Rhein-Neckar/Karlsruhe/Stuttgart, 24. Juli 2017. (red/pro) Der Landesrechnungshof Baden-Württemberg in Karlsruhe hat sich in seiner aktuellen „Denkschrift 2017) eindeutig für den Standort Patrick-Henry-Village (PHV) in Heidelberg als Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) mit der Funktion eines zentralen Ankunftszentrums ausgesprochen. Kritisiert werden insgesamt landesweit zu hohe Ausgaben bei der Unterbringung von Flüchtlingen, „verfahrensökonomische Mängel“, also die Registrierung und Bearbeitung von Asylanträgen zwischen beteiligten Behörden, die zu lange Bearbeitungszeiten erzeugten sowie Millionenkosten für ungenutzte Unterbringungsplätze.
Von Hardy Prothmann
Der Landesrechnungshof Baden-Württemberg spricht sich klar für den Betrieb von Flüchtlingsunterkünften in vorhandenen Gebäuden aus, insbesondere in ehemaligen Kasernen:
Landeserstaufnahmeeinrichtungen können auf ehemaligen Kasernenarealen am wirtschaftlichsten betrieben werden. Dazu muss sichergestellt sein, dass sie mindestens eine Aufnahmekapazität von 1.000 Plätzen haben und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Aufgaben dort auch mit ausreichend Personal wahrnimmt.
Klare Empfehlung für den Standort PHV
Und weiter zum Standort Heidelberg mit dem Registrier- und Ankunftszentrum:
Das Land sollte daher durch Absprachen mit Bund und Standortkommunen dafür Sorge tragen, die bestehenden Einrichtungen in Kasernen im erforderlichen Umfang langfristig fortführen zu können. Dies gilt insbesondere für das Ankunftszentrum im Patrick-Henry-Village Heidelberg.
In einem ausführlichen Beitrag „Wirtschaftlichkeit von Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes für Flüchlinge“, beschreibt der Landesrechnungshof die Entwicklungen in den Jahren 2015/2016. Danach sollen laut „interministerieller Lenkungsgruppe“ rund 19.500 Unterbringungsplätze vorgehalten werden, die im Bedarfsfall kurzfristig bis zu 38.000 Plätze aufgestockt werden könnten.

Registrierung auf Patrick Henry Village im Registrierungszentrum. Archivbild
Im Mai 2016 habe das Land insgesamt 36.218 Plätze an 32 Standorten für die Erstaufnahme von Flüchtlingen bereitgehalten. Davon entfielen mit 12.370 Plätzen etwa 30 Prozent auf die Landeserstaufnahmeeinrichtungen in Karlsruhe, Mannheim, Meßstetten, Sigmaringen und Ellwangen, so der Landesrechnungshof. Weitere 4.000 Plätze waren im Registrierungs- und Ankunftszentrum im Patrick-Henry-Village Heidelberg vorgesehen. Die restlichen Plätze verteilten sich auf weitere Erstaufnahmeeinrichtungen, die vor allem im Herbst 2015 bedarfsorientiert geschaffen worden waren.
Seit Mai 2016 seien aber nur durchschnittlich 20 Prozent der vorhandenen Plätze belegt gewesen, was rund 7.250 Plätzen entspricht. Wegen der geringen Auslastung würden also mehrere tausend Plätze im Stand-by-Betrieb vorgehalten, mit Mietverträge bis 2020. Hier empfiehlt der Landesrechnungshof die Kündigung von Verträgen sowie die Aufgabe von nicht-geeigneten Standorten:
Hierdurch entsteht ein jährlicher Aufwand in Millionenhöhe durch Betriebskosten und Mieten für leer stehende Gebäude. Sie werden u. a. kontinuierlich bewacht, beheizt und beleuchtet. Die Sanitärinstallationen müssen regelmäßig durchgespült werden, um Verkeimung durch Legionellen zu vermeiden.
Horrende Kosten
Besonders negativ wird die Schaffung von 250 Containerplätzen in Tübingen hervorgehoben. Hier entstanden Baukosten von sage und schreibe 44.000 Euro pro Platz, insgesamt kostete das den Steuerzahler 11 Millionen Euro. Zum Vergleich: Die Baukosten auf dem Patrick-Henry-Village lagen bei 2.200 Euro und kostete für 4.000 Plätze demnach nur 8,6 Millionen Euro. Oder anders ausgedrückt, für drei Viertel der Kosten in Tübingen wurde die 16-fache Kapazität hergestellt.
Ein geplanter LEA-Neubau mit 500 Plätzen in Mannheim hätte pro Platz unglaubliche 78.000 Euro und insgesamt 39 Millionen Euro gekostet – dieses Projekt wurde aufgegeben.
Das größte Potenzial für eine wirtschaftliche Sicherstellung der Erstaufnahme besteht darin, das Verfahren der Flüchtlingsaufnahme durch das Land und die Durchführung des Asylverfahrens durch den Bund zu optimieren und besser aufeinander abzustimmen. Der Landesrechnungshof betont:
Das von allen Beteiligten angestrebte Ziel einer raschen Registrierung und Entscheidung über Asylbegehren kann nur erreicht werden, wenn landesseitige und BAMF-seitige Kapazitäten einrichtungsscharf aufeinander abgestimmt und ausreichend dimensioniert sind. Dies setzt eine deutlich bessere Kooperation des BAMF voraus.
