Mannheim, 24. März 2014. (red) Sie rufen Allahu Akbar und fordern „Free Abu Adam“. Rund 400 neofundamentalistische Salafisten und deren Anhänger haben am Sonntag gegen die Untersuchungshaft des Salafisten-Predigers Sven Lau demonstriert. Rund 200 gewaltbereite Nazi-Hooligans wollten dagegen halten. Nur der Einsatz von massiven Polizeikräften hat eine Eskalation am 23. März 2014 auf dem Mannheimer Marktplatz verhindert.
Von Hardy Prothmann
Die Polizei hat mit einen Korridor rund um die Salafisten-Kundgebung auf dem Markplatz massiv abgeriegelt. Auch Journalisten bekommen keine Erlaubnis, die Absperrung zu passieren.
Überall stehen Einheiten zusammen. Rücken an Rücken. In voller Kampfausrüstung. Die Mannheimer Innenstadt ist vollständig von der Polizei unter Kontrolle genommen worden. Joachim Scholl, Revierleiter Innenstadt, geht kein Risiko ein. Die Vizepolizeipräsidentin Caren Denner ist vor Ort. Später kommt auch Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz, um sich über die Lage zu informieren. Man ist entschlossen, dass Mannheim heute nicht in die Schlagzeilen geraten wird wie beim Kurdenkrawall vor eineinhalb Jahren.
Verschärfte Lage
Die Lage hat sich verschärft. Erst sind es einzelne Grüppchen, dann wachsen sie auf 20, 30, 40 und mehr Personen an. Kahlrasierte und tätowierte Schädel. Die Kleidung ist „sportlich“. Wer nicht kahl ist, trägt die Haare kurz, gerne auch nur seitlich und das Haupthaar streng gescheitelt. Es gibt auch „Iros“ und manche sehen relativ normal aus. Wenn sie nicht so aggressiv gucken würden und mit den anderen gegen Kaffer und für Deutschland skandieren würden. Anfangs schätzt die Polizei 100 Hooligans, dann 150 und zum Ende 200.
„Du machst keine Fotos von mir und wenn Du eins veröffentlichst, lernst Du mich kennen.“ Der Typ kommt von rechts, geht mich an, ist absolut aggressiv. Ich habe ihn nicht fotografiert. Darum geht es auch nicht. Es geht um Aggression und Einschüchterung. Es geht darum, klar zu machen, wer hier auf der Straße das Sagen hat. Der Mann wird zudringlich. Ein Polizist geht dazwischen. Der Mann hält drei Meter Abstand und verfolgt mich nun für die nächsten eineinhalb Stunden: „Ich geh mit Dir nach Haus und da erlebst Du was.“ Immer wieder wird er mich „anmachen“, ob durch blöde Sprüche oder aggressives Gucken.
Vorsätzliche Bedrohung
Plötzlich rennen Polizisten und kesseln rund 20 Hooligans ein. Ich hinterher. Wieder der Typ. Weil ich bei Polizisten stehe, bedroht er ein paar Meter weiter andere Journalisten. Plötzlich kommt ein in schwarz gekleideter Mann um die 30 und hält einem Kameramann die Hand vors Objektiv. „Lassen Sie den Mann seine Arbeit machen“, sage ich und gehe mit dem Arm dazwischen: „Fass mich nicht an“, sagt der Mann und baut sich vor mir auf. Er guckt provokant, sucht einen Anlass. Der Körper ist unter Hochspannung. Er ist kampfbereit. Die Bedrohung ist vorsätzlich, eindeutig und ernst gemeint. Daran besteht kein Zweifel. Wieder stellt sich ein Polizist dazwischen.
Wer alleine als Fotograf oder Kameramann arbeitet, hat ein Auge zu, das andere am Sucher. Man sieht genau den Ausschnitt des Suchers, aber nicht, was links oder rechts oder hinter einem vorgeht. Ich wähle meine Standorte gut, bevor ich fotografiere. Entweder habe ich ab jetzt eine Mauer, einen Polizeiwagen oder Polizisten hinter mir, bevor ich die Kamera hochnehme.
Und ich beobachte die Männer. Die mit den Tattoos, die, die schwarze Handschuhe tragen, obwohl die Temperatur mild ist, die, die eindeutige Kleidung anhaben, die, die Narben im Gesicht haben und die, die sich gezielt umschauen. Zeichen geben. Wieder rennen Polizisten. Das tun sie heute oft. Bilden Ketten, kesseln ein. Sie sind ständig in Bewegung. Die Hooligans rotten sich zusammen und verteilen sich dann wieder. Mehrere Hundertschaften sind im Einsatz. „Die spielen Katz und Maus mit uns“, sagt ein Polizist.
200 rechte Hooligans suchen Streit
Die Hooligans zünden mehrfach Pyrotechnik und Polizisten bekommen im Vorbeigehen Reizgas ins Gesicht. Das ist kein Spiel. Das ist Gewalt. Wenn auch noch keine exzessive. Mehr als die leichten Angriffe und Provokationen trauen sich die Schläger nicht. Die Polizei ist einfach zu massiv vertreten und reagiert schnell. Einsatzleiter Scholl ist hochkonzentriert. Frau Denner schaut ernst, wie es ernster nicht geht. Alle stehen unter Strom. 20-30 „Hools“ hatten sich angemeldet, mit 50-100 hat man gerechnet. 200 sind grenzwertig. Am Ende des Einsatzes gibt es fünf leichtverletzte Polizisten. Knalltrauma und Augenreizung.
