Mannheim/Rhein-Neckar, 25. November 2017. (red/pro) Das Magazin Focus berichtete am Freitag darüber, dass die Mannheimer Stadträtin Gökay Akbulut, die aktuell auch für Die Linke in den Bundestag gewählt worden ist, vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Grund sei unter anderem, dass die 35-Jährige beim Kurdenkrawall 2012 beteiligt war und Kontakte zu PKK-Gruppen unterhalte. Laut Mannheimer Morgen streitet die türkeistämmige Politikerin das ab. Was ist dran an der Story?
Von Hardy Prothmann
Ich habe in meiner journalistischen Laufbahn noch nie „eine Quelle verbrannt“. So heißt das in der Branche, wenn Informanten bekannt werden. Aktuell war ich selbst Quelle und kann für das eigene Outing die Verantwortung tragen.
Anruf von einem „fürs Geheime“
Am 25. Oktober klingelt das Telefon. 030 – eine Nummer aus Berlin, mir nicht bekannt. Ich nehme den Anruf entgegen. Am Apparat ist Josef Hufelschulte. Altgedienter Reporter. Persönlich kenne ich ihn nicht. Natürlich kenne ich seinen Namen. Er ist ein alter Haudegen des Journalismus. Nicht unumstritten. Sein Hauptgeschäft ist das „Geheime“.
Er kommt schnell zur Sache: Seine Recherchen zu Gökay Akbulut, einer jungen Die Linke-Politikerin, die im September erstmals in den Bundestag gewählt worden ist, hätten ihn auf das Rheinneckarblog gebracht. Wir seien das einzige Medium, dass die Dame kritisch beleuchtet hätte. Was wir denn so alles wissen, wollte Herr Hufelschulte in Erfahrung bringen.
Wir erhalten solche Anrufe seit einigen Jahren immer häufiger. Ob von Spiegel online oder anderen Medien. Wegen der Relevanz unserer Themen und der Tiefe der Informationen.
Da Herr Hufelschulte ausweislich seiner Fragen gut im Thema war, habe ich ihn mit Informationen kollegial unterstützt und ihm Hintergründe, Einschätzungen und mögliche Ansprechpartner mitgeteilt. Unentgeltlich, rein kollegial.
Gökay Akbulut im Visier des Verfassungsschutzes
Einen knappen Monat später veröffentlicht er seine Recherche, die wir am Freitag mit Bezug auf die Quelle und der notwendigen Distanz ebenfalls mitgeteilt haben.
Gökay Akbulut, so das Magazin Focus, ist im Visier des Verfassungsschutzes. Wegen einer Nähe zur in Deutschland verbotenen Terrororganisation PKK. Wir machen uns diese Aussage nicht zu eigen, sondern übermitteln sie mit der notwendigen Distanz, weil das RNB nicht über „Informationen aus Sicherheitskreisen“ zur Causa verfügt.
Worüber wir aber verfügen, sind eigene Informationen und Recherchen.
An dieser Stelle möchte ich Sie dringend auf eine andere wesentliche Sachlage hinweisen: Journalismus ist ein hartes, arbeitsreiches Geschäft. Man muss unglaublich viel wissen und können und manchmal dauert es Jahre, „bis man zu Potte kommt“. Journalistische Arbeit ist kein Freizeitvertreib, sondern muss finanziert werden. Es liegt auch an Ihnen, ob wir unsere Arbeit machen können. Sie können spenden, Sie können Artikel bezahlen. Wenn die Mehrheit unserer Leserschaft kein Geld zahlt, müssen wir irgendwann die Arbeit einstellen. Sie werden dann weiter informiert – von beauftragten und von interessengeleiteten PR-Agenturen, die versuchen, Sie gezielt und mit viel Geld finanziert zu beeinflussen.
Ich war selbst beim Kurdenkrawall 2012 vor Ort und bin dort gezielt mit Steinen aus dem Mob heraus beworfen worden. Ich habe selbst eine krass aggressive Stimmung und Anfeindungen erlebt, gegen die der rechtsradikale Hogesa-Auftritt (Hooligans gegen Salafisten) ein Kindergeburtstag war. Ich war in den vergangenen fast 30 Jahren meiner Reportertätigkeit schon in vielen Krisensituationen, aber der Kurdenkrawall war außergewöhnlich aggressiv. Das war eine Lynchmobstimmung.
Auch das ist für Sie eine wichtige Information: Selbstverständlich ist mir die Lage der Kurden in der Türkei grundsätzlich bekannt. Ich weiß um die Repressalien und Verfolgungen, aber eben auch um die terroristischen Aktionen. Viele Forderungen der Kurden haben meine Sympathie – bei Gewalt ziehe ich sofort und unmissverständlich einen Schlussstrich. In Deutschland hat der Staat das demokratisch-legitimierte Gewaltmonopol. Und niemand sonst.
