Mannheim, 17. Januar 2017. (red/pro) Vor zwei Jahren haben rund 12.000 Teilnehmer bei der Großdemo „Mannheim sagt Ja“ teilgenommen. Es war eine der größten Demos der vergangenen Jahrzehnte. Der ursprüngliche Anlass war ein Zeichen gegen Pegida zu setzen und für eine Willkommenskultur. Kurz zuvor wurden die Redaktion von Charlie Hebdo Ziel eines terroristischen Anschlags, mehrere Mitarbeiter der Satire-Zeitschrift kamen ums Leben – dadurch wuchs die Veranstaltung von angemeldeten 3.000 Teilnehmern auf diese enorme Größe an. Aktuell haben wir eine der Mitinitiatorinnen, die Stadträtin Rebekka Schmitt-Illert (CDU) gefragt, wie sie heute auf die Zeit seit damals zurückblickt.
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Interview: Moritz Bayer
Frau Schmitt-Illert, Sie haben vor zwei Jahren für die Teilnahme an der “Mannheim sagt Ja”-Demo geworben und waren Teil der Organisatoren-Gruppe. Würden Sie das heute nochmals machen?
Rebekka Schmitt-Illert: Vor dem Hintergrund des Aufkommens von Pegida unter dem Titel „Für Vielfalt statt Hass und Angst“ auf die Straße gehen? Ja, selbstverständlich.

Solidarisierung von Muslimen mit den Opfern des Attentats in Paris.
Sie wurden dann aber nicht Mitglied des Vereins und haben sich schnell von “Mannheim sagt Ja” zurückgezogen. Warum?
Schmitt-Illert (lacht): Lesen Sie keinen Rheinneckarblog? Das kann man dort nachlesen… Scherz beiseite. Zusammengefasst: Die Demo und Kundgebung am 17. Januar 2015 wurden von der Breite der Stadtgesellschaft getragen – und die Verantwortlichen konnten – nach einigen Diskussionen – allen Teilnehmern klar machen, dass wir keinerlei Aggressionen dulden, auch nicht gegen Pegida-Sympathisanten. Kein Hass bedeutete genau das: Kein Hass.
Schon während der Vorbereitungen und direkt im Anschluss an die Veranstaltung wurde aber immer offensichtlicher, dass die Meinungen über die bei Demos erlaubten Mittel weit auseinandergehen. Am 8. Februar wollte man sich dann erneut mit einem Demonstrationszug an einer Veranstaltung – dieses Mal in Ludwigshafen – beteiligen. Die Distanzierung zu gewaltbereiten linken Gruppen, darunter die Antifa, hat mir gefehlt. Dafür stand ich dann nicht mehr zur Verfügung.
Mir ging es darum, ein Zeichen zu setzen
Mir ging es im Januar 2015 darum, Pegida ein unübersehbares Zeichen entgegenzusetzen. Das haben wir in Mannheim geschafft. Das war der gemeinsame Nenner, auf den wir uns – auch mit den 12.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern – verständigen konnten.
Wenn Sie die Jahre 2015 und 2016 Revue passieren lassen – beschreiben Sie doch bitte die Entwicklung, wie Sie sie wahrnehmen. Stichworte: Vielfalt, Willkommenskultur, Hass, Extremismus, Kriminalität, Integration, Abschiebung, Terror.

Rebekka Schmitt-Illert. Foto: privat.
Schmitt-Illert: Die Themen waren im Januar 2015 alle schon angelegt. Und sie wurden bereits kontrovers diskutiert. Geändert hat sich aus meiner Sicht vor allem die Intensität der Debatte und die Wahrnehmung. Was ich beobachte, ist vor allem eine weitere Radikalisierung der Debattenkultur, wenn man das überhaupt noch Kultur nennen kann. Und das geht ganz klar von beiden Seiten aus – das war ja damals schon das Problem: Hass gegen Flüchtlinge wollte man bekämpfen und hat mit Hass auf Andersdenkende reagiert, teilweise mit Gewalt, wenn sie nur an diverse AfD Veranstaltungen denken.
