Mannheim/Rhein-Neckar/Berlin, 12. Januar 2018. (red/pro) Journalismus ist eine ungeschützte Berufsbezeichnung. Jeder kann sich Journalist nennen. Ganz gleich, ob man kompetent oder grenzdebil ist. Aktuell hat sich die rechte Zeitung „Junge Freiheit“ auf Mannheim eingeschossen und sieht die Stadt als „Vorbote des Kriegs in den Städten“. Mit Journalismus haben die Veröffentlichungen in der rechten Postille wenig zu tun, dafür aber umso mehr mit einer aggressiven rechtspopulistischen Agenda, die nicht analytisch informieren will, sondern rechtspopulistisch agitiert.
Von Hardy Prothmann
Ich kenne die Ratschläge: Einfach ignorieren. Gib denen doch keine Aufmerksamkeit, damit machst Du die doch erst relevant. Sorry, das ist nicht mein Verständnis von Journalismus. Mein Job ist Aufklärung und kein Schweigegelübde. Die Menschen sollen sich mit Informationen selbst eine Meinung bilden.
Junge Freiheit verzeichnet steigende Auflage
Die Junge Freiheit ist relativ relevant. Sie hat mit rund 30.000 Exemplaren wöchentlich keine große Auflage, aber sie ist nach Einschätzung anderer so etwas wie eine rechte „taz“. Wieder andere meinen, dass die Zeitung das Zentralorgan der AfD ist oder sogar, dass die AfD sich ihre politischen Inhalte aus dieser Zeitung extrahiert. Markant ist die Auflagensteigerung – 2008 hatte die Wochenzeitung knapp 16.000 Exemplare Auflage, 2017 sind es fast 30.000 Exemplare. Seit 2013 stieg die Auflage rasant – entgegen dem Trend in der Zeitungsbranche, wo man mit zwei bis drei Prozent Verlust pro Quartal ganz zufrieden ist.
In der Ausgabe 2/18 vom 05. Januar „berichtet“ ein Boris T. Kaiser über „kriminelle Nordafrikaner“, die in Mannheim „für Unruhe sorgen“. Der weitestgehend ohne erkennbar eigene Recherche geschriebene Text referiert das Problem mit unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen, die durch eine hohe kriminelle Energie auffallen.
Breiernde Berichterstattung
Die wesentlichen Inhalte haben wir exklusiv berichtet – seit 2015. Dazu kommen aktuell in der Jungen Freiheit aber Mutmaßungen, die sehr bemüht sind, irgendeine Alarmstimmung zu erzeugen und dabei einfach nur Brei erzeugen. Flankiert wird der Bericht durch einen Kommentar und ein Youtube-Video, krampfhaft bemüht, Zusammenhänge herzustellen, wo keine sind.
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Silvester in Mannheim wird als Ausnahmezustand definiert (hier der Link auf das Video, auch, wenn es weh tut…). Die konkrete Recherche unserseits auf Nachfrage bei der Polizei ergibt: 1 Delikt (sexuelle Belästigung, 29-Jähriger aus Guinea fasst 32-Jähriger an die Brust). 1 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Mannheim-Neckarau nach Verhinderung einer Trunkenheitsfahrt. 1 Unterstützung DRK im Karolingerweg in Seckenheim, nachdem ein betrunkener 27-Jähriger mit Kopfverletzung nach Sturz gegenüber Rettungskräften renitent wurde. Insgesamt 8 Körperverletzungsdelikte (3x einfach, 5x gef.KV). Zusätzlich 1 Raub-Delikt. 1x gefährliche Körperverletzung wechselseitig am Paradeplatz (Schlägerei mit mehreren Beteiligten, beschuldigt sind ein 19-jähriger Afghane und 29-jähriger Iraner). Hinter dem Wasserturm stellten Aufklärungskräfte eine Gruppe von rund 100 nordafrikanischen Flüchtlingen fest, die sich überwiegend friedlich verhielten.
Fakten gegen Fake News
Auf Anfrage teilt die Polizei mit:
Das Polizeipräsidium Mannheim wurde – vorhersehbar aufgrund vergangener Silvesterfeierlichkeiten – durch eine hohe Einsatzbelastung gefordert. Diesem Umstand wurde durch eine personelle Aufstockung (u.a. durch die Einsatzzüge aus Mannheim und Heidelberg) entsprochen. Im Vergleich zu den Vorjahren ist die hohe Einsatzbelastung an Silvester allerdings nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen.
Ein merklicher Rückgang von feiernden Personen konnte entgegen der „Berichterstattung“ in der Jungen Freiheit nicht verzeichnet werden, was sich laut Polizei ebenfalls in der Einsatzbelastung widerspiegelte. Bereits gegen 01:00 Uhr hatten sich die Silvesteraktivitäten im Außenbereich weitestgehend erledigt.
