Mannheim/Rhein-Neckar, 19. Juli 2018. (red/pro) Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat gegen den Gründer und Redaktionsleiter von Rheinneckarblog.de, Hardy Prothmann, einen Strafbefehl beim Amtsgericht Mannheim beantragt. Dieser wurde bereits erlassen. Danach wurde eine Geldstrafe von 9.000 Euro verhängt. Es wurde umgehend Einspruch eingelegt. Interessant: Zahlreiche Medien berichten bereits und geben einen Dreck auf die journalistische Sorgfaltspflicht. Nur zwei drei Redaktionen haben bislang eine Stellungnahme angefragt.
Von Hardy Prothmann
Das Amtsgericht Mannheim ist dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls am 12. Juli gefolgt und hat mich zu einer Geldstrafe von 9.000 Euro verurteilt.
Diese ergibt sich aus 90 Tagessätzen zu 100 Euro. Gegen diesen Beschluss hat mein Strafverteidiger Maximilian Endler umgehend mit Posteingang am 17. Juli Einspruch eingelegt. Es kommt also zu einer Gerichtsverhandlung.
Die Staatsanwaltschaft ermittelte zunächst wegen einer „Störung des öffentlichen Friedens“, Betrugs und einer Persönlichkeitsrechtsverletzung.
Zwei Ermittlungen eingestellt
Die Persönlichkeitsrechtsverletzung soll ich begangen haben, weil ich eine kurze Audioaufnahme veröffentlicht habe, die auf unseren Anrufbeantworter gesprochen wurde. Darin werde ich übelst beschimpft und mir wird Gewalt angedroht. Die Staatsanwaltschaft hat dieses Verfahren eingestellt, weil sie kein „Opfer“ der Persönlichkeitsrechtsverletzung gefunden hat. Ich wurde Opfer der verbalen Attacke, auch dieses Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, weil sich der Täter nicht ermitteln ließ.
Den Tatverdacht des Betrugs hat die Staatsanwaltschaft Mannheim offenbar nicht weiter verfolgt. Eine „betrügerische“ Handlung wollte die Behörde offenbar zunächst darin erkannt haben, dass ein Teil des Artikels erst hinter eine Bezahlschranke zu lesen war – allerdings gegen ein Probe-Abo für 30 Tage zu 0 Cent. Offenbar hat die Staatsanwaltschaft Mannheim rechtzeitig erkannt, wie irrsinnig dieser Tatverdacht war.
Wer hat eigentlich die „Störung des öffentlichen Friedens“ wann, wie festgestellt?
Bleibt die angebliche Störung des öffentlichen Friedens. Hier folgte das Amtsgericht zunächst den Angaben der Staatsanwaltschaft Mannheim, die entgegen ihres Auftrags nur angebliche Belastungsbeweise vorlegt, aber keine entlastenden Ermittlungsergebnisse. So werden als Beweismittel spätere Texte in anderen Medien aufgeführt, nicht aber, dass wir die Thematik „Terror, Medien und Gesellschaft“ in zahlreichen Artikeln weiter inhaltlich teils hochdifferenziert bearbeitet haben. Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat also vorsätzlich und ausschließlich Beweise gegen mich gesammelt und den Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ (Im Zweifel für den Angeklagten) komplett missachtet.
Interessant: Ich wollte der naheliegenden Frage nachgehen, wie viele „besorgte“ Anrufe es denn gegeben habe? Und womit eine angebliche „Störung“ des öffentlichen Friedens denn festgestellt und belegt sei? Dazu habe ich von Polizei und Staatsanwaltschaft Mannheim als „Beschuldigter“ keine Auskunft erhalten. Kein anderes Medium, das zur Sache berichtet hat, hat offenbar versucht, Antworten auf diese Fragen zu bekommen. Wie viele Anrufe gab es denn tatsächlich? Wurden irgendwo Menschen in Panik festgestellt? Mussten Feuerwehr und Polizei irgendwohin ausrücken? Nach unseren Informationen waren es einige wenige Anrufer. Selbst wenn ein Dutzend Menschen angerufen hätte: Sind ein Dutzend Menschen „die Öffentlichkeit“?
