
Kurz nach dem Angriff – überall liegen Steine und Flaschen. Die Stimmung ist aufgeheizt, die Polizei der Übermacht aus aggressiven Kurden unterlegen.
Mannheim/Rhein-Neckar, 09. September 2012. (red/pro/local4u) In Mannheim ist es am Samstag zu einer Eskalation der Gewalt eines kurdischen Mobs gegen Polizeibeamte gekommen. 80 Polizisten wurden verletzt, einer davon schwer. Rund 700 Polizisten standen rund 2.500 aggressiven Kurden gegenüber, die die Polizei mit Stein- und Flaschenwürfen angriffen. So unvermittelt die Gewalt eskalierte, so friedlich löste sich letztlich das 20. Kurdische Kulturfestival auf dem Maimarktgelände auf. Die Veranstalter zeigten sich ebenso überrascht wie die Polizei. Innenminister Reinhold Gall (SPD) kündigte vor Ort umfangreiche Untersuchungen und „Konsequenzen“ an.
Von Hardy Prothmann
Ich stehe etwa 35 Meter vom Haupteingang des Maimarktgeländes entfernt und fotografiere die Situation. Zwischendrin schaue ich auf und das ist gut so. Ich ducke mich. Der Stein, den irgendjemand aus der Menge hinter dem Eingangsgitter geworfen hat, flieg über meinen Kopf hinweg und landet hinter mir. Ich fotografiere weiter. Wieder fliegt ein Stein, der rund zwei Meter neben mir runterkommt.
Es ist kurz nach 16:00 Uhr. Die Sonne knallt. Auf dem Mannheimer Maimarktgelände findet das 20. Kurdische Kulturfestival statt. Die Stadt sagt, es seien 38.000 Menschen gekommen, die Polizei sagt 40.000. Vor einer dreiviertel Stunde gab es hier eine Eskalation der Gewalt, der eine zweite folgte. Die zwei Steine, die gegen mich geworfen wurden, sind harmlos gegen das, was sich wenige Minuten zuvor zugetragen haben muss.
Gewaltbereite Menge
Vor mir drängt sich eine unübersichtliche Menge, die PKK und mir unverständliche Parolen skandierendiert. Viele junge Männer, aber auch ältere und nicht wenige Frauen. Die Polizei wird die Zahl der Aggressoren später in einer Pressemitteilung auf 2.500 Personen schätzen. Meine Schätzung aktuell vor Ort sind rund 1.000 aggressive, aufgebrachte Menschen. Hinter mir stehen Einsatzkräfte der Polizei. In vielen Trupps mit unterschiedlicher Ausstattung. Die Polizei sagt, es seien 700 Beamte im Einsatz, vor Ort schätze ich rund 600, sicher sind auch Kräfte im weiteren Bereich im Einsatz. Und immer wieder fliegen Steine auch in Richtung Polizei.

Über zwei Stunden lang ist die Lage nach dem Angriff brenzlig. Der Mob provoziert, schwenkt Fahnen – immer wieder fliegen Steine aus der Menge heraus in Richtung Polizei.
Überall auf dem weitläufigen Gelände vor dem Haupteingang liegen Steine und Flaschen auf dem Boden. Indizien für den Angriff, der stattgefunden hat. Die Gründe für die Eskalation der Gewalt gegen die Polizei sind unklar. Die Polizei teilt mit, man habe einem 14-jährigen Kurden im Eingangsbereich eine verbotene Fahne wegnehmen wollen, woraufhin mehrere Dutzend Beamte unvermittelt von einer Übermacht angegriffen worden seien. Verschiedene Kurden sagen, die Polizei habe unverhältnismäßig agiert und provoziert. Eine Sprecherin des Veranstalters, Gökay Akbulut, sagt, die Jugendlichen hätten sich von der Polizeipräsenz provoziert gefühlt.
Fassungslosigkeit
Tatsache ist, dass es zu einem unvermittelteten aggressiven Angriff gekommen ist und die Polizeikräfte Prefferspray eingesetzt haben. Auch ein Hundeführer war nach Polizeiangaben vor Ort. Der Angriff muss kurz und heftig gewesen sein. Weitere Polizeikräfte sicherten den Rückzug der Beamten vom Maimarktgelände. Kurz darauf kommt es zu einem Angriff auf die Polizei vor dem Messegelände. Polizisten und Reporter verschiedener Medien berichten von einem Steinhagel, der niedergeprasselt sei. Man habe sich hinter Autos in Sicherheit gebracht. Dabei werden Polizisten durch die Wurfgeschosse verletzt, 13 Fahrzeuge beschädigt. Die Aggressoren verwenden Steine aus dem Kiesbett der Straßenbahnlinie vor der Messe und Flaschen.
Der erfahrene Beamte Martin Boll, leitender Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mannheim, ist sichtbar fassungslos:
Diese Gewaltbereitschaft hat uns kalt erwischt. Damit haben wir nicht gerechnet, weil es dafür keine Grundlage gegeben hat.
Als die Gewalt eskalierte, gab es nur eine Strategie, Rückzug und sichern: „Wir sind hier mit 700 Beamten im Einsatz – auf dem Gelände sind 40.000 Menschen, Frauen, Kinder, Alte. Über 2.000 Personen haben sich gewaltbereit gezeigt. An eine geordnete Regelung war überhaupt nicht zu denken.“

Rund 600 Polizisten sahen sich nach Polizeiangaben rund 2.500 gewaltbereiten Kurden gegenüber. Die Polizei setzte auf Deeskalation.
„Der ist in Ordnung“ vs. „Feinde“
Wer kein Kurde ist, ist Feind, reden die Polizisten untereinander. Auch die meisten deutschen Journalisten nicken. Ein kurdischer Reporter nimmt mich und meinen Kollegen mit auf das Gelände. Gleich am Eingang werden wir mehrmals aggressiv angegangen. Ohne die Sprachkompetenz des Kollegen wären wir keinen Meter weitergekommen. Durch Zufall entdeckt mich ein Mannheimer Kurde, den ich kenne: „Der ist in Ordnung“, sagt er auf deutsch und zu aufgebrachten Leuten um uns herum und dann wird kurz auf kurdisch diskutiert. Sofort entspannt sich die Lage und wir können passieren. Offensichtlich kennt man ihn und vertraut ihm.
Der kurdische Reporter erzählt uns eine andere Sicht des Vorfalls:
Die Polizei ist bedrohlich gegen einen Jungen vorgegangen. Klar haben die anderen ihn verteidigt.
Man müsse aufpassen. Denn über Kurden wird nur schlecht berichtet, sagt er.

Rund 40.000 Besucher waren zum 20. Kurdischen Kulturfestival auf das Mannheimer Maimarktgelände gekommen.
Das Maimarktgelände wirkt nicht wie ein Kulturfestival, sondern eher wie ein Flüchtlingslager. Viele Menschen sitzen auf dem Boden im Schatten der Gebäude, um sich vor der Sonne zu schützen. Viel mehr sitzen aber auf Decken in der prallen Sonne. Es gibt viel zu wenig Zelte, die Schutz böten. Es staubt. Die Menschen nach dem Riegel vor dem Eingang wirken nicht aggressiv, aber angespannt. Kein Wunder, denn es gibt nichts, was zum Entspannen einlädt. Nichts, was Freude macht. Hier sind 40.000 Menschen zusammen auf einem Gelände, das überwiegend unorganisert wirkt. Die Menschen organisieren sich selbst. Überall scharren sich Familien zusammen und bilden kleine Inseln auf dem staubigen Untergrund. Ist das kurdische Kultur?
Fahnen und Gewalt
Es gibt eine zentrale Bühne. Das wirkt auf den ersten Blick ein wenig wie ein Festival, aber es wird keine Musik gespielt. Es werden Botschaften übermittelt, die ich nicht verstehe, weil ich kein kurdisch spreche. Hier und da bilden sich Kreise von Menschen, die tanzen und dabei Fahnen schwenken. Die meisten der Fahnen kenne ich nicht, aber ich habe gesehen, wie Ordner bemüht waren, einige davon im Eingangsbereich sofort einrollen zu lassen. Ganz sicher sind viele dieser Fahnen in Deutschland nicht erlaubt. Warum werden sie hier offen geschwenkt? Wieso erlaubt der Veranstalter das? Geht es um Kultur oder Politik? Und wegen einer dieser Fahnen kam es zur Eskalation der Gewalt.

