Karlsruhe/Rhein-Neckar, 05. März 2016. (red/ms) Die rechtsextreme NPD ist menschenverachtend und rassistisch – dafür gibt es unzählige Belege mit einigen ganz besonders extremen Ausreißern. Aber die Partei ist nicht die Ursache des rechten Extremismus in Deutschland, sondern nur ein Symptom. Das Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zeigt das mehr als deutlich. Wenn es zur Auflösung der Partei kommt, ist also nur Oberflächlich etwas getan – tief verankerte Fremdenfeindlichkeit wird sich dadurch aber nicht beseitigen lassen.
Kommentar: Minh Schredle
Die Schultern sind geduckt, der Kopf nach vorne geneigt. Frank Franz gerät in Erklärungsnot. Er druckst herum und seine Stimme wird immer leiser. Immer kleinlauter. Der NPD-Bundesvorsitzende bringt es nicht über sich, sich von der rassistischen Weltsicht seiner Partei zu distanzieren – nicht einmal vor dem Bundesverfassungsgericht. Nicht einmal in diesen womöglich entscheidenden Stunden des Verbotsverfahrens.
Eigentlich haben die NPD und ihre Funktionäre gerade Gelegenheit, zu Positionen und Programm Stellung zu nehmen und so „mögliche Missverständnisse“ auszuräumen. Doch die Partei redet sich um Kopf und Kragen. Die Funktionäre verstricken sich in Widersprüche, teils wirken die abstrusen Erklärungsversuche wie groteske Realsatire.
Sinngemäß: „Eigentlich sind wir ganz lieb und total lustig“
Später wird sich NPD-Anwalt Peter Richter nach bestem Bestreben bemühen, die Aussagen klein zu reden und zu bagatellisieren, wo es nur möglich scheint. Überzeugend ist das nicht, wenn er sagt, einzelne Aussagen wären „gar nicht so gemeint, wie sie vielleicht rüber kommen“ oder wären „einfach unglücklich formuliert“ oder „zugegebenermaßen vielleicht etwas zugespitzt“.

Bei einer Kommunalwahl in Berlin „bedankte“ sich die NPD in einem Schreiben an Politiker mit Migrationshintergrund für die „kulturelle Bereicherung“, fordert sie aber auf, doch bitte zurück in die Heimat zu kehren. NPD-Anwalt Peter Richter bezeichnet das als „eindeutige Satire“, man solle es mit Humor nehmen. Archivbild.
Ob das auch für die Leitlinien für die „jungen Nationalisten“ gilt? In einem offiziellen Schriftstück der Partei heißt es dort, man könne einem Affen zwar beibringen, wie ein Lichtschalter zu bedienen ist. Der Affe werde aber nie verstehen, was dahinter steckt. Ähnlich verhalte es sich mit Afrikanern, Asiaten und Orientalen, die „sich zwar unsere Kleidung aneignen“, aber „immer Fremdkörper“ bleiben würden.
Zwei-Klassen-Menschen
Mit diesem Auszug wird der Parteivorsitzende Franz konfrontiert – und gerät sichtlich in Verlegenheit. Er erklärt, man habe die Broschüre inzwischen ja bereits aus dem Verkehr ziehen lassen. Verfassungsrichter Peter Müller fragt nach, wann genau das gewesen sein soll. „2014,“ antwortet Frank Franz. „Aha,“ entgegnet der Richter. Und fragt:
Also nachdem bekannt wurde, dass ein Verbotsverfahren gegen die NPD angeregt wird?
Der Parteivorsitzende bleibt stumm. In der Vernehmung wirkt das, was die NPD-Funktionäre vorbringen, alles andere als durchdacht. Bisweilen grenzt es an eine Selbstdemontage. Die NPD unterscheidet zwischen „Volksherrschaft“ und „Bevölkerungsherrschaft“. In einer „echten Volksherrschaft“ würde die Politik nur von „ethnischen Deutschen“ gestaltet werden, wenn es nach der NPD ginge. Die Partei unterscheidet zwischen „Deutschen“ und „Pass-Deutschen“ und wünscht sich einen „homogenen Volkskörper“.
