Rhein-Neckar/Wiesbaden/Mainz, 07. Juni 2018. (red/pro) Seit dem 22. Mai wurde ein 14-jähriges Mädchen aus Mainz vermisst. Am 06. Juni wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit deren Leiche in Wiesbaden-Erbenheim in einem schwer zugänglichen Gelände entdeckt. Die Ermittler gehen von einem Gewaltverbrechen aus. Der tragische Tod des Mädchens wird “realtime” öffentlich begleitet – durch deren Mutter.
Kommentar: Hardy Prothmann
Der gewaltsame Tod eines jungen Menschen macht immer betroffen. Die Frage lautet immer: Warum? Und die Antworten sind immer einzelfallbezogen. Im Kern ist es meist so, dass irgendjemand ein anderes Leben nicht geachtet hat und bereit war, es zu nehmen. Aus welchen Motiven auch immer.
Aktuell hat die Polizei eine weibliche Leiche in Wiesbaden-Erbenheim in der Gemarkung “Unterm Kalkofen” entdeckt. Laut Bild-Zeitung habe man ein Strangulationswerkzeug bei der halb verscharrten Leiche entdeckt. Ein Gewaltverbrechen liegt nahe, ob ein Sexualdelikt vorliegt, ist noch unbekannt. Die Umstände des Todes und weiterer Details muss die Obduktion der Leiche ergeben.
Klarnamen von Opfern in Zeiten der DSGVO
Völlig unverständlich ist, dass sich das Polizeipräsidium Westhessen entschlossen hat, den vollen Namen des Opfers preiszugeben. Seit 25. Mai 2018 gilt die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) mit strengen Regeln, was den Datenschutz angeht. Und obwohl das mutmaßliche Opfer am Mittwochmittag gefunden worden ist, konnte die Öffentlichkeit den vollen Namen des Mädchens noch am Mittwochabend in der Pressemitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft Wiesbaden nachlesen.
Ebenso unverständlich ist, dass die Mutter seit dem 24. Mai unablässig auf Facebook postet, Hilfs- und Fahndungsaufrufe in alle Welt versendet, Medienberichte postet und sogar mehrfach auf das Facebookprofil ihrer Tochter verlinkt.
Vorwürfe gegen Dritte
Ja, man nachvollziehen, dass die Mutter verzweifelt ist. Sie schreibt am 01. Juni 2018, um 22:08 Uhr:
Sehr geehrte Frau Merkel,…………….
dieser Brief ist ein HILFERUF!!!
Ich wende mich mit diesem Hilferuf an Sie, weil ich mich vom deutschen Staat sowie von unserem Freund und Helfer ( Polzei) im Stich gelassen fühle!!!
In diesem Posting macht die Frau der Polizei und den Medien Vorwürfe, man betrachte das Verschwinden des Mädchens nicht als “akut” genug.
Natürlich schreibt die Frau nicht an Frau Merkel, sondern sie postet in ihrem Nutzeraccount einen Text, der sich an Frau Merkel richtet – eine reine Inszenierung, theatralisch und ohne Sinn und Verstand. Als wenn die deutsche Bundeskanzlerin persönlich verantwortlich für Vermisstenfälle wäre. Ob die Mutter will oder nicht – das ist Futter für alle “Merkel muss weg”-Rufer.
Hunderttausendfache Verbreitung – ohne Schutz für das Opfer
Das erste Posting der Mutter vom 24. Mai wird über 107.000 Mal geteilt – was heißt, dass 107.000 Menschen aktiv geteilt haben und deren Netzwerke mutmaßlich das Posting lesen konnten. Was wiederum heißt, dass mehrere Hunderttausende Menschen erfahren, dass ein 14-jähriges Mädchen verschwunden ist. Sie erfahren deren Namen, sie sehen ihr Foto und sie können auf den Link zu deren Profil klicken, das ausweislich der Einträge bereits seit fünf Jahren besteht. Das Mädchen ist also auf Facebook gewesen, seit sie 9 (!) Jahre alt war.
