Halle/Rhein-Neckar, 10. Oktober 2019. (red/pro) Der Rechtsterrorist, der in Halle zum Jom Kippur ein Massaker in der Synagoge anrichten wollte, ist an seinem eigenen Dilettantismus gescheitert. (Hier unser detaillierter Bericht.) Das ändert aber nichts daran, dass er willkürlich zwei Menschen erschossen und mindestens zwei weitere schwer verletzt hat. Er hatte den absoluten und totalen Willen, seinem Hass auf Juden und andere freien Lauf zu lassen und bedingungslos zu töten. Insbesondere der Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) muss dringend Fragen beantworten, wieso die Synagoge nicht durch die Polizei geschützt worden ist und wieso es quälende 15 Minuten dauerte, bis Polizeibeamte vor Ort waren. Die Öffentlichkeit muss sich zudem deutlich entschiedener mit Terrorismus befassen und wie man damit umgeht, denn das Verbrechen in Halle wird nicht das letzte Attentat gewesen sein.
Kommentar: Hardy Prothmann
Selbstverständlich zeigen sich Menschen in ganz Deutschland und in der Welt entsetzt über den rechtsextremistischen Terroranschlag in Halle, der zunächst gegen Juden gerichtet war und dann eine Frau und einen Mann das Leben kostete, weil der Täter einfach nur töten wollte. Statt Juden im Zweifel halt „Kanaken“ oder eine vorbeilaufende Passantin.
Terror hat viele Gesichter und die muss man sich anschauen, denn nur so kann man ihm seinen Schrecken nehmen. Für die jeweiligen Opfer, ganz egal, wie viele das sind, sind die Taten tödlich. Aber Terror sucht immer mehr Opfer, als er direkt trifft. Es geht um die Verbreitung von Schrecken – in den Köpfen, in den Herzen. Insbesondere Medien haben hier eine besondere Verantwortung, in Zeiten des Internets aber auch jeder einzelne.
Jeder, der solche Taten aufnimmt und ohne jegliche Einordnung verbreitet, unterstützt Terroristen. Jeder, der solche Aufnahmen über asoziale Netzwerke teilt, ist ein Unterstützer von Terroristen. Wer solche Mordtaten beobachtet oder gar aufnehmen kann, hat die Pflicht und die Verantwortung, diese den Behörden mitzuteilen, damit die bei der Aufklärung und Strafverfolgung ihre Arbeit machen können. Und alle die, die in ihren Netzwerken Kontakte haben, die solches Material weiterverbreiten, sollten diese Kontakte ächten. Als herzlose Terrorunterstützer, denen die Sensation wichtiger ist, als auch nur ein Gedanke an das Leid der betroffenen Menschen.
Ich bin kein Pfarrer und schreibe hier kein Wort zum Sonntag, sondern einen dringenden Appell: Diese Welt ist nicht gewaltfrei und es wird niemals eine gewaltfreie Welt geben. In demokratischen Gesellschaften haben wir das Gewaltmonopol dem Staat und seinen Behörden übergeben. Das ist die einzige Möglichkeit, um möglichst friedlich und mit so wenig Gewalt wie möglich leben zu können. Dies muss man dringend verstehen und sich daran halten, sonst übernimmt eine ungezügelte Gewalt die Gesellschaft.
Der Attentäter von Halle ist zum Glück ein Volldepp, der unzureichend vorbereitet und noch unzureichender ausgerüstet war. Woran es ihm überhaupt nicht mangelte, war unbedingte Mordlust. Fast alles, was er sich vorgenommen hat, hat nicht funktioniert.
Und er hatte sich viel vorgenommen. Ein Massaker an Juden im Gebet.
Im Frust hat er eine vermutlich deutsche Frau hinterrücks erschossen und einen Handwerker, der vermutlich Mittagspause hatte und in einem Imbiss nur etwas essen wollte. Der Attentäter hat auf weitere Passanten geschossen und mindestens zwei weitere Menschen verletzt.
Was, wenn kein Volldepp, sondern ein gut vorbereiteter Attentäter seine Mordpläne umsetzt? Das haben wir schon häufig erleben müssen in den vergangenen Jahren. Ob in England, in Frankreich, in Spanien, in Norwegen oder auch in Deutschland.
In der politischen Debatte wird der Kampf gegen den Rechtsextremismus in den kommenden Tagen die Schlagzeilen bestimmen. Doch das ist zu kurz gegriffen und häufig ideologisch geprägt. In den vergangenen Jahren hat der islamistische Terror weit mehr Menschenleben gekostet. Und der linksextremistische Terror schickt sich an, ebenfalls auf das Leben von Menschen abzuzielen. Die Conclusio muss lauten: Wir alle sagen allen Terroristen den Kampf an, egal ob rechts- oder linksextremistisch oder islamistisch. Terror hat immer irgendwelche angebliche ideologischen Hintergründe. Auch davon muss man sich lösen, weil man sonst eine Art Idee hinter solchen Gewalttaten vermuten könnte. Es gibt keine Idee und schon gar kein Ideal. Es sind Mörder, die Menschen töten und zur Begründung irgendwas ins Feld führen. Ob RAF, NSU oder Daesh.
Die Delegation des Gewaltmonopols muss immer kontrolliert werden, weil jede Gewalt ohne Kontrolle immer zu schlimmen Konsequenzen führt. Hier sind alle demokratischen Institutionen gefordert, diese delegierte Gewalt zu hinterfragen und damit zu kontrollieren. Auch das wird nie verlustfrei ablaufen, aber insgesamt schon, wie man an unserer insgesamt sehr friedlichen Gesellschaft klar belegen kann.