Ausweichende Antworten
Auch damit wird Franz Frank konfrontiert – wieder gerät er in die Defensive. Seine Antworten sind ausweichend. Das Gericht will von ihm erfahren, ob Ausländer grundsätzlich zu Deutschen werden könnten. Franz antwortet:
Sie können Staatsbürger werden.
Doch Staatsangehörigkeit wird in der Ideologie der NPD strikt differenziert von der Volksherkunft. Ein Volk entstehe aus Genese, nicht dadurch, „dass man jemandem einen Stück Papier in die Hand drückt“. Im Parteiprogramm der NPD heißt es, Integration sei „Völkermord“. Laut Herrn Franz sei das „sicher eine Zuspitzung“, grundsätzlich aber zutreffend: Bei einer zu starken Überfremdung müsse ein Land um seine Identität fürchten.

NPD-Bundesvorsitzender setzt auf seriöse Radikalität – in der Befragung durch das Bundesverfassungsgericht ließen sich seine wahren Ansichten kaum verschleiern. Archivbild
Es ist eine perfide Methodik der NPD: Immer wieder werden menschenverachtende Thesen mit martialischer Rhetorik verbreitet und anschließend stark zurückgerudert: Bei der Ausdrucksform habe man „vielleicht ein bisschen über die Stränge geschlagen“, aber eigentlich stimme es ja; das sage übrigens auch irgendjemand anderes, der sicherlich „nicht im Verdacht steht, ein Rechtsextremist oder Verfassungsfeind zu sein“ – dann bezieht sich die Partei auf eine im entferntesten Sinne vergleichbare Aussage von einer Person oder Institution, die gesellschaftlich nicht geächtet wird und tut so, als würde man das gleiche sagen und denken.
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Armselige Rabulistik
Damit lassen sich vielleicht ein paar naive „Heimatfreunde“ blenden – aber sicher keine Bundesverfassungsrichter. An der Verfassungsfeindlichkeit der NPD und der vorgeworfenen Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus bestehen eigentlich keine Zweifel. Sollte es nicht zu einem Verbot der rechtsextremen Partei kommen, dann nicht, weil ihre Positionen rechtsstaatlich unbedenklich wären – sondern weil die NPD schlichtweg zu unbedeutend sein könnte, um verboten zu werden und man nicht grundsätzlich alle rechtsextremen Straftaten in Deutschland eindeutig auf sie zurückführen kann.

Pathetische Musik und nationale Flaggen: Auftakt des NPD-Bundesparteitages 2015 in Weinheim. Archivbild.
Darauf setzt offenbar auch NPD-Anwalt Peter Richter. Ein „falsches Parteiprogramm“ dürfe kein „Gesinnungsverbot“ rechtfertigen, es müssten der Partei konkrete Straftaten nachgewiesen werden oder offene Aufrufe zur Gewalt. Damit bleibt allerdings die Frage offen, weswegen das Grundgesetz überhaupt Parteiverbote vorsieht – schließlich würde im Fall von konkreten Straftaten der Partei ohnehin das Strafrecht greifen.
Wie bedrohlich ist die NPD eigentlich?
Tatsächlich hatte der Bundesrat große Probleme, der NPD konkret justiziables Verhalten nachzuweisen – zumindest gelang das nicht häufig, ohne offenbar massiv zu übertreiben. Würde man nur den Schilderungen des Antragstellers folgen, müsste man befürchten, halb Deutschland würde unter Kontrolle der Neonazis stehen. Diese Darstellung wurde vor dem Bundesverfassungsgericht allerdings regelrecht zerpflückt.
