Rhein-Neckar, 25. März 2018. (red/pro) Wir haben es getan: Wir haben Fake News veröffentlicht. Mitten in der Nacht. Fast ohne jede Vorwarnung. Und es funktioniert. Unser Server qualmte. Das Wort Terroranschlag plus eine vollständig erfundene Geschichte reichte aus: “Terroranschlag in Mannheim”. Warum wir das gemacht haben, erklärt Redaktionsleiter Hardy Prothmann.
Von Hardy Prothmann
Ob es tatsächlich nach der Ausstrahlung des Hörspiels “Krieg der Welten” von H. G. Wells eine Massenpanik in den Vereinigten Staaten gegeben hat, ist nicht zweifelsfrei belegt.
Erfundenene Story, auf Basis von Erfahrungen
In unserem “Stück” schildern wir keinen Angriff von Außerirdischen, aber von außereuropäischen Mördern, die in Mannheim wüten.
Wir wollten definitiv keine Massenpanik erzeugen, wohl aber Aufmerksamkeit – für mögliche Bedrohungslagen, aber auch für Fake News.
Unsere “Story” ist vollständig erfunden. Unser Mitarbeiter Helle Sema ist ein “Gonzo”-Reporter, der Fiktion und Fakten mischt, als wären es Cocktails. Da kennt der nix.
Die Idee zu unserer Story gärt schon länger – ja, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Was harte Fakten und Fake News sind – und wie die Menschen darauf reagieren.
Bislang wurden große Städte angegriffen: New York, Madrid, London, Paris. Ende 2016 aber auch Berlin. Davor Brüssel – rund eine Million Einwohner und damit so groß wie Köln oder Stuttgart. Mannheim hat nur etwas über 300.000 Einwohner, aber ist Metropole.
Wer hindert eigentlich Terroristen daran, kleinere Städte anzugreifen? Klar, der Effekt wäre nicht so hoch, aber die Effektivität umso mehr, weil eventuell der Schutz geringer ist?
Terroristen denken über solche Fragen nach.
Wir denken darüber nach, worüber andere – auch Terroristen – nachdenken könnten. Bringen wir mit unserer Story Terroristen auf “Ideen”? Natürlich nicht – die denken sich ihre Schreckenspläne selbst aus.
Unser Textentwurf ist nicht sehr alt. Wir haben Polizeipräsident Thomas Köber und Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz am 22. Dezember 2017 in Kenntnis gesetzt. Beide waren nicht amüsiert und haben umgehend gebeten, diesen nicht zu veröffentlichen.
Am 27. Dezember wurde dann die 15-jährige Mia in Kandel durch eine “mutmaßliche” Messerattacke ihres früheren Freundes, eines afghanischen Flüchtlings, ermordet.
Das war kein Terroranschlag in dem Sinn, wie Terror “definiert” ist.
Einige Tage zuvor gab es einen Messerangriff in Hessen durch einen angeblich 17-jährigen Flüchtling auf eine Frau.
In Mühlacker und Laupheim gab es Messerattacken auf Frauen – das sind keine “Terrorangriffe”, wie man “Terror” gemeinhin versteht, für die Opfer und deren Familien ist das der größtmöglichste Terror. Begangen durch Männer mit Messern, die meinen Selbstjustiz ausüben zu können. Die sich im Recht glauben, das tun zu dürfen.
So gesehen, ist der Terror noch viel schrecklicher. Gewöhnliche Terroristen töten möglichst viele Opfer – die “Umfeld”-Terroristen töten gezielt Menschen, die sie kennen. Der Horror könnte nicht größer sein.
Journalismus stellt Fragen
Aus dieser “Gemengelage” im Vorfeld ist unsere Idee für den Text entstanden, der reine Fiktion ist, sich aber auf unsere recherchierten Fakten stützt, unsere Erfahrung und Analyse.
Wir haben journalistisch massiv viele Aussagen in Frage gestellt – auch, was die Altersgutachten angeht. Und siehe da – der mutmaßliche Mörder von Kandel ist gar nicht 15 Jahre alt, sondern vermutlich mindestens 20 Jahre alt.
Wir haben als eines der ersten Medien massive Zweifel angemeldet, ob in der Causa “Anis Amri” massive behördliche Fehler passiert sein könnten – die weiteren Nachrichten lassen einem die Haare zu Berge stehen.
Wir haben bereits im Herbst 2015 das Problem “unbegleitete minderjährige Ausländer” thematisiert und mussten uns als “Unmenschen” und “Rassisten” beschimpfen lassen – Ende 2017 hat der SPD-Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz dann einen Brandbrief in der Sache an Innenminister Thomas Strobl (CDU) geschrieben. Inhalt: Die Stadt weiß nicht mehr ein noch aus und die Bürger könnten das als Staatsversagen empfinden.
Wir haben Fake News veröffentlicht – um eine Debatte zu erzwingen
Wir haben aktuell Fake News veröffentlicht, die morgen schon Realnews sein könnten.
Warum?
Weil wir mit unserem Journalismus provozieren und Debatte befördern wollen.
Klar ist, dass die Sicherheitsbehörden in Mannheim vor der von uns erfundenen Situation zunächst vollständig überfordert wären. Das ist keine Kritik an den Behörden, sondern ein Feststellung (wir wissen, dass es keine konkreten Krisenpläne gibt).
Klar ist auch, dass die Polizei das in den Griff bekommen würde – wie in allen anderen Städten auch. Danach folgt der “Bodycount”.
Klar ist auch, dass alle Verbrecher dieser Welt niemals die Starken angreifen würden – das wäre ja auch regelrecht bescheuert.
Opfer sind Zivilsten oder Frauen – eben alle, die sich nicht unmittelbar erfolgreich wehren können.
Sind Angriffe auf Frauen “Einzelfälle” oder Terrorismus?
Die Angriffe auf Frauen werden nicht als “Terrorismus” begriffen. Das ist auch richtig – denn Terroristen ist es egal, ob sie Männer, Frauen oder Kinder töten. Sie wollen nur möglichst viele töten, um Terror, also Schrecken zu verbreiten.
Tatsächlich greifen Terroristen, ob politisch oder persönlich motiviert, so gut wie immer weiche Ziele an. Also Personen, die nicht damit rechnen. Weihnachtsmarktbesucher, U-Bahn-Fahrer oder Musikclubbesucher – oder eben Frauen.
In den meisten Fällen, vor allem bei Massenmord, wird hingenommen, dass es halt Opfer gibt – ist dass die Definition von Terrorismus? Was unterscheidet die davon, wenn es einzelne Opfer gibt, die einen Namen haben? Ob Mia oder einen anderen?
Terror muss gesellschaftlich neu diskutiert werden – er ist vielfältig. Es gibt ihn politisch oder religiös “motiviert”, aber auch “persönlich”. Er ist teils ins Gruppen geplant, teils nicht, für jedes Opfer ist er individuell und oft tödlich.
Terror gegen Frauen – mitten in Deutschland
Wenn Frauen Angst haben müssen, erdolcht zu werden, weil sie nicht so funktionieren, wie manche Männer meinen, dass sie funktionieren müssen, dann ist das ein gesellschaftlicher Terror, der auch so benannt werden muss.
Im Einzelfall sind das Einzelfälle – aber es gibt derer viele. Und jeder ist ein einer zuviel.
Freiheit braucht Sicherheit
Wenn manche meinen, Sie könnten mit einem Messer Menschen töten, dann ist das – wie gerade in Frankreich geschehen – ein Terror, der allgegenwärtig ist.
Ganz klar ist, dass wir in einer freiheitlichen Gesellschaft leben und möglicherweise verlernt haben, Bedrohungen aufmerksam zur Kenntnis zu nehmen und uns darauf einzustellen – dazu fehlt jede Debatte.
Wir verlassen uns auf die delegierte Staatsmacht – die Polizei.
Das ist im Kern richtig, führt aber möglicherweise zu fatalem Frust, denn die Polizei hat Macht, kann viel tun, ist aber rechtsstaatlich nicht allmächtig.
Auch darüber muss nachgedacht und debattiert werden.
Deutschland ist nicht mehr sicher – was können wir tun? – das ist ein interessantes und notwendiges Debattenthema.
Auf Facebook gab es in der Nacht viele Kommentare – auch, ob wir “zum Abo zwingen”. Das ist Blödsinn – wer sich angemeldet hat, hat klipp und klar erfahren, dass der Text “Gonzo” ist und keinen Cent dafür bezahlt. Wir verdienen auch nichts an “clicks”, weil wir unsere Werbeplätze zum Festpreis verkaufen. Solche Vorwürfe sind also grundsätzlich falsch.
Wenn wir erreicht haben sollten – was nicht einfach ist – dass nachgedacht wird, bevor man etwas liket, dann haben wir was erreicht. Nämlich Nachdenklichkeit.
Der Text ist Gonzo – aber ist er “unrealistisch”? Zu Paris, London, Brüssel, Berlin gab es im Vorfeld solche Texte nicht. Dort sind aber viele Menschen gestorben.
Denken Sie drüber nach – wir tuns auch. Jeden Tag. Mit viel Verstand und mit vollem Einsatz, um Sie gut zu informieren.
Wir machen auch immer transparent klar, was wir als “Wahrheit” berichten und wo wir Zweifel haben.