Rhein-Neckar, 04. März 2015. (red/pro) Innerhalb von sechs Tagen erlebt Mannheim einen “Show-down” mutmaßlicher Mitglieder der Organisierten Kriminalität in der Innenstadt und einen mutmaßlichen Raubmord in der Neckarstadt-West. Die Emotionen gehen hoch – dementsprechend sind die Beiträge in Kommentaren und sozialen Netzwerken. Durchatmen und nachdenken ist insbesondere dann, wenn es “hektisch” wird, immer von Vorteil.
Kommentar: Hardy Prothmann
Mitglieder der Organisierten Kriminalität liefern sich eine “Abrechnung” in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag vergangener Woche.
Am späten Montagabend stirbt ein Ladenbesitzer nach einer Messerattacke in der Neckarstadt-West.
Muss man sich immer mehr Sorgen machen? Nehmen die Verbrechen immer mehr zu? Sind wir alle in Gefahr? Wo soll das nur enden?
Diese und viele andere Fragen ziehen ihre Kreise. Und die Antworten liegen schnell auf der Hand: “Es wird immer irrer”, “Ich traue mich nicht mehr raus”, “Das kann nur schlimm enden” – und: “Die und die sind schuld – das hat man doch längst gewusst.”
Moment.
Keiner der “vier großen” Gewaltfälle 2014 und 2015 hat jeweils mit dem anderen zu tun. Im Sommer kommt es zu einem gewaltbereiten Mob in der Innenstadt und im Jungbusch. Es wird scharf geschossen. Im Herbst kommt es zu einer tödlichen Messerattacke in der Innenstadt. Vergangene Woche kommt es zu einer Auseinandersetzung in der Innenstadt mit vier verletzten Personen, am Montagabend stirbt ein Mensch nach einer Messerattacke. Der gemeinsame Nenner ist Gewalt – sonst gibt es keinen.
Oder doch? Waren das nicht alles Ausländer? Ja. Die Fälle 1-3 sind Aggressionen unter “Muslimen”. Der aktuell mutmaßliche Raubmord allerdings wurde von einem Italiener begangen – vermutlich ein Katholik. Das Opfer ist vermutlich ein Moslem. Und mal ehrlich? Auch ein Italiener ist in Deutschland ein Ausländer, auch, wenn er nicht ins Klischee des bärtigen Muselmanen passt.
Fragen über Fragen
Wer waren also die Opfer? Allesamt Ausländer. Die allermeisten “Moslems” – ob gläubige oder praktizierende mal dahingestellt.
Wer ist der Mörder von Gabriele Z.? Ein Bulgare. Ausländer. Und sein Opfer ist eine ausländische Studentin aus Litauen gewesen. In seiner Arbeiterwohnung lagen bulgarische Ausgaben des “Wachturms” und eine Bibel.
Wer waren die Täter? Mannheimer Migranten? Überwiegend nein. Der Schütze im Jungbusch kam aus Ludwigshafen, die “schweren Jungs” vergangene Woche aus Ludwigshafen und dem Frankfurter Raum. Der tatverdächtige Italiener aus Italien und obdachlos.
Mannheim ist eine eher “kleine Großstadt”, aber das absolute Oberzentrum der Metropolregion. Und viel Gewalt kommt von “außerhalb”, weil Mannheim ein “Treffpunkt” ist.
Wer hat Angst vor Gewalt?
Wer fürchtet sich am allermeisten vor der Gewalt auf den Straßen von Mannheim? Klar. Deutsche Politiker als vermeintliches Sprachrohr der deutschen Bevölkerung, die in Mannheim nur noch zu 60 Prozent deutschstämmig ist.
Bei den vier gewalttätigen Auseinandersetzungen kamen unterm Strich zwei Ausländer um’s Leben bei zusammengerechnet mehreren Hundert beteiligten Personen.
