Mannheim/Rhein-Neckar, 06. September 2014. (red/pro) Über soziale Netzwerk wie Facebook wird viel diskutiert über den tödlichen Messerangriff am späten Donnerstagabend vor einer Polizeiwache. Hinzu kommt eine weitgehend reißerische Berichterstattung in einigen regionalen Medien. Es wird viel behauptet und unterstellt. Dabei sind viele Fragen offen und insbesondere bei unklaren Lagen sollte man einen kühlen Kopf behalten. Auch gegenüber der Polizei. Und auch gegenüber Medien und dem, “was man so hört”.
Von Hardy Prothmann
Der Beamte bemerkt einen handgreiflichen Streit vor der H4-Wache, springt aus dem Fenster, geht mit dem Schlagstock zwischen die streitenden Männer und wird selbst attackiert. Dann klettert er durchs Fenster wieder in die Wache, legt seine Schutzweste an, währenddessen erfolgt der tödliche Stich in den Hals des Opfers. Der Täter und seine Begleiter fliehen. Der Polizist und Passanten leisten erste Hilfe. Das 20-jährige Opfer stirbt.
Das ist die Kurzfassung nach den bislang vorliegenden Informationen und ersten Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft.
Warum hat der Polizist die Tötung nicht verhindert? Er ist doch ausgebildet, es ist seine Pflicht und er hat eine Waffe, behaupten viele. Ist er am Ende mit Schuld, dass der junge Mann sterben musste? Weil er angeblich Angst hatte und zu feige war oder ihn das alles nicht interessiert hat? Das sind Vorwürfe, die indirekt durch den Mannheimer Morgen und Mannheim24.de mit Berufung auf “Zeugen” oder Kommentare auf Facebook gemacht werden.
Wir stellen uns folgendes, ausgedachtes Szenario vor:
Der Beamte bemerkt den Streit. Obwohl er eigentlich die Wache alleine nicht verlassen darf, beschließt er einzugreifen. Er springt aus dem Fenster, denn durch die Schleuse kommt er nicht, wenn er alleine ist und niemand den Öffnen-Knopf drücken kann. Er geht zwischen die Männer, setzt sogar einen Schlagstock ein. Er wird selbst attackiert, schafft es aber, Abstand herzustellen und alarmiert seine Kollegen. Ab hier beginnt die Fiktion: Jetzt sieht er, dass ein Messer gezogen wird. Er beschließt, wieder dazwischen zu gehen. Zwei Männer werden bedroht, mindestens vier sind die Aggressoren. Der Beamte nimmt es also mit vier Männern gleichzeitig auf, einer hat das Messer. Der Beamte ist außerordentlich gut geschult und gut in Selbstverteidigung. Wie alle, die sich mit Messerkampf auskennen, weiß er, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit verletzt werden wird, die schönen Filmchen im Internet, wie man sich gegen mehrere Gegner wehrt und Ihnen Pistolen und Messer abnimmt, sind genau eins: Filmchen.
Es kommt zum Gerangel, der Polizist erleidet eine Stichverletzung, es gelingt ihm aber, den Aggressor zu überwinden. Dabei rammt dieser sich selbst das Messer in den Bauch. Seine Kumpane sind darüber so erbost, dass sie nun wieder auf den Polizisten losgehen. Der zieht die Waffe, feuert einen Warnschuss in die Luft ab. Mittlerweile schauen ein paar Dutzend Gaffer zu. Die drei Männer lassen sich nicht beeindrucken und attackieren den Polizisten weiter. Der schießt, trifft einen tödlich in die Brust, einen zweiten verwundet er am Bein und der dritte flieht. Leider hat der Polizist auch zwei der Gaffer angeschossen, in voller Bewegung, nachts im Dunkeln in unterlegener Position ist es nicht leicht, genau zu treffen. Alle Schützen wissen, wie schwierig der Umgang mit einer Waffe außerhalb einer geordneten Situation ist. Selbst mit Ruhe am Schießstand muss man sehr lange üben, bis man die Waffe sehr treffsicher beherrscht.
Polizist ersticht Mann, erschießt weiteren und verletzt drei Personen
Damit wäre die Schlagzeile fertig. Die nächste könnte sein: Polizist verließ vorschriftswidrig die Wache, gefolgt von: Könnten die Männer noch leben, wenn der Polizist nicht eingegriffen hätte?, Mutter des Opfers: Er hat meinen Jungen umgebracht, Müssen wir vor der Polizei Angst haben?, Schießtraining vollkommen unzureichend, undsoweiter.
Leben wir unsicher? Kann die Polizei uns überhaupt beschützen? Ist nicht die Polizeireform schuld daran, dass die Polizei so unterbesetzt ist?
Ja, wir leben immer unsicher – aber in einem der sichersten Länder der Welt. Trotzdem passieren Verbrechen, auch Mord und Totschlag. Es gibt keinen 100-prozentigen Schutz. Im übrigen sterben sehr viel mehr Menschen im Verkehr als durch Verbrechen.
Gegen Affekttaten ist die Polizei nahezu machtlos – wie die Opfer. Es ist ein Irrglaube, dass man alle Situationen meistern kann, wenn man Selbstverteidigung beherrscht (!) oder in irgendeiner Art bewaffnet ist. Eigene Waffen können sich schnell gegen einen selbst richten und selbst Profiboxer, die nichts anderes machen als trainieren und kampferfahren sind, gehen nach einem Schlag, der sitzt, auf die Bretter.
Selbst 20 Polizisten auf der Wache hätten die Tat vermutlich nicht verhindern können. Klar, mehrere wären vor die Tür gegangen, hätten die Streithähne getrennt, die einen in die, die anderen in die andere Richtung geschickt. Ganz ohne Warnschüsse. Dann wären sie wieder in die Wache und die Gruppen wären an der nächsten Ecke aufeinander getroffen.
Man muss sich das klar machen: Der Tatverdächtige war bewaffnet und es gehört entweder eine ohnmächtige Wut oder ein fester Entschluss dazu, ein Messer gegen einen Menschen zu führen. Und dabei muss man immer den Tod des anderen in Kauf nehmen, insbesondere, wenn man den Hals angreift.
Viele, die jetzt darüber debattieren, ob der Polizist nicht Hilfe unterlassen hat, ignorieren vollständig die Umstände. Im Zweifel zieht sich ein einzelner Polizist zurück, wenn er einer Übermacht gegenübersteht – um sich und andere zu schützen. Der Griff zu Waffe darf nur ein letzter Ausweg sein, denn Schusswaffen haben ein tödliches Potenzial. Das wissen auch alle verantwortlichen Polizisten und ziehen nicht eben Mal bei jeder Gelegenheit die Waffe. Ich kenne durch meine Arbeit sehr viele Polizisten und die allermeisten haben trotz jahrzehntelanger Einsätze noch nie die Waffe gezogen, worüber sie auch froh sind, denn kein normaler Mensch zielt mit einer geladenen Waffe gerne auf andere Menschen.
Vielfältige Arbeit der Polizei garantiert weitgehende Sicherheit
Die vielfältige Arbeit, die die Polizei täglich leistet, wird angesichts dieses Falls übersehen. Der normale Alltag ist: Unfälle, Verkehrsregelungen, Streife fahren und Präsenz zeigen, Streitigkeiten, Diebstähle, Ruhestörungen, Zechprellereien, Einbrüche, Großveranstaltungen. Tausende von unterschiedlichen Situationen gilt es zu bestehen, hunderte Paragrafen zu berücksichtigen, alles muss dokumentiert werden, damit andere Behörden damit arbeiten können.
Ich lebe gerne in diesem Land, weil es weitgehend sicher ist und ich fast überall zu jeder Tages- und Nachtzeit auf die Straße gehen kann. Die Polizei ist dabei unser aller Freund und Helfer, indem sie abschreckt, regelt, beschützt – soweit das möglich ist.
Die Polizei wird zum Feind, wenn Willkür herrscht und die Wahl der Mittel nicht angemessen ist. Ob bei S21 oder in Frankfurt gegen die Occupy-Bewegung hat die Polizei maßlos reagiert. Das muss man kritisieren und Maßnahmen treffen, dass die Polizei die geliehene Macht nicht missbraucht. Sowohl zivil, als auch juristisch, als auch journalistisch.
Im vorliegenden Fall deutet alles darauf hin, dass der Beamte sich sogar selbst in Gefahr gebracht hat, um die streitenden Männer auseinander zu bringen. Er hat Verstärkung gerufen und damit alles richtig gemacht. Den Angriff auf das Opfer hat er nicht verhindern können – zumindest stellt sich nach der aktuellen Faktenlage der Ablauf so dar.
Wenn Medien wie der Mannheimer Morgen und Mannheim24.de fragwürdige “Zeugenaussagen” als Tatsachen verkaufen, dann nur um der Stimmungsmache willen. Sie beschädigen den einzelnen Beamten, die Polizei insgesamt und auch das Vertrauen der Bürger/innen in die Polizei. Sprich: Sie legen es auf einen Totalschaden an. Und wenn sich die “Zeugenaussagen” als falsch herausstellen, werden sie die Schuld auf die “Zeugen” schieben und sich vor jeder Verantwortung verwahren. Auch das ist ein Missbrauch – der Meinungsfreiheit. Einem der wichtigsten Rechte unserer Demokratie, mit dem man sorgfältig umgehen muss.
Sicher, die H4-Wache hat eine unrühmliche Vergangenheit. Aber das ist lange her. Sie liegt in einem schwierigen Stadtteil mit teils rauen Sitten. Wer frühere Verfehlungen jetzt wieder rauskramt, der hat nur Lust an der Beschädigung.
Polizeioberrat Joachim Scholl leitet das Revier Innenstadt und hat sich insbesondere bei der Salafisten-Kundgebung um’s öffentliche Wohl verdient gemacht. Die Zusammenrottung von rund 200 Hooligans eigentlich verfeindeter Vereine hat er umsichtig gehandhabt und zu keiner Zeit die Kontrolle verloren. Die Schläger konnten nichts ausrichten. Wer Veranstaltungen mit mehreren tausend Menschen so führt, der führt auch sein Revier sehr gut.
Klar, es gibt überall schwarze Schafe, selbst Polizisten werden mal kriminell. Aber in diesem Fall den einzelnen Beamten derart zu beschuldigen – und zwar ohne handfeste Fakten – ist einfach übel.
Die Polizisten, die ich gesprochen habe, sind alle betroffen von der tödlichen Attacke. Die allermeisten kritisieren sogar ihren Kollegen – er hätte überhaupt nicht allein eingreifen, sondern die Verstärkung abwarten sollen. Aber keiner hat Verständnis für die Hetzjagd, die dann folgte.
Die Polizei arbeitet mit hohem Aufwand an der Aufklärung des Tötungsdelikts. Der mutmaßliche Täter ist bereits gefasst. Wir sind mit der Arbeit der Polizei sehr zufrieden – auch mit ihrer Informationspolitik.