Es fehlen differenzierte Betrachtungen
Die Sorgen vieler durchschnittlicher Bürgerinnen und Bürger sind größer geworden. Aus Gesprächen weiß ich, dass viele Menschen, die am 17. Januar 2015 mitgelaufen sind, sich heute in der öffentlichen Debatte nicht wiederfinden – denn da scheint es nur schwarz und weiß zu geben, meinetwegen AfD gegen „Gutmenschen“, um es mal plakativ auf den Punkt zu bringen. Es findet auch zwei Jahre später kaum eine differenzierte Betrachtung statt.
Sie selbst leben nah an der Innenstadt, haben als Stadträtin mehr Informationen als andere Bürger/innen – hat sich Ihr Lebensgefühl verändert? Verhalten Sie sich anders?
Schmitt-Illert: Ich mache mir deutlich mehr Gedanken als früher, ja. Aber ich verhalte mich eigentlich kaum anders. Ich gehe immer noch nachts zu Fuß durch meinen Stadtteil – durch Stadtteile, in denen ich mich nicht so gut auskenne, allerdings nicht so gern. Ich nehme auch genauso oft die Straßenbahn wie früher. Möglicherweise bin ich etwas aufmerksamer, aber eigentlich war ich das als Frau schon immer. Ich habe kein Pfefferspray und mache auch keinen Selbstverteidigungskurs. Und meine Tochter läuft auch in der dunklen Jahreszeit noch allein in die Schule – ich denke, das sagt wahrscheinlich am meisten darüber aus, wie sicher ich meinen Stadtteil finde.
Ihre Partei fordert vehement die Wiedereinführung der Videoüberwachung – was ist Ihre Position dazu?
Schmitt-Illert: Es ist nicht so ganz klar, ob durch Videoüberwachung irgendetwas verhindert oder nur verlagert wird. Ich halte die Videoüberwachung aber für ein gutes Instrument bei der Aufklärung von Verbrechen – und soweit ich informiert bin, wäre die Mannheimer Polizei nicht abgeneigt. Das sind die Profis, die würden es klar ablehnen, wenn es sinnlos wäre. Allerdings ist die Videoüberwachung nach der jetzigen Gesetzeslage sehr personalintensiv, und ich denke, da liegt das Hauptproblem.
Im Mannheimer Norden plant ihr Partei-Kollege, der Innnenminister Thomas Strobl, ein “Ankunftszentrum”. Was kommt da Ihrer Meinung nach?
Schmitt-Illert: Es ist ja noch nicht einmal klar, wie dieses Ankunftszentrum aussehen soll oder was die Alternative ist. Ich habe so meine Zweifel, ob da am Ende wirklich nur die Registrierung aus Heidelberg eins zu eins nach Mannheim verlagert werden soll – aber ausgeschlossen ist es nicht. Davon und von einer möglichen weiteren Be- oder Entlastung der Stadt Mannheim mit ihren zahlreichen heute schon bestehenden sozialen Herausforderungen hängt aber ab, wie ich mich als Stadträtin positioniere. Die Alternative könnte ja sein, dass wir die gleiche Zahl an Flüchtlingen aufnehmen müssen, nur eben dezentral im Stadtgebiet.
Aber wie gesagt: Das ist leider immer noch Spekulation. Am Ende entscheidet das auch nicht die Stadt Mannheim, sondern das Innenministerium gemeinsam mit dem Bund, der aktuell oder künftig den Zugriff auf die angedachten Flächen hat.
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz hat eine beeindruckende Neujahrsrede gehalten – dabei hat er klar gemacht, dass man nur im Gespräch miteinander nach vorne kommt und auch an türkische Migranten eine klare Botschaft geschickt, dass man hier lebt und nicht in der Türkei. Wie haben Sie die Rede aufgenommen?
Schmitt-Illert: Ich fand die Rede in weiten Teilen sehr gut – und sehr deutlich. Ich habe sie bewusst oben von der Tribüne verfolgt und nicht von den reservierten Plätzen. Da spürt man die Stimmung besser. Die Botschaft an die türkischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Bezug auf die innertürkischen Konflikte war deutlich.