Beim Doppelmord von Eberbach waren es zwei Deutsche und der deutsche Mörder. Beim Shooting in Dossenheim kamen ebenfalls zwei deutsche Opfer um’s Leben sowie der deutsche Täter. Beteiligt waren insgesamt keine zwei Dutzend Personen. Macht 6 deutsche Tote vs. 2 ausländische Tote. Die fünf Schussverletzten in Dossenheim als vermeintliche fast-Todesopfer nicht mitgerechnet.
Sind die Deutschen also “gründlicher beim Töten”? Ups – was für eine Frage.
Strafverfolgung funktioniert – trotz Internet
In allen Fällen hat die Polizei die Täter ermittelt. Das heißt, zum Mitschreiben, übersetzt: Die Strafverfolgungsbehörden wie Polizei und Staatsanwaltschaft machen ihre Arbeit. Und zwar “erfolgreich”. Sie haben diese Verbrechen nicht verhindern können und sie können sie auch in Zukunft nicht verhindern – aber sie klären sie auf.
Der Blick in die Statistiken sorgt für Spannung und oft auch für Ernüchterung. Insbesondere Kapitalverbrechen werden sehr viel häufiger aufgeklärt als beispielsweise Einbrüche. Die Polizei ist nicht allmächtig und sie hat begrenzte Ressourcen – aber insbesondere bei Gewaltverbrechen setzt sie viele Ressourcen ein.
Die Informationsgesellschaft ist ein Segen – aber auch ein Fluch. Insbesondere Einbrecher konsumieren auch Medien und hinterlassen kaum noch Fingerabdrücke. Sie haben Einmalhandschuhe aus Billig-Produktionen von irgendwo auf der Welt an. Sie wissen, wonach die Polizei sucht. Wenn früher noch “umfassend” eingebrochen worden ist und auch mal ein ganzes Haus per Möbelwagen “ausgeräumt” wurde, ist es heute “hit and run”. Wer nicht viel auf ein Mal stehlen will, muss öfter stehlen.
Prinzip Rechtsstaat vs. Vorurteil
Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Denn verurteilt werden kann nur derjenige, dem man eine Straftat nachweisen kann. Und je kürzer der Täter am Tatort ist, desto weniger Spuren hinterlässt er. Das “Wissen” der Polizei nach Zugriffen, dass man einen Straftäter vor sich hat, reicht nicht aus. Das ist teils schwer zu ertragen, aber ein Grundpfeiler des Rechtsstaats, der für alle gilt – im Zweifel für den Angeklagten.
Wenn ehemals geschätzte Zeitungen dazu übergehen, aus dem Mord eines Bulgaren an einer Litauerin die Forderung abzuleiten, dieses Verbrechen müsse Anlass sein, über das “Problem der Zuwanderung” zu diskutieren, dann grenzt das schon an Volksverhetzung und die Zeitung kassierte zu Recht eine “Missbilligung” des Deutschen Presserats. Veröffentlicht hat die Zeitung diese Zurechtweisung allerdings nie. Und viele Menschen haben vom Gift des Ressentiments gekostet und werden sich vergiftet äußern.
Erbarmungsloser Existenzkampf
“Die Medien”, zu denen auch das Rheinneckarblog.de gehört, sind einem erbarmungslosen Existenzkampf unterworfen. Erlösmodelle, die man braucht, um die Arbeit zu finanzieren, werden immer unsicherer. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass die, die am intensivsten Medieninhalte nutzen und diese kritisieren, meist wenig dafür zu zahlen bereit sind.
Die Medien, im Kampf um Aufmerksamkeit, wollen immer schneller werden, um “exklusiv” zu sein – was für eine Lachnummer – wäre sie nicht todernst. Im Zweifel ist heute ein zehnjähriger Junge mit Smartphone der erste “Reporter” vor Ort, der zeigt, wie Mama und Papa nach einem Unfall gerade verbluten. Und bevor der “gewissenlose” Konkurrent damit online geht, macht man das selbst, weil doch sonst der Konkurrent…
Das alles läuft meist ohne Filter über das Internet und manche “pics” oder “vids” werden “youtube-hits”. Leider beteiligen sich viele Medien, weil sie nicht auf Kompetenz setzen, sondern “die Welle mitreiten”.