Zwei Reporter fotografieren eine Festnahme. Ein Kriminalbeamter will das verbieten. Als der Fotograf nicht folgt, drückt er das ausgefahrene Objektiv „in die Kamera“, sagt der Journalist. Die Mechanik ist zerstört. Die Reporter zeigen den Beamten an.
Islamistische Propaganda
Bei den Salafisten predigen einer nach dem anderen vor den Anhängern. Wie gewünscht, sind viele Zuhörer „islamisch“ gekleidet. Und die Frauen von den Männern getrennt. Die Frauen stellen ein Viertel und stehen links von der Bühne. Transparente und Fahnen werden von den Männern hochgehalten. Man sieht viele blonde Bärte – Konvertiten. Die allermeisten jung, zwischen 20 und 30 Jahren alt. Man umarmt sich, zeigt Geschlossenheit. Skandiert Parolen.
Auch Marcel Krass, den der Spiegel im Umfeld der Attentäter vom 11. September ausmachte, tritt auf. Ein eloquenter Redner mit geschliffener Rhetorik – eher seriös wirkend. Anders als Pierre Vogel, der „Star“ an diesem Tag. Er redet zwar ebenfalls hochdeutsch, aber eher Jugendslang. Beide streuen immer wieder arabische Sätze ein. Das Publikum antwortet mit „Allahu Akbar“ (Gott ist groß).
Vogel verteilt T-Shirts, auf denen „Free Abu Adam“ steht. Gemeint ist Sven Lau aus Mönchengladbach, der wegen des Verdachts des Anwerbens für einen militärischen Kampf und die Unterstützung von islamistischen Kämpfern in Syrien in Mannheim in Untersuchungshaft sitzt. Das „Free“ nun überhaupt nicht arabisch ist, sondern der Sprache der „Ungläubigen“ entspringt, fällt keinem der Islamisten auf. Vogel beklagt, der „Bruder“ sei ein frommer Mann, der humanitäre Hilfe leisten wollte und die Ermittlungen seien eine Art religiöse Verfolgung.
Er bezeichnet alle Medien als lügenhaft und verkündet, was er für die „Wahrheit“ hält. Das ist das Leben nach dem Koran. Und nichts sonst. Was andere kritisch über den Koran und den Islam schreiben, das tut er mit „geistesgestört“ ab. Alles Lüge. Alles Quatsch. „Bruder“ Lau sei ein humanitärer Wohltäter. Auch Ibrahim Abou-Nagie tritt auf – gegen ihn hat die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt. Die Klage wegen Sozialbetrugs ist erhoben und wird irgendwann am Amtsgericht Köln verhandelt werden. Man gibt sich als verfolgte Unschuld durch staatliche Repression. Frühere Ermittlungen wegen Volksverhetzung waren mangels Beweise eingestellt worden.
Rund 100 gewaltbereite Salafisten in Baden-Württemberg – Tendenz schnell steigend
Tatsächlich beobachtet der Verfassungsschutz mehrere salafistische Gruppen. Mehrere Vereine wurden bereits verboten. Immer wieder geht es um Aufforderung zur Gewalt gegen „Ungläubige“ oder Verwicklungen in Straftaten bis hin zu terroristischen Vereinigungen. Insbesondere die „Missionarsarbeit“ (Da’wa) beobachtet der Verfassungsschutz mit Sorge. Salafisten sind auch in unserer Region aktiv, ob in Pforzheim oder im hessischen Erbach. Deutschlandweit geht man von rund 5.000 Salafisten aus. Tendenz schnell steigend. In Baden-Württemberg sollen es rund 550 sein – darunter 100 gewaltbereite. 2012 wurde ein Salafist verurteilt, nachdem er in Bonn zwei Polizisten niedergestochen hatte.
Zwei, drei Mal braust am Markplatz das Gegröle der Nazi-Hooligans auf. Fäuste werden gereckt, manche zeigen den Hitlergruß mit gespreizten Fingern. Parolen skandieren gelingt nicht so recht, also schreit man irgendwas. Heute ist kein „Sport“, kein Fußballspiel. Die Hooligans kommen überwiegend vom Waldhof, aber auch aus Stuttgart und Kaiserslautern. Vernetzt und verabredet. Das ist keine zufällige Zusammenkunft.
Brutale Schläger, die sich sonst spinnefeind sind, ereifern sich gemeinsam gegen die verhassten Salafisten. Spätestens jetzt sollte klar werden, dass Teile der Hooligan-Szene zwar kein politisches Programm haben, aber politisch agieren. Als autonome, gewaltbereite Neonazis. Anfang März berichtet die taz von Jagdszenen in Bremen – unter den Augen der Polizei. Der Spiegel berichtet Mitte November 2013 über eine Gewaltorgie in Dortmund – auch hier gehen Fußballszene und Rechtsradikale zusammen. Im Oktober 2013 berichtet die Süddeutsche über „mafiöse“ Methoden der Hool-Szene.
Die Polizei kesselt nun konsequenter und lässt niemanden mehr in die Kessel hinein noch hinaus. Sie separiert die Hooligans, oft müssen fünf, sechs Personen warten, bis nach und nach die Personalien festgestellt sind. Fotos und Videos der Personen werden gemacht. Platzverweise erteilt. Insgesamt gibt es 16 Gewahrsamnahmen und fünf vorläufige Festnahmen.
Nach 18 Uhr löst sich die Kundgebung auf. Überall in der Stadt sind noch Polizisten postiert. Kurz nach 19 Uhr geraten Salafisten und türkische Mannheimer am Marktplatz aneinander. Auch hier gelingt es der Polizei, schnell einzugreifen, bevor die Lage eskaliert.
Von linken Gegendemonstranten hat man an diesem Sonntag nichts gesehen.
Fotostrecke (chronologisch):