So spricht der bayrische Innenminister Joachim Herrmann, der den Verbotsantrag mitinitiiert hat, davon, man dürfe die Rolle der NPD als „geistige Brandstifterin“ nicht unterschätzen. Die Agitation führe zu einer unmittelbaren Bedrohung und habe eine „impulsgebende Wirkung für die Begehung von Straftaten“. Die Partei sei eine Organisationsplattform für den Rechtsextremismus, mitfinanziert durch staatliche Mittel:
Genau für Fälle wie die NPD ist ein Parteiverbot im Grundgesetz vorgesehen.
Das sind starke Aussagen – mit schwachen Beweisen. Klar nachgewiesen wird, dass zwischen der NPD und rechtsextremen Organisationen massive personelle Verflechtungen vorliegen und das „die Szene“ unter einander vernetzt ist. Dass aber die NPD Rechtsradikale gezielt zu Straftaten auffordert – dafür gibt es eine Reihe von Indizien. So ist beispielsweise nach Angaben von Spiegel Online jedes vierte Vorstandsmitglied der Partei vorbestraft. Was fehlt, ist aber der eindeutige Beweis dafür – etwa wie ein unverhohlener Aufruf der Parteiführung zur Gewalt gegen Ausländer.
Die Maßstäbe legen weder Journalisten noch Politiker fest, sondern die Bundesverfassungsrichter
Ob eine solch explizite Ausformulierung für ein Parteiverbot notwendig ist, ist fraglich. Womöglich reicht auch das beständige Schüren von Feindbildern und die eindeutige Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Volkszugehörigkeit. Das ist aber keine politische Frage und auch keine, die irgendein Journalist beantworten kann – es liegt jetzt in der Hand und Verantwortung des Bundesverfassungsgerichts, hier bindende Maßstäbe für die kommenden Jahrzehnte festzulegen.
Unabhängig davon, ob die NPD nun verboten wird oder nicht, hat die Verhandlung aber vor allem eins gezeigt: Das dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte ist bis heute nie abgeschlossen gewesen und es ist fraglich, ob dies jemals der Fall sein wird. Die entmenschlichende und verachtenswerte Ideologie der NS-Zeit ist noch immer in erschreckend vielen Köpfen vorhanden und wird aktiv im Untergrund gelebt – zunehmend gelangen die Ansichten wieder in die Öffentlichkeit. Gegeben hat es sie vermutlich immer. Daher kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Konzepte wie Sozialdarwinismus und Rassenlehre, die eigentlich lange überwunden schienen, zurück „in Mode“ kommen.
Fragwürdige Prioritäten

Autor Minh Schredle hat überhaupt keine Zweifel, dass die NPD eine rassistische und menschenverachtende Ideologie vertritt – ob allerdings ein Parteiverbot diese Gesinnung aus den Köpfen bringt, ist fraglich
Das zu verhindern, ist die eigentliche Aufgabe einer streitbaren Demokratie. Mit dem Verbot einer politisch vollständig unbedeutenden ein-Prozent-Partei wird das nicht gelingen, auch wenn sie noch so krude und verachtenswerte Ansichten vertritt. Falls es irgendwie möglich ist, dann durch Aufklärungsarbeit und Wertschätzung der menschlichen Würde – aktuell versagt der Humanismus auf ganzer Linie, indem er die Debatte Verrohung und Hass überlässt, und der Trend läuft genau in die entgegengesetzte Richtung.
Fremdenfeindlichkeit ist offenbar in großen Teilen der Bevölkerung tief verankert. Wo sind die politischen Programme, die diese Probleme strukturell und über Jahrzehnte hinweg angehen? Finden die auch außerhalb von Schulen statt? Mit dem Aufwand, der nun in die zwei Verbotsverfahren gegen die NPD geflossen ist, hätte man womöglich auch Konzepte auf den Weg bringen können, Rechtsextremismus in Deutschland effektiver einzudämmen.
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