Mannheim/Rhein-Neckar, 22. Juli 2014. (red) Aktualisiert. Erst waren es rund 1.500, dann innerhalb kurzer Zeit rund 5.000 Demonstranten, die am Samstag friedlich in der Mannheimer Innenstadt gegen die israelischen Angriffe auf Gaza protestiert haben. Doch die Stimmung war aufgeheizt – es hätte jederzeit „aus dem Ruder laufen“ können. Fahnenverbrennungen wurden durch Demonstranten verhindert, die Polizei musste Ansagen machen, um die Auflagen einzuhalten.
Von Hardy Prothmann
„Israel Massenmörder“, „Israel Kindermörder“, „Holocaust in Gaza“, Zeichnungen einer medialen Dolchstoßlegende, „Deutschland finanziert, Israel bombardiert“, aber auch „Free Palestine“, das „6. Gebot heißt Du sollst nicht töten“, „Stop Israel“, „Du musst kein Moslem sein, um hinter Gaza zu stehen“ – es sind hunderte von Plakaten, die teils als antisemitisch einzustufen sind, teils aggressiv, teils aber auch nur eine einfache Botschaft haben: Das Blutvergießen und sterben soll ein Ende haben.
Mehrere türkische und islamische Vereine hatten wegen des aktuellen Nahost-Konflikts zu der Demonstration vom Wasserturm über die Planken Richtung Paradeplatz und von dort zum Alten Messplatz aufgerufen. Angekündigt waren 2.000 Teilnehmer, es wurden fast 5.000. Anmelder war ein Strohmann – tatsächlich haben sich Organisationen wie die Ditip schnell in Szene gesetzt. Die Ditip gilt als von der Türkei aus gesteuert und betreibt möglicherweise eine gezielte Islamisierung in Deutschland – zumindest soll der Islam hier verfestigt werden.
Aggressive Einpeitscher vs. gemäßigte Teilnehmer
Ein aggressiver Einpeitscher tritt auf – er redet nur türkisch, ich kann das nicht verstehen. Allah al akbar hallt es immer wieder aus den vielen Kehlen. Gott ist groß. Immer wieder und immer wieder. Die Polizei beobachtet die Lage angespannt. Ein Übersetzer hilft dem Ordnungsamt, die einpeitschende Sprüche zu übersetzen. Die Polizei greift ein und ermahnt den Veranstalter. Danach werden die Sprüche „unpolitischer“ und „unreligiöser“. Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz und Polizeipräsident Thomas Köber sind auch lange vor Ort, besprechen sich, lassen sich die Lage schildern. Klar ist, dass die Demonstration nicht an der Synagoge entlang darf.
Auf dem Markplatz zeigt die Polizei massiv Präsenz – mit dutzenden Mannschaftswagen. Nur Polizisten sieht man kaum. Aber irgendwo sind sie – sie halten sich zurück oder sind in den Seitenstraßen positioniert. Eine vorbildliche Strategie der Polizei – niemand kann ihr vorwerfen, zu provozieren oder die Demonstration zu behindern. Die kann frei ziehen. Vereinzelt wird nach unseren Informationen versucht, israelische Flaggen zu verbrennen. Das wiederum verhindern Teilnehmer der Demonstration. Überhaupt zeigen sich in der Masse viele junge Teilnehmer und Familien, es gibt aggressive Gruppierungen, aber überwiegend erscheinen die Menschen empört, aber nicht gewaltbereit.
Ausschreitungen in anderen Städten
Anders in Berlin, Essen oder Nürnberg, wo es zu kleineren Ausschreitungen und Verhaftungen gekommen ist – und offenem Judenhass. In Berlin überlegt die Polizei, ob „Jude, Jude, feiges Schwein“ nicht in die Auflagen aufgenommen werden muss. Der Zentralrat der Juden in Deutschland reagiert empört über die Zustände in den anderen Städten und den Antisemitismus, der offen zur Schau getragen worden ist. Aber auch die Demonstranten sagen zu Recht im Gespräch, dass die Medienberichte zu einseitig sind, dass es kaum Kritik am israelischen Vorgehen gibt und sie sind fassungslos, wenn Bundeskanzlerin Merkel Israel „ein Recht auf Selbstverteidigung“ einräumt, aber keinerlei Kritik übt, wie dieses Recht umgesetzt wird: „Niemand hat das Recht, Kinder zu töten. Und Frau Merkel sollte mal langsam verstehen, dass viele von uns als Deutsche hier leben und uns einbringen und dort unsere Brüder und Schwestern getötet werden.“ Dagegen kann man nicht widersprechen.