Mediengeiler Zeuge
Aktuell befeuert ein “Zeuge” viele mediale Angebote. Der Mann will als erster den sterbenden Ladenbesitzer in der Neckarstadt entdeckt haben. Seine “Informationen” bietet er vielen Medien an, die “exklusiv” zuschlagen.
Sie verbreiten die Schilderungen dieses geradezu auskunftsgeilen Zeugen – und beschädigen damit gleichzeitig die Arbeit der Ermittlungsbehörden. Wenn es ans “Eingemachte” geht, muss man sogar vermuten, dass Geld für Aussagen fließt – wer weiß. Neu wäre das nicht. Oft reicht die Eitelkeit als Selbstdarsteller auch als “Lohn”.
Andere Zeugen nehmen diese “mediengeil” veröffentlichten Informationen auf und das beeinflusst unwissentlich oder wissentlich deren Aussage. Und der Anwalt des Tatverdächtigen weiß, was der “Zeuge” erzählen wird.
(Un)verantwortliche Medien
Mehrere Zeitungen bis hin zu öffentlich-rechtlichen Sendern haben diesem “Zeugen” Raum gegeben – wegen eines falsch verstandenen journalistischen Antriebs einer vermeintlich exklusiven Berichterstattung.
Niemand “muss bringen”, was andere gebracht haben. Sondern man sollte nur das veröffentlichen, was man verantworten kann.
Die alten Tugenden wie Recherche, Gegencheck, Reflektion gelten heute scheinbar nichts mehr – alle hetzen nur noch der “Exklusivität” hinterher und erzeugen durch gehetzten Journalimus am Ende leider nur noch Hetze. Ob durch wütende Leserbriefschreiber, kreischende Lokalpolitiker oder wenn das nicht reicht, durch pseudo-investigative journalistische Null-Nummern.
Öffentliche und veröffentlichte Meinung
Die Öffentlichkeit orientiert sich an der veröffentlichten Meinung. Die veröffentlichte an der “öffentlichen”. Daraus kann eine sich selbst erfüllende Prophezeiung werden. Alles wird immer schlimmer, weil alles immer schlimmer wird.
Puh. Deutschland ist mit Abstand eines der sichersten Länder dieser Welt. Trotzdem gibt es hier auch “Verbrechen”- und ja, es gibt auch importiertes Verbrechen aus der ganzen Welt. Und es gibt ganz klar große Herausforderungen – meist aber zwischen Menschen, die nach Deutschland kommen.
Die Politik, die Medien und andere gesellschaftliche Akteure müssen differenzierter arbeiten. Es gibt nichts zu beschönigen, aber auch nichts, was man unnötig dramatisieren sollte.
Gewaltverbrechen machen betroffen. Die Opfer sind die Opfer – nicht die, die sich als “potenzielle” Opfer fühlen, wenn die Phantasie und die Ressentiments durchgehen.
Die Gesellschaft muss aufpassen, öffentlich vernünftig zu bleiben und nicht irgendeiner Hysterie zu verfallen.
Auch wenn es in Zeiten des Internets Millionen von Öffentlichkeiten durch einzelne “User” gibt – was wird gepostet, geteilt, kommentiert? Mediale Inhalte. Welche dieser Inhalte erreichen “Hit”-Status? Meist die banalsten und doofesten Stories.
Die seriösen Medien müssen diesen “Impulsen” wiederstehen und die Menschen, die ein gesellschaftliches Miteinander wollen, müssen wissen, dass es schwieriger ist, zu differenzieren, sich auch Widerständen zu stellen, als einfach mal einen Hype zu bedienen.
Fortsetzung folgt.