Karlsruhe/Saarbrücken/Berlin, 06. Juli 2016. (red/ms) Herbert Landau ist Richter am Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und im Verbotsverfahren gegen die NPD aktiv. Seine Amtszeit ist allerdings Ende April abgelaufen. Ein Nachfolger muss vom Bundesrat bestimmt werden – das ist bislang noch nicht geschehen. In diesem Umstand sieht die NPD ein „unbehebbares Verfahrenshindernis“ für das Verbotsverfahren gegen die Partei und beantragt, das Verfahren einzustellen. Dass es dazu kommen wird, ist nach Einschätzung der Redaktion allerdings unwahrscheinlich.
Von Minh Schredle
Die Konstellation ist brisant: Herbert Landau ist seit Oktober 2005 Richter am Bundesverfassungsgericht. Auf Vorschlag der Union wurde er zuvor einstimmig vom Bundesrat gewählt. Im April dieses Jahres wurde Herr Landau 68 Jahre alt und hat damit das Höchstalter für sein Amt erreicht – seine reguläre Amtszeit endete zum Ende des Monats.
Es liegt in der Zuständigkeit des Bundesrats einen Nachfolger für Herrn Landau zu bestimmen. Das ist bislang noch nicht geschehen. Wie Spiegel Online berichtet, heiße es aus dem Bundesrat, „ein Landau-Nachfolger solle nicht gewählt werden, solange das Verbotsverfahren (Anm. d. Red.: gegen die NPD) läuft“.
Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, betonte gleich zum Auftakt der mündlichen Verhandlung des Verbotsverfahrens Anfang März, bei einem Parteiverbot handle es sich um ein „scharfes und zugleich zweischneidiges Schwert“ – jedes Verfahren werde zu einer „ernsthaften Bewährungsprobe für den freiheitlich demokratischen Verfassungsstaat“ und die Hürden für ein Verbot wären daher zurecht hoch.
Komplexe Ausgangslage
Erst zwei Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat das BVerfG eine Partei verboten – zuletzt vor 60 Jahren die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Damit es zu einem Verbot kommt, müssen mindestens zwei Drittel der beteiligten Richter dafür stimmen. Im Fall des Verfahrens gegen die NPD bedeutet das: Von den acht Richtern des Zweiten Senats des BVerfG müssten mindestens sechs für ein Verbot stimmen, damit dieses wirksam wird.
Wichtig ist in diesem Kontext: Wenn ein Richter aus einem bereits laufenden Verfahren ausscheidet, darf er nicht ersetzt werden. Sollte also ein Nachfolger für Herrn Landau bestimmt werden, ist es diesem nicht gestattet, auf das Verfahren gegen die NPD Einfluss zu nehmen. Er hätte auch kein Stimmrecht bei der Entscheidungsfindung – gleichzeitig ändert sich aber nichts daran, dass noch immer mindestens sechs der ursprünglich am Verfahren beteiligten Richter für ein Verbot stimmen müssten – auch wenn dann nur noch sieben Richter zur Verfügung stünden.
Bei einem Ausscheiden von Richter Landau würden sich daher also, zumindest rechnerisch, die Chancen für ein NPD-Verbot verringern. Da Herr Landau allerdings seine Amtsgeschäfte – zu denen auch das NPD-Verfahren zählt – fortsetzt, bis sein Nachfolger feststeht und bislang kein Nachfolger gewählt worden ist, hat die NPD aktuell eine Besetzungsrüge gegen den Zweiten Senat des BVerfG ausgesprochen und beantragt, das Verfahren „wegen Vorliegens eines unbehebbaren Verfahrenshindernisses“ einzustellen.
„vefassungsrechtlich unhaltbarer Zustand“?
Die „rechtsmissbräuchliche Weigerung des Antragstellers“ (Anm. d. Red.: Der Bundesrat), einen Nachfolger zu wählen, stelle „eine schwerwiegende Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter sowie auf ein faires Verfahren“ dar, heißt es zur Begründung in einem Schriftsatz, der unserer Redaktion vorliegt. In den Ausführungen heißt es weiter:
Zwar gibt das BVerfGG (Anm. d. Red.: Bundesverfassungsgerichtsgesetz) keine exakte Frist vor, innerhalb deren ein Nachfolger gewählt und ernannt sein müsste. Es folgt aber aus der Natur der Sache, dass für einen Richter des Bundesverfassungsgerichts, bei dem der Zeitpunkt seines Ausscheidens bereits seit Jahren feststeht, so rechtzeitig ein Nachfolger zu wählen ist, dass ein nahtloser Übergang zwischen beiden Amtswaltern gewährleistet ist.
