Mannheim/Berlin, 26. September 2018. (red/pro) Die CDU-Fraktion im Bundestag wählte am 25. September mit Ralph Brinkhaus (52,7 Prozent) einen neuen Fraktionsvorsitzenden. Die meisten Medien bewerten dies als Abwahl des “Merkelvertrauten” Volker Kauder (47,3 Prozent) und sehen die Machtbasis der Kanzlerin schwinden. Dr. Stephan Harbarth (Wahlkreis Rhein-Neckar) ist mit dem besten Ergebnis von 98,9 Prozent erneut zum stellvertretenden Vorsitzenden geworden. Gegenüber dem RNB beurteilt er die Lage aus seiner Sicht.
Interview: Hardy Prothmann
Beschreiben Sie doch bitte kompakt, was die Hauptaufgaben des Fraktionsvorsitzes sind?
Dr. Stephan Harbarth: Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vertritt diese nach innen sowie nach außen. Konkret bedeutet dies, dass er die Meinungen und Vorschläge innerhalb der Fraktion bündelt, ordnet und als „Speerspitze“ im Plenarsaal schließlich auch vorträgt. Darüber hinaus ist er im Deutschen Bundestag der wichtigste Ansprechpartner für den Koalitionspartner bei der Planung, Beratung und Verabschiedung von Gesetzen und Anträgen.
Wenn man sich die Funktion in einer Firma vorstellte, welche Position wäre das?
Harbarth: Vorstandsvorsitzender.
Gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit in Aussicht gestellt
Die Wahl von Herrn Brinkhaus – und damit die Abwahl von Herrn Kauder – wird allgemein als Zeichen gedeutet, Bundeskanzlerin Merkel verliere an Zuspruch. Wie sehen Sie das?
Harbarth: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat gestern ihren Vorsitzenden gewählt. Ralph Brinkhaus hat unmittelbar nach seiner Wahl zum Ausdruck gebracht, dass er sich auf gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Bundeskanzlerin freut. Es besteht überhaupt kein Anlass zur Vermutung, dass das Bundeskanzleramt und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sich in zwei unterschiedliche politische Richtungen bewegen werden.
Der aktuelle Streit um Herrn Dr. Maaßen war sehr belastend. Wie beurteilen Sie – auch als Jurist – die Causa?
Harbarth: Hans-Georg Maaßen leitete das Bundesamt für Verfassungsschutz seit 2012 und damit in Zeiten einer ungewöhnlich schwierigen Sicherheitslage. Dass zahlreiche Terroranschläge durch unsere Sicherheitsbehörden verhindert werden konnten, ist auch sein Verdienst. Bei aller berechtigten Kritik an den Fehlern, die ihm in jüngerer Vergangenheit unterlaufen sind, sollte dies nicht vergessen werden.
Sie sind nicht Teil der Regierung – sind Sie mit der Regierungsarbeit zufrieden?
Harbarth: In den vergangenen Wochen und Monaten haben sich die Debatten im politischen Berlin vor allem um Nebenschauplätze und Personaldebatten gedreht. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass wir uns nun wieder konkreten Themen widmen. Wir müssen vom Streitmodus in den Arbeitsmodus wechseln – und zwar rasch. Darauf müssen nun alle unsere Anstrengungen gerichtet sein.
Hält die Koalition Ihrer Einschätzung nach über die Legislaturperiode?
Harbarth: Ich sehe keinen Anlass, das Gegenteil zu vermuten.
Worauf kommt es in nächster Zeit an?
Harbarth: Jetzt kommt es darauf an, dass wir uns wieder den drängenden Sachfragen unserer Zeit widmen. Dazu zählen die Themen Wohnen, Stärkung des Rechtsstaats und die Gestaltung der Digitalisierung. Ich freue mich, als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion daran auch in Zukunft mitwirken zu dürfen.
Hintergrund:
Aktuell tobte ein wochenlanger Konflikt um den Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Dr. Hans-Georg Maaßen, wegen missverständlicher Äußerungen zu angeblichen “Hetzjagden” in Chemnitz. Dort war Ende August ein Deutsch-Kubaner mutmaßlich durch Flüchtlinge mittels eines Messers getötet worden. Im Anschluss kam es zu Demonstrationen, an denen auch mehrere hundert Rechtsradikale teilnahmen. Teils kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen. Herr Maaßen verliert das Amt und soll Sonderberater im Innenministerium werden.
Der Jurist Volker Kauder (69) war 13 Jahre lang – und damit bislang langjährigster – Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und gilt als Vertrauensperson der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Herr Kauder ist seit 1990 direkt gewählter Kandidat im Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen.
Der Steuerberater Ralph Brinkhaus (50) sitzt seit 2009 im Bundestag (Wahlkreis Gütersloh) und gilt als Wirtschafts- und Finanzexperte. Er gilt als konservativ, ruhig und sachlich, aber auch kritisch gegenüber “Umverteilung” und als Gegner der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.
Dr. Stephan Harbarth (46) ist ebenfalls seit 2009 Bundestagsabgeordneter (Wahlkreis Rhein-Neckar) und Vorstand einer großen Anwaltskanzlei in Mannheim, die von VW in Sachen Abgasskandal mandatiert worden ist. 2011 wurde er als Nachfolger von Georg Wacker zum Kreisvorsitzenden der CDU Rhein-Neckar gewählt, seit 2013 ist er Mitglied des Landesvorstandes der CDU Baden-Württemberg. Außerdem ist er Mitglied im CDU-Bundesvorstand. Er ist ein von acht stellvertretenden Vorsitzenden.
Während die CDU ihre Fraktionsvorsitzenden nach der Wahl und dann erneut nach einem Jahr wählt, wählt die CSU ihre stellvertretenden Vorsitzenden für die gesamte Periode.