Nach dem Mord am Regierungspräsidenten Walter Lübcke und dem aktuellen Terroranschlag in Halle, aber auch nach dem Terroranschlag in München durch einen Minderjährigen ist eines klar: Ebenso wie bei den mörderischen Dschihadisten verlagert sich die Gefahr in den Untergrund. Der Terror ist nicht mehr „organisiert“, sondern organisiert sich selbst in kleinsten Einheiten, im Zweifel beim „Einzeltäter“.
Ebenso klar ist aber – es gibt ihn nicht, „den Einzeltäter“. Mehr oder weniger alle haben Unterstützer und alle haben ein Umfeld, das auf „merkwürdiges“ Verhalten aufmerksam reagieren könnte, wenn man denn dafür ein Bewusstsein hat.
Die allermeisten Menschen scheuen sich aber, jemanden den Behörden zu melden, der sich möglicherweise „seltsam“ verhält. Wie der Terroranschlag in Paris zeigt, betrifft das sogar Behörden wie die Polizei selbst. Das heißt im Ergebnis nur: Man nimmt Gefahren nicht ernst. Der Berlin-Attentäter Anis Amri war überhaupt nicht so harmlos und unauffällig, wie das zunächst dargestellt worden ist. Ebenso wenig die NSU-Terroristen.
Genau deshalb braucht es eine breite und öffentliche Auseinandersetzung – um das Gefühl und das Erkennen von Gefahren zu befördern. Denn durch Schweigen und Weggucken gehen die nicht weg, sondern fordern immer neue Todesopfer. Ich erinnere hier an den Mörder von Mia in Kandel. Der hatte sich über Monate hinweg aggressiv und auffällig verhalten können, hat beleidigt und bedroht. Am Tag des Mordes war die Polizei vorstellig – um eine „Gefährderansprache“ zu machen. Nur wenige Stunden später war das Leben des jungen Mädchens ausgelöscht.
In Köln wurde ein Biowaffen-Attentat verhindert, bei dem ein Asylant nicht nur versucht hat, sondern erfolgreich Rizin hergestellt hat, um eine große Zahl von Menschen zu töten. Nach meinen Informationen kamen die entscheidenden Hinweise aus den USA. Heißt: Die deutschen Behörden müssen den Austausch von sicherheitsrelevanten Informationen schnell und umfänglich verbessern, um auf neue Bedrohungslagen vorbereitet zu sein. Aktuell ist klar: Niemand hatte den mutmaßlichen Mörder von Herrn Lübcke auf dem Schirm, niemand den Attentäter von Halle und Anis Amri war zwar im Visier, aber letztlich konnte er seine Tat unbehelligt durchführen.
Ganz klar gibt es dabei immer berechtigte Sorgen, ob der Staat die Bürger „ausspioniert“. Das kann man rechtsstaatlich lösen, wenn man will. Klar ist auch, dass der Attentäter von Halle beispielsweise in Tel Aviv niemals 15 Minuten Zeit gehabt hätte, um zu morden. In Israel gibt es wegen der alltäglichen Terrorgefahr ganz andere Mechanismen und ein anderes Bewusstsein im Umgang mit Terroristen.
Und in Deutschland gibt es viele Medien, die genau diese Wehrhaftigkeit immer wieder kritisieren. Der Terrorist hat in Halle bewiesen, dass vor allem die wehrlosen Menschen Opfer werden. Sie haben schlicht keine Chance, selbst nicht gegen einen solchen Dilettanten.
Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischen Ursprungs müssen in Deutschland um ihr Leben fürchten. Das ist unerträglich. Genauso unerträglich, wenn andere Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind. Der Staat muss dafür sorgen, dass niemand davon bedroht wird, aber insbesondere wegen der deutschen Geschichte gibt es eine besondere Verpflichtung den Juden gegenüber, ohne dass sich daraus eine Exklusivität ableiten lässt. Hier geht es einfach nur um ein als selbstverständlich anzunehmendes Bewusstsein.
Und „der Staat“, das sind wir alle gemeinsam. Wir müssen mehr aufeinander aufpassen und wie man das am besten macht, darüber muss man öffentlich diskutieren, möglicherweise Gesetze ändern oder erlassen. Anreize schaffen, um Menschen zu ehren, die sich einbringen und Gefahren abwehren helfen und auch klare Ächtungen, die jedem, der anderen nach Leib und Leben trachtet, klar zu machen, dass er oder sie außerhalb dieser Gesellschaft steht.
Wenn Sie bis hier gelesen haben – Danke schön. Sie entscheiden also mit, was sie alles mit anderen im Internet teilen und Sie entscheiden auch, was Sie zulassen, wogegen Sie sich wehren, was Sie mitmachen und was nicht und ob Sie den Behörden auffällige Verhaltensweisen melden. Dabei gibt es einen Unterschied, ob man seine Mitmenschen „bespitzelt“ oder einfach nur „aufmerksam“ ist. Auch hierzu braucht es eine Debatte, wie man damit vernünftig umgeht. Blockwarte hatten wir schon mal und das war keine gute Sache.
Außer Frage steht für mich, dass Innenminister Holger Stahlknecht eine eindeutig und unmissverständliche Begründung vorlegen muss, warum die Synagoge in Halle keinen Polizeischutz hatte. Ebenso, wieso es ganze 15 Minuten gedauert hat, bis es zum „Feindkontakt“ zwischen Polizei und Attentäter gekommen ist. Wenn er das nicht kann, ist sein Rücktritt zwingend.
Es geht nur mit absoluter Härte: Auch, was Verantwortung angeht.