Rhein-Neckar/Deutschland/Christchurch/Welt, 18. März 2019. (red/pro) Der Mörder Brenton Tarrant (28) hat sein Ziel erreicht. Er erschoss am 15. März in zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch 50 Menschen und verletzte 47 weitere zum Teil schwer. Den Überfall und die ersten 41 Morde filmte er mit einer Helmkamera und streamte live auf Facebook. Gleichzeitig verbreitete er über das Internet in verschiedenen Foren eine „Manifest“, ein 73-seitiges Dokument. Weltweit übernahmen Medien Bildsegmente aus dem Video und zitierten auch aus dem Dokument – und verbreiteten den lokalen Massenmord und dessen „politischen Hintergründe“ weltweit.
Von Hardy Prothmann
Die Muster der Berichterstattung sind reflexartig und folgen den immergleichen Schemen – schnelle Meldung, nächste Meldungen bei jeder neuen Information und sei sie auch noch zu unbedeutend, Interviews mit betroffenen Menschen, Stimmen aus der Politik, „Experten“ kommen zu Wort und Leute stellen Forderungen. Und ein ums andere Mal wird die schaurige Nachricht erneut veröffentlicht. Geschehen die Taten im Ausland werden auch die Methoden härter, denn deutsche Medien müssen dann keine Klagen wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen fürchten.
Nach der ersten Schockrunde kommen die ersten „Analysen“ – natürlich wird die Tat auch hier wieder und wieder gemeldet. Was es nun ein Amoklauf, ein Attentat oder ein Terrorakt? Hätte die Tat verhindert werden können? Dann folgen die Vereinnahmungen durch Ideologen und Mahner, die ganz genau wissen, wie die Tat, die erneut wiedergegeben wird, einzuordnen sei.
Das ist die journalistisch-mediale Seite – hinzu kommt sein einigen Jahren die immer stärker werdende Konkurrenz durch (a)soziale Medien wie Twitter, Facebook, Youtube und anderen. Statt sich von diesen abzuheben, deutlich zu distanzieren und mit hoher Professionalität mit einem solchen „Ereignis“ umzugehen, ziehen auch journalistische Medien überwiegend mit, aus Sorge, dass andere ihnen das wegnehmen, was sie erzeugen wollen: Aufmerksamkeit. Doch via Internetdiensten kann heutzutage jeder Aufmerksamkeit erzeugen. Facebook hat nach eigenen Angaben allein in den ersten 24 Stunden nach der Tat rund 1,5 Millionen Mal das Video der Tat gelöscht, davon 1,2 Millionen Mal beim Uploadvorgang. Heißt: 300.000 Uploads waren zuvor erfolgreich, nimmt man nur 100 Kontakte pro Uploader an, hat das eine potenzielle Reichweite von 300 Millionen Personen weltweit.
Terror ist und bleibt Mord – daran ist nichts neu
Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller in Person ist der Australier Brenton Tarrant, der seine Mordtat in Echtzeit verbreitete. Verschiedene Experten und Medien behaupten, das sei neu. Das ist falsch. Bereits im Altertum hängte oder spießte man Menschen gut sichtbar öffentlich auf, nagelte sie ans Kreuz oder richtete sie öffentlich hin, was bis heute in Ländern wie Saudi-Arabien noch üblich ist. Den Terroranschlag vom 11. September 2011 auf Amerika und hier insbesondere New York übertrugen keine sozialen Medien, die gab es noch nicht, sondern Fernsehsender, live und in Farbe. Auch in Deutschland, obwohl man eigentlich schon aus den Erfahrungen der Gladbeck-Geiselnahme 1988 hätte lernen können.
Brenton Tarrant nutzt einfach nur die technischen Mittel, die heute zur Verfügung stehen. Die Verbreitung des Films und seines „Manifests“ sind wesentlicher Teil der Tat, die Morde sind nur der Anlass, um den von ihm inszenierten Terror möglichst weit zu verbreiten. Dies gelingt umso besser, umso weniger die Gesellschaften – darin jeder einzelne, aber auch alle Profis als Akteure, ob Medien, Politiker oder auch andere öffentliche Personen – entsprechend kompetent und nach klaren Regeln vorgehen.