Festival des Hasses
Was ich erlebt habe, war ein Festival des Hasses. Eine „Gewaltfalle„, wie der zuständige Einsatzleiter und Polizeidirektor Dieter Schäfer sein Buch genannt hat, in dem er den Einsatz aufgearbeitet hat (dringend zur Lektüre empfohlen für alle, die sich thematisch damit beschäftigen). Dieter Schäfer ist ein noch älterer Knochen als ich. Ein „Bulle“ durch und durch. Ein Gesetzeshüter. Ein vorbildlicher Polizist, der in den vergangenen Monaten mit seinen „Poser“-Kontrollen bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt hat und vorbildliche Arbeit leistet.
Als ich damals mit ihm (sehr lange) geredet hatte, hatte ich einen zutiefst verstörten Menschen vor mir. Absolut klar in seiner Rolle als verantwortlicher Einsatzleiter. Aber als Mensch auch „geschockt“ durch das Erlebnis dieses Gewaltausbruchs, bei dem über 70 Polizeibeamte zum Teil schwer verletzt worden waren. Herr Schäfer hatte bis zu diesem Einsatz keine Vorstellung von einer derart eruptiven Gewalt – obwohl er dachte, er hätte schon „so gut wie alles erlebt“.
Ich war damals als einziger Reporter nach dem Gewaltausbruch auf dem Gelände. Ich bin echt nicht lebensmüde und habe sehr genau überlegt, ob ich das wage. Das habe ich, weil ich einige Kurden kannte, die nach meiner Einschätzung genug Autorität hatten, um für meine Sicherheit zu sorgen. Ich musste impulsiv entscheiden und bin das Risiko kalkuliert nach meinen „Bauchgefühl“ eingegangen.
Generalstabsmäßige Planung
Ich konnte mir damals deshalb selbst ein Bild machen und feststellen, dass all die Angaben über angeblich verletzte Festivalteilnehmer Fakenews waren. Reine Propaganda. Der Kurdenkrawall war aus meiner Sicht eine generalstabsmäßig geplante Aktion – vom Gewaltakt bis zur Propaganda hinterher. Auf dem Gelände war die Aggressivität und das Ende der Rechtsstaatlichkeit förmlich greifbar.
Ich habe damals auch mit einer mir unbekannten Frau geredet, die mir als „Sprecherin“ vorgestellt worden ist: Gökay Akbulut. Zwei Jahre später wurde sie in den Gemeinderat gewählt. Ich brauchte tatsächlich einige Zeit, mich an sie zu erinnern. Irgendwoher kannte ich sie, aber woher? Na klar, vom Kurdenfestival auf dem Maimarktgelände, fiel mir irgendwann ein.
Nach der Focus-Veröffentlichung hat offenbar auch der Mannheimer Morgen mit Frau Akbulut gesprochen und zitiert sie:
Ich habe dort als Vermittlerin und Übersetzerin agiert und nicht als Veranstaltungsleiterin.
Focus bezeichnet sie als „Veranstaltungsverantwortliche“. Ob das so ist, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass sie sich mir gegenüber als verantwortliche Sprecherin ausgegeben hat.
Propagandistin Akbulut
Das Problem des Mannheimer Morgen ist, dass für diese Zeitung das Rheinneckarblog nicht existiert, außer, wenn man uns verklagen will, wenn wir unzulängliche Arbeiten und fragwürdige Praktiken der Zeitung kritisieren (Die Zeitung hat den Prozess verloren). Hätte der Reporter wie der Kollege Hufelschulte korrekt angefragt, hätte er auch Antworten bekommen, die das Zitat der Frau Akbulut fragwürdig erscheinen lassen.
Frau Akbulut hat mir damals vollständig gelassen, in fast kontemplativer Ruhe mitgeteilt, dass die Aggression eindeutig von der Polizei ausgegangen sei. Sie lächelte durchgängig. Die alleinige Schuld für die Eskalation habe bei der Polizei gelegen, die sich provokativ verhalten habe. Beschuldigungen gegen Verantwortliche des Kurdenfestivals hat sie eindeutig und umfänglich zurückgewiesen.
Ich hatte das mehrmals nachgefragt und immer die gleiche Antwort erhalten. Frau Akbulut antwortete wie ein Roboter. Vollständig emotionslos und ohne jede Empathie für die verletzten Polizeibeamten. Wie ein Apparatschik. Sie war von ihren Aussagen nach meiner Wahrnehmung vollständig überzeugt: Der massive Angriff von 500 Gewalttätern und rund 1.500 Unterstützern „ging für sie in Ordnung“, denn schließlich habe „die Polizei das provoziert“.
