Mannheim/Rhein-Neckar, 27. März 2018. (red/pro) Aktualisiert. Aktuell wird von einigen Akteuren massiver Druck auf unsere Werbepartner ausgeübt – Ziel ist die Aufkündigung von Verträgen und damit der Verlust unserer wichtigsten Einnahmequelle, nämlich Werbung. Das weitergehende Ziel liegt auf der Hand – die Schließung unseres Angebots. Die Konsequenzen sind fürchterlich und werden das Vertrauen in Medien nachhaltig erschüttern.
Von Hardy Prothmann
Wir berichten seit Januar 2011 aus der Region für die Menschen in der Region und darüber hinaus. Seither haben wir inklusive dieses Textes 18.181 Beiträge veröffentlicht.
Wie „störend“ unser Angebot auf manche wirkt, belegen 47 Abmahnungen gegen unsere Berichterstattung. Einen Prozess haben wir verloren, vier Mal haben wir uns verglichen, den Rest haben wir gewonnen oder die Angreifer haben zurückgezogen und das Risiko eines Prozesses gescheut. Insgesamt hat uns das rund 50.000 Euro gekostet.
Auch ein Mannheimer Großverlag wollte uns juristisch in die Knie zwingen und verlor das Revisionsverfahren vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe krachend – wir haben vollumfänglich obsiegt. Dieser Großverlag berichtet, wie auch aktuell, immer dann über uns, wenn er negativ Stimmung machen kann. Sonst wird unsere Arbeit geflissentlich ignoriert.
Die wesentlichen Einnahmen für unsere Arbeit erzielen wir über die Vermarktung von Werbeplätzen. Als Gegenleistung bieten wir Aufmerksamkeit an. Bislang waren unsere Kunden immer zufrieden mit uns.
Aktuell hat ein Werbepartner ohne Angaben von Gründen gekündigt. Diese Kündigung erfolgte vor unserem fiktionalen Bericht zu einem angeblichen Terroranschlag in Mannheim, aber kurz nach einer aktuellen Veröffentlichung zu einem politischen Thema. Uns liegen zahlreiche Informationen vor, dass aktuell versucht wird, massiven Druck auf unsere anderen Werbepartner auszuüben.
Strikte Trennung von Werbung und Berichterstattung
Es herrscht natürlich Vertragsfreiheit und die Werbepartner entscheiden selbst, wo und in welchem Umfang sie werben.
Selbstverständlich bleibt es auch den Werbepartnern überlassen, ob sie eine Berichterstattung für gelungen oder verfehlt betrachten. Selbstverständlich wägen diese auch selbst ab, ob 18.180 Berichte für Sie in Ordnung waren und sie wegen 1 Bericht die Geschäftsbeziehung beenden.
Dabei sollte man die möglichen Folgen im Blick haben: Wir trennen strikt zwischen dem Verlagsteil, also dem Werbegeschäft und dem redaktionellen Teil, also unserem journalistischen Angebot. Wir erwarten von unseren Werbepartnern, dass diese das auch so halten, was bisher der Fall ist. Keiner unserer Werbepartner hat jemals versucht, Einfluss auf unsere Berichte zu nehmen. Das ist nicht selbstverständlich – freundliche Berichterstattung gegen Anzeigen gibt es bei anderen Medien zuhauf. Man nennt das Schleichwerbung – auch der oben beschriebene Mannheimer Großverlag handelte sich eine deutliche Missbilligung durch den Deutschen Presserat ein.
Fatale Folgen
Wenn journalistische Medien offensichtlich durch den Verlust von Werbung bedroht werden, weil eine Berichterstattung „nicht gefällt“, sind die Folgen fatal. Denn dann wird „die Schere im Kopf“ fest installiert. Statt sich frei und ohne Zwang zu widmen – egal, ob diese als gelungen oder misslungen betrachtet werden – wird ständig mitgedacht werden, ob eine Veröffentlichung möglicherweise zum Verlust von Einnahmen führen könnte. Also werden solche Veröffentlichungen tunlichst unterlassen.
Das Ergebnis ist eine „Systempresse“, die nicht mehr nach journalistischen Gesichtspunkten über Veröffentlichungen entscheidet, sondern nach dem erstrebten Wohlgefallen. Damit ist kein unabhängiger Journalismus mehr möglich – ganz im Gegenteil bleibt einzig und allein abhängiger Journalismus nach dem Motto „wes Brot ich ess, des Lied ich sing“. Das wäre eine Katastrophe – auch für alle, die sich sehnlichst wünschen, dass man uns abstraft. Offenbar ist man sich der Konsequenzen nicht bewusst.