Ein „im Rechtsstaat nicht mehr hinnehmbarer Zustand“ entstehe, wenn – „wie vorliegend“ – die „verfassungsrechtlich gebotene Wahl eines Nachfolgers von dem zur Wahl berechtigten
Verfahrensbeteiligten“, also dem Antragsteller Bundesrat, „mit dem Ziel vorsätzlich verschleppt“ werde, „einen Richter trotz Ablaufs seiner Amtszeit im Amt zu halten und dadurch manipulativen Einfluss auf die Zusammensetzung des Senats in einem laufenden Verfahren zu nehmen“:
Es muss bereits als verfassungsrechtlich problematisch angesehen werden, wenn die Wahl eines Nachfolgers „nur“ zeitlich verzögert wird. Ein verfassungsrechtlich endgültig unhaltbarer Zustand entsteht jedoch dann, wenn die Verzögerung der Wahl eines Nachfolgers von einem Verfahrensbeteiligten vorsätzlich herbeigeführt wird, um auf ein laufendes Verfahren einzuwirken.
Im Folgendem wird in dem Schriftsatz auf den eingangs zitierten Spiegel-Artikel verwiesen, demzufolge es aus dem Bundesrat heiße, ein Nachfolger solle nicht gewählt werden, solange das Verfahren noch laufe. Dazu heißt es im Schriftsatz:
Der Antragsteller gibt also unumwunden zu, die ihm vom Grundgesetzgeber zu treuen Händen überantwortete Richterwahlbefugnis bewusst dafür zu missbrauchen, durch vorsätzliche Nicht-Wahl eines Nachfolgers die Erfolgsaussichten in einem laufenden Verfahren abzusichern. Offenbar fürchtet der Antragsteller, nach dem Ausscheiden des Richters Landau möglicherweise nicht mehr die (…) für einen Verbotsausspruch erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat zu erreichen.
Wie allerdings die Pressestelle des Bundesrats auf Rückfrage unserer Redaktion versichert, handle es keineswegs um eine offizielle Stellungnahme des Bundesrats, dass die Wahl absichtlich verzögert werden solle, solange das Verfahren laufe – dies sei eine „reine Spekulation“.
Was also die Redaktion von Spiegel Online (der besagte Text ist ohne Autorennamen oder Kürzel veröffentlicht) unter „Aus dem Bundesrat heißt es nun…“ versteht, ist unserer Redaktion schleierhaft. Womöglich ließe sich spekulieren, dass die persönliche Meinung eines einzelnen oder einer Handvoll Abgeordneten zu „dem Bundestag“ stilisiert worden sein könnten.
Zweifel ausräumen
Dennoch ist die Frage durchaus legitim, weswegen es noch keinen Nachfolger für Herrn Landau gibt – schließlich war in der Tat seit Jahren absehbar, wann seine Amtszeit auslaufen würde. Seitens der Pressestelle des Bundesrats wird dazu ausgeführt, es seien sorgfältige Prüfungen notwendig, um geeignete Kandidaten zu finden, schließlich handle es sich nicht um ein gewöhnliches Amt.
Nach Kenntnisstand der Redaktion hat es bereits in der Vergangenheit verschiedene Fälle gegeben, in denen die Wahl eines Nachfolgers mit Verzögerung stattfand und ein Richter seine Amtsgeschäfte trotz Ablauf seiner regulären Amtszeit für eine Übergangsphase fortsetzte – die gesetzliche Regelung dazu findet sich in Paragraph 4 Absatz 4 BVerfGG:
Nach Ablauf der Amtszeit führen die Richter ihre Amtsgeschäfte bis zur Ernennung des Nachfolgers fort.
Gegenwärtig ist unklar, wann es zu einer Urteilsverkündung im Verfahren gegen die NPD kommt – daher lässt sich aus Sicht der Redaktion nicht seriös prognostizieren, ob Herr Landau mit seiner Stimme Einfluss auf das Ergebnis nehmen könnte. Wenn es dazu käme, hielte unsere Redaktion das vor dem Hintergrund des geschilderten Sachverhalts für bedenklich. Ein Verbotsverfahren ist ein scharfes und zweischneidiges Schwert – daher sollte der geringste Zweifel an einer Manipulation des Resultats durch den Antragsteller eliminiert werden.
Zügige Entscheidungsfindung vorteilhaft
Aus der Pressestelle des Bundesrats heißt es, womöglich werde noch in der Sitzung am 08. Juli ein Nachfolger bestimmt. Sollte dies nicht der Fall sein, kann die Wahl erst nach der Sitzungspause im August im September stattfinden.
Dass das BVerfG aktuell der Argumentation der NPD folgt und das Verfahren eingestellt wird, ist nach Einschätzung der Redaktion unwahrscheinlich – denn es gab Präzedenzfälle, in denen es zu Übergangsphasen kam, die zudem gesetzlich geregelt sind. Wenn Herr Landau vor einer Urteilsverkündung aus dem Verfahren ausscheidet, hat sich der Verdacht einer Einflussnahme ohnehin erübrigt.
Wenn jedoch, am Ende des Verfahrens, ausgerechnet die Stimme von Herrn Landau die entscheidende für ein Parteiverbot sein sollte, hätte das durchaus einen üblen Beigeschmack. Der Bundesrat ist also unter Druck, zügig einen Nachfolger zu bestimmen – an der Unabhängigkeit der Justiz in einem so historischen Verfahren dürfen keine Zweifel offen bleiben.