Rhein-Neckar, 17. Januar 2017. (red/pro) Wir berichten sehr intensiv über politischen Extremismus. Wer wir umgeben sind davon – in der Metropolregion. Wir haben hier die NPD (auch einen Stadtrat in Mannheim), Der III. Weg, Reichsbürger, die Antifa, nationale Türken, extremistische Kurden, extremistische Salafisten. Wir haben sehr intensiv zum NPD-Verbotsverfahren berichtet – und haben uns von Anfang an klar gegen ein Verbot positioniert. Kurz nach Eröffnung der Urteilsverkündung berichteten viele große Medien, die NPD würde verboten. Das ist falsch. Beinahe wäre uns der Fehler auch passiert – wir machen transparent, weshalb nicht.
Von Hardy Prothmann
Fehler können passieren – immer und jedem. Je weniger Fehler passieren, umso besser ist das journalistische Angebot. Und heute haben sich eine Reihe von großen Medien mächtig blamiert, darunter die ARD, Spiegel Online, Zeit Online und viele andere meldeten, das Bundesverfassungsgericht hätte die NPD verboten.
Warum? Weil sie die ersten mit der “News” sein wollten. Mir wäre das auch beinahe passiert – ich war in derselben Situation wie andere Medien, die den Fehlerablauf teils so erklärt haben.
Zu Beginn der Urteilsverkündung las der Vorsitzende Richter des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle, den Antrag des Bundesrats vor, ich hörte erst ab Punkt 2 mit:
- Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung ist verfassungswidrig.
- Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung wird aufgelöst.
- Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen.
- Das Vermögen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung wird zugunsten der Bundesrepublik Deutschland für gemeinnützige Zwecke eingezogen.
Konnte das wirklich sein?
Ich saß sprachlos vor dem Computer und der Live-Übertragung. Konnte das wirklich sein? Hatte ich mich bei meinen Recherchen und beim Befassen mit dem Thema so gründlich vertan? Ich beschäftige mich seit dem Studium ab 1989 und später im Beruf mit Extremismus, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Rechtsstaat und so weiter. Konnte ich so dermaßen falsch liegen?
Klar, das Urteil war offen. Ich tippte die Überschrift: “Bundesverfassungsgericht verbietet NPD”
Dann verfasste ich den Vorspann. Konnte das wirklich sein? Meine Kollegen wurden Zeugen, wie ich herumfluchte – denn offenbar hatte ich mich komplett in der Einschätzung geirrt. Und war schon am Überlegen, wo ich falsch lag und dass wir das unserer Leserschaft klar und deutlich vorstellen. Aber ich hatte immer noch Zweifel, ob ich das richtig mitbekommen hatte.
Check
Da die Übertragung live war und ich keine Aufzeichnung hatte, konnte ich nicht nachhören. Also bin ich auf die Seite mit den Pressemitteilungen des Bundesverfassungsgerichts gesurft und lese:
Kein Verbot der NPD wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele.
Uff. Ohne Gegenrecherche wäre das RNB genau wie andere Medien in die Falle getappt. Aber in welche eigentlich? In eine, die jeden Tag lauert: Man will exklusiv und Erster sein und landet auf der Nase.
Diese krasse Lawine von Falschmeldungen habe ich heute meinen Leuten als Musterbeispiel präsentiert und sie daran erinnert, was unsere Qualitätsmaßstäbe sind: Fakten checken, Fakten checken und nochmal Fakten checken. Es gibt viele Gründe, die das schwer und manchmal sogar unmöglich machen. Dann muss man sehr vorsichtig berichten oder der Leserschaft klar machen, dass ein Faktencheck nicht möglich ist/war.
Es ist nie wichtiger, der Erste zu sein, sondern am wichtigsten, korrekt zu sein.
Viele Medien haben Tweets und Facebook-Posts einfach gelöscht, um peinliche Spuren zu verwischen. Wie armselig. Einige haben den Fehler erklärt. Gut so. Aber nicht optimal – dieser Fehler hätte nicht passieren müssen. Durch diesen Fehler haben viele Redaktionen den Journalismus heute lächerlich gemacht. Leider passieren zu viele Fehler, die genau analysiert, keine Fehler sind, sondern ein Fehlverhalten, fehlende redaktionelle Sicherungssysteme, fehlende Verantwortlichkeit, fehlendes Berufsethos, fehlende Scham. Hauptsache schnell ist kein Journalismus.
Dann habe ich die Überschrift um ein Wort ergänzt und die Meldung rausgejagt. Später, als ich Zeit hatte, die Begründung zu lesen, habe ich den Text verfasst: