
Nach der Eskalation kocht die Gerüchteküche weiter. Als sei man in einem Propagandakrieg.
Mannheim/Rhein-Neckar, 10. September 2012. (red) Das Polizeipräsidium weist Vorwürfe, man habe mit Ausschreitungen rechnen müssen, als “aus der Luft gegriffen” und “haltlos” zurück. Aus Sicht der Polizei habe man mit rund 700 Beamten eine “stattliche Zahl” an Schutzkräften aufgeboten, um ein “Kulturfestival” zu begleiten. Aktuell würden Gerüchte gestreut, die jeder Grundlage entbehrten. Derweil kommentiert die FAZ, die verantwortlichen seien “naiv” gewesen.
Von Hardy Prothmann
Polizeisprecher Martin Boll hat immer viel zu tun, aber im Moment weiß er nicht, wo ihm der Kopf steht. Der Krawall vom Samstag geht in der Presse weiter. Martin Boll schildert ein Beispiel:
Heute hat mich eine französische Journalistin angerufen und gefragt, ob es zutrifft, dass wir viele türkisch-stämmige Polizisten eingesetzt und damit die Kurden provoziert hätten. Da kann man sich nur noch an den Kopf fassen.
Selbstverständlich seien auch türkisch-stämmige Polizisten eingesetzt gewesen, aber als Teil ihrer Einheit und in der Zahl eher gering. Trotzdem muss sich der Pressesprecher mit solchen “Verdächtigungen” auseinandersetzen und versuchen, Ruhe in die mediale Front zu bekommen.
Nachdem ein Böller explodiert sei, seien Anfragen gekommen, ob es zutrifft, dass die Polizei von der Schusswaffe Gebrauch gemacht hätte. Erst habe man nach zwei, dann nach sechs Toten gefragt:
Da wurden soviele Gerüchte vollkommen verantwortungslos gestreut – das passiert gezielt und aus propagandistischen Gründen. Und nochmal – es sollte ein Kulturfestival sein. Das haben politische Klaqueure für ihre Zwecke missbraucht.
Nach Darstellung des Sprechers gab es keinen Schlagstockeinsatz gegen den 14-jährigen Jungen, dem Polizisten eine verbotene Fahne abnehmen wollten:
Ganz im Gegenteil sind die Beamten von einer Überzahl von hinten angegriffen worden. Dann eskalierte die Gewalt weiter. Auf dem Gelände konnten die Beamten nichts ausrichten, weil nicht zu unterscheiden war, wer Gewalttäter ist und wer nicht. Die standen zwischen Frauen und Kindern – wenn wir da in den Nahkampf gegangen wären, hätte es Krieg und viel Schwerverletzte gegeben. Die Entscheidung auf schnellen Rückzug und Sicherung durch den Einsatzleiter war die einzig richtige Lösung, um den Konflikt zu entschärfen.
Immer noch zeigt sich der erfahrene Beamte fassungslos, was am Samstag passiert ist:
Ich bin 30 Jahre im Dienst. Sowas habe ich noch nicht erlebt. Das ging schon im Vorfeld los – Verkehrsmaßnahmen wurden einfach ignoriert, Absperrungen beiseite gestellt. Das hatten wir nur als “rücksichtsloses Verhalten” eingestuft. Der Gewaltexzess kam für uns vollkommen überraschend.”
Auf die Frage, ob man nicht doch mit Gewalt hätte rechnen müssen, nachdem es in Bruchsal am Mittwoch und Mannheim-Neckarau am Freitag gewaltätige Auseinandersetzungen gegeben hatte, verneint Martin Boll:
Das waren aus unserer Sicht zwei verschiedene Veranstaltungen. Hier eine Demonstration, bei der Kurden und Türken aneinander geraten sind, dort ein Kulturfestival. Dieses haben wir auch umfangreich mit 600 Beamten begleitet und es kam zu keinen Auseinandersetzungen der Volksgruppen.

Aufgebrachte Menge – waren gezielte Falschinformationen die Ursache für die Krawalle?
Auch Vorwürfe, die Polizei habe gezielt provoziert, weist Boll entschieden zurück:
Wir haben im Vorfeld der Gewalteskalation 31 Festnahmen vorgenommen. 25 wegen des Tragens verbotener Fahnen. Die Polizei hat eine Strafverfolgungspflicht und wenn die Teilnehmer mit verbotenen Fahnen an den Beamten vorbeilaufen, müssen diese einschreiten. Sollen die einfach nichts machen? Das ist hier kein rechtsfreier Raum, aber so haben sich viele kurdischen Teilnehmer verhalten. Weiter wurden fünf Messer und ein Schlagring sichergestellt. Auch das diente der Einhaltung der Ordnung. Es ist absurd, das als “Provokation” hinzustellen, außer, man empfindet die Einhaltung von Recht und Ordnung als Provokation.
Umgekehrt werde ein Schuh draus:
Die gezielt gestreuten Gerüchte, die Polizei hätte einen verhafteten Kurden misshandelt und schwer verletzt auf die Straße gesetzt, haben vermutlich die Aggressionen provoziert. Es gab keine Misshandlung und keinen Schwerverletzten. Ein deutscher Arzt hat den Mann untersucht und eine leichte Prellung am Fuß festgestellt.
Die Kritik der Veranstalter weist Boll ebenfalls entschieden zurück:
Wir mussten leider feststellen, dass kaum eine der Vereinbarungen eingehalten worden ist. Im Gespräch vor Ort wurde uns dann mitgeteilt, wie wir uns zu verhalten hätten, weil sonst das und das die Folge sei, als wäre deutsches Recht verhandelbar. Das waren unhaltbare Zustände.
Weiter redeten die Veranstalter sich heraus, das seinen “halt Jugendliche, auf die man keinen Einfluss habe”. So könne man sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Deutschlandweit wird in der Presse aktuell der Konflikt sogar in internationale Zusammenhänge gebracht. Die Faz schreibt:
Es war naiv anzunehmen, dass eine als Kulturfestival getarnte Großkundgebung für PKK-Führer Öcalan ohne Gewalt ablaufen würde. Die Ausschreitungen in Mannheim fallen nun auf die Kurden und ihr Anliegen zurück.
Nach unseren Recherchen zeigten sich auch viele Kurden in Mannheim und Umgebung entsetzt von den Ausschreitungen beim Kurdischen Kulturfestival. Ein Mann, der gut in der kurdischen Szene vernetzt ist und auch vor Ort war, sagte uns:
Das hat uns und unserer Sache sehr geschadet. Ich schäme mich zutiefst, was hier passiert ist und möchte mich dafür entschuldigen, obwohl ich nicht verantwortlich bin – auch bei den verletzten Polizisten.
Die Polizei hat heute eine Ermittlungsgruppe eingesetzt, um das Video- und Fotomaterial auszuwerten und sofern möglich, eine entsprechende Strafverfolgung vornehmen zu können. Das wird angesichts der Menge der beteiligten Personen aus dem In- und Ausland eine Sysyphus-Arbeit. Während der Krawalle konnte die Polizei niemanden festnehmen, “weil das schier unmöglich war ohne die Beamten massiv zu gefährden”, wie Polizeisprecher Boll betont.