Mannheim/Rhein-Neckar, 01. Juni 2013. (red/pro) Zu einer spontanen Demonstration haben gestern Abend verschiedene Fanclubs, Kulturvereine und andere türkische Organisationen aufgerufen. Vor allem über Facebook wurde die Demonstration organisiert, die heute gegen 15 Uhr in Mannheim stattfand. Statt wie zunächst angekündigt 500 kamen letztlich rund 1.500 Menschen türkischer Abstammung zusammen, um gegen die Polizeigewalt in Istanbul zu protestieren.
Von Hardy Prothmann
Zunächst waren es einige hundert, dann kamen immer mehr Menschen auf dem Paradeplatz vor dem Kaufhof zusammen. Viele hatten handgeschriebene „Transparente“ dabei. Darauf kritisieren die türkischen Demonstranten die manipulierten Medien in ihrer Heimat, prangern Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan als Faschisten an, fordern ein Ende der Gewalt gegen die Umweltaktivisten, die sich gegen die Zerstörung des Istanbuler Gezi-Parks wenden und von der Polizei in der türkischen Mega-Stadt zusammengeknüppelt worden sind.
Gewaltexzesse in Istanbul
In der Nacht und am Morgen gibt es immer mehr Bilder, die die Gewalt und das Chaos in Istanbul zeigen. Die Polizei geht dort offensichtlich mit brutaler Härte nicht nur gegen Aktivisten, sondern auch die Zivilbevölkerung vor (siehe hier einen Bericht der Tagesschau zum harten Vorgehen der Polizei).Von unseren türkischen Quellen werden Verhaftungen und Misshandlungen berichtet. Es sei eine Nachrichensperre verhängt worden, zudem sei das Internet durch die Regierung gestört oder Dienste wie Facebook abgeschaltet worden.
Die Demonstranten sind sichtbar empört. Niemand ist vermummt, die wenigsten haben Sonnenbrillen auf. Sie zeigen offen ihre Gesichter. Mehr als die Hälfte der Demonstranten sind Frauen. Teenager, junge Frauen, Mütter, Großmütter. Die allermeisten tragen keine Kopftücher, sondern zeigen sich modern und selbstbewusst. Sie alle skandieren immer wieder Parolen. Erdogan sei ein Faschist, ein Möchtegern-Sultan, ein Knechter des eigenen Volkes und müsse weg.
Auslöser der Demonstrationen, die überall in der Türkei und in vielen europäischen Metropolen heute durchgeführt worden sind, sind die Gewaltexzesse gegen die Umweltaktivisten in Istanbul. Diese wollen verhindern, dass der Gezi-Park zerstört wird, um dort ein Einkaufszentrum zu errichten. Wer die Mega-Metropole Istanbul mit ihren 16 Millionen Einwohnern kennt, weiß, dass der Stadt grüne Lungen fehlen.
Protest gegen „Sultanat Erdogan“: „Tayyip, schau, wie viele wir sind.“
Die Menschen stört die Selbstherrlichkeit, mit der Ministerpräsiden Erdogan und seine Partei AKP „herrschen“. Insbesondere Frauen fühlen sich durch die Erdogan’sche Politik benachteiligt. Moderne Türken befürchten eine Reislamisierung des Landes und den Verlust von Freiheits- und Menschenrechten.
Erstaunlich war, dass bei der Mannheimer Demonstration auch Gruppen eigentlich „verfeindeter“ Fußball-Fanclubs sich gemeinsam gegen die türkische Regierung solidarisierten. Bumin Öztürk und Bora Gülkan, zwei der Organisatoren, haben über verschiedene Plattformen wie Facebook bis zu 80.000 türkische Mitbürger aufgerufen, zusammen gegen die Gewalt durch die Polizei zu demonstrieren. Das Motto: „Tayyip, schau, wie viele wir sind“:
Wir sind sehr stolz auf die vielen Leute, die gekommen sind und gemeinsam Nein zu diesen Zuständen sagen.
Der Einsatzleiter der Polizei, Polizeidirektor Dieter Schäfer, lobte die Organisation und die Demonstranten:
Die Menschen nehmen ihr Demonstrationsrecht wahr und von unserer Seite aus waren wir sehr zufrieden mit der Disziplin und der Friedfertigkeit der Demonstranten.
In Mannheim leben rund 20.000 Menschen türkischer Abstammung sowie 5.000 Kurden.
Nach rund zwei Stunden endete die Demonstration, die vom Paradeplatz über die Breite Straße bis zur Kurpfalzbrücke und zurück zum Markplatz verlief, mit einer Kundgebung. Im Anschluss löste sich die Versammlung zügig auf. Während der Demonstration kam es zu Verkehrsbehinderungen in der Innenstadt.
Unsere Fotostrecke zeigt chronologisch den Verlauf der Demonstration: