Rhein-Neckar/Halle/Berlin, 12. Oktober 2019. (red/pro) Bundesinnenminister Horst Seehofer hat den Terrorangriff auf eine Synagoge in Halle, die letztlich eine Passantin und einen Handwerker das Leben kostete, als „Schande für Deutschland“ bezeichnet. Man zeigt sich schockiert und genau das ist ein massives Problem. Wer geschockt ist, kann nicht denken.
Von Hardy Prothmann
Am 12. Oktober wurden in der balinesischen Stadt Kuta 202 Menschen getötet und 209 Menschen teils schwer verletzt. Der Bombenanschlag fand in einer Discothek statt, in der ich sechs Wochen vorher eine sehr lustige Partynacht mit viel Tanz und guter Laune verbracht hatte. Es war für mich und meine Begleiter ein sehr schöner Abend und ich hatte keine Vorstellung, welcher Horror sich hier wenige Wochen später ereignen würde.
Einige Tage zuvor hatte ich im Rahmen einer journalistischen Reise durch Indonesien Abu Bakar Bashir für ein insgesamt vierstündiges Interview getroffen. Er gilt als „Osama bin Laden“ Indonesiens, spiritueller Führer der wie alles andere weiter.
Der allerfürchterlichste und mörderischste Terror, den die Welt bislang erlebt hat, ist die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Mit dem Ende dieser menschenverachtenden und -vernichtenden Diktatur ist die Welt sehr viel besser geworden. Doch der Terror bleibt und sucht sich immer neue Wege, um Furcht und Schrecken zu verbreiten, Menschen zu töten und andere Menschen lebenslang zu verletzen.
Insbesondere moderne, demokratische Gesellschaften, die auf „Gewaltenteilung“ gründen, sind einem grausamen und irrationalen Terror hilflos ausgeliefert, wenn sie nicht in sich wehrhaft sind.
Ich habe 2018 in Zeiten der Debatte um Fake News einen erfundenen Terroranschlag veröffentlicht, um zu belegen, wie irrational damit umgegangen wird und wie wenig ausdifferenziert die öffentliche Wahrnehmung und Debatte ist. Der Beweis ist gelungen. Und der aktuelle Terroranschlag in Halle führt diesen Beweis weiter.
Im Januar 2019 wurde ich durch das Amtsgericht Mannheim wegen eines fiktionalen Berichts zu einer Geldstrafe von 12.000 Euro verurteilt. Dieses Urteil ist nicht rechtskräftig, weil ich Berufung eingelegt habe. Mir wurde durch die Staatsanwaltschaft Mannheim vorgeworfen, ich hätte nach Paragraf 126 des Strafgesetzbuches den öffentlichen Frieden durch die Androhung von Straftaten gestört.
In Halle hat ein Einzeltäter zwei Menschen ermordet und zwei weitere schwer verletzt. Der Generalbundesanwalt geht von weiteren neun Mordversuchen aus.
Der Bundesinnenminister Horst Seehofer hat dazu auf einer Pressekonferenz gesagt, dass solche Straftaten jederzeit möglich seien.
Hat er damit den öffentlichen Frieden nicht ebenfalls gestört, indem er weitere Straftaten angedroht hat? Haben andere Medien, die ohne jeden faktischen Beweis über „Mittäter“ berichteten, nicht den öffentlichen Frieden bedroht, indem sie mögliche Straftaten angekündigt oder angenommen haben? Kümmert sich die Staatsanwaltschaft Mannheim um diese „Sachverhalte“?
Was ist der öffentliche Friede? Gemeinhin ein Leben, das organisiert ist und das Streitigkeiten mittels eines Rechtssystems erledigt. Wenn alle an dieses Rechtssystem glauben und es respektieren, funktioniert ein solcher Friede auch insgesamt.
Wenn aber nur ein sehr kleiner Teil dieses Rechtssystem angreift, kommt es in erhebliche Schwierigkeiten. Deswegen ist die Bekämpfung von Angreifern, egal ob rechts oder links, überlebensnotwendig für dieses Rechtssystem.
Vor diesem Hintergrund hatte ich ein „Horror“-Szenario entworfen, das vollkommen utopisch daherkommt, durchweg „absurd“ gefakt war und auch klar als Fiktion in meinem Text benannt worden ist. Trotzdem wurde ich verurteilt und hätte ich das Urteil angenommen, wäre ich ein verurteilter Straftäter, mit allen daraus resultierenden Konsequenzen.
Mein Job als Journalist ist aber, Öffentlichkeit zu erzeugen und Meinungsbildung zu ermöglichen. Wenn das als kriminell betrachtet wird, sagt das auch viel über unseren Rechtsstaat aus.
Ich behaupte, dass es die Todesopfer von Halle nicht hätte geben müssen. Eine Frau, die an einem in Kampfmontur, behelmten und mit Gewehr bewaffneten Typen vorbeiläuft und diesen sogar anspricht, hat die unmittelbare Lebensgefahr nicht erkannt, sondern dachte vermutlich, dass sie frei passieren kann. Wenige Sekunden später war sie tot. Von hinten erschossen.
Das ist kein Opfer-Blaming, sondern eine Feststellung, weil ich das Video gesehen habe und es sich so und nicht anders zugetragen hat.
Die drei Männer im Döner-Imbiss haben die Gefahr erkannt. Einer hat sich in eine Toilette geflüchtet, zwei haben sich hinter einem Getränkeautomaten versteckt. Der Mörder hat mehrfach versucht zu schießen und seine Waffe hatte Ladehemmung. Wären die beiden Männer entschlossen gewesen, hätten sie ihn überwältigen können. Einer flüchtete, der andere wurde letztlich erschossen.
Beim Attentat in Christchurch haben sich die Opfer in Ecken geflüchtet, keinen Widerstand geleistet und wurden vom Mörder erschossen. Auch das war eine Hinrichtung. Hätten sie sich gewehrt, hätten sie sich auf den Attentäter gestürzt, wären einige verletzt oder getötet worden, aber nicht alle.
In der deutschen Medienöffentlichkeit zeigte man sich heroisch und viele Medien nannten den Namen des Attentäters von Christchurch nicht, um ihm keine Bedeutung zu geben. Aktuell wird der Name des Mörders von Halle in vielen Medien genannt.
Nach welchem Kompass, nach welchen Regeln agieren eigentlich solche Medien? Mal so, mal so, wie es halt gerade in den Kram passt?
Welche Analyse von welchen Experten findet aktuell statt? Aktuell hauen viele Medien auf die AfD ein und transportieren die Botschaft von interessierter Seite, dass all das die Schuld der AfD sei. Das ist journalistisch der Ober-Gau.
Die AfD wurde 2013 gegründet und hat seit 2015 erhebliche Erfolge zu verzeichnen. Die Partei ist rechtskonservativ, in Teilen sind die Mitglieder oder Unterstützer rechtsradikal bis rechtsextrem, aber Belege, dass sie rechtsterroristisch ist, fehlen und werden nur hingedeutet. Alle rechsextrimistischen Gewalttaten vor der Gründung werden der AfD implizit in die Schuhe geschoben. Geht so gesellschaftlicher Diskurs? Und wie unterscheidet der sich von der früheren Unterstützung der RAF durch „Linksintellektuelle“ und heute von der Unterstützung von Linksextremisten- und terroristen?
Diese scheinbar naheliegenden Schuldzuweisungen sind nichts anderes als Belege für das systematische Versagen von Journalismus, der sich nicht anstrengt, Fakten zu recherchieren und diese zu thematisieren.
Die verheerende Wahrheit ist, dass in vielen Medienköpfen ein friedliches Zusammenleben der eigentliche Horror ist.
Wie sollte man dann sonst Streit und Zwietracht als Aufmerksamkeitsmaschine betreiben können? Welche Schlagzeile lässt sich aus: Man redet miteinander, bilden?
Entsprechende Medien wissen es nicht besser, sondern erinnern sich vorsätzlich nicht, insbesondere Die Zeit und andere, die den Pfad einer ordentlichen, faktenorientierten Berichterstattung trotz vorliegender Informationen längst verlassen haben.
Rechte Gewalttäter gab es, ob München oder NSU, lange vor der AfD. Rechtsterrorismus ist so alt wie die Bundesrepublik und ebenso der Terror von links. Richtig ist, dass Rechtsterrorismus bislang meist tödlicher ist als der von links. Richtig ist auch (wird aber so gut wie nie thematisiert), dass der islamistische Terror der tödlichste von allen ist und das eben nicht erst seit wenigen Jahren. Doch das wird geflissentlich ignoriert.
Wer sich mit Terror beschäftigt, muss erkennen, dass es früher organisierte Strukturen gab, die immer auch deorganisiert agierten. Dies hat sich zunehmend verschärft. Niemand weiß, wie viele „einsame Wölfe“ es gibt, ob rechts oder links oder islamistisch.