Die Mutter, egal wie verzweifelt sie ist, beschädigt also unaufhörlich und andauernd die Persönlichkeitsrechte ihrer Tochter – und missbraucht ihre Verantwortung für das Mädchen. Selbstverständlich werden viele Menschen Anteil nehmen, für andere ist das nicht “catporn”, sondern “crimeporn”, den sie möglicherweise sogar vergnüglich verfolgen. Man erhält quasi live alle Zwischenergebnisse und Gemütszustände der Mutter, was sehr, sehr viele Leute interessiert, von denen die aller-, allermeisten diese ebensowenig kennen wie das Mädchen. Und man kann sich “so schön gruseln” und “am Leid teilhaben”.
Kapitalverbrechen wird politische Dimension erhalten
Die Ermittlungen bringt das überhaupt nicht voran. Möglicherweise passiert sogar das Gegenteil. Nach Informationen der FAZ soll sich der mutmaßlich Tatverdächtige, ein angeblich 20 Jahre alter Flüchtling aus dem Irak, mit seiner Familie “auf dem Luftweg” in die Heimat abgesetzt haben.
Das gibt der Verbrechensdimension eine weitere politische Dimension – möglicherweise können Straftäter – die Bild meint, der Mann sei als gewaltbereit auffällig gewesen – nicht nur leicht nach Deutschland ein-, sondern ebenso leicht ausreisen. Wie das gegen kann, nur mit Flüchtlingspapieren und von Sozialbezügen, das werden weitere Ermittlungen ergeben müssen.
Die Mutter indes sieht sich als Opfer – sie trifft keinerlei Schuld, sondern nur der Schmerz. Schuld sind aus ihrer Sicht der deutsche Staat, die Polizei und die Medien. Ihre eigene Rolle als Mutter sieht sie ohne jede Schuldzuweisung, denn sie will ja immer nur das Beste für den “Engel”.
Wer hat welche Verantwortung?
Ganz sicher ist niemand direkt schuld – bis auf den mutmaßlichen Mörder. Aber die Fragen nach der Flüchtlingspolitik werden sicher wieder debattiert werden – und zwar nicht nur ausgewogen. Die Polizei muss mal wieder als Prügelknabe hinhalten, muss sich aber ernsthaft Fragen lassen, was die Namensnennung sollte. Und die Medien? Die müssen sich selbst fragen, welche Verantwortung sie übernehmen.
Nur weil die Polizei den vollen Namen angibt, muss man diesen nicht nennen. Nur weil sich die Mutter derart auf Facebook entblößt, muss man das nicht zur Effekthascherei verarbeiten.
Soweit uns bekannt, sind wir bundesweit das einzige Medium, dass bereits mehrfach und auch in diesem Fall dringend an Angehörige appelliert:
Hände weg von Facebook! Überlasst die Ermittlungen denen, die das können! Ihr seid keine Medienprofis – wendet Euch nicht an die Boulevardmedien, sondern an seriöse Journalisten und wenn ihr keine kennt, lasst Euch beraten! Der erste Ratschlag ist: Gebt keine Informationen heraus, die ihr niemals wieder zurückholen könnt.
Nach Kandel und anderen Fällen bundesweit wird dieser Kriminalfall die Debatte über die Flüchtlingspolitik weiter verschärfen und alle die stärken, die massive Kritik üben.
Die kritischen Debatten sind überfällig
Auch das Rheinneckarblog berichtet sehr kritisch im Zusammenhang mit Flüchtlingen und wir haben sehr früh auf diese Entwicklung dringend hingewiesen. Es herrscht weder die Scharia, noch werden täglich Mord und Totschlag mehr – aber insgesamt gibt es viel mehr Fälle dieser Art als früher und sie haben eindeutig und nicht bestreitbar sehr viel damit zu tun, dass in großer Zahl junge Männer aus fremden Kulturen nach Deutschland gekommen sind, die wenig Chancen “auf ein Mädchen” haben und nachweisbar eher zur auch tödlichen Gewalt neigen.