Eigentlich müssten wir mit großem Erstaunen feststellen, dass auch diverse Medien uns den (falschen) Vorwurf gemacht haben, die Aufklärung zu unserem fiktionalen Text hätten wir hinter einer Paywall versteckt. Andere Medien machen uns also tatsächlich den Vorwurf, dass wir unsere Inhalte gegen Entgelt zur Verfügung stellen. Wir sind aber nicht erstaunt. Offenbar ist in vielen Köpfen die Schere schon fest installiert. (Warum der Vorwurf falsch ist, lesen Sie hier.) Dazu kommt, dass eine ganze Reihe von Medien mit uns noch eine Rechnung offen haben, weil wir deren schlechte Berichterstattung in der Vergangenheit zutreffend kritisiert haben. Damit macht man sich nicht eben viele Freunde – das ist aber auch nicht unser Antrieb.
Wir wünschen uns von unseren aktuellen und künftigen Werbekunden, dass sie die Trennung von Werbung und Berichterstattung respektieren. Sollten sie einem Druck nachgeben, müssten wir mit einiger Voraussicht unsere Angebot einstellen, denn ohne Geld gibt es keinen Journalismus. Bislang wurde uns immer versichert, dass man viel Wert auf eine weitere publizistische Stimme in der Region legt. Die muss auch Fehler machen können, die nicht sofort existenzbedrohend sind. Es verlangt auch niemand die Einstellung eines Theaterbetriebs, weil eine Aufführung mal floppt oder zu staatsanwaltlichen Ermittlungen führt, wie die Aufführung „Generaltanz den Erzschiller“ des Künstlers Jonathan Meese 2014 am Nationaltheater, bei der er mehrere hundert Mal den Hitlergruß gezeigt hatte (die Ermittlungen wurden mit Hinweis auf die Kunstfreiheit eingestellt). Hatte damals jemand die Kündigung des Intendanten gefordert?
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Für eine inhaltliche Kritik sind wir jederzeit offen und stellen uns dieser im Gespräch.
Für uns steht fest, dass wir uns keinem wirtschaftlichen Druck stellen oder zu einem angepassten „Systemmedium“ werden. Wenn die Voraussetzungen für eine unabhängige journalistische Arbeit nicht mehr gegeben sind, stellen wir das Angebot ein. Darüber würde sich mancher freuen – wir meinen, dass das ein massiver Verlust für die Gesellschaft wäre. Fest steht: Wir müssen keine journalistische Leistung erbringen und können auch etwas anderes machen. Doch wer ersetzt die Lücke? Reichweitengetriebene Boulevardmedien?
Bedenkliche Entwicklung
Die Entwicklung der Medienlandschaft in Deutschland ist bedenklich. Zeitungen verlieren massiv Auflage und werden eingestellt.
Insbesondere im Lokalen und Regionalen gibt es bereits medienfreie Gebiete, weil sich auch neue Angebote mangels Finanzierung nicht halten können.
In der Bevölkerung gibt es offenbar massive Defizite, was Wissen und Medienkompetenz angeht, wie wir eindeutig nachweisen konnten – unser fiktiver Artikel war durchsetzt mit Fakes und dokumentierte, dass er Fakenews ist.
Die Zahl von Fakenews und Echokammern in sozialen Netzwerken, in denen sich Menschen das selbst bestätigen, woran sie glauben wollen, egal wie unsinnig das ist (dazu berichten wir immer wieder). Dem kann man nur mit seriöser Berichterstattung begegnen und manchmal auch drastischen Methoden, um ein Nachdenken zu erzwingen. Auch das ist Teil unseres Experiments gewesen: Wie würden die Reaktionen sein? Wird der Fake erkannt? Welche Folgen werden sich ergeben? (Auch Vertragskündigungen haben wir dabei nicht ausgeschlossen. Diesen Mut kann man nur aufbringen, wenn man unabhängig davon bleibt, Dinge zu vermeiden, die anderen nicht gefallen könnten.) Welcher Eindruck wird durch entsprechende Reaktionen erweckt – könnten viele Menschen folgern, dass andere Medien „Systemmedien“ sind? Macht sich jemand bewusst, mit welch massivem Hass in sozialen Netzwerken reagiert wird und dass dieser jederzeit jeden treffen kann, der sich nicht „angepasst“ verhält?
Viele offene Fragen
Weiter wirft das Experiment zahlreiche Fragen auf, die wir als völlig unzulänglich betrachtet ansehen. Unter anderem:
- Welche Sicherheitskonzepte gibt es in Großstädten angesichts einer „abstrakten Bedrohungslage“?
- Was meinte der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“?
- Sind die Sicherheitsbehörden ausreichend auf eine Terrorlage vorbereitet? (Der Fall Anis Amri und das Attentat in Berlin haben eindrücklich gezeigt, dass dies nicht der Fall ist. Der Mann war als Gefährder bekannt und konnte den Anschlag trotzdem verüben. Danach reiste er tagelang durch Europa und die deutschen Sicherheitsbehörden erwiesen sich als vollständig machtlos, den Mann zu stellen. Er wurde dann im Rahmen einer zufälligen Kontrolle in Italien erschossen, verletzte dabei noch einen Polizeibeamten.)
- Wie viele Gefährder leben in der Region? (Aus Mannheim sollen zwei Frauen sich dem IS angeschlossen haben. Eine Moschee in Mannheim wird vorm Verfassungsschutz beobachtet.)
- Wie sollte die Bevölkerung bei einer Terrorlage reagieren? (Niemand weiß das. Es gibt dazu keinerlei Informationen und eine vollständig unzureichende Medienberichterstattung.)
- Wie würden die Sicherheitsbehörden informieren? (Der Münchner Polizeisprecher da Gloria Martins ist eine Ausnahmeerscheinung und hat im Fall des Münchner Attentats eine hervorragende Leistung gezeigt. Im Fall des ermordeten Mädchens in Kandel war die Überforderung der Behörden klar erkennbar, was ausschließlich wir thematisiert haben.)
- Sind entsprechende Reaktionen nicht ein Zeichen dafür, dass man sich nicht mit der Thematik auseinandersetzen will, um niemanden zu „verunsichern“?
- Seit wann und durch wen wurde Aufklärung als Verunsicherung definiert?
Türkische Verhältnisse
Von all denen, die uns Werbeverträge kündigen und jenen, die den Zugang zu kostenpflichtigen Artikel kündigen und allen, die dazu aufrufen, wünschen wir uns, dass sie sich in Zukunft bitte niemals mehr zum Einfluss eines russischen Staatsmanns auf Medien äußern und auch die Zustände der Medienlandschaft in der Türkei als selbstverständlich betrachten und mit keinem Wort kritisieren – denn genau das wird am Ende des Tages auch in Deutschland „normal“ sein.
Erstaunlich ist auch, dass viele Medien, die sich heroisch für einen in der Türkei inhaftierten Journalisten ins Zeug warfen, nun fast genüßlich frohlockend verkünden, dass die Staatsanwaltschaft Mannheim prüft, ob gegen Hardy Prothmann ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Auch das ist ein interessantes Ergebnis dieses Experiments und könnte zu denken geben – wenn man bereit ist, zu denken. Wir sehen der Sache übrigens sehr gelassen entgegen. Ebenso den Beschwerden beim Deutschen Presserat.
Wir sind gespannt, ob die Medien, die uns aktuell massiv kritisiert haben, sich auch diesem Text widmen oder konsequent schweigen, wovon wir ausgehen. Auch das ist Teil des Experiments.
Anm. d. Red.: Wir stellen nochmals fest, dass wir vorher geprüft haben, ob die Veröffentlichung die öffentliche Sicherheit gefährden könnte. Dies wurde von den Sicherheitsbehörden verneint. Wir haben zudem aktiv die Polizei in Kenntnis gesetzt, um dort keine Verunsicherung zu erzeugen. Unser Text enthielt jede Menge absurder und komplett falscher Informationen und war als Fake für vernünftige Menschen erkennbar. Zudem enthält der Text einen langen Abspann mit Hintergründen zur Einordnung – dass dieser Teil hinter einer Paywall stand, ist nicht verwerflich, außer, man betrachtet den Versuch, Einnahmen zu erzielen, als verwerflich. Zudem haben wir einen weiteren Text mit Einordnungen veröffentlicht – dieser war nicht durch eine Paywall eingeschränkt.
Aktualisierung, 27. März 2018, 17:42 Uhr:
Unser Partner Steady, über den wir eine Paywall beziehen, die uns gebührenpflichtige Artikel gegen eine Umsatzprovision ermöglicht, hat sich zur Sache geäußert. Wir wurden zuvor zu den Beschwerden angehört. Der Geschäftsführer Sebastian Esser teilt uns nach eingehender Prüfung mit, dass wir verwarnt werden. Das nehmen wir zur Kenntnis und bedanken uns für den souveränen Umgang in der Sache.