Hier kritisiert der Landesrechnungshof insbesondere das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und fordert, ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen. Auch hierzu wird das Patrick-Henry-Village in Heidelberg als „Leitbild“ hervorgehoben:
In seinem Leitfaden weist das BAMF darauf hin, dass die Konzeption dann erfolgreich ist, wenn das Ankunftszentrum in einer für die Abläufe geeigneten Liegenschaft errichtet wird. Es führt beispielhaft auf, dass bei 100 Registrierungen und Anträgen je Tag alleine für seine Mitarbeiter rund 35 bis 40 Einzelbüros, 4 bis 6 Warteräume und 3 bis 5 Besprechungsräume benötigt werden. Die Konzeption wurde im Ankunftszentrum Heidelberg mit entwickelt und wird dort seit über einem Jahr umgesetzt.
Im Land könnten jährlich 50.-70.000 Asylanträge bei optimalen Bedingungen entschieden werden, würde man die durchschnittliche Bearbeitungszeit von zwei Tagen für Fälle erreichen, die als aussichtslos gelten, könnte die Kapazität sogar noch deutlich gesteigert werden. Zum Vergleich: 2015 kamen 185.000 Flüchtlinge nach Baden-Württemberg von denen rund 100.000 im Land verblieben.
Dringend Gesetzesreformen notwendig
Weiter empfiehlt der Landesrechnungshof neue Konzepte und Kapazitäten von mindestens 1.000 Plätzen:
Denkbar wäre die temporäre Errichtung vorhandener Leichtbauhallen, wärmegedämmter Zeltanlagen (analog Bundeswehr bzw. Technisches Hilfswerk) oder Systemlösungen aus der Camping- und Freizeitarchitektur. Diese sollten bis zum Bedarfsfall in Hallen des Stand-by-Betriebs zentral eingelagert werden.
Diese Forderung ist von besonderer Brisanz, weil sie belegt, dass offenbar seit 2015 zu wenig auf der Seite des Gesetzgebers getan worden ist, um die über Monate chaotischen Zustände aus 2015 bei künftigen Ausnahmelagen zu vermeiden:
Der Rechnungshof empfiehlt, das Flüchtlingsaufnahmegesetz zu reformieren. Parallel hierzu sollte eine Bundesratsinitiative für eine Reform des Asylgesetzes gestartet werden. Ziel der Reformen sollte es sein, starre Regelungen zur Verweildauer in Einrichtungen der Erstaufnahme sowie definierte Wohn- und Schlafflächenstandards in der vorläufigen Unterbringung zu flexibilisieren. Den betroffenen Stellen muss ermöglicht werden, zu Spitzenzeiten flexibel auf Anforderungen zu reagieren.
Auch diese Analyse hat es in sich, denn sie zeigt auf, dass über lange Zeit der Rechtsstaat wohl teils außer Kraft gesetzt war:
Der Rechnungshof bleibt bei seiner Auffassung, dass die gesetzlichen Regelungen keinen ausreichenden Handlungsspielraum eröffnen. Vorschriften müssen auch in außergewöhnlichen Situationen eingehalten werden können. Die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes konnten die Flüchtlingskrise nur dank eines überobligatorischen Einsatzes bewältigen.
Städtebauliche Entwicklung vs. Flüchtlingsregistrierung
Das Innenministerium unterstütze die Empfehlung des Landesrechnugnshofs, Kasernenareale weiter zu nutzen, weist aber darauf hin, dass eine landesseitige Nutzung dieser Liegenschaften stark mit den kommunalpolitischen Interessen an einer städtebaulichen Entwicklung dieser Konversionsflächen konkurriere. Langfristige Vereinbarungen mit den Standortkommunen seien daher in der Regel nur schwer zu erreichen. Sprich: Die Stadt Heidelberg beansprucht im Zuge der Konversion diese Flächen für sich, ebenso wie Mannheim die Spinelli Barracks, wo 2023 eine Bundesgartenschau abgehalten werden soll – in Zukunft soll die Fläche einen Grünzug in der Stadt bilden. Die Planungen sind hier schon sehr weit vorgetrieben.
Das Land hat Pläne, auf den Coleman Barracks im Norden Mannheims (Sandhofen) ein zentrales Ankunftszentrum zu errichten, doch die Fläche ist nicht frei, da sie noch von der US Army genutzt wird. Ende des Sommers wird die US Army möglicherweise ihre weiteren Planungen bekanntgeben. Die Fraktionen von CDU und Bündnis90/Die Grünen im Mannheimer Gemeinderat lehnen diese Nutzung strikt ab, die Stadtverwaltung hält sich in der Bewertung noch zurück.
Gegen Coleman spricht die erneute Investition von mindestens acht, eher mehr Millionen Euro, um das Gelände für ein Registrierungszentrum nutzbar zu machen. Außerdem wären die investierten Steuergelder in Heidelberg dann verloren. Auch andere Kräfte wie ärztliches Personal, Beförderungsdienstleister sowie die Polizei – um nur einige zu nennen – müssten ihre aktuell funktionierenden Abläufe neu ordnen.