Schaut man hingegen das Youtube-Video der Jungen Freiheit, sieht man einen larmoyanten Imad Karim, der den Untergang des Abendlandes direkt vor Augen hat und seinen Opferstatus beschwört.
Imad Karim ist angeblich ein TV-Journalist – nur seit sehr langer Zeit ohne TV-Veröffentlichungen. In den 90-iger Jahren hatte er einige Produktionen für ARD-Sender realisieren können. Doch das ist sehr lange her. Sein Brot verdient er als Werbefilmer, was ihn nicht davon abhält, sich „Regisseur“ und „TV-Journalist“ zu nennen. Wie gesagt, das darf er, es handelt sich um ungeschützte Berufsbezeichungen. (Gilt auch für alle Mitarbeiter beim Rheinneckarblog.)
Doch was ist von einem Film zu halten, der voller Fehler wimmelt? Da wird eine Vergewaltigung genannt, die angeblich unter der Neckarbrücke stattfand. Das ist falsch. Sie fand mehrere hundert Meter entfernt davon statt. Richtig ist, dass unter der Neckarbrücke und links und rechts davon gedealt wird. Merkwürdig ist, dass eine Referenzperson, eine Frau, von Ängsten berichtet, des Nachts dort joggen zu gehen, während sie in vollkommener Dunkelheit ihre Sorgen vorträgt, also nachts joggt.
Animierter Journalismus
Der Film zeigt einen offensichtlich alkoholisierten Typen, der „Ich liebe Deutschland, ich liebe Merkel“ ruft, animiert durch Imad Karim. Und außerdem wird eine Silvesterrakete gezeigt, die nicht nach oben steigt, sondern zwischen Füßen losgeht.
Reicht das, um den Ausnahmezustand in Mannheim zu belegen? Der Jungen Freiheit reicht das nicht. Ein Michael Paulwitz beschwört begleitend in einem Kommentar „Vorboten des Krieges in den Städten“ und meint: „Die Bombe tickt“.
Der Kommentar in dieser rechten Zeitung bedient alle Reflexe des Rechtsradikalismus durch gnadenlose Übertreibung.
Angie ist schuld – für alles
Dieter Stein, Gründer und Chefredakteur der Jungen Freiheit antwortet auf unsere Anfrage, ob er den Titel des Videos „Merkels Erbe: Ein verunsichertes Land“ für „gelungen“ hält:
Aufgrund der – weitgehend illegalen – Masseneinwanderung der vergangenen Jahre sind die Deutschen zutiefst verunsichert. Deutschland ist ein verunsichertes Land und die Stadt Mannheim steht – ähnlich wie Köln und andere deutsche Großstädte – mit den Problemen insbesondere bei MUFLs symbolisch für die negative Entwicklung der Sicherheitslage, die Angela Merkel als Kanzlerin zu verantworten hat.
Auf unsere Fragen zur journalistischen Kompetenz eines Boris T. Kaiser oder eines Imad Karim reagiert Herr Stein ausweichend. Ebenso zu Fragen, wer für das Video verantwortlich zeichnet, wer also Reporter, Redakteur, Kameramann war. Eigentlich eine Standardangabe – für Herrn Stein ungewöhnliche Fragen, die er nicht beantworten will.
Wesentliche Unterschiede
Die Junge Freiheit will das Tötungsdelikt von Kandel als Mord bezeichnen. Dafür habe man eine „Zeugenaussage“. Auch das Rheinneckarblog hat als erstes Medium in Zweifel gestellt, ob das Tötungsdelikt nur ein Totschlag war, ob es Mord war, müssen die Ermittlungen erbringen, auf „Zeugenaussagen“ geben wir nichts.
Das sind sehr wesentliche Unterschiede im weiten Feld des freien Journalismus. Man kann kritisch berichten, man kann sogar propagandistisch berichten. Auf unsere Anfrage, ob es sein könnte, dass die Junge Freiheit komplexe Themen überwiegend vereinfacht rechtspopulistisch zusammenmixt, antwortet Herr Stein:
Für die redaktionelle Arbeit der Jungen Freiheit sind hohe journalistische Standards selbstverständlich. Ihren Eindruck können wir uns nur damit erklären, daß unsere Berichterstattung nicht in Ihr Weltbild passt.
Damit liegt Herr Stein richtig, sofern er unser journalistisches Weltbild meint. Denn bei der Jungen Freiheit sind aus unserer Sicht keine hohen journalistischen Standards erkennbar, sondern nur die erbarmungslose Ausreizung der Meinungsfreiheit bis an die Schmerzgrenze.