Staatsanwaltschaft ignoriert Gesamtkontext
Weiter ignoriert die Staatsanwaltschaft Mannheim die Kunst- und Pressefreiheit wie auch zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen, dass immer der Gesamtkontext zu betrachten ist. Es gab nie einen Artikel, der ausschließlich einen fiktionalen Terroranschlag thematisiert hat, sondern es gibt nur einen Artikel, an dessen Beginn ein Terroranschlag fiktional geschildert ist.
Danach erfährt der Leser unmissverständlich, dass die Einstiegsszene fiktional, also erfunden ist. Danach thematisiert der Artikel wesentliche zeitgeschichtliche und gesellschaftliche Fragen im Zusammenhang mit einer abstrakten und auch konkreten Terrorlage in Deutschland. Und danach haben mehrere Autoren in rund einem Dutzend Artikel Themen wie „Medien und Terror“ und Medienkompetenz aufgegriffen.

Das Amtsgericht Mannheim teilt zu diesem von uns verwendeten Foto mit: „Belegt wurde dieses drastisch geschilderte Szenario mit blutiger Kleidung/Verbandsmaterial“. Sehen Sie irgendwo „Kleidung“? Sieht dieses Foto aus wie der Beleg eines hundertfachen Mordes und hunderter Verletzter? Das Foto zeigt übrigens einen „Handwerkerverband“ nach einer Schnittverletzung im Haushalt und besteht aus Abklebeband und Küchenrollenpapier, wie man unschwer erkennen kann.
Bezahlschranke als „Hindernis“
Die Beurteilung der Staatsanwaltschaft Mannheim und des Amtsgerichts Mannheim, der Leser hätte erst eine Bezahlschranke „überwinden“ müssen, halten wir für vollständig absurd. Zu Ende gedacht fordern die Behörden nach dieser Logik dazu auf, journalistische Inhalte grundsätzlich kostenlos zur Verfügung zu stellen, was die Abschaffung von unabhängigem Journalismus bedeutete.
Leser, die nicht bereit waren, sich zu registrieren, um zunächst kostenfrei den gesamten Artikel lesen zu können, haben mit ihrer Weigerungshaltung bewusst und frei entschieden, dass sie den gesamten Inhalt nicht kennen wollten. Leser, die auf gesamte Inhalte verzichten und sich aus Teilinformationen eine Meinung bilden wollen, dürfen das tun. Auch die dümmste Meinung ist von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Bei dem realistisch geschriebenen Artikel, der insgesamt über 20.000 Mal aufgerufen worden sei, sei nicht für jeden Leser sofort erkennbar gewesen, dass es sich um einen frei erfundenen Text gehandelt habe. Eine entsprechende Information sei erst nach Überwinden einer Bezahlschranke und Abschließen eines (kostenlos kündbaren) Abonnementvertrags lesbar gewesen,
schreibt die Staatsanwaltschaft Mannheim heute in einer Pressemitteilung. Wo und wie gesetzlich geregelt sein soll, dass „jeder Leser sofort erkennt“, ist uns nicht bekannt und wird von der Staatsanwaltschaft Mannheim auch nicht begründet.
Politische Ziele bei der Strafverfolgungsbehörde?
Ich bin der Meinung, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Mannheim politische Ziele verfolgen, um mich als unbequemen Journalisten zu bestrafen. In der Vergangenheit habe ich häufiger über Fehler der Staatsanwaltschaft Mannheim berichtet.
Nachdem die Pressestaatsanwältin Sandra Utt mir vorgeworfen hatte, ich hätte sie nicht richtig zitiert, kommunizieren wir nur noch schriftlich, was mir sehr recht ist, weil immer schön schwarz auf weiß belegt. Gegen Frau Utt hatte ich zudem Rechtsaufsichtsbeschwerden eingelegt. Offenbar hat man als bei der Behörde noch Rechnungen mit mir offen.