Es fehlt nach wie vor die gesellschaftliche Debatte
Als das RNB am 25. März 2018 einen Artikel veröffentlichte, in dessen erstem Teil ein fiktionaler Terroranschlag in Mannheim geschildert wurde, war die Empörung groß, die Staatsanwaltschaft Mannheim ermittelte, klagte mich an und im Januar 2019 verurteilte mich das Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 12.000 Euro (nicht rechtskräftig, da ich über meinen Strafverteidiger Maximilian Endler Berufung eingelegt habe). Die Staatsanwaltschaft Mannheim hatte eins richtig erkannt und auch im Prozess benannt – mein Motiv sei gewesen, eine öffentliche Debatte zu erzeugen, wie man als Gesellschaft und wie Medien mit Terror umgehen sollen, die Anklage lautete nichtsdestotrotz auf „Störung des öffentlichen Friedens“.
Jetzt ist er wieder gestört, der öffentliche Frieden und zwar weltweit. Gesellschaftliche und fachliche Debatten wird es aber vermutlich wieder nicht geben. Es wird berichtet, dass dieser Terrorakt geeignet sei, weitere Täter zu „motivieren“, eine solche Tat nachzuahmen. Und dass sie Vorbild für andere „Rechtsextreme“ sein könne. Und überhaupt, gewaltbereiten Rechtsterrorismus habe man viel zu wenig im Visier.
Terror will Aufmerksamkeit
Es spielt aus meiner Sicht überhaupt keine Rolle, ob Gewalttaten von links oder von rechts oder islamistisch oder sonstwie ideologisch „motiviert“ sind. Durch Gewaltakte sterben Menschen, ganz egal, ob man das nun Amoklauf, School Shooting oder Terroranschlag nennt. Unterm Strich handelt es sich um Mord. Ob an einzelnen, wenigen oder vielen Menschen. Ob mit einer Schusswaffe, mit Hieb- oder Stichwaffen, mit Fahrzeugen oder mit Bomben begangen. Der entscheidende Unterschied zum „klassischen“ Mord ist: Hier will der Täter möglichst unerkannt bleiben und damit in Freiheit bleiben. Bei Amokläufern, Selbstmordattentätern oder anderen Terroristen ist die öffentliche Aufmerksamkeit immer das eigentliche Ziel, die Tat an sich ist nur der Anlass dafür.
In der Berichterstattung wimmelt es von Floskeln, nur ein Beispiel: Geben Sie mal in einer Suchmaschine „unschuldige menschen christchurch“ ein. Bei meinem Suchergebnis tauchen ganz oben die Süddeutsche Zeitung und Deutschlandfunk auf. Da stelle ich mir die Frage: Wären alle Opfer irgendwie für irgendwas schuldig, wäre die Tat dann weniger furchtbar? Ich hoffe doch nicht, weil jeder rechtsstaatlich gefestigte Mensch die „Todesstrafe“ ablehnt.
Selbstverständlich sind solche Taten furchtbar und selbstverständlich bin ich als Mensch in Gedanken bei den Opfern und ihren Familien. Als Bürger hoffe ich auf eine faktenbasierte Informationen und bilde mir meine Meinung. Als Profi, der am Meinungsbildungsprozess beteiligt ist, muss ich aber abwägen, welche Informationen öffentlich relevant sind, welche nicht und was ich im Kontext wie zur Verfügung stelle.
Kaum zu lösendes Dilemma
Das ist ein ewiges Dilemma: Journalistische Medien haben die Aufgabe, die Öffentlichkeit zu unterrichten, tun sie das, geben sie dem Terror Raum. Täten sie es nicht, kämen sie ihrer Aufgabe nicht nach, zu informieren. Dafür gibt es keine insgesamt zufriedenstellende Lösung. Man kann aber die Wirkmacht des Terrors verringern, wenn man sich auf die nötigste Information beschränkt und es einen gesellschaftlichen Kontext gibt, der dies aus vernünftigen Gründen anerkennt. Und indem man sich nicht vereinnahmen lässt, von dem, was Terror heißt: Schrecken. Und selbstverständlich kann jeder daran mitwirken, indem man selbst keine schrecklichen Inhalte verbreitet und die eindeutig ermahnt oder auch anzeigt, die das unanständigerweise tun.
Gesellschaftlich wie medial und politisch ist darauf zu achten, dass man genau weiß, worüber man debattiert oder diesen Wissenszustand erreichen will. Ich behaupte, dass dieser Massenmord im neuseeländischen Christchurch eben vollständig unzureichend eingeordnet wird, wenn man diesen ausschließlich als rassistische Tat eines Rechtsterroristen einordnet. Es handelt sich um eine extremistische Tat, die sicherlich auch durch rassistische Motive geprägt ist, aber eben nicht nur. Der Mörder zeigt auch narzistische Züge, wie das Video und seine „Schrift“ belegen. Er ist ein Herostrat, einer, der durch Untaten berühmt werden will. Vermutlich hat er deshalb auch keinen Suizid begangen oder sich in einem erweiterten Suizid erschießen lassen.