Respekt und Toleranz angemahnt – das hat vielen nicht gefallen
Aber mindestens ebenso deutlich waren seine Hinweise zum Umgang mit anderen Meinungen und zur Debattenkultur. Dass mir das gefallen hat, dürfte Ihnen spätestens seit meiner Antwort auf Ihre Frage nach den Entwicklungen der vergangenen beiden Jahre klar sein. Da hat sich der Oberbürgermeister an beide Seiten gewandt – und die gesamte Gesellschaft zu mehr Respekt und Toleranz gemahnt. Das hat vielen sichtlich nicht gefallen. Vielleicht regt es zum Nachdenken an.
Sie haben sich 2015 hinter die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin gestellt – ist das immer noch so?
Schmitt-Illert: Ja, das ist überwiegend immer noch so. Die Kanzlerin hat nicht die Schleusen geöffnet – sie hat entschieden, Menschen nicht in eine unhaltbare Situation zurückzuschicken. Aus humanitären Gründen nicht zurückzuweisen. Weil sie der Überzeugung war, dass Deutschland stark ist und viel schaffen kann. Wenn alle Politiker sich darum gekümmert hätten, die Situation zu bewältigen, wären wir heute weiter.
Jeder macht Fehler. Auch Politiker. Auch die Kanzlerin. Vom Grundsatz her halte ich es nicht für einen Fehler, Flüchtlinge damals nicht nach Ungarn zurückzuschicken – die Botschaft war aber fatal. Auch dafür ist die Bundeskanzlerin aber nicht alleine verantwortlich. Am „Werbeeffekt“ waren viele beteiligt. Wer hat denn das Selfie mit dem Flüchtling überwiegend verbreitet? Das Bundeskanzleramt?
Ich halte es nach wie vor für richtig, Menschen mit einem Asylanspruch oder mit Anspruch auf Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention aufzunehmen. Das ist ein individueller Anspruch, der im Übrigen auch keine Obergrenze verträgt. Ob „wir schaffen das“ zu hoch gegriffen war, muss die Bundesregierung und müssen die Landesregierungen jeden Tag aufs Neue unter Beweis stellen. Und es gibt gute und schlechte Tage.
Viele haben den Eindruck, die schlechten Tage nehmen zu…
Schmitt-Illert: Gerade mit Blick auf den Anschlag in Berlin müssen wir uns fragen, ob die getroffenen Entscheidungen der Behörden ausschließlich durch Überlastung zustande gekommen sind oder ob es Systemfehler gibt, die bisher übersehen wurden, die wir jetzt aber beheben können. Der demokratische Rechtsstaat ist ein lernendes System – oder sollte es zumindest sein.
Der Rechtsstaat ist nichts wert, wenn wir ihn nicht stützen
Es wäre aber schon mal hilfreich – das habe ich bereits erwähnt – wenn alle Verantwortlichen an einem Strang ziehen würden und nicht nur die politische Profilierung im Blick hätten. Und es wäre hilfreich, wenn wir uns alle darauf verständigen könnten, dass der Rechtsstaat nichts wert ist, wenn wir ihn nicht stützen. Wer bei Demonstrationen auf die Gegenseite oder gar auf die Polizei losgeht oder als Politiker Menschen schützt, die das tun, braucht sich nicht wundern, wenn Teile der Bevölkerung sich abwenden und dann zu gar keinem Dialog mehr bereit sind. Das habe ich vor zwei Jahren kritisiert und kritisiere es auch heute noch.
Zurück zu „Mannheim sagt Ja“. Ich glaube, dass die grundsätzliche Offenheit in Mannheim in weiten Teilen der Bevölkerung noch da ist. Aber wenn wir weiter ideologische Debatten führen und Menschen als rechtsaußen abstempeln, die es sich erlauben, Politikern unangenehme Fragen zu stellen, dann werden wir den großen gemeinsamen Nenner vom 17. Januar 2015 vielleicht nie wieder finden. Und das ist es, was mir wirklich Sorge macht.