Rhein-Neckar/Karlsruhe, 17. Januar 2017. (red/pro) Das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe hat heute die Entscheidung im Parteiverbotsverfahren NPD bekannt gegeben. Die Partei und ihre Unterorganisationen werden nicht verboten – dies hatten wir vorab vermutet. Aktuell wird das Urteil verkündet.
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Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) vertritt ein auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept. Sie will die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen. Ihr politisches Konzept missachtet die Menschenwürde und ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Die NPD arbeitet auch planvoll und mit hinreichender Intensität auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin. Allerdings fehlt es (derzeit) an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt, weshalb der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts den zulässigen Antrag des Bundesrats auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der NPD und ihrer Unterorganisationen (Art. 21 Abs. 2 GG) mit heute verkündetem Urteil einstimmig als unbegründet zurückgewiesen hat.
Diese Begründung aus der öffentlichen Erklärung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Ohrfeige. Für die NPD und für den Bundesrat.
Nicht-Verbot bestätigt die demokratische Grundordnung
Das Bundesverfassungsgericht lässt keinen Zweifel daran, wie die NPD zu bewerten ist. Die Partei ist rechtsextrem und verfolgt verfassungsfeindliche Ziele. Dass die Partei nicht verboten wird, bestätigt nicht eine Zulässigkeit innerhalb der deutschen Demokratie, sondern bestätigt die Demokratie, die genug rechtsstaatliche und politische Mittel hat, um mit dieser Außenseitergruppe fertig zu werden.
Die Richter ließen auch keinen Zweifel daran, dass der Verbotsantrag des Bundesrats zulässig war, aber erklärt Sinn und Funktion eines möglichen Parteiverbots:
Es ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot. Vielmehr muss die Partei über das Bekennen ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hinaus die Grenze zum Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überschreiten.
Kein Gesinnungs- und Weltanschauungsverbot also. Dies ist ein sehr entscheidender Satz. Das Grundgesetz erlaubt auch verfassungsfeindliche Gesinnungen grundsätzlich. Erst in Kombination mit anderem Verhalten, insbesondere kriminellem und staatsgefährdendem kann und wird der Rechtsstaat eingreifen. Aber:
Lässt das Handeln einer Partei dagegen noch nicht einmal auf die Möglichkeit eines Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen, bedarf es des präventiven Schutzes der Verfassung durch ein Parteiverbot nicht.
Das Bundesverfassungsgericht bestätigte also, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolge, aber insgesamt zu bedeutungslos sei, um diese durchzusetzen. Das höchste Gericht sieht eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus.
Nach diesen Maßstäben sei der Verbotsantrag unbegründet.
Diese Entscheidung hatten wir im Grundsatz nach unseren Recherchen und Analysen bereits vermutet.
Die NPD ist verfassungsfeindlich, aber unbedeutend
Der von der NPD vertretene Volksbegriff verletzt die Menschenwürde. Er negiert den sich hieraus ergebenden Achtungsanspruch der Person und führt zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle, die nicht der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ in ihrem Sinne angehören. Das Politikkonzept der NPD ist auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von gesellschaftlichen Gruppen (Ausländern, Migranten, religiösen und sonstigen Minderheiten) gerichtet.
Die Wesensverwandtschaft der NPD mit dem Nationalsozialismus bestätige deren Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Aber: Ein Erreichen der verfassungswidrigen Ziele der NPD mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln erscheine ausgeschlossen, denn die NPD habe es in den mehr als fünf Jahrzehnten ihres Bestehens nicht vermocht, dauerhaft in einem Landesparlament vertreten zu sein. Und:
Trotz ihrer Präsenz in den Kommunalparlamenten ist ein bestimmender Einfluss auf die politische Willensbildung auch in den kommunalen Vertretungskörperschaften weder gegeben noch zukünftig zu erwarten.
Schließlich fehlten hinreichende Anhaltspunkte für die Schaffung einer Atmosphäre der Angst, die zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Freiheit des Prozesses der politischen Willensbildung führe oder führen könnte – diese Einschätzung ist von besonderer Bedeutung. Denn sie negiert die Hysterie der “Antifaschisten”.
Folgerichtig führt das Bundesverfassungsgericht weiter aus:
Auf Einschüchterung und Bedrohung sowie den Aufbau von Gewaltpotentialen muss mit den Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden, um die Freiheit des politischen Prozesses ebenso wie einzelne vom Verhalten der NPD Betroffene wirkungsvoll zu schützen.
Reaktion des Bundesrats
Auch wenn das Verfahren nicht zum Verbot der zutiefst rassistischen Partei geführt hat, steht außer Frage: Es war wichtig! Nicht zuletzt um der Glaubwürdigkeit unserer wehrhaften Demokratie willen,
sagt die derzeitige Bundesratspräsidentin Malu Dreyer (SPD), die Ministerpräsidentin in Rheinland-Palz ist. Der Gang nach Karlsruhe sei aus Sicht der Länder mit Blick auf die Sicherheitslage wohlüberlegt und angemessen gewesen.
Von ganz entscheidender Bedeutung sei nämlich, dass das Bundesverfassungsgericht nach eingehender inhaltlicher Prüfung keinerlei Zweifel an der Verfassungsfeindlichkeit der NPD habe. Es teile damit die Auffassung der Bundesländer, die sich trotz des gescheiterten Verbotsverfahrens von 2003 für einen erneuten Gang nach Karlsruhe entschieden hatten:
Für die NPD ist das Urteil alles andere als ein Freibrief, ihre Anhänger sind und bleiben Feinde der Demokratie.
Dafür hätte es allerdings nicht eines höchstrichterlichen Urteils bedurft – das wusste man schon vorher. Es braucht das Bundesverfassungsgericht auch nicht, um “Gefahren in Erinnerung zu rufen, die von Rassismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit ausgehen können.”
Die Bundesratspräsidentin dankte den Sicherheitsbehörden für ihre engagierte Mitarbeit bei der Vorbereitung des Verbotsverfahrens. Jahrelange akribische Arbeit habe gewährleistet, dass dabei die hohen rechtsstaatlichen Standards für ein Parteiverbotsverfahren eingehalten wurden und das Verfahren nicht an formalen Hürden scheiterte. Dies sei auch ein Verdienst von Verfassungsschutz und Polizei, teilt der Bundesrat mit.
Andererseits: All die akribische Arbeit konnte nicht genug Material zusammentragen, um die NPD verbieten zu müssen. Man hätte durch diese Arbeit auch im Vorfeld erkennen können, dass ein Verbotsantrag zwar zulässig, im Ergebnis aber nicht erfolgreich sein würde – eben weil die NPD viel zu schwach ist und es in über 50 Jahren niemals auch nur ansatzweise geschafft hatte, auch nur eine minimale Bedeutung zu erlangen.
Geschmäckle
Die NPD kann sich auf das Urteil nichts einbilden. Es ist kein “Freispruch” – die Partei ist rechtsextrem und verfassungsfeindlich. Der deutsche Rechtsstaat mit seiner demokratisch-freiheitlichen Grundordnung aber ist stark genug, sich diese Verfassungsfeinde erfolgreich vom Leibe zu halten.
Der Bundesrat kann sich nichts auf das Urteil einbilden, denn das Ziel des Verbots wurde eindeutig verfehlt.
Trotzdem bleibt ein Geschmäckle, dass die NPD zu nutzen versuchen wird – denn sie wurde eben nicht verboten. Das wird in deren Interpretation wie ein “erlaubt” ankommen.
Fassungslos muss man über verschiedene Kommentatoren sein, wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, der das Urteil des höchsten deutschen Gerichts mit einem lapidaren “falsch” abmeiert. Eine solche Respektlosigkeit in Ignoranz aller Argumentation beschädigt den Respekt in die Behörden mehr als jeder NPD-Spruch. Außerdem zeugt es von einem erstaunlichen Bild der rechtsstaatlichen Grundordnung, die man insbesondere von einem ehemaligen Richter so nicht erwartet hätte.
Die Pressemitteilung zum Urteil lesen Sie hier.