Klar ist hingegen, dass dieser Gesellschaft eine Schafsmentalität gepredigt wird, was sich in Opfern rächt.
Man bestärkt sich in Bekenntnissen, kommt in Herden zusammen und hofft damit, Angriffe abwehren zu können. Das ist grundsätzlich richtig, aber insgesamt ein Trugschluss, wenn es zum Attentat kommt. Denn dann rennt jeder alleine um sein Leben und verliert es im Zweifel.
Die Polizei allein ist nicht mehr in der Lage, die öffentliche Sicherheit zu garantieren, wenn es zu solchen Lagen kommt. Das kann sie nur, wenn die Gesellschaft mitzieht. Richtig ist die Einsicht: Egal, wie rechtsstaatlich und demokratisch organisiert eine Gesellschaft ist, gibt es trotzdem Kriminalität. Deren Bekämpfung ist Aufgabe der Polizei.
Der Staat und seine Behörden benötigen für eine erfolgreiche Abwehr und eine Verfolgung von Straftaten dringend eine Bevölkerung, die zu diesem Staat und zu dieser Polizei steht. Radikale und Extremisten aller Lager (dazu gehören auch Fußball-Gewalttäter) tun das nicht.
Leute, die den Hype in sozialen Netzwerken suchen, indem sie Fotos und Videos von Verbrechen online stellen, statt sie den Behörden zu übermitteln, sind asoziale Nichtsnutze, die über das zufällig aufgenommen Leid anderer Menschen Aufmerksamkeit suchen. Hier ist gesellschaftliche Debatte notwendig und auch der Gesetzgeber gefordert, um dieses miese und asoziale Verhalten als solches zu benennen, zu ächten und möglicherweise auch zu bestrafen.
Leute, die niemanden melden, der sich merkwürdig verhält, abfällige Bemerkungen über Juden, Muslime oder sonst wen macht, sind mitverantwortlich dafür, dass irgendwann irgendjemand meint, „mal was tun zu müssen“.
Ja, verschiedene Vertreter der AfD verstärken mit Sicherheit solche Motivationen, aber die AfD ist damit nicht allein.
Ich bin seit rund 30 Jahren als Journalist tätig und weil ich mich kritisch und unabhängig auf Basis meiner Recherchen (die Fakten treffen zu) äußere, werde ich bedroht und angegangen – insbesondere von links.
Zu meiner Arbeit gehört, dass ich immer wieder vor islamistischem Terror warne, der nachgewiesen sehr viel mehr Menschen in der jüngeren Vergangenheit ermordet hat, als der Terror von rechts. Und hier verweise ich auf den Unterschied von relativ wenigen Opfern in Europa, aber sehr viel mehr in Afrika und im Nahen Osten.
Es geht mir dabei nicht um einen „Vergleich“ – man kann Verbrechen niemals vergleichen. Jedes Opfer ist eines zu viel.
Dazu gehört auch, dass ich thematisiere, dass Gruppen wie „Mannheim sagt Ja“, die inhaltlich stark von den Grünen und den Linken geprägt sind, das Problem von arabischem oder muslimischem Antisemitismus inhaltlich überhaupt nicht angehen, sondern vorsätzlich verleugnen und damit einen strukturellen Antisemitismus in diesen Teilen der Gesellschaft kritiklos befördern.
Dazu gehört auch, dass ich der festen Überzeugung bin, dass diese Leugnung dazu führt, dass sich rechtsextremistische Einstellungen mehr und mehr verbreiten können, weil „einsame Wölfe“ denken, dass sie handeln müssten.
Und dazu gehört auch, dass ich mittlerweile der Überzeugung bin, dass dies von „linken Kräften“ so gewünscht ist, weil sich daraus in einem perversen Kalkül eine Art „Wir haben es immer gesagt“ ableiten lässt.
Es braucht in Deutschland dringend eine öffentliche Debatte über Terrorismus, der schon sehr viele Menschenleben gekostet hat. Dabei darf es keine ideologischen Scheuklappen geben, sondern alle terroristischen Elemente müssen benannt und besprochen werden.
Ebenso wie man diesen entgegentreten kann, um nicht Schaf oder Opfer zu sein, sondern handlungsfähig zu bleiben.
Es wird künftig mehr „einsame Wölfe“ geben und wir alle sollten keine Schafe sein.