Die Sache geht nun also vor Gericht und ist in mehreren Ebenen ein Präzedenzfall. Typischerweise geht es bei „Störungen des öffentlichen Friedens“ meist um Volksverhetzung oder Bombendrohungen – dass ein journalistischer Artikel als Straftat eingeordnet wird, kennen wir bislang nur aus Diktaturen.
Unabhängig vom tatsächlichen Inhalt enthält der Artikel eine fiktionale Schilderung.
- Ist dies grundsätzlich unzulässig?
- Wenn das verboten würde, was wären Kunst-, Meinungs- und Pressefreiheit noch wert?
- An welcher Stelle und wie muss „für jeden Leser erkennbar“ ein Hinweis angebracht werden?
- Müssen künftig alle journalistischen Texte so verfasst sein, dass auch „jeder Leser“ diese versteht?
- Müssen Artikel so geschrieben werden, dass selbst der dümmste Leser den Inhalt noch versteht?
- Wird privaten Medien verboten, Inhalte zu vermarkten, wenn Leser, die nicht bezahlen oder sich nicht registrieren wollen, sonst einen „falschen“ oder nicht-vollständigen Eindruck erhalten?
- Gibt es künftig bei kostenpflichtigen Artikeln, die „jeder Leser“ falsch verstehen könnte, einen Strafantrag?
Das sind spannende Fragen.
Qualitätsjournalismus? Äh, ja. Drei Redaktionen.
Übrigens haben sich bei uns nur dpa und das Rhein-Neckar-Fernsehen gemeldet, um eine Stellungnahme von unserer Seite einzuholen. Am späten Nachmittag dann noch die Rhein-Neckar-Zeitung. dpa hatte allerdings zunächst ohne Anfrage die Angaben der Staatsanwaltschaft veröffentlicht und die RNZ die erste dpa-Meldung.
Alle anderen Medien, darunter auch der SWR, haben also den Grundsatz der journalistischen Sorgfaltspflicht vorsätzlich missachtet und die andere Seite, also uns, nicht gehört. Und das soll Qualitätsjournalismus sein? Suchen Sie mal „strafantrag rheinneckarblog“ – die Trefferliste ist lang und der überwiegende Teil pfeift auf die journalistische Sorgfaltspflicht.
Lustig ist übrigens die falsch zu verstehende Meldung der Staatsanwaltschaft. Die Aussage ist, dass diese aktuell einen Strafbefehl beantragt hat. Tatsache ist, dass sie diesen längst beantragt hatte und das Amtsgericht bereits vor sieben Tagen über den Antrag entschieden hat. Weiter teilt die Staatsanwaltschaft mit:
Ihm liegt zur Last, auf dem von ihm betriebenen Blog am frühen Morgen des 25.03.2018 einen frei erfundenen Artikel über den größten Terroranschlag in Westeuropa veröffentlicht zu haben, der angeblich in der Nacht zuvor in Mannheim begangen worden sei.
Also ich als durchschnittlicher Leser verstehe das so, dass es einen Artikel gab, der ausschließlich frei erfunden war. Das allerdings ist eine falsche Tatsachenbehauptung. Und weil ich den Artikel nicht zu Ende gelesen habe, egal warum, bin ich jetzt der Meinung, dass es einen Artikel gab, der ausschließlich einen frei erfundenen Terroranschlag geschildert hat. Für mich (ich=jeder) war also nicht sofort zu erkennen, dass die Behauptung falsch ist. Soll ich die Staatsanwaltschaft Mannheim jetzt verklagen, weil sie nicht früh genug darauf hingewiesen hat, dass der Artikel den fiktionalen Beginn eindeutig und unmissverständlich thematisiert hat?
Wenn wir so schlampig informieren würden, ohje – wir wollen uns gar nicht ausmalen, was dann los wäre.
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