Karlsruhe, 02. März 2016. (red/ms) Ist es ein Akt der Verzweiflung? Oder schier grenzenlose Hybris? Im Verbotsverfahren gegen die NPD will deren Anwalt Peter Richter dem Bundesverfassungsgericht erklären, weswegen Parteien in Deutschland angeblich gar nicht verboten werden können. Dafür gebe es keine Rechtsgrundlage. Außerdem behauptet Herr Richter, das Grundgesetz sei falsch: Eine Formulierung in Artikel 21 stünde dort nur “aus Versehen”, daher sei der Verbotsantrag unzulässig.
Von Minh Schredle
2003 scheiterte das Verbotsverfahren gegen die NPD, ohne dass es seitens des Bundesverfassungsgerichts (BVG) zu einem Urteil über die Verfassungswidrigkeit der Partei gekommen ist. Ursache waren Verfahrenshindernisse: V-Leute sind in NPD-Vorständen auf Bundes- und Landesebene aktiv gewesen. Wegen mangelnder “Staatsfreiheit” sahen drei von sieben Richtern daher einen „nicht behebbaren rechtsstaatlichen Schaden für die Durchführung des Verfahrens“.
Bedingungen für ein Parteiverbot
Damit ein Parteiverbot rechtsstaatlich ablaufen kann, müssen drei Bedingungen erfüllt sein. Erstens: In Parteiführung und Spitzenpositionen dürfen sich keine V-Leute befinden. Zweitens: Sämtliche Belege für eine Verfassungsfeindlichkeit müssen von freien Quellen stammen, also “echten” Parteimitgliedern, die bei Aussagen und Handlungen in keiner Weise in ihrer freien Willensäußerung beeinträchtigt worden sind – etwa durch Anstachelung durch V-Leute. Und drittens: Der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin – also der Partei, die verboten werden soll – darf nicht ausgespäht werden.
“Verseuchte NPD”
Gegen all diese Punkte brachte NPD-Anwalt Peter Richter am ersten Verhandlungstag seine Bedenken vor. Es gebe viele Ungereimtheiten. Er müsse davon ausgehen, dass die Partei weiterhin von V-Leuten “kontaminiert”, beziehungsweise “verseucht” sei und damit “fremdgesteuert” werde. Außerdem sei keine vertrauliche Kommunikation mit seiner “Mandantin” möglich, da er befürchten müsse, abgehört zu werden. Beweise konnte Herr Richter allerdings für keine seiner Thesen vorlegen.
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Das Bauchgefühl ist ein schlechter Beleg
Der Bundesrat als Antragsteller hingegen legte zahlreiche Dokumente und Testate aller Innenminister vor, mit denen belegt werden soll, dass diesmal ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren geführt werde. Laut NPD-Anwalt Richter fehle aber der Vollbeweis. Verfassungsrichter Prof. Dr. Peter Huber sagte dazu:
Der Antragsteller legt umfangreiche Dokumente für seine Darstellung vor. Ihr Hauptargument ist, sie glauben das nicht. Finden Sie nicht, dass ist ein bisschen dünn?
Anscheinend war ein Großteil der Strategie von Herrn Richter darauf ausgelegt, Verfahrenshindernisse geltend zu machen. Das ist nicht aufgegangen: Wie Prof. Dr. Andreas Voßkuhle zu Beginn des zweiten Verhandlungstags mitteilt, sei der Senat nach Beratungen zu dem Ergebnis gekommen, dass gegenwärtig keine Verfahrenshindernisse erkannt werden.
Riskanter Kurs scheint schief zu gehen
Damit wird es eng für die NPD. Zu den inhaltlichen Aspekten, die seitens des Bundesrats für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD vorgebracht worden sind, hat die Verteidigung keinen einzigen Schriftsatz eingereicht. Anwalt Richter begründet, er habe sich nicht sicher gewesen sein können, vertraulich mit Parteimitgliedern über eine Prozessstrategie beraten zu können, ohne abgehört zu werden.
Doch aus Sicht des Bundesverfassungsgericht gab gab es “keinen hinreichenden Anlass, sich nicht auf die inhaltliche Auseinandersetzung vorzubereiten”. Deswegen werde man ihm den Aufschub von drei Monaten, den Herr Richter für eine weitere Vorbereitung für inhaltliche Einwendungen erbeten hatte, nicht gewähren.
Somit erscheint ein Parteiverbot gegen die NPD immer wahrscheinlicher. Dass es überhaupt zu einer mündlichen Verhandlung kommt, setze, wie Prof. Dr. Voßkuhle mehrfach betonte, voraus, dass der Antrag auf ein Verbot nach vorläufiger und summarischer Prüfung hinreichend begründet erscheint. Das heißt im Klartext: Wenn es keine triftigen Belege für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD gäbe, würde gar nicht verhandelt werden.