Problematischer Hintergrund
Problematisch wird es aber leider, weil zu wenig zwischen Hamas und anderen Gruppen und den Palästinensern als Volk unterschieden wird. Meine Kollegin Asmaa al-Goul schildert mir im Facebook-Chat die Situation in Gaza und berichtet über den Raketenangriff auf die Jugendlichen am Strand – vier Tote, 14 Schwerverletzte. Asmaa kritisiert mit Informationen Israel – aber auch die Hamas. Denn die Bevölkerung leidet unter beidem – der Terrororganisation und der Aggression Israels.
Doch wie oft wird hier differenziert in Medien mit Auslandsberichterstattung „tatsächlich“ erzählt, wie es ist? ARD und ZDF kann man größtenteils getrost vergessen. Denn jeder weiß – eine zünftige Kritik an Israel beendet sehr schnell Karrieren. ARD und ZDF hätten durchaus die Strukturen, eine umfassende, hintergründige Berichterstattung zu leisten – man schaue sich aber den Aufwand auf, der für eine Fußball-WM betrieben wird und vergleiche ihn mit dem Aufwand für eine Berichterstattung aus Krisengebieten. Sender wie der Deutschlandfunk leisten hier journalistisch erheblich mehr als die großen Landesrundfunkanstalten – „schwierige“ Stoffe werden hier in die Nachtschiene abgeschoben. Oft werden auch nicht die besten Reporter losgeschickt, denn die Welt der ARD ist in Gebiete aufgeteilt, die ausschließlich von den jeweiligen Sendern und ihren Korrespondenten bearbeitet werden. Löbliche Ausnahmen wie Bettina Marx, die auch mal kritisch über Israel berichten oder erweiterte Tagesschau-Berichte des Extremismus-Experten Patrick Gensing im Internet sind zu wenig. Und wer vorsichtig mit der Karriere umgeht, hält sich in Sachen Israel-Kritik zurück. Subjektive, aber faktisch untermauerte Texte wie die eines Jürgen Todenhöfer sucht man bei öffentlich-rechtlichen Sendern oder den Tageszeitungen vergeblich. Wie aggressiv auf eine kritische Haltung reagiert werden kann, habe ich mal in einem Disput mit dem Welt-Kolumnisten Henryk M. Broder erlebt – den ich provokant ebenfalls einen Antisemiten genannt habe, weil er gegen Moslems hetzt, die ja auch Semiten sind. Danach ist ein internatinoal organisierter „Shitstorm“ auf mich eingeprasselt.
Medien können immer nur Ausschnitte zeigen – aber dank Internet könnten das viel mehr sein als früher. Über die Demo am Samstag gibt es die typischen Symbolbilder: Die Masse schwenkt Fahnen – die türkische und die palästinenische Flagge sieht man am meisten, vereinzelt aber auch Flaggen der Hamas, der radikalen Palästinenserorganisation, die Israel immer wieder mit Raketen angreift oder Anschläge verübt und weswegen Israel nun angeblich „zurückschlägt“ – die Bilanz ändert sich stündlich. Aktuell stehen 7 israelischen Toten über 500 getötete Palästinenser gegenüber, darunter viele Kinder, Jugendliche und Frauen.
Medien, Massen, „Wahrheiten vs. Lügen“
Auf unseren Bildern sieht man aber die Vielfalt der Menschen, die ein Ende des Blutvergießens fordern. Zu Recht. Wenn dann noch die Einsicht dazukommt, dass die Hamas mitverantwortlich ist und jeder, der sie unterstützt, dann ist man sicher weiter und moralisch auf alle Fälle auf der sicheren Seite.