Dazu braucht es dringend eine vernünftige, lösungsorientierte Debatte mit entsprechenden Maßnahmen und weder Populismus von Rechts noch Gegenpopulismus von Links. Denn der hilft weder den Opfern noch künftige Opfer zu vermeiden.
Dazu gehört auch, nicht nur verzweifelten Angehörigen klar zu machen, dass private Dinge nicht in die Öffentlichkeit gehören, wenn sie nicht relevant sind. Die Postings der Mutter sind überwiegend nicht relevant, sondern schädlich, auch wenn sie das Gegenteil erreichen wollte. Gut gemeint ist meist nicht gut gemacht.
Medien sind nicht neutral, sondern mitverantwortlich
Und auch die Medien sind hier in der Mitverantwortung – eine emotionalisierte Berichterstattung, die vor allem Empörung hervorrufen soll, um Aufmerksamkeit zu fesseln, mag “unternehmerisch” nachvollziehbar sein, menschlich ist sie verantwortungslos.
Wer die Wirkmechanismen unserer – zugegeben – provokanten Veröffentlichung vom 25. März 2018 über einen angeblichen Terroranschlag in Mannheim bislang nicht verstanden hat oder sicher verweigerte zu verstehen, was wir vorhatten, kann angesichts eines realen Falles nochmals nachdenken: Wir haben einen fiktionalen “Was-wäre-wenn”-Text veröffentlicht, diesen eingeordnet und mit konkreter Analyse versehen.
Unsere Kritik ist, dass weder die Öffentlichkeit noch die meisten Medien auf den Umgang mit Terrorattacken vorbereitet sind. Münster, der angeblich verhinderte Terroranschlag auf den Halbmarathon in Berlin und die Berichterstattung dazu haben unseren Ansatz bestätigt. Die Terrorattacke in Paris vor wenigen Wochen ebenfalls – zwar in einer viel größeren Stadt gesehen und nur durch einen Angreifer, aber im Kern wurde das mögliche Schadenspotenzial klar.
Seriöser Journalismus ist mutig, transparent und manchmal aus Gründen auch verstörend
Und hier nochmals: Wir haben mit unserer absurd übertriebenen “Story” deutliche Zeichen gegeben, dass diese einfach absurd ist. Natürlich gibt es keine Nachrichtensperre – wohl aber halten sich die Behörden aus jeweils ermittlungstaktischen Gründen zurück, was durchaus zu Zeiten der “Verunsicherung” führen kann, weil man eben nicht “das ganze Bild” hat und weil man spürt, dass man “nicht alles weiß” – auch damit muss man umgehen müssen.
Für seriöse Journalisten ist das Alltag, sich nach und nach Informationen zu verschaffen und erst dann zu berichten oder zwischendurch mit klaren Hinweisen, was gesichert ist und was nicht. Leider gibt es immer weniger seriösen Journalismus, was zu Recht von vielen kritisiert wird, wenn auch “Lügenpresse” oft einfach nur stumpf populistisch ist.
Weiter gilt ein Grundsatz, den ich als verantwortlicher Redakteur immer beachte: Man muss auch Quellen vor sich selbst schützen. Für Facebook gilt das nicht – die sperren niemanden, der sich um Kopf und Kragen postet und insbesondere einem Kind, das mutmaßlich bereits Opfer wurde, noch weiteren Schaden zufügt, auch, wenn es vermeintlich gut gemeint ist.
Auch dazu fehlt außerhalb unseres Angebots eine gesellschaftliche Debatte und eine umfängliche Aufklärung durch verantwortliche Behörden.
Anm. d. Red.: Tipp – lesen Sie auch die unterhalb verlinkte Auswahl von Artikeln. Sie werden sich wundern, was Sie dort alles erfahren.
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