Wenn er nun vor Gericht kommt, will er erreichen, dass seine Tat weitere Verbreitung findet – so seltsam das klingt, das wird er als Belohnung empfinden. Und jeder, der ihm diese Aufmerksamkeit zuteil werden lässt, ist sein Erfüllungsgehilfe. Dagegen hilft nur eine „damnatio memoriae“, eine kollektive Ächtung. Nicht, um zu vergessen, wer welche Morde begangen hat, sondern zur Bestrafung, die Erinnerung an diese Täter so klein wie möglich zu halten.
Neuseeland will nun zügig das Waffengesetz verschärfen – das wird keinen Terroranschlag oder Amoklauf verhindern, höchstens erschweren. Insgesamt entscheidend ist die gesellschaftliche Verachtung aller Personen, die jegliche Gewalt gegen Menschen als legitimes Mittel für welche Zwecke auch immer betrachten. In vielen Fällen hätten solche Taten verhindert werden können, wenn man Informationen weitergibt und Behörden diese ordentlich einordnen. Beispiel: Das Schulmassaker von Littleton, besser bekant als Amoklauf an der Columbine High School vor knapp 20 Jahren am 20. April 1999. In der nachträglichen Aufbereitung wurde deutlich, dass die beiden Täter durchaus „Anzeigen geliefert“ hatten – sie wurden nur nicht weitergegeben.
Je mehr Aufmerksamkeit, je mehr Terror
Dieser Amoklauf gilt deshalb als bedeutend, weil er durch mediale Berichterstattung weltweit Beachtung fand und auch eine Begrifflichkeit prägte: Den „Columbine-Effekt“. Viele spätere „Amokläufer“ nahmen sich diesen Gewaltakt zum Vorbild. Dasselbe droht nun durch einen „Christchurch-Effekt“ – und zwar unabhängig von jeglicher ideologischen Ausrichtung. Auch bei der Tatwaffe „Fahrzeug“ hat man diesen Effekt seit mindestens 2006, als ein islamistisch motivierter Täter im amerikanischen Chapel Hill mit einem SUV auf einem Universitätsgelände versuchte, Menschen zu töten, neun Personen wurden verletzt. Später folgten Anschläge in London, Nizza, Barcelona, Berlin, um nur die mit den meisten Toten und Verletzten zu nennen.
In allen Fällen wurden dieselben Mechanismen freigesetzt und die immer gleiche, schon fast ritualisierte Berichterstattung geboten, die sich zunächst „geschockt“ zeigt und damit den Schock weiterträgt. Auf Betroffenheit folgt Empörung, dann folgen kurz drauf die ersten „Analysen“, die sich aber noch auf viele Annahmen stützen, gleichzeitig treten die Experten auf – und immer und immer wieder wird der Terrorakt verbreitet.
Selbstverständlich habe ich als Reporter, der sich beruflich mit Terror befasst, das Video gesucht und auch gefunden, ebenso das „Manifest“. Aus professionellen Gründen ist das notwendig im Zuge der Recherche. Das RNB könnte daraus Screenshots zeigen oder zitieren. Diese Genugtuung erhält der Mörder von Christchurch aber nicht. Würde ich mich nicht beruflich damit befassen, hätte ich nicht danach gesucht – denn dann wäre ich nur ein Voyeur, wie Millionen andere. RNB-Lesern rate ich dringend davon ab, sich das Video anzuschauen, denn es ist nicht notwendig, dies zu tun, um zu wissen, dass ein Massaker stattgefunden hat. Jeder kann sich die Frage stellen: Wollte ich, dass jemand sieht, wie ich ermordet werde?
Medien sollten darauf achten, solche Gewalttaten rein nachrichtlich zu behandeln und wirklich nur die wesentlichen Informationen zu übermitteln. Es braucht keine Interviews mit Angehörigen oder Umfragen auf der Straße. Selbstverständlich können in Nachrichten der Ort, die Zeit, die Zahl der Opfer und auch der Name des Mörders genannt werden. Später reicht es, wenn man ihn oder sie Mörder nennt. Bis zum Vorliegen von gesicherten Informationen braucht es auch keine Experten, die irgendwas ins Ungefähre von sich geben. Es braucht auch keine Talkshows zum Thema und keinen Brennpunkt oder andere „Sondersendungen“. Medien müssen über Terrorakte als Geschehen der Zeitgeschichte berichten. Wenn dies aber getan wird, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu erreichen, macht man sich zum Erfüllungsgehilfen des oder der Mörder, die Schrecken über die Tat hinaus verbreiten wollen.
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