Mannheim/Rhein-Neckar, 13. August 2014. (red/pro) Rund 1.000 Menschen sind heute über die Planken zum Paradeplatz gezogen, um gegen den Terror des Islamischen Staates (IS) im Nordirak zu demonstrieren. Zur Zeit sollen sich dort zehntausende Menschen auf der Flucht befinden, vor allem Jesiden, eine Minderheitenreligion im Irak. Im Kurdengebiet flüchten sie in die Berge, es soll bereits mehrere Massaker gegeben haben. Die Menschen sind schutz- und hilflos. Amerikanische Streitkräfte werfen Hilfslieferungen ab und bombardieren Stellungen des IS. Befürchtet wird ein Völkermord.
Von Hardy Prothmann
Rund 1.000 Menschen marschieren gegen Verfolgung und Terror. Viele Kurden, die meisten davon Aleviten. Diese werden zu den „islamischen“ Glaubensrichtungen gezählt, grenzen sich aber klar von Schiiten und Sunniten ab. Politiker wie Thomas Trüper von Die Linke marschieren mit – überwiegend Menschen aus dem „linken“ Lager.
Sie fordern Unterstützung für die Menschen in aussichtsloser Lage und ein Ende des Terrors durch die radikal-islamische IS, einer sunnitisch-salafistisch bestimmten Terror-Miliz, die seit Jahren bombt und mordet und in den vergangenen Monaten durch teils erfolgreiche Offensiven Städte und Dörfer zumindest zeitweise unter Kontrolle brachte und für grausamste Morde an Zivilisten, auch Kindern, steht.
Seit dem Beginn des 3. Irakkriegs 2003 kommt das Land nicht zur Ruhe. Al-Quaida fördert den Konflikt zwischen Sunniten, die rund 35 Prozent der Bevölkerung ausmachen und den Schiiten, die rund 60 Prozent ausmachen. Alle kleineren Gruppen geraten zwischen die Fronten. Und insbesondere alle Nicht-Muslime stehen auf den Todeslisten des IS. Dessen Kämpfer beteiligen sich auch am Bürgerkrieg in Syrien und haben sich zu einem kürzlich geschehenen Anschlag in Beirut bekannt. Ziel der Radikalen ist ein Islamischer Staat, der Irak, Iran, Syrien, Jordanien sowie israelisches Gebiet vereint. Die Methoden sind skrupellos – Nicht-Moslems und jeder, der im Weg steht, muss um sein Leben fürchten.
Innenpolitisch ist in Deutschland die Debatte begonnen worden, ob man mit Waffenlieferungen oder nur mit „nicht-tödlichen“ Gütern unterstützen sollte. Eine verfahrene Situation: Der IS ist mit erheblichen Geldmitteln ausgestattet und soll von Katar und Saudi-Arabien unterstützt werden. Unter den Demonstranten gibt es einige, die meinen, auch die Amerikaner würden den IS unterstützen, weil man keine Ruhe in der Region wolle.
Besonders kritisch wird die Rolle der Medien gesehen: „Es wird so einseitig berichtet, es fehlen Hintergründe und Einordnungen.“ Mal abgesehen davon, dass es schwierig ist, das fragmentierte Land Irak zutreffend zu beschreiben, hat die Frau recht. Der IS ist unter anderen Namen seit 2003 aktiv und gewinnt anscheinend immer mehr Zulauf. Schätzungen zufolge hat die Gruppe bereits 15.000 Mann unter Waffen. Zwar soll es eine Abspaltung von Al-Quaida geben – aktuell hört und sieht man aber immer nur IS. Was ist eigentlich mit Al-Quaida? Was mit anderen Gruppen? Warum greift die irakische Armee nicht entschlossen an? Wieso kann die Terrorgruppe über so viel Geld verfügen und damit Waffen und Logistik finanzieren? Waren die USA 2003 nicht in den Irak eingerückt, um den Diktator Saddam Hussein zu entfernen und das Land zu befrieden?
Seitdem herrscht Tod und Zerstörung in einem Ausmaß, das es unter Saddam Hussein nicht gab – der Irak ist in einer absolut desolaten Lage. Das treibt die Menschen hier um. Vor allem die Kurden, die gerne im Norden ihren eigenen Staat hätten.
Viele der Demonstranten schwenken Fahnen mit dem Konterfei von Abdullah Öcalan, dem Führer der kurdischen Arbeiterpartei PKK, der aufgrund eines deutschen Haftbefehls 1998 festgenommen war und nach seiner Verurteilung 1999 auf einer türkischen Gefängnisinsel inhaftiert ist. Warum darf man ihn zeigen? In Deutschland gilt die PKK als terroristische Vereinigung. Weil es nicht um ein Bewerben der PKK geht – sondern angeblich um die Haftbedingungen. Warum zeigen die Menschen hier Öcalan? Was hat das mit der aktuellen Situation zu tun? Auch unter den Kurden gibt es viele, die den Kopf schütteln. Auch darüber, dass überwiegende Teile der Kundgebung auf kurdisch erfolgen: „Alle anderen, die sich gegen den Terror und für die Menschen einsetzen, verstehen nicht, was gesagt wird“, zeigt sich ein Mann enttäuscht und sagt: „Andererseits ist leider auch so viel Propaganda dabei, dass es nicht wichtig ist, das zu verstehen.“
Für Mannheim wie für andere Gemeinden in Deutschland gilt: Die Konfliktherde in aller Welt enden nicht an deren Grenzen, sondern werden auch in andere Länder getragen. Der schwere Kurdenkrawall im September 2012 hat die Menschen hier geschockt. Erst im März traten Salafisten in Mannheim auf – die Polizei konnte nur durch einen sehr guten Einsatz verhindern, dass es nicht zu Auseinandersetzungen mit rechten Hooligans gekommen ist. Vor kurzem demonstrierten überwiegend Moslems gegen die Bombardierung Gazas – während es in anderen Städten teils zu Ausschreitungen gekommen war, blieb die Mannheimer Demonstration „unproblematisch“.
Doch die weltweiten Probleme bleiben – ob Waffenlieferungen eine „Hilfe“ sein kann, wie auch Politiker von Die Linke fordern, darf bezweifelt werden. Vor elf Jahren begann der Krieg im Irak, seitdem ist das Land destabilisiert. In Syrien tobt ein fürchterlicher Bürgerkrieg, Afghanistan wird nach dem Abzug der Truppen eine Gewalltwelle erleben. Libyen wackelt schon wieder, Ägypten ebenso, in Gaza gibt es täglich neue zivile Todesopfer und was die Ukraine betrifft, weiß noch kein Mensch, wie sich die Lage dort entwickelt.
Eine junge Kurdin sagt: „Ich habe mich lange politisch beschäftigt, es aber aufgegeben, weil es einen kaputt macht, was man alles erfährt. Dann wollte ich nichts mehr wissen. Jetzt habe ich wieder Kraft und engagiere mich gegen den Terror, egal von wem.“
Der österreichische EU-Abgeordnete Michel Reimon (Grüne) zeigt in einem Video die Lage der Menschen, die vor dem IS-Terror fliehen: