Kandel, 26. Januar 2018. (red/pro) Nach dem Tötungsdelikt am 27. Dezember 2017 im südpfälzischen Kandel, bei dem ein 15-jähriges Mädchen durch einen angeblich 15-jährigen Afghanen durch Messerstiche in einem Drogeriemarkt getötet worden war, hat es Anfang Januar bereits zwei Kundgebungen mit erheblichen Spannungen gegeben. Am Sonntag könnte die Lage eskalieren, da Rechtsradikale massiv zur Teilnahme einer Demo eines „Frauenbündnis Kandel“ aufrufen – dagegen hält ein „Aktionsbündnis Aufstehen gegen Rassismus“ sowie linksradikale Gruppen. Im Internet gehen die Wogen hoch – es kommt sogar zu Mordaufrufen.
Von Hardy Prothmann
Der Marktplatz in Kandel (Kreis Germersheim) wird für Fahrzeuge am Sonntag ab 12.00 Uhr komplett gesperrt, teilt die Verbandsgemeinde Kandel mit. Das „Frauenbündnis Kandel“ startet mit einem Demonstrationszug um 15 Uhr in der Lauterburger Straße, zieht dann durch die Bahnhofstraße, die Marktstraße bis zum Marktplatz. Ende der Demonstration ist um 18 Uhr. Das „Aktionsbündnis Aufstehen gegen Rassismus“ veranstaltet seine Demonstration von 14.30 bis 17 Uhr ausschließlich auf dem Marktplatz.
Mobilisierung durch Rechts- wie Linksradikale
Im Vorfeld wird massiv durch Rechtsradikale zur Teilnahme an der Demo des „Frauenbündnis Kandel“ aufgerufen – der Aufruf wird nicht nur auf rechtspopulistischen Internetseiten und über Facebook beworben, sondern auch durch die frühere Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld (erst Bündnis90/Die Grünen, dann CDU), die heute eher der rechtskonservativen AfD oder weiter rechtsaußen zuzuordnen ist. Diese schreibt auf ihrer Seite:
Seit der Bluttat von Kandel erfahren wir fast täglich von neuen Gewalttaten. (…)Die Medien tun alles, um die grausamen Taten zu verharmlosen. (…) Die Politik zeigt jeden Tag, dass sie nicht willens ist, gegen die Ursachen der immer größer und brutaler werdende Gewaltwelle etwas zu unternehmen. Im Gegenteil. Die Verhandlungen über eine „stabile“ Regierung zwischen Union und SPD beweisen, dass die Einwanderung nicht gebremst, sondern ausgeweitet werden soll. (…) Das Chaos, in das die Politik unser Land treibt, kann nur von uns Bürgern noch verhindert werden. Der organisierten Verantwortungslosigkeit der Politik muss ein entschiedenes „Nein“ entgegengesetzt werden. Die Frauendemonstration in Kandel muss der Anfang eines entschlossenen Widerstands werden.
In der rechten Facebook-Gruppe „Deutschland mon amour“ mit fast 30.000 Mitgliedern, die der AfD-nahe Mannheimer Werbefilmer Imad Karim ins Leben gerufen hat, gibt es Dutzende Posts, die zum „Widerstand“ aufrufen. Weiter würden Flüchtlingsinitiativen „deutsche Mädchen mit „Migranten“ verkuppeln und einige meinen, der „Bürgerkrieg sei nicht mehr weit“.

Imad Karim bedankte sich persönlich beim Anmelder Anfang Januar, der nun auch die „Frauendemo“ angemeldet haben soll, Marco Kurz, den die Tageszeitung „Die Rheinpfalz“ zur radikalen Reichsbürgerszene rechnet.
Erhebliches Konfliktpotenzial
Laut Rheinpfalz werden bei der Demo „Frauenbündnis Kandel“ rund 150 Teilnehmer erwartet, bei der Gegendemo 90. Anfang Januar waren es insgesamt rund 500 Menschen.
Nach unseren Informationen werden gewaltbereite Rechtsradikale aus Karlsruhe vor Ort sein – aber auch gewaltbereite Antifa-Radikale unter anderem aus Mannheim.
Sollte der massive Aufruf entsprechenden Erfolg haben, muss mit weit mehr Menschen gerechnet werden, die in Kandel (9.000 Einwohner) demonstrieren werden. Konflikte zwischen rechts- und linksextremen Gruppen dürfen dann als ausgemacht gelten. Die Polizei wird mit einem Großaufgebot vor Ort sein müssen, um ein gewalttätiges Aufeinandertreffen beider Seiten zu verhindern.
Nicht nur Kandel ist ein Politikum
Nach dem Mord an der 15-jährigen Mia soll es zu erheblichen Drohungen, vor allem durch emails an den Bürgermeister Volker Poß (SPD) und Vertreter von Flüchtlingshilfeorganisationen gekommen sein. Die rheinland-pfälzische Integrationsministerin hat sein kurzem gar Personenschutz, wie die Allgemeine Zeitung in Mainz berichtet hat. Im Bericht wird allerdings differenziert dargestellt, dass Politiker fast aller Parteien bedroht werden und bereits Angriffe wie auch erhebliche Sachschäden durch angezündete Autos erleben mussten.
Der Mord von Kandel, dass war vom ersten Moment an klar, emotionalisiert enorm – insbesondere durch die Umstände. Bislang ist nur bekannt, dass der mutmaßliche Mörder und das Opfer bis kurz vor der Tat eine Beziehung hatten. Dann soll es zu mindestens einem Gewaltdelikt des Tatverdächtigen gegenüber einer anderen Person gekommen sein. Weiter soll der Tatverdächtige sein späteres Opfer bedroht und beleidigt haben, was zu Strafanzeigen führte. Noch am Tag der Tat wurde die Polizei in Neustadt beim Tatverdächtigen vorstellig (wohin dieser einige Wochen vorher verlegt worden war), um ihm persönlich eine Ladung auzuhändigen.
Wenige Stunden später sollen Tatverdächtiger und Opfer ein erstes Mal in Kandel aufeinandergetroffen sein, dann soll der mutmaßliche Mörder in einem Supermarkt ein großes Küchenmesser gekauft haben, mit dem er kurz darauf das Mädchen in einem Drogeriemarkt mit mehreren Stichen getötet haben soll. (Anm. d. Red.: Wir schreiben bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung immer „Tatverdächtiger“ und „mutmaßlich“ und im Konjunktiv.)
Weiter gibt es erhebliche Zweifel, ob der Tatverdächtige Asylbewerber, dessen Antrag Anfang 2017 abgelehnt worden war, tatsächlich erst 15 Jahre alt ist. Die Staatsanwaltschaft Landau hat mittlerweile vor Gericht beantragt, dass eine Altersfeststellung durchgeführt wird. Auf Anfrage bestätigte die Leitende Oberstaatsanwältin Andrea Möhlig uns, dass dies genehmigt sei, aber noch einige Wochen Zeit benötige.
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Im Kontext weiterer Straftaten von Migranten, wie dem Mord von Freiburg oder anderen Gewalttaten, ist die öffentliche Debatte um Altersfeststellungen, härteren Strafen und Abschiebungen vollständig entbrannt. Dieser Fall ist ein wenig „untergegangen“. Auch hier griff ein Afghane ein junges Mädchen kurz vor Weihnachten 2017 an, wie das Darmstädter Echo berichtete:
Ein 16 Jahre alter Junge hat am Freitagabend (22.) ein 17 Jahre altes Mädchen lebensgefährlich mit einem Messer verletzt. Wie die Staatsanwaltschaft und die Polizei mitteilen, waren die Jugendlichen gegen 20.40 Uhr in der Schepp Allee aufeinandergetroffen, woraufhin der 16-Jährige mehrfach mit einem Messer auf seine ehemalige Freundin eingestochen haben soll. Diese wurde durch die Tat schwer verletzt, ist mittlerweile aber außer Lebensgefahr.
Zweifellos sind solche Gewalttaten erheblich besorgniserregend. Und der Fall Kandel ist ein Politikum, weil nur die bekannten Reflexe erkennbar sind. Die einen wüten mit Schaum vorm Maul, die anderen wiegeln ab.
Die Staatsanwaltschaft Landau hat sich selbst so eine Art Nachrichtensperre auferlegt und teilt nur wenig mit. Professionelle Krisenkommunikation geht anders. Das Rheinneckarblog hat sich daraufhin beim Innen- und Justizministerium beschwert. Vom Justizministerium erhielten wir Antwort, zunächst allgemein zum Landespressegesetz und dann diesen Satz:
Im Übrigen wäre im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass bei Sachverhalten, die Jugendliche betreffen, Zurückhaltung bei der Auskunftserteilung geboten ist. Der Gesetzgeber hat hier durch seine Entscheidung, die Hauptverhandlung der Öffentlichkeit zu entziehen, deutlich gezeigt, dass die Interessen jugendlicher Straftäter großes Gewicht haben.
Die Interessen jugendlicher Straftäter haben also „großes Gewicht“? Das wird der Bevölkerung nur schwer zu vermitteln sein – insbesondere, wenn sich herausstellen wird, dass der Tatverdächtige sich durch eigene Angaben zum Minderjährigen machte und der Gesetzgeber das nach Treu und Glauben so hinnimmt und solche Personen einer aufwändigen und sehr kostenintensiven Jugendhilfe zuführt. Das bringt viele Menschen auf die Palme und ist Brennstoff für rechtspopulistische bis rechtsradikale Kreise.
Von empörten Kommentaren bis über Wutreden kommt es dabei sogar zum Mordaufruf (siehe letzten Sceenshot unten), beispielsweise auch im Forum „Deutschland mon amour“. Wir haben aktuell Strafanzeige gegen Imad Karim als Verantwortlichem und gegen den Verfasser erstattet.
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Dokumentation von einigen Wut- und Hassposts bei „Deutschland mon amour“:

Kuppelvorwürfe gegen Flüchtlingshelfer.

Flüchtlingshilfe als „protestantisches Multikultibordell“ verunglimpft.

Seit dem 31. Dezember 2017, 17:09 Uhr steht der Mordaufruf „Bürgermeister soll gehängt werden, er ist schuldig“ bei „Deutschland mon amour“ online.