Leider habe ich das nicht aufgenommen. Denn man kann als Journalist vor Ort nicht alles machen. Videos, Interviews, O-Töne, mit Leuten reden, sich umschauen. Je mehr journalistische Mitarbeiter man hat, umso besser. Aber die sollen angemessen bezahlt werden. Beim Kurdenfestival hätte es noch eine Gefahrenzulage und eine Berufsunfähigkeitsversicherung, möglicherweise eine Lebensversicherung gebraucht.
Jetzt äußert sich Frau Abkulut, protegiert durch den Mannheimer Morgen, sie habe sich „schon zig Mal von Gewalt distanziert“.
Auch hier habe ich einen anderen Eindruck, denn ich habe Frau Akbulut später häufiger auf Demos als Sprecherin erlebt. Teils sehr aggressiv und häufig wechselte sie von deutsch auf „kurdisch“ oder „türkisch“. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagte.
Ja klar, das könnte man aufnehmen und übersetzen lassen. Doch das ist alles Arbeit und die kostet Geld. Journalismus kann enorm viel leisten – wenn er bezahlt ist.
Aus „Polizeikreisen“ weiß ich, dass kurdische oder türkische Demos immer das Label „Stress“ haben. Die Polizei ist immer hochgradig erregt, teils im Alarmzustand. Denn man weiß um die Konflikte. Nach unseren Recherchen sind Mannheim/Ludwigshafen ein „PKK-Bölge“, eine Art extremistisch-kurdische Region, die gut vernetzt und strukturiert ist. Auch die Grauen Wölfe waren früher und sind jetzt wieder aktiv, so eine Art türkischnationale Rechtsradikale. Da ist ordentlich Konfliktpotenzial vorhanden.
Mit Transparenz gegen Extremismus
Aus journalistischen Gesprächen mit dem Verfassungsschutz Baden-Württemberg wissen wir, dass das Rheinneckarblog hier als relevantes Medium ausgewertet wird: „Sie machen eine für uns sehr interessante Arbeit.“ Möglicherweise ist man sogar über uns erst auf Frau Akbulut aufmerksam geworden. Ob das so ist, wissen wir nicht und das ist auch nicht wesentlich für unsere Arbeit. Wir informieren die Öffentlichkeit, wenn das auch den Verfassungsschutz interessiert, ist das halt so.
Das von mir verantwortete Rheinneckarblog bietet Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine Transparenz, die sie nur selten bei anderen Medien finden. Es liegt an Ihnen, ob wir das auch in den nächsten Jahren leisten können.
Ob Frau Akbulut eine PKK-Aktivistin ist, wissen wir nicht. Zumindest ist das bislang nicht zu belegen. Aber es gibt viele Hinweise, die ihre Rolle als „zweifelhaft“ erscheinen lassen. Das kann man belegen und deswegen interessiert sich wohl auch der Verfassungsschutz für die Dame.
Ich persönlich erinnere mich sehr gut an ihren kalten Gesichtsausdruck damals angesichts der massiven Gewalt. Diese Gewalt hatte Frau Akbulut auch nicht ansatzweise beeindruckt. Sie war so entspannt, als hätte ich mich mit ihr über Kuchenbacken und ein Kindergartenfest unterhalten.
Auf der Internetseite des Kreisverbands Mannheim äußert sich Frau Akbulut:
„Ich setze mich seit meiner Jugend für eine friedliche Lösung des Kurdistankonfliktes ein und habe Familienangehörige in diesem Krieg verloren. Solange autoritäre Regime wie die Türkei als Partner des Westens unterstützt und Rekordumsätze mit Waffenexporten gemacht werden, sind Menschen gezwungen zu fliehen. Gegen die neo-imperialistischen Kriege und die deutsche Vormachtpolitik in Europa brauchen wir eine friedliche und solidarische linke Politik, die zur globalen Umsetzung sozialer Rechte beiträgt.“
Sie hat die massive Gewalt, bei der über 70 Polizeibeamte zum Teil schwer verletzt worden sind, absolut und unmissverständlich als „Reaktion auf eine Provokation der Polizei“ eingeordnet. „Imperialistisch“ hat sie nicht gesagt. Aber irgendwas von solidarisch erzählt. Und von sozialen Rechten.
Die Polizei nahm damals einem Buben eine verbotene Flagge ab. Dann ging es ab. Soviel zur Einordnung von Aktion und Reaktion aus der Sicht von Frau Akbulut, die nun als Bundestagsmitglied Immunität genießt.
Am 24. September 2017 ist sie zum Mitglied des 19. Deutschen Bundestags gewählt worden.
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