Die Botschaften der Masse sind klar: Es soll aufhören. Aber Massen differenzieren nicht. Israel wird klar als alleiniger Aggressor ausgemacht. Israel ist „feige und unfair“ – Nachfragen, ob man denn ein Beispiel in der Geschichte für einen „fairen Krieg“ benennen könne, gibt es natürlich nicht. Der größte Teil der Demonstranten ist türksichstämmig und laut Polizei aus Mannheim und einem Umkreis von rund 100 Kilometern angereist. Sie solidarisieren sich mit ihren muslimischen Glaubensbrüdern – also ist die Demonstration doch religiös. Oft wird der türkische Ministerpräsident Erdogan erwähnt – der hat sich immer wieder rechtspopulistisch bis antisemitisch gegenüber Israel geäußert.
Viele weisen daraufhin, dass Israel immer im Fastenmonat Ramadan angreife. Die wenigsten weisen daraufhin, dass die Hamas und andere Terrorgruppen Israel das ganze Jahr bedrohen. Überhaupt fehlt es an der Differenzierung, der klaren Trennung zwischen Gruppen wie der Hamas und der notleidenden Bevölkerung im Gazastreifen. 1,8 Millionen Menschen leben dort gedrängt auf einer Fläche, die ungefähr dem Kölner Stadtgebiet entspricht. Die Infrastruktur ist eine Katastrophe – Israel kann nach Belieben Strom und Wasser abstellen. Viele bezeichnen die Zustände als Ghetto – andere wiederum als KZ oder behaupten, dort würde ein Holocaust durch Israel stattfinden.
Das macht diese Demonstration hochproblematisch – selbstverständlich steht Mannheim für eine Vielvölkergesellschaft und erlaubt Demonstrationen. Nur ist die Meinungsfreiheit nicht unbegrenzt und kann schon gar nicht dafür verwendet werden, gegen andere zu hetzen. Der ehemalige türkische Minister für Europa-Angelegenheiten, Egemen Bagis, stößt umgeben von Leibwächtern ebenfalls zur Demo und wird auf dem Alten Meßplatz sprechen – was er sagt? Weiß ich nicht, es ist auf türkisch, aber die Menge jubelt. Damit verliert aber diese Demonstration den eigentlichen Anmeldecharakter – ganz in Ordnung ist das nicht. Meiner Meinung nach sollten alle Äußerungen auf Demonstrationen in Deutschland auch auf deutsch sein – damit alle mitverfolgen können, um was es geht.
Mannheim als Vorbild findet nur wenig Aufmerksamkeit
„Die Stimmung war sehr aufgeheizt“, sagt Polizeisprecher Norbert Schätzle, „aber die gemäßigten Teilnehmer haben sich durchgesetzt“. Das ist kurz und knapp eine korrekte Zusammenfassung. Doch klar ist: Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte es in Mannheim ebenso wie in anderen Städten zu Ausschreitungen kommen können. Und dann? Wem erlaubt man dann noch eine Demonstration? Siehe den Kurdenkrawall – ein Kurdenfestival wird es in Mannheim nach 80 verletzten Polizisten nicht mehr geben, außer unter beinharten Auflagen. Und das ist schlecht für alle Menschen, die sich für Menschenrechte einsetzen und nicht den Tod von anderen fordern oder pauschal ganze Völker als Mörder bezeichnen.
Die Veranstalter bedankten sich für die Unterstützung von Stadt und Polizei ausdrücklich. Das können sie auch – aber vor allem sollten sie froh sein, dass der größere Teil der Demonstranten gemäßigt aufgetreten ist und kein Krawall gesucht wurde – sonst wäre auch Mannheim durch die Schlagzeilen gegangen.
Schade nur, dass die meisten Medien immer nur den Eklat vermelden und das positive Mannheimer Beispiel so gut wie keine Resonanz gefunden hat.