NPD-Chef Franz: “Wir schaffen das”
In sozialen Netzwerken gibt sich die NPD dennoch zuversichtlich. Der Parteivorsitzende Franz Frank provoziert beispielsweise auf Facebook:
Heute ist der zweite Tag in Karlsruhe vor dem BVerfG. Wir schaffen das! 😉
Für die Selbstsicherheit, mit der die rechtsextreme Partei nach Außen auftritt, ist die Argumentation vor Gericht allerdings reichlich schwachbrüstig. Stellenweise wirken die Begründungen wie verzweifelt an den Haaren herbeigezogen. So will NPD-Anwalt Peter Richter dem Verfassungsgericht tatsächlich weis machen, dass das Grundgesetz falsch ist. In Artikel 21 heißt es in Absatz 2:
Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
Dass man Parteien als verfassungswidrig erklären könne, würden nicht bedeuten, dass man diese auch verbieten dürfe, sagt Peter Richter. Dafür fehle “jegliche Rechtsgrundlage”. Die Möglichkeit, eine Einschätzung einer Partei als verfassungsfeindlich, komme nicht einer “Verbotskompetenz mit rechtsgestaltender Wirkung” gleich. Die entsprechende Regelung im Bundesverfassunggerichtsgesetz sei keine Präzisierung des Artikel 21 GG, sondern ein “vollständiges Aliud” und damit verfassungswidrig.
“Das steht da nur aus Versehen”
Außerdem stünde das “zu beseitigen” in Artikel 21 GG laut Herrn Richter dort nur “aus Versehen” und sei auf einen “Fehler” im Gesetzgebungsprozess zurückzuführen. Über “die Ursache dieses Versehens” könnten “zwar nur Spekulationen” aufgestellt werden, aber in den Vorberatungen im Hauptausschuss habe man das “zu beseitigen” eigentlich streichen wollen.
Da der Antrag des Bundesrats hauptsächlich Punkte vorbringe, die sich nicht auf die Beseitigung der Grundordnung, sondern die Beeinträchtigung bezögen, sei der Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Das verdutzte sogar gestandene Bundesverfassungsrichter. Prof. Dr. Peter Huber fragt:
Aber wir sind uns doch einig, dass der Gesetzestext, so wie er uns vorliegt, beschlossen, ratifiziert und verkündet wurde und damit in dieser Form gültig ist?
Daran könne nicht der Hauch eines Zweifels bestehen, ergänzte er die rhetorisch Frage. Daher sei es eine “reichlich kühne These” von Herrn Richter, der parlamentarische Beschluss sei in dieser Form nicht gültig. Laut Herrn Richter würde es aber zu einer grundlegend anderen Beurteilung des Sachverhalts führen, wenn das sich beim Wortlaut “zu beeinträchtigen” gar nicht um geltendes Recht handle.
Was genau soll jetzt die Strategie sein?
Was erwartet sich die Verteidigung der NPD? Ist das ein Akt der Verzweiflung? Oder schier grenzenlose Hybris? Was genau soll das Bundesverfassungsgericht denn tun? Etwa entscheiden, dass Artikel 21 per höchstrichterlichem Spontanbeschluss noch im laufenden Verfahren gemäß der Wünsche der NPD abgeändert wird? Und das soll dann verfassungskonform sein?
Inhaltlich ist das, was seitens der NPD bislang im Verfahren vorgebracht wird, reichlich schwach. Wenn keine “Knaller” mehr kommen, wie sie Peter Richter vollmundig und medienwirksam im Vorfeld der Verhandlung angekündigt hat, scheinen die Erfolgschancen für die Rechtsextremen überschaubar. Da die Einbringungen der Verteidigung bislang zum überwiegenden Großteil bislang reichlich hanebüchen wirkten, scheint es aktuell eher unwahrscheinlich, dass die NPD noch allzu viel in der Hinterhand hat.
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… der Reporter ist aktuell drei Tage vor Ort in Karlsruhe, um dieses grundlegende Ereignis zu dokumentieren. Wird nach 60 Jahren erstmals wieder eine Partei verboten? Gestern dauerte der Arbeitstag von 07:30 Uhr Abfahrt Mannheim bis 21:45 Uhr Rückkehr Mannheim. Wenn Sie unser Angebot nutzen, freuen wir uns über Ihre finanzielle Unterstützung als Mitglied im Förderkreis – Sie spenden für informativen, hintergründigen Journalismus. Den gibt es nicht ohne Geld. Hier geht es zum Förderkreis.