Instrumentalisierung aller Orten
Aktuell gibt es wieder die erwartbaren Reflexe. Die AfD wird gebrandmarkt und wehrt sich mit “Lügenpresse”-Vorwürfen und einem “Kartell der Altparteien”.
Die Bürger/innen schauen mit offenem Mund zu und verstehen die Welt nicht mehr – weil man irgendwie nicht AfD sein will, aber einen Teil derer Forderungen als “ok” versteht und nicht erkennen kann, dass die etablierten Parteien sich anstrengen, dringende und drängende Probleme zu lösen. Das verschafft allen möglichen Akteuren, die “gegen das System” agieren wollen, einen Boden, der zwar zunächst nicht “fruchtbar” erscheint, aber auf dem es zu Keimen beginnt. Aus fruchtbar kann schnell furchtbar werden.
Der Versuch, den Mordfall Kandel zu instrumentalisieren, ist klar erkennbar. Darüber kann man sich “aufregen” und das abscheulich finden. Nicht erkennbar ist hingegen, dass die regierenden politischen Entscheider eine Antwort haben, die Vertrauen schafft.
Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kandel, Volker Poß, hat einen sehr entscheidenden Fehler gemacht. Er hat sich auf die Seite von 150 Gegendemonstranten gestellt und damit die Chance nicht wahrgenommen, vor 1.000 anderen Bürgern, ob jetzt aus Kandel oder aus anderen Orten, zu sprechen. Vermutlich ist Herr Poß mit der Lage komplett überfordert – wie so viele, die erwartbar reagieren, statt zu agieren.
Der Rechtsstaat muss sich wehren – jetzt
Es ist niemandem zu vermitteln, dass man sich bedingungslos und pauschal “schützend” vor angebliche Flüchtlinge stellen soll, wenn ein solcher gerade ein junges Mädchen ermordet hat. Vermittelbar ist einzig und allein, dass man sich schützend vor die gesamte Bevölkerung stellt – dazu gehören auch “Gäste”, aber nicht die, die das Gastrecht massiv bis hin zum Mord missbrauchen.
Die Organisatoren des “Frauenbündnis Kandel” haben keine demokratisch-freiheitlichen Ziele. Sie wollen einen “Widerstand” organisieren – auch dieses Wort wurde skandiert. Gegen den Staat und damit letztlich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Die muss sich dagegen wehren, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln. Und zwar aktiv, konsequent und entschlossen. Alles andere treibt die Menschen auf die Straße und auf die Seite von Leuten, die ebenfalls nichts Gutes im Schilde führen.
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