Unbekannte Reporter
Das Rheinneckarblog berichtet seit 2011. Wir haben auf genau keinem Termin einen Boris T. Kaiser oder einen Imad Karim gesehen. Bei keiner Pressekonferenz, bei keiner langwierigen Gemeinderatssitzung oder sonstigen Terminen. Auch keinen Redakteur der Jungen Freiheit.
Wir können in der „Berichterstattung“ keine relevanten eigenen Recherchen erkennen, sondern nur ein Abseiern längst veröffentlichter Informationen, die rechtspopulistisch in Form gebracht werden, aber inhaltlich weitestgehend für jeden Experten als überwiegend kenntnisfrei zu beurteilen sind. Der angebliche hohe journalistische Standard in der Jungen Freiheit ist Second-Hand-Journalismus, der jeden Standard unterläuft.
Dazu tragen „Journalisten“ vor, die massiv in rechten Szenen vernetzt sind und eben überhaupt keine breite Meinungsbildung beabsichtigen. Sie tragen nicht „Für und Wider“ vor, sondern agitieren eindeutig. Sie präsentieren sich als Journalisten, sind aber ideologisch klar parteilich der AfD zuzuordnen. Das hat mit unabhängigem und kritischem Journalismus mal gerade gar nichts zu tun, sondern ist eindeutige Propaganda.
Junge Freiheit nutzt die Meinungsfreiheit – staatlich garantiert
Der türkische Staatspräsident Erdogan hätte diesem Treiben längst Einhalt geboten. Aber wir leben ja nicht in der Türkei, sondern im Land der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit. Diesem Grundgesetz verdankt die Junge Freiheit die Möglichkeit, grundsätzlichen Blödsinn zu verbreiten und das als Journalismus zu verkaufen. Bei erheblich steigender Auflagenzahl, die trotzdem eher marginal ist, aber aus unserer Sicht trotzdem relevant, weil diese Zeitung unter dem Mantel des Journalismus massive rechte Agitation betreibt. Mit zunehmendem Erfolg.
Von einer ausgewogenen Berichterstattung ist dieses Blatt schon immer mehr als entfernt gewesen. Aktuell nutzt es nach Belieben zum eigenen Vorteil Verunsicherungen. Allerdings vollends fern von einer nachhaltigen Aufklärung, was auch nicht weiter stört, wenn eine spezielle Klientel den Stoff bekommt, nach dem es lechzt und sabbert.
Die Junge Freiheit hat mit der AfD einen massiven Schub erhalten, bei dem sich die Zeitung und diese Partei gegenseitig befruchten. Sie wird, sofern die AfD einbricht, massiv an Einfluss verlieren. Sofern das nicht der Fall ist, ist das Gegenteil anzunehmen.
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Wie so oft zeichnet das Rheinneckarblog als erstes Medium auf, was problematisch werden könnte. Und dabei geht es definitiv darum, was Herr Stein erkannt hat: Die „Berichterstattung“ der Jungen Freiheit hat definitiv nichts mit unserem „Weltbild“ von Journalismus zu tun.
Ordinärer Trash – getarnt als politischer Journalismus
Was die Junge Freiheit bietet, ist ordinärer, rechter bis rechtsradikaler Trash. Abgeschriebener Journalismus, der sich woanders bedient, weil es an eigener Leistung fehlt. Teilinformationen sind zutreffend, der Remix ist eindeutig tendenziös.
Wie niveaulos das Blatt ist, zeigt sich an den Protagonisten wie Boris T. Kaiser und Imad Karim. Der eine ein in der Selbstdarstellung „krasser“ Blogger, der irgendwie beunruhigend wirkt, der andere ein weinerlicher „Agnostiker“, dem man aus mitmenschlichen Gründen gerne einen Beruhigungstee kochen möchte, in der Hoffnung, dass er sich kein Leid antut, um für den Weltfrieden als Märtyrer zu enden. Beide sind klare Sympathisanten der AfD – bei beiden ist jeder Zweifel an einem „unabhängigen und seriösen“ Journalismus mehr als angebracht.
Leider sind diese Gestalten nicht zu ignorieren. Sie haben Einfluss. Sie sind extrem gut vernetzt und bedienen eine wachsende „Gegenöffentlichkeit“ (siehe unten verlinkte Artikel). Leider beschäftigen sich „seriöse“ Medien mit diesen neuen Gestalten eher nicht, weil man denkt, man könnte sie ignorieren.
Ignoranz ist immer ein Fehler. Mal schauen, ob das Rheinneckarblog mal wieder lange Zeit vor anderen Recht behalten wird.
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