Riesenplakat mit dem inhaftieren PKK-Führer Abdullah Öcalan – ein Hinweis, dass das Festival eher politischen denn kulturellen Charakter hatte.
Oder war die Fahne nicht wichtig? Tags zuvor hatte die Mannheimer Polizei eine gewaltätige Veranstaltung im Stadtteil Rheinau aufgelöst. Nach den Berichten der Polizei waren eindeutig Kurden gegen Türken die Agressoren. Keine Frage – die türkische Politik gegen die Kurden muss kritisch betrachtet werden. Ganz klar ist, dass die Polizei solche „auswärtigen“ Konflikte in Deutschland nicht zulässt und unterbindet. Neun Festnahmen hatte es gegeben – ein Mann hatte sich am Fuß verletzt. Im Internet kursierte das Gerücht, er sei gezielt von der Polizei misshandelt worden. War der Angriff also ein Racheakt?
Wir erreichen das Sanitätszelt der Veranstalter. Vielleicht acht Quadratmeter groß. Auf einem Tisch, der in L-Form angelegt ist, sind Medikamente und Verbandszeug ausgelegt. Wahllos. Auf der einzigen Liege befindet sich ein Mann. Unklar, warum. Davor hockt ein weiterer Mann, der einen Fingerverband trägt. Beide strahlen Elend aus.
Volkstanz oder Partei-Propaganda?
Eine Frau in zivil stellt sich als Kinderärztin vor und erklärt, dass sie spontan geholfen habe. 15 Augenspülungen nach dem Pfefferspray-Einsatz der Polizei habe sie vorgenommen. Und drei Hundebisse behandelt. Einer sei nur eine Schramme gewesen, einer „ordentlich“ und einen habe sie an die deutschen Sanitäter weitergegeben, weil die Bisswunde im Oberschenkel sehr tief gewesen sei. Die Person musste ihren Angaben zufolge ins Krankenhaus eingeliefert werden. Platzwunden habe sie nicht behandelt und auch keine Informationen über Schlagstockeinsätze.
Auf dem Weg zum deutschen Sanitätszelt passieren wir die Familienlager der Kurden und auch ein Transparent von Abdullah Öcalan, dem inhaftierten PKK-Führer. Überall werden Fahnen mit seinem Antlitz geschwenkt. Auf der Mitte des Geländes tanzen Kurden im Kreis und schwenken Fahnen. Eine Sprecherin wird das mir gegenüber später als „Volkstanz“ bezeichnen. Doch der hat nichts „traditionelles“. Dieses „Kulturfestival“ ist eindeutig eine politische Veranstaltung.
Bei den deutschen Sanitätern erhalten wir die Auskunft, dass es über 200 Hilfeleistungen gegeben hat. Überwiegend wegen der Hitze und daraus folgenden Kreislaufproblemen. Auch hier wurden ein paar Augenspülungen vorgenommen. Platzwunden oder Hämatome habe man nicht behandeln müssen. Wie passt das zu Aussagen, die Polizei hätte massiv Schlagstöcke eingesetzt?
Wer ist verantwortlich?
Was nun? Wer ist in der Verantwortung? Ob die Veranstalter für die Ausschreitungen verantwortlich gemacht werden können, wird zu klären sein. Ebenso die Rolle der Polizei. Und ebenso die Identität der Straftäter – man schmeißt in Deutschland nicht mit was auch immer nach anderen Menschen.

Über Stunden herrschte eine aggressive Stimmung bei rund 1.000 Kurden nach der Eskalation der Gewalt gegen die Polizei.
Sicher ist, dass diese Menschenmenge in der Hitze und unter diesen wenig „kulturellen“ Bedingungen und überall politisch motivierten Motiven sicher keinen „Kulturtag“ verbracht hat, sondern einen sehr, sehr anstrengenden. Und einen sehr deprimierenden, weil jede Gemütlichkeit fehlte, jede Freude. Und jede Anstrengung, diesen vielen Menschen ein erträgliches Erlebnis zu liefern. War das Absicht?
