Rhein-Neckar/Stuttgart, 14. Juni 2018. (red/ps) Bei der Nachrichtenkompetenz haben Lehrer massiven Nachholbedarf, fand eine Studie der Technischen Universität Dresden heraus. Auch in den Lehrplänen kommt das Thema viel zu selten vor. Schlusslicht aller Bundesländer war das Land Baden-Württemberg: Nicht einmal ein Fünftel der Lehrpläne enthielten hier Vorgaben zur Nachrichtenkompetenz. Das Stuttgarter Kultusministerium übt Kritik an der Studie – und verweist darauf, dass längst neue Lehrpläne gelten. Steht das Land zu Unrecht am Pranger?
Von Petra Sorge
Im Interview mit Rheinneckarblog.de hatte der Dresdner Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Lutz Hagen klare Worte gefunden: In den Lehrplänen, den Dokumenten der Kultusministerkonferenz (KMK) und in den Studiendokumenten für die Lehramtsstudenten finden sich nur sehr wenige Bezüge zur Nachrichtenkompetenz.
Das war das Ergebnis der Studie „Nachrichtenkompetenz durch die Schule“ am Institut für Kommunikationswissenschaft, an denen auch Rebecca Renatus und Anja Obermüller beteiligt waren. Sie wurde im Herbst 2017 vorgestellt. Nachrichtenkompetenz ist wichtig, um journalistische Inhalte beurteilen und von Fake News abgrenzen zu können.
Der Vergleich der Lehrpläne zeigte enorme Unterschiede zwischen den Bundesländern. Während die Forscher in Brandenburg in fast zwei Drittel der Dokumente Bezüge zur Nachrichtenkompetenz fanden, war es in Baden-Württemberg nicht einmal ein Fünftel. Das Land erreichte daher nur den letzten Platz.
Laufen die Schülerinne und Schüler in Baden-Württemberg also Gefahr, falsche nicht von echten Nachrichten unterscheiden zu können?
Kultusministerien Dr. Susanne Eisenmann (CDU) hält das Thema für äußerst relevant. Auf Anfrage von Rheinneckarblog.de teilte sie mit:
Gerade angesichts von Phänomenen wie Hate Speech und Fake News kommt der Nachrichtenkompetenz und Medienbildung ein hoher Stellenwert zu.
Das Ziel müsse sein, „unsere Kinder und Jugendliche so zu stärken, dass sie zu selbstbewussten und mündigen Bürgern heranwachsen, die sich auch mit Nachrichteninhalten kritisch auseinandersetzen können“. Deshalb hätten die Vermittlung der Nachrichtenkompetenz und die Medienbildung an baden-württembergischen Schulen einen festen Platz, besonders in den Fächern Geschichte, Gemeinschaftskunde und Deutsch.
Ihr Ministerium hinterfragt auch die Methodik der Dresdner Studie. Eine Sprecherin erklärte gegenüber RNB: „Es kommt in Bildungsplänen nicht darauf an, wie oft bestimmte Schlagworte auftauchen, sondern welchen Kompetenzen die Bildungspläne welches Gewicht und welchen Stellenwert beimessen.“ Zur Beurteilung dessen helfe die rein quantitative Zählung von Begriffen wie beispielsweise ‚Radio‘ oder ‚online‘ nicht weiter. „Das Vorgehen der Studie erfasst darüber hinaus nicht, welcher zeitliche Umfang im Unterricht tatsächlich für die Vermittlung von Medienkompetenz bzw. Nachrichtenkompetenz aufgewendet wird“, ergänzte die Sprecherin.
Studienleiter Prof. Lutz Hagen sagt, ss stimme, dass die Forscher nicht erhoben hätten, was an der Schule tatsächlich gelehrt wird: „Das haben wir auch nie behauptet.“ Dies solle erst in einer Nachfolgestudie untersucht werden, für die sich das Institut gerade bewirbt.
Klar ist aber, dass die Tatsache, dass Nachrichtenkompetenz in den Lehrplänen und den Lehrbüchern kaum vorkommt, wohl kaum damit einhergehen wird, dass diese Themen im Unterricht trotzdem eine wichtige Rolle spielen werden.
Es stimme „definitiv“ nicht, dass die Studienautoren nur die Häufigkeit von Schlagworten erhoben hätten, ergänzt Herr Hagen. Und selbst wenn das der Fall gewesen wäre, sei das schon kein gutes Zeichen, wenn „Nachrichtenkompetenz“ und verwandte Begriffe kaum nachweisbar waren. „Wir haben aber tatsächlich nicht nur maschinell nach Schlagworten gesucht, sondern durch Codierer die Lehrpläne (und Schulbücher) nach einem vorgegebenen Analyseraster (Codebuch) systematisch durchlesen lassen und können daher auch genau angeben, welche Themen angesprochen werden (oder auch nicht) und in welchen Kontexten und wie umfangreich dies geschieht.“
Viel spricht aber dafür, dass die in der Studie untersuchten Lehrpläne des Landes inzwischen veraltet sind. Nach Angaben von Prof. Hagen seien die Dokumente aus Baden-Württemberg im Frühjahr 2016 codiert worden. Ab 2016 wurden aber schrittweise die neuen Bildungspläne für die Klassenstufen 1/2 sowie 5/6 eingeführt, die noch unter Grün-Rot entwickelt worden waren.
Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann verspricht, „gerade auch die Umsetzung der Medienbildung“ in den Blick zu nehmen. Dies sei in den neuen Bildungsplänen eine Leitperspektive und Querschnittsaufgabe in allen Fächern und Jahrgangsstufen. Bereits zu Beginn der fünften Klasse ist der „Basiskurs Medienbildung“ für alle Schüler verpflichtend. „Sollte die wissenschaftliche Auswertung Handlungsbedarf – auch im Bereich Nachrichtenkompetenz – aufzeigen, werden wir hier nachsteuern“, erklärte Eisenmann.
Der, der das alles in den kommenden Jahren evaluieren soll, ist Prof. Dr. Ulrich Trautwein vom Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung der Universität Tübingen Dem RNB erklärte er, dass man zunächst Lehrer befrage, inwieweit der Basiskurs in Klasse 5 tatsächlich die Medienbildung der Schülerinnen und Schüler verbessere. Acht Kompetenzbereiche sollen laut Prof. Trautwein im Unterricht berücksichtigt werden: Mediengesellschaft, Medienanalyse, Information und Wissen, Kommunikation und Kooperation, Produktion und Präsentation, Jugendmedienschutz, Informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz sowie Informationstechnische Grundlagen.
Und die Nachrichtenkompetenz? „Zu beachten ist, dass das, was unter ‚Nachrichtenkompetenz“‘ läuft, natürlich in unterschiedlichen Fächern von Bedeutung sein dürfte“, erklärt Prof. Trautwein. Das Institut habe etwa schon Untersuchungen zum Geschichtsunterricht durchgeführt, in dem die Rekonstruktion und Dekonstruktion von Informationen eine überragende Bedeutung haben sollte. „Entsprechend muss man bei der Diskussion der Thematik aufpassen, dass man nicht nur die Quantität des Unterrichtsangebots anschaut, sondern auch die Qualität.“
Doch das wird noch Jahre dauern – und entsprechend wird man erst in einigen Jahren feststellen, wie es um die Nachrichtenkompetenz der Schüler/innen in Baden-Württemberg bestellt ist.
Anm. d. Red.: Wir sind zwar ein regionales Nachrichtenmedium, brechen aber gemäß „Die Welt ist ein Dorf“ auch nationale und internationale Themen herunter, wenn wir davon ausgehen, dass unsere Leserschaft dies angeht. Dazu veröffentlichen wir immer wieder medienkritische Texte, thematisieren Fehler und Fehlentwicklungen im Journalismus und betrachten Nachrichten und deren Konsumenten aus verschiedenen Perspektiven. Medien- und Nachrichtenkompetenz ist aus unserer Sicht eine ganz wesentliche Qualifikation, die leider bei vielen Menschen vollständig unzureichend ausgebildet ist – nicht ohne Grund gibt es viele Menschen, die Satiresendungen für „wahre“ Nachrichten halten.
Ende März 2018 haben wir einen „angeblichen Terroranschlag“ veröffentlicht – eine vollständig abstruse Meldung, mit der wir auf Fake News und den inkompetenten Umgang mit dubiosen Nachrichten aufmerksam machen wollten. Das war keine Satire, wie machen behaupten – wir sagen „Gonzo“, andere sagen, dass sei kein Gonzo. Darüber streiten wir nicht – es war jedenfalls ein fiktionaler Text, was im Artikel selbst auch aufgeklärt worden ist.
Im Ergebnis haben wir von vielen Seite jede Menge Ärger bekommen, beispielsweise einen Shitstorm auf Facebook mit massiven Beleidigungen und uns wurde auch Gewalt angedroht. Wir haben Werbeumsätze im fünfstelligen Bereich verloren (was wir als knallharte Bedrohung für einen unabhängigen Journalismus einstufen, wenn der nur noch bei Gefallen „belohnt“ wird, wobei Werbung keine Belohnung ist, sondern Kunden kaufen hier Werbeplätze und Aufmerksamkeit durch unsere Berichterstattung, die im Gegensatz zu anderen Medien wie bewiesen niemals durch Werbung beeinflusst wird) und zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft Mannheim gegen den presserechtlich Verantwortlichen, Hardy Prothmann, wegen mutmaßlicher Störung der öffentlichen Ordnung, Betrugs und Verletzung der Vertraulichkeit des Worts.
Unser Anwalt in der Angelegenheit ist der bekannte Strafverteidiger Maximilian Endler. Dieser hat bereits wegen Mangels an Beweisen vor Wochen die Einstellung der Ermittlung beantragt – ohne Reaktion der Staatsanwaltschaft.
Ein Ergebnis dieser Veröffentlichung war, dass zahlreiche überregionale Medien dazu berichtet hatten, bis auf Stern, Süddeutsche und Meedia hat aber keine Redaktion selbst bei uns nachgefragt – was viel über die Recherchekompetenz und die journalistische Sorgfaltspflicht von großen Medien aussagt. Dementsprechend waren Teile dieser Meldungen schlicht und ergreifend „Fake News“. Darauf haben wir beispielsweise die Süddeutsche Zeitung und den Deutschlandfunk eindeutig hingewiesen – eine Korrektur erfolgte nicht.
Eine Woche drauf ereignete sich dann „Münster“, einen Tag später setzte Die Welt die Fake News in Umlauf, die Polizei habe einen Terroranschlag auf einen Halbmarathon in Berlin verhindert und vor einigen Wochen kam es zu einem Messerattentat in Paris. Unser These ist auch: Die allermeisten Redaktionen sind mit dem Themenkomplex Terror vollständig überfordert. Und: Die Medienbranche hat erhebliche Defizite, was kritische Selbstreflexion angeht – aus Angst, inkompetent zu wirken, werden Kompetenzprobleme so gut wie nicht thematisiert.
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