Kurz vor 19 Uhr gehen mit einem Male die Tore auf und die Menschen verlassen friedlich das Gelände. Es gibt keine weiteren Zwischenfälle. Wie passt das zur urplötzlichen Eskalation der Gewalt? Man hat den Eindruck, dass sowohl der Angriff als auch der Abzug koordiniert verlaufen sind.
Eine kurdische Sprecherin erklärt, eine Autoritätsperson habe sich an die aggressiven Jugenlichen gewandt und für Ruhe gesorgt. Man selbst habe keine Möglichkeit gehabt, Einfluss auszuüben und bedaure die Angriffe „der Jugendlichen“, die man nicht kenne, auf die Polizei.
So einfach geht das? Einer spricht und dann ist Ruhe? Die Frage, warum diese Autoritätsperson nicht vorher zur Rufe aufgerufen hat, bleibt offen.
Gewalt, Sprache, Folgen
Die Sprecherin erklärt weiter, es habe „Sprachprobleme“ gegeben. Die beauftragte Sicherheitsfirma habe deutsche und andere Nationalitäten im Einsatz gehabt, als es „eng wurde“, fehlten zunächst kurdisch sprechende Vermittler. Tatsächlich ist mir kaum jemand von der Sicherheitsfirma aufgefallen – das können nicht viele gewesen sein. Dafür aber umso mehr Kurden, die über ihre Warnwesten eindeutig dem Festival zuzuordnen waren.
Der Gewaltexzess wird für die Kurden vermutlich Folgen haben. Immerhin hat sich Innenminister Reinhold Gall (SPD) nach Mannheim bemüht, um sich ein Bild der Lage zu machen und gesagt:
Wir werden unsere Informationen auswerten und Konsequenzen ziehen. Klar ist, dass diese Vorgänge in unserem Rechtsstaat nicht zu dulden sind. Und ob es künftige Veranstaltungen dieser Größenordnung geben kann, halte ich für unwahrscheinlich.
Wie Gall ist auch der Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz sichtlich negativ beeindruckt:
Was hier passiert ist, kann niemand rechtfertigen und akzeptieren. Wir wollen eine multikulturelle Stadtgesellschaft und dazu passen keine gewalttätigen Ausschreitungen.
Zukunft für Kurdisches Kulturfestival fraglich
Laut dem Dachverband kurdischer Vereine in Deutschland (YEK-KOM), der das Festival organisiert, waren die bisherigen Veranstaltungen friedlich abgelaufen, teilt die Stadt Mannheim in einer Stellungnahme mit. „Das Festival bringt die Forderung der Kurdinnen und Kurden nach einem friedlichen Zusammenleben aller Menschen mit ihren verschiedenen Kulturen, Sprachen und Traditionen zum Ausdruck“, habe der Veranstalter im Vorfeld geäußert.
Vor Ort kursiert das Gerücht, viele der aggressiven Jugendlichen seien eventuell straßenkampferprobte Franzosen gewesen, die in Sekunden zwischen Flanieren und Steine-Werfen umschalten könnten. Oberbürgermeister Kurz spricht deshalb von einer „importierten Gewalt“. Weder Polizei noch Veranstalter wollen diese Erklärung „mangels Erkenntnissen“ bestätigen. Auch nicht Innenminister Gall. Man müsse die Informationen auswerten.
Gegen 20 Uhr ist das Gelände weitgehend leer, die Teilnehmer spazieren heraus, als hätte man einen Familienausflug hinter sich. Rund 220 Busse und viele Pkw haben die Kurden nach Mannheim gebracht und wieder weggefahren. Rund 50 Busse kamen aus dem umliegenden Ausland.
Der Tag war heiß, staubig und gefährlich. Und das Ansehen der Kurden wurde durch den gewaltbereiten Mob innerhalb von wenigen Minuten massiv beschädigt.

Die Ordner griffen kaum ein, wenn Flaggen ausgerollt wurden. Hier eine der Koma Civakên Kurdistan oder KCK, einer